STAATLICHE UNIVERSITÄT SANKT PETERSBURG
Philologische Fakultät
Lehrstuhl für Deutsche Philologie
Anastasia Andreeva
Fachlexik in Artikeln über populäre Musik
am Beispiel der deutschsprachigen Presse
Функционирование специальной лексики в статьях
о популярной музыке (на материале немецкоязычной прессы)
MASTERARBEIT
Fachrichtung: 45.04.02 LINGUISTIK
Masterstudiengang: «Theorie und Praxis verbaler Kommunikation»
Wissenschaftliche Betreuerin:
Dr. Phil. Elena Kovtunova
Sankt Petersburg
2017
Inhaltsverzeichnis
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Einleitung
Die vorliegende Masterarbeit untersucht Fachlexik aus dem Fachdiskurs
populärer Musik in aktuellen deutschsprachigen Medientexten. Den
Forschungsgegenstand bilden Fachwörter im Text: die Funktionen des Fachwortes im
Medientext, sprachliche Vorgänge, die die Fachlexik in Artikeln über populäre Musik
betreffen, und diskursive Repräsentation der Fachlexik im Kontext.
Aktuelle Fachsprachenforschung zeigt, dass Fachlexik ihren Gebrauch nicht auf
Fachtexte beschränkt. Es lässt sich beobachten, dass Fachwörter in unterschiedlichen
Texten auftreten. Wenn Begriffe in einem massenmedialen Kontext vorkommen, stellt
sich die Frage, ob die Einheiten von semantischen Modifikationen betroffen werden
können. Vermutlich können Fachwörter determinologisiert und metaphorisiert werden
oder Synonymie bzw. Polysemie im Kontext entwickeln.
In vorliegender Masterarbeit wird Fachlexik innerhalb des Diskurses populärer
Musik betrachtet, d.h. am Beispiel von Artikeln, die eine offene Gesamtheit von
Texten nach dem Merkmal funktionaler und thematischer Verwandtschaft bilden.
Dadurch wird nicht nur der Wortschatz eines Fachbereichs analysiert, sondern auch
wie er in einem bestimmten Bereich funktioniert und wie er sich kommunikativ
realisiert. Dadurch wird ein Versuch unternommen, den Diskurs populärer Musik zu
beschreiben.
Das Forschungsziel liegt darin, zu bestimmen, wie fachsprachliche Elemente in
gegenwartssprachlichen Medientexten funktionieren, die sich nicht allein an ein
Fachpublikum richten, wobei funktionale Vielfalt der Fachlexik, semantische
Stabilität bzw. Veränderungen im Fachwortschatz, semantische Relationen im Kontext
und diskursbildender Charakter der Fachlexik berücksichtigt werden.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage sind folgende Aufgaben im Rahmen der
Forschung zu lösen:
• das empirische Material aus den aktuellen Artikeln über populäre Musik zu
sammeln;
!3
• die theoretische Grundlage der Forschung zu bilden;
• unterschiedliche Klassen der Fachlexik in den aktuellen Texten auszusuchen
und sie systemlinguistisch zu beschreiben (Terminus, Fachjargonismus
usw.);
• morphologisch-semantische Analyse der ausgewählten Einheiten
durchzuführen;
• die Funktionen der Fachwörter in Pressetexten zu bestimmen und
Okkurenzen zu finden, in denen Fachwörter nicht traditionelle Funktionen
annehmen können;
• einzelne Schlüsselbegriffe im Diskurs populärer Musik diskurslinguistisch
zu beschreiben.
Die Problematik der Fachlexik in der Gegenwartssprache bleibt aktuell und
wurde von solchen Forscherinnen und Forschern untersucht wie D. Faulseit,
L.Hoffmann, Th. Roelcke, H.R. Fluck, W. Leitschik, S. Grinew-Grinewitsch,
S.Schelow, L. Alekseewa, E. Aleschinskaja u.a.
Häufig wird in diesem Kontext die englische Sprache erforscht
(E.Aleschinskaja, S. Lobanow), es gibt doch Arbeiten, die deutsche Fachlexik in
verschiedenen Bereichen analysieren, wie etwa der Eisenbahnsoziolekt
(E.Moskwitin), Sport (A. Golodow), Wirtschaft (N. Konstantinowa) etc., und auch die
Repräsentation der Fachlexik in Wörterbüchern und in der Belletristik beobachten (W.
Sobolewa) u.a.
Fachlexik im Bereich Musik wurde in Arbeiten von E. Aleschinskaja (am
Beispiel des Amerikanischen) und I. Wizinskaja (am Beispiel der deutschen Sprache)
erforscht.
Die diskurslinguistischen Forschungen von D. Busse, I.H. Warnke und J.
Spitzmüller, sowie die Arbeiten, die der systematischen und kontextuellen
Wortschatzanalyse gewidmet sind, bilden auch die theoretische Grundlage der
Masterarbeit.
!4
Die Arbeitshypothese besteht darin, dass Fachlexik in einer untypischen
Umgebung trotz ihrer Fachbezogenheit nicht typische Funktionen erfüllen und
semantisch modifiziert werden kann.
In der vorliegenden Arbeit werden drei Ansätze zur Untersuchung der
Fachlexik angewendet, nämlich system-, pragma- und diskurslinguistischer, die
verschiedene Analyseebenen verbinden: von der Wortebene (Wortbedeutung,
Wortbildungstypen, Typologie u.a.) über die Textebene (Funktionen des Wortes im
Kontext, textbildende Fähigkeit des Wortes usw.) zur Diskursebene (Intertextuelle
Zusammenhänge, Diskursbildung durch Schlüsselbegriffe etc.).
Die Fachlexik wurde aus aktuellen Medientexten gesammelt, es ist daher zu
betonen, dass Fachwörter im realen Gebrauch untersucht werden und nicht aus
Wörterbüchern stammen.
Als Quellen des empirischen Materials dienen gedruckte Medien und OnlineMagazine: „Neue Musikzeitschrift“, „Laut“, „Visions“, „Spiegel-Online“, „Die ZeitOnline“, „Rolling Stone“, „Die Welt“ und „Bild“. Das Korpus der Arbeit besteht aus
53 Artikeln und 936 Konkordanzen.
Im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit wurden unterschiedliche
Analyseverfahren angewendet: semantische Analyse, morphologische Analyse,
funktionale Analyse, diskurslinguistische Analyse (Korpusanalyse,
Konkordanzanalyse, Kollokationsanalyse) und Elemente der quantitaven Analyse.
Der Beitrag der Forschung besteht darin, dass die dynamischen Aspekte in der
Semantik der gegenwärtigen Fachlexik vorher nicht genug detailliert untersucht
wurden, und auch darin, dass sich in so einem popularisierten Bereich wie Musik
viele Gebrauchskontexte von Fachwörtern finden lassen, in denen Fachlexik
untypische Funktionen annimmt.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wurden sowohl in Seminaren für
Prüfungskandidaten an der SPbGU im Herbst 2016 und im Frühling 2017, als auch in
Form der Vorträge auf der XX. Internationalen Philologischen Studentenkonferenz
!5
der Universität Sankt-Petersburg, sowie auf der XX. Interuniversitären Philologischen
Studentenkonferenz der Puschkin-Universität im April 2017 und im VIII.
Internationalen Wissenschaftspraktischen Wettbewerb im Mai 2017 vorgestellt und in
Form des sprachwissenschaftlichen Artikels «Лингводискурсивный анализ
специальной лексики (на примере единиц Lied и Song)» im Juni 2017
veröffentlicht.
Die Masterarbeit besteht aus einer Einleitung, zwei Kapiteln, einer
Schlussfolgerung, einem Literaturverzeichnis und aus einem Anhang. Das 1. Kapitel
behandelt theoretische und einige praktische Fragen der Forschung, widmet sich
primär dem systemlinguistischen Ansatz und ist in sechs Paragraphen gegliedert. Das
2. Kapitel spiegelt die Ergebnisse der pragmalinguistischen und diskurslinguistischen
Analyse wider und besteht aus vier Paragraphen. Jedes Kapitel der Arbeit ist mit
einem Fazit versehen. Der Anhang enthält alle Konkordanzen der Fachlexik in
unserem Korpus.
!6
1. Spezifik der Fachlexik und Besonderheiten ihres Gebrauchs in
Medien
1.1 Ein Blick in die Geschichte des Begriffs
Die Fachsprachenforschung hat ihren Ursprung in den 50er Jahren des 20.
Jahrhunderts. Von da an entwickelten sich mehrere Fachsprachenauffassungen und
somit erschienen auch mehrere Definitionen des Begriffs Fachlexik.
Auf dem Gebiet der Fachsprachenforschung arbeiteten unterschiedliche
Forscherinnen und Forscher, unter ihnen auch russische (A.W. Kalinin, Wassilij D.
Staritschenok, Alexandra W. Superanskaja) und deutsche Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler (Dieter Faulseit, Lothar Hoffmann, Thorsten Roelcke).
Als Ausgangspunkt der Fachsprachenforschung in der sowjetischen Linguistik
gilt der Terminus, der im 20. Jahrhundert auf sich die Aufmerksamkeit der Linguisten
hingelenkt hat. Aus diesem Grund hat sich eine neue Branche in der
Sprachwissenschaft entwickelt, und zwar die Terminologielehre. Da der Terminus im
Mittelpunkt der Terminologie stand, betrachteten ihn die Fachsprachenforscher in
Russland als den Kern der Fachlexik und gingen auf den weiteren Begriff (d.h. auf die
Fachlexik und das Fachwort) seltener ein. Im Gegenteil gehörte das Fachwort zum
gesamten Wortschatz der Sprache und es wurde infolgedessen in der sowjetischen
bzw. russischen Sprachwissenschaft ursprünglich als ein Systemphänomen untersucht.
Unter dem Begriff Fachlexik wird im Allgemeinen der Fachwortschatz
verstanden, d.h. alle fachspezifischen Wörter bzw. Wortgruppen, die in diesem oder
jenem Fachbereich vorkommen. Davon zeugen die folgenden Definitionen.
Kalinin betrachtet Fachlexik als Wörter, die vorwiegend von Vertretern eines
bestimmten Wissenschaftsbereichs bzw. Berufs gebraucht und verstanden werden. 1
Laut der Auffassung von Staritschenok gehören zur Fachlexik volkstümliche
Wörter, die menschliche Tätigkeit in fachlichen Bereichen beschreiben (z.B.
1
Калинин А.В. Лексика русского языка. - 2-е изд. стер. М.: Флинта, 2013. – S. 186.
!7
Wissenschaft, Technik, Kunst, Sport, Medizin). 2
Superanskaja bietet eine allgemeinere Definition und versteht unter der
Fachlexik alle lexikalischen Mittel, die mit der Berufstätigkeit der Menschen
verbunden sind. 3
Den angegebenen Definitionen folgend lässt sich feststellen, dass die Fachlexik
primär zum Fachbereich gehört, indem sie der Kommunikation zwischen Fachleuten
dient und ihre Berufstätigkeit beschreibt. Die Fachlexik ist das Instrument, mit dem
Kommunikationsteilnehmer Informationen über fachliche Gegenstände und Vorgänge
überliefen können, wobei sie fachliches Wissen mitteilen und sich miteinander
verständigen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Fachlexik auch im
Alltagsdiskurs vorkommen kann (z.B., wenn man ein Pop-Konzert verlässt und die
Musik bespricht, indem man solche Fachwörter benutzt wie der Track und touren),
aber es muss betont werden, dass ein Fachwort im Fachbereich eine genauere,
präzisere und umfangreichere Bedeutung hat, als im Alltagsdiskurs, in dem hinter
einem Fachwort eine allgemeinere Definition steckt, die nicht alle spezifischen
Elemente der Bedeutung im Kontext aktualisieren kann.
Ist die Rede von Fachsprachen, sind im deutschsprachigen Raum die Namen
von Dieter Faulseit, Lothar Hoffmann und Thorsten Roelcke von besonderer
Bedeutung.
Faulseit gehört zu den Sprachwissenschaftlern, die die Fachwortforschung
begründet haben. Er schreibt, dass es in den 1970er Jahren noch keine genauen
Definitionen der Begriffe „Fachlexik“ und „Fachwort“ existierten, aber es konnte aus
den Definitionen mehrerer Forscher zusammengefasst werden, dass ein Fachwort eine
Einheit ist, die ihren Platz in einem fachlichen Begriffssystem findet, eine fachliche
Bedeutung beinhaltet und „den normativen Bezeichnungsformen eines bestimmten
2
Стариченок В.Д. Большой лингвистический словарь. - Ростов н/Д: Феникс, 2008. – S. 612.
Суперанская А.В., Подольская Н.В., Васильева Н.В. Общая терминология: Вопросы теории - Изд. 6-е. - М.:
Книжный дом «ЛИБРОКОМ», 2012. – S. 26.
!8
3
Fachbereichs“4 entspricht. Die Fachlexik ist also eine Gesamtheit von solchen
Einheiten.
Nach Meinung Hoffmanns ist eine Fachsprache „die Gesamtheit aller
sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich
verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen
Menschen zu gewährleisten.“5 Nach dieser Definition gehören nicht nur Fachwörter in
die Fachsprache, sondern auch andere sprachliche Einheiten, die auch in anderen
Kontexten (z.B. im Alltagsdiskurs oder in der Belletristik) vorkommen können; nicht
nur fachliche Begriffe, sondern auch neutrale Lexik, die keinem konkreten Stil
zugeschrieben werden kann: z.B. Verben, die mentale Tätigkeiten bezeichnen, wie
verstehen, finden, meinen oder merken.
Im Handbuch zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft werden zwei
Definitionen des Begriffs Fachwortschatz angeführt. Im weiteren Sinne sind unter
einem Fachwortschatz „alle lexikalischen Einheiten in Fachtexten [zu verstehen], da
sie direkt oder indirekt zur Kommunikation über fachliche Gegenstände und Vorgänge
beitragen.“ Im engeren Sinne bildet der Fachwortschatz „ein Subsystem des
lexikalischen Gesamtsystems bzw. eine Teilmenge des Gesamtwortschatzes einer
Sprache.“6 Es ist anzumerken, dass hier die Rede vom Fachwortschatz und nicht von
der Fachsprache7 ist. Von diesen Bestimmungen ausgehend lässt sich feststellen, dass
ein Fachwort eine sprachliche Einheit ist, die einen fachlichen Gegenstand bzw.
Vorgang bezeichnet, und die Grundeinheit der Fachlexik bildet.
Roelcke definiert das Fachwort als „die kleinste bedeutungstragende und
zugleich frei verwendbare sprachliche Einheit, die innerhalb der Kommunikation
4
Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 10.
Hoffmann L. Vom Fachwort zum Fachtext: Beitr. zur Angewandt. Linguistik. Tübingen: Narr, 1988. Zitat nach:
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 190.
5
6
Hoffmann L., Großdeuben. Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 –
Fachsprachen. Walter de Gruyter, Berlin, New York, 2008. S. 193.
Unter „Fachsprachen“ werden in dieser Arbeit im Allgemeinen die Sprachen verschiedener Fachgebiete (Berufe und
Hobbys) verstanden.
!9
7
eines bestimmten menschlichen Tätigkeitsbereichs gebraucht wird“. 8 Es ist auffällig,
dass die Definition von Roelcke der von Hoffmann ähnlich ist und zwar in dem Sinne,
dass ein Fachwort nicht unbedingt eine fachliche Bedeutung in sich tragen, sondern
lediglich innerhalb der Fachkommunikation vorkommen muss. Somit ist der
Fachwortschatz die Gesamtheit aller lexikalischen Mittel, die die Fachkommunikation
stützen.
Die angeführten Definitionen machen klar, dass die Fachlexik bzw. der
Fachwortschatz9 zweierlei verstanden werden kann. Die Fachlexik besteht zum einen
nur aus Fachwörtern, also nur aus Wörtern, die fachliche Begriffe bezeichnen. Zum
anderen gehören zur Fachlexik darüber hinaus auch nicht-fachliche Ausdrücke, d.h.
alle lexikalischen Einheiten, die die Verständigung der Kommunikationsteilnehmer in
einem fachlichen Bereich gewährleisten (z.B. allgemein wissenschaftliche Verben wie
betrachten, feststellen, unterscheiden).
Diese Gegenüberstellung von einem engeren und einem weiteren Verständnis
des Fachwortschatzes wird auch bei Roelcke widergespiegelt. In seinen Arbeiten
unterscheidet er vier Arten des Fachwortschatzes10 nach textueller Realisierung, die
sich in folgender Tabelle vorstellen lassen:
Tabelle 1. Arten des Fachwortschatzes nach Th. Roelcke
Arten des
Fachwortschatzes
Erläuterungen
Intrafachlicher
Fachwortschatz
Nur Fachwörter, die innerhalb eines Textes spezifische
fachliche Begriffe eines Fachbereichs bezeichnen
Interfachlicher
Fachwortschatz
Der gesamte Fachwortschatz in einem Text, auch allgemein
fachliche Ausdrücke, die in mehreren Fachbereichen ihre
Verwendung finden
8
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 50.
9
In der vorliegenden Arbeit werden „Fachlexik“ und „Fachwortschatz“ als Synonyme betrachtet.
10
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 56-58.
!10
Extrafachlicher
Fachwortschatz
Fachwörter, die nicht nur zu einem fachlichen System gehören,
sondern auch aus anderen Fachbereichen stammen
Nichtfachlicher
Fachwortschatz
Die Einheiten, die keiner Fachsprache zugeordnet werden und
auch zur Allgemeinsprache gehören können
Intrafachlicher Fachwortschatz ist Fachlexik im engeren Sinne, wobei die drei
übrigen Arten den Fachwortschatz im weiteren Sinne bilden.
Im Vergleich mit der russischen Fachsprachenforschung ist auffällig, dass die
Fachlexik in Russland weiter betrachtet wird, während sie in der deutschen
Fachsprachenforschung auch eng verstanden werden kann. In der vorliegenden Arbeit
wird Fachlexik als intrafachlicher Fachwortschatz definiert.
Im Auge muss noch behalten werden, dass sich Fachsprachen – und
insbesondere Fachwörter – nach mehreren Ansätzen untersuchen lassen, und zwar aus
systemlinguistischer, pragmalinguistischer und kognitionslinguistischer Sicht.
Der systematischen Auffassung zufolge wird das Fachsprachwort zum
Forschungsobjekt. Das Fachsprachwort ist eine Systemeinheit, d.h. es gehört in ein
fachliches System und wird außerhalb des Kontextes analysiert.11 Die systematische
Auffassung stimmt mit der systematischen Fachsprachenkonzeption (anders genannt
das systemlinguistische Inventarmodell) überein, das lexikalisches Inventar und
syntaktische Regeln in Fachsprachen untersucht. Von diesem Standpunkt werden
Fachsprachen als Zeichensysteme verstanden.12
In der pragmatischen Auffassung wird das Fachtextwort analysiert, das ist ein
Fachwort, das in einem geäußerten Text erscheint und im Zusammenhang mit dem
Kontext untersucht wird. 13 Aus pragmatischer Sicht sind also Fachsprachen
Textäußerungen in der fachlichen Kommunikation; das pragmalinguistische
Kontextmodell macht die Äußerungen selbst und die Bedingungen, unter denen die
11
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 50-52.
12
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 14-15.
13
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 50-52.
!11
Fachkommunikation stattfindet, zu seinem Schwerpunkt.14
Was das kognitionslinguistische Funktionsmodell anbetrifft, stellt es in den
Mittelpunkt psychologische und kognitiv-kommunikative Prozesse im Bewusstsein
von Teilnehmern der Fachkommunikation. Dabei werden solche Punkte in Rücksicht
genommen, wie Kommunikationsintention und intellektuelle Fähigkeiten der
beteiligten Personen. 15
In dieser Hinsicht muss angemerkt werden, dass der systematische Ansatz eine
Grundlage für die anderen zwei bildet. Je größer das Untersuchungsfeld wird (von der
Wortebene über die Textebene zur Kognitionsebene), desto umfangreicher soll das
Modell zur Analyse der Fachsprachen sein. Aus diesem Grund sind diese drei Modelle
als eine Linie der Entwicklung von der Wortanalyse zur Kognitionsanalyse zu
betrachten.
1.2 Linguistische Merkmale und Besonderheiten der Fachlexik
Zu den Gütemerkmalen der Fachlexik zählen Fachbezogenheit, Kürze,
Exaktheit, Eindeutigkeit, Wohldefiniertheit und Kontextunabhängigkeit.16
Fachbezogenheit ist eines der Hauptmerkmale der Fachlexik, das schon in ihrer
Definition enthalten ist: Fachlexik gehört zu einem Fachbereich und teilt fachliches
Wissen mit. Fachbezogenheit der Fachwörter manifestiert sich auch dadurch, dass
Fachlexik als sprachliches Instrument der Fachleute wahrgenommen wird. Es muss
auch erwähnt werden, dass Termini zu bestimmten „Terminussystemen“ 17 zuzuordnen
sind und in diesem Sinne diskursbildend wirken (weil Fachwörter als Schlüsselwörter
verschiedener Fachdiskurse funktionieren).
14
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 18.
15 Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 23.
16
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 429.
17 Auf
Russisch heißt es «терминосистема».
!12
Eines der wichtigsten Merkmale der Fachlexik ist Kürze. Aus
sprachökonomischen Gründen müssen Fachwörter kurz und knapp, aber gleichzeitig
informativ sein. Neuentstandene Fachwörter, die einen neuen Gegenstand bzw. eine
neue Erscheinung im Fachbereich benennen, sind oft nicht kurz genug, indem sie
zunächst in Form einer beschreibenden Wortgruppe oder einer beiordnenden
Wortverbindung existieren. Sergej W. Grinew-Grinewitsch nennt solche neuen
Fachwörter Vortermini; eventuell werden sie durch Termini, also kürzere und
knappere Varianten, ersetzt.18 Dieses Charakteristikum der Fachlexik erregt Probleme
bei der Fachwortbildung, weil Fachwörter nicht nur kurz, sondern auch klar und
eindeutig sein müssen.
Exaktheit (auch Explizitheit, Wohldefiniertheit) der Fachlexik wird auf
verschiedenen sprachlichen Ebenen zum Ausdruck gebracht: auf der lexikalischsemantischen Ebene – durch ihren gefestigten Charakter und durch den adäquaten
Bezug zu den bezeichneten Gegenständen und Vorgängen19 (Fachwörter haben eine
exakte, feste Form und Variation findet selten im Fachbereich statt, weil die
Fachkommunikation effizient verlaufen muss), auf der textuellen Ebene – durch ihre
thematische bzw. textbildende Funktion (Fachlexik bildet im Fachtext ein
thematisches Netz20, das den Zusammenhang des Textes unterstützt).21 Alle
Zusammenhänge im Text müssen klar und „isoliert verständlich“ 22 sein, d.h.
Kontextbindungen sind explizit. Was Eindeutigkeit betrifft, handelt es sich um die
Bedeutung. Da Fachwörter konventionalisiert sind und berufliche Tätigkeit stützen,
müssen sie eindeutig sein, um Missverständnisse zu vermeiden und den
Гринёв-Гриневич С.В. Терминоведение. Учебное пособие для студентов высших учебных заведений. М.,
Издательский центр «Академия», 2008. С. 44-45.
18
19
Roelcke Th. Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt, 2007. S. 68-70.
Соболева В.Ю. Функционально маркированная специальная лексика в словаре и тексте: диссертация на
соискание уч. степ. к.ф.н. (автореферат). Самара, 2000. С. 19
20
21
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 373-377.
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 383.
!13
22
Kommunikationsverlauf nicht zu verhindern. Es muss auch klar sein, was mit diesem
oder jenem Fachwort gemeint wird, sonst stört Fachlexik menschliche Tätigkeit.
Manchmal diskutiert man, dass Kürze und Exaktheit einen Widerspruch
darstellen 23, aber sie können auch als komplementäre Hinweise betrachtet werden.
Fachwörter sollen nicht so kurz sein, dass ihre Bedeutungen nicht mehr aus dem
Kontext ableitbar sind, und nicht so exakt und entfaltet, dass der Rezipient dem
Gedankengang nicht mehr folgen kann. Sprachökonomie und Explizitheit befinden
sich zwar an verschiedenen Polen des fachlichen Ausdrucks, aber sie sind nur als
Orientierungspunkte zu verstehen, sodass Fachwörter nicht extrem kurz bzw. nicht
extrem exakt sind.
Als letztes Merkmal gilt Kontextunabhängigkeit. Da Fachwörter klar und
konventionalisiert sind, müssen sie auch außerhalb des fachlichen Kontextes
verstanden werden und ihre fachliche Bedeutung beibehalten. Ein großer Teil der
Fachlexik ist genormt, was Hans-Rüdiger Fluck als feste Kontextfreiheit der
Definition beschreibt. 24 Dabei stößt man jedoch auf ein Problem, und zwar auf
Polysemie. Als Beispiel dafür könnte das Fachwort das Sample angeführt werden, das
seine Verwendung im Bereich der Chemie und in dem der Musik findet. Das
Fachwort das Sample hat zwar ähnliche Bedeutungen in beiden Bereichen
(Stichprobe; Muster 25), aber es ist kaum kontextunabhängig, weil es ohne sprachliche
Umgebung unmöglich ist, zu bestimmen, um welchen Bereich es geht. In diesem
Zusammenhang ist anzumerken, dass Fachwörter situativ sind26. Man muss jedoch
anerkennen, dass Fachlexik kontextautonomer funktioniert als gemeinsprachlicher
Wortschatz. Außerdem schreibt Faulseit, dass Fachwörter ihre „bedeutungsintensivste
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14. Walter de Gruyter, Berlin, New York,
2008. S. 394-395.
23
Fluck H.-R. Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 5. Auflage. A. Francke Verlag Tübingen und Basel. 1976.
S. 18.
24
25
URL: www.duden.de/rechtschreibung/Sample
26 Москвитин Е.В. Немецкий железнодорожный социолект: системный, структурно- семантический и
функциональный аспекты: диссертация на соискание уч. степ. к.ф.н. Санкт-Петербург, 2015. C. 26. Übersetzung
der Autorin.
!14
Verwendung“ im entsprechenden fachlichen Kontext aufweisen.27 Diese Auffassung
stimmt mit der Idee von Larissa M. Alekseewa über Relativität der Fachwörter und
ihre kontextuelle Bedeutungsrepräsentation überein.28 Diese Thesen unterstützen die
Kritik an dem Merkmal der Kontextunabhängigkeit.
1.3 Typologie der Fachlexik
Da unter Fachlexik in der russischen Fachsprachenforschung vorwiegend
Terminologie verstanden wird, tritt das Fachwort Fachwort in diesem Zusammenhang
seltener bei russischen und häufiger bei deutschen Forscherinnen und Forschern auf.
Voraussichtlich muss noch erwähnt werden, dass Fachworttypologien in deutscher
Fachsprachenforschung vorwiegend im 20. Jahrhundert behandelt wurden, während
sich russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer noch mit diesem
Thema beschäftigen, da Terminologie wie viele lexikalische Bereiche dynamisch ist
und sich im Laufe der Zeit verändern kann.
Es gilt im Voraus anzumerken, dass es verschiedene Ansätze gibt, den Terminus
und das Fachwort im Fachwortschatz zu betrachten. In weitem Sinne ist der Terminus
ein Oberbegriff für Terminologie bzw. Fachlexik 29; in engem Sinne ist der Terminus
„ideal“, d.h. er entspricht allen Anforderungen an den Terminus: der „ideale“
Terminus hat eine streng festgelegte Bedeutung, ist kurz und knapp, aber gleichzeitig
eindeutig und exakt, mindestens relativ kontextautonom und muss genormt und
konventionalisiert sein30. Wenn der Terminus eng verstanden wird, dann übernimmt
das Fachwort die Rolle des Oberbegriffs im System des Fachwortschatzes und es
bezeichnet in dem Fall alle Fachausdrücke, die normativ sind, als stilistisch neutral
gelten, eine fachspezifische Bedeutung in sich tragen und dabei eine fachspezifische
27
Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 10.
28
Алексеева Л.М. Проблемы термина и терминообразований: Учебное пособие. Пермь, 1998. C. 19.
29
Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 11.
30
s. dazu 1.2.
!15
Funktion erfüllen.31 In der vorliegenden Masterarbeit gilt das Fachwort als ein
Oberbegriff für alle Fachausdrücke, während Termini eine besondere Klasse im
Fachwortschatz bilden.
Als eine der traditionellen Klassifizierungen von Terminologie gilt die von
Sergej W. Grinew-Grinewitsch32. Er unterscheidet folgende terminologische Klassen:
Termini, Nomen, Terminoide, Prototermini, Vortermini und Professionalismen. Den
Terminus definiert er als die Grundeinheit der Fachlexik, die einen allgemeinen
fachlichen Begriff benennt, während zu Nomen (oder zur Nomenklatur) nicht
allgemeine, sondern einzelne Begriffe gehören. Da Nomen einzelne Begriffe
bezeichnen, haben sie keinen konkreten Platz im Begriffssystem. Terminoide und
Prototermini sind spezifische Unterarten von Termini: Terminoide bezeichnen die
sogenannten natürlichen Begriffe, die nicht eindeutig verstanden werden und noch
nicht ausreichend etabliert wurden; Prototermini sind Fachwörter, die in der
vorwissenschaftlichen Zeit entstanden sind und deswegen nicht fachliche Begriffe,
sondern fachliche Vorstellungen benennen. Unter dem Vorterminus versteht GrinewGrinewitsch ein Fachwort, das einen neuen Begriff benennt und als Terminus
funktioniert, aber nicht den Anforderungen entspricht, die der Terminus erfüllen muss
(z.B. Vortermini sind häufig zu lang). Eventuell wird ein Vorterminus durch einen
Terminus ersetzt (in dem Fall, wenn der Ersatz länger dauert, wird der Vorterminus
zum Quasiterminus, indem er durch seinen gefestigten Charakter gekennzeichnet
wird). Professionalismen stellen ein problematisches Feld in der Fachwortforschung
vor, denn sie sind häufig mit Termini identifiziert und es gibt keine idealen Kriterien
zur Abgrenzung der beiden Gruppen voneinander, einige davon sind Emotionalität
bzw. Expressivität (oder auch Konnotiertheit) und funktional begrenzte
Gebrauchsmöglichkeiten. Professionalismen können als fachsprachliche Ausdrücke
definiert werden, die nur von Fachleuten verstanden werden und nicht zum
31
Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 11.
Гринёв-Гриневич С.В. Терминоведение. Учебное пособие для студентов высших учебных заведений. М.,
Издательский центр «Академия», 2008. С. 43-47.
!16
32
Allgemeinwortschatz der Sprache gehören.33 Eine Unterart von Professionalismen
bilden Fachjargonismen, die durch ihre Bedingtheit charakterisiert sind und nie
genormt werden können. Es ist auch bemerkenswert, dass Fachjargonismen sich am
Rand des Fachwortschatzes befinden, weil sie aufgrund der stilistischen Färbung und
der stark emotionalen Bedeutungen dem Kriterium der Neutralität nicht entsprechen.
Noch eine besondere Klasse bilden Pseudotermini, die die Anforderungen an den
Terminus erfüllen, aber nichtexistierende Gegenstände, Erscheinungen bzw. Vorgänge
bezeichnen.
Den angeführten Definitionen folgend lässt sich feststellen, dass die Gliederung
von Grinew-Grinewitsch den „idealen Terminus“ darstellt und auch mögliche „nichtideale“ Varianten des Terminus berücksichtigt und differenziert.
In der deutschen Fachsprachenforschung handelt es sich mehr um Fachlexik
und Fachwörter, was an folgenden Klassifikationen erkennbar ist.
Faulseit schreibt, dass einige Forscher seit langem versuchten, Fachwörter zu
klassifizieren. Früher war die Rede von Professionalismen (Fachwörter, die mit der
beruflichen Tätigkeit der Menschen verbunden sind), Technizismen (Fachwörter aus
dem industriellen Bereich) und Termini (Fachwörter der Wissenschaften, die in ihrer
Bedeutung festgelegt sind), aber da es nicht immer möglich war, Technizismen von
den anderen zwei Klassen eindeutig abzugrenzen, wurde auf diese Klasse eventuell
verzichtet.34
Benesch unterscheidet innerhalb der Fachlexik zwei Hauptgruppen, und zwar
die Fachterminologie und den nichtterminologischen fachlichen Wortschatz.35 Eine
solche Gliederung macht sogleich deutlich, dass Benesch zwei Begriffe – den
Terminus und das Fachwort – einander gegenüberstellt: Termini sind nur die
Einheiten, die allen Kriterien des „Terminusseins“ entsprechen, während Fachwörter
33 Metzler Lexikon Sprache. 5., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2016. S. 537.
34
Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 10-11.
Benesch E. Die Fachsprachen. Deutschunterricht für Ausländer 3-4/1968. Nach: L. Hoffmann. Kommunikationsmittel
Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag Berlin, 1976. S. 262-263.
!17
35
„nicht-ideale“ Termini, also alle anderen Einheiten des Fachwortschatzes, sind.
Eine ähnliche Gegenüberstellung ist auch bei Schmidt zu sehen, der im Rahmen
der Fachlexik sogar drei Gruppen unterscheidet: Termini, Halbtermini und
Fachjargonismen. Termini gliedert er weiter in standardisierte (genormte) und nicht
standardisierte (nicht genormte). Bei Schmidt bildet das Fachwort einen Oberbegriff
für alle drei Gruppen des Fachwortschatzes. 36
Eine Einheit ist nach Schmidts Auffassung nur dann ein Terminus, wenn ihr
„Inhalt durch eine Festsetzungsdefinition bestimmt ist“37, d.h. ein Terminus muss
kodifiziert sein und außerdem eine bestimmte, festgelegte Definition haben. Zu
Halbtermini zählen Professionalismen, Warenbezeichnungen und Fachwörter aus
Bereichen wie Politik, Kultur und Sport; für Schmidt sind Halbtermini nicht
definierte Fachwörter, die das Denotat trotzdem in ausreichendem Maße bezeichnen.
Die dritte Gruppe bilden Fachjargonismen, deren Definitionen nicht fixiert sind und
die zum normativen Fachwortschatz wegen ihrer Konnotiertheit nicht gehören.
Obwohl Fachjargonismen unterschiedliche Gegenstände und Erscheinungen des
Fachbereichs bezeichnen, funktionieren sie oft als Synonyme für schon existierende
fachliche Begriffe.38 Elise Riesel nennt Fach- bzw. Berufsjargonismen „emotionale
und bildkräftige Fachsynonyme“39 , woran zwei wichtige Merkmale der
Fachjargonismen erkennbar sind: dass Fachjargonismen zum einen stilistisch gefärbt
sind und zum anderen keine neuen Begriffe bezeichnen, sondern parallel mit den
angenommenen Fachwörtern existieren.
Die von Schmidt vorgeschlagene Gliederung ist der von Grinew-Grinewitsch
gewissermaßen ähnlich, indem der Terminus als „idealer“ und der Halbterminus als
Schmidt W. Charakter und gesellschaftliche Bedeutung der Fachsprachen. Sprachpflege 1/1969. Nach: L. Hoffmann.
Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag Berlin, 1976. S. 262-263.
36
Schmidt W. Charakter und gesellschaftliche Bedeutung der Fachsprachen. Sprachpflege 1/1969. Nach: L. Hoffmann.
Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag Berlin, 1976. S. 262-263.
37
38
Schmidt W. Charakter und gesellschaftliche Bedeutung der Fachsprachen. Sprachpflege 1/1969. Nach: L. Hoffmann.
Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag Berlin, 1976. S. 262-263.
39
Zitat nach: Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 14.
!18
„nicht-idealer“ Terminus verstanden werden können.
Aufgrund der diskutierten Klassifikationen lässt sich zusammenfassen, dass das
Fachwort die Grundeinheit der Fachlexik bildet und als Oberbegriff für alle Arten der
Fachlexik betrachtet wird. Im Großen und Ganzen gilt die Dreigliederung von
Schmidt als die anschaulichste, weil sie klarmacht, welche Grundklassen der
Fachlexik es gibt. Die Gliederung von Grinew-Grinewitsch ist viel detaillierter als die
von Schmidt und kann zusätzlich als eine weitere Stufe der Klassifizierung von
Schmidts Halbtermini angewendet werden, weil die Halbtermini und die mehreren
Gruppen, die Grinew-Grinewitsch differenziert, von dem „nicht-idealen“ Terminus
handeln. Dabei bilden Professionalismen und Fachjargonismen eine selbstständige
Klasse der expressiven Fachwörter, die außerhalb der Halbtermini steht. Die
Absonderung der Professionalismen erklärt sich durch die Problematik ihrer
Definition und Abgrenzung von Termini. Nomen nehmen aber bei der Klassifizierung
eine Sonderstellung ein und wurden deswegen ausgelassen.
An dieser Stelle muss noch im Auge behalten werden, dass der Diskurs
populärer Musik ziemlich „jung“ ist und sich in hohem Maße auf junges Publikum
ausrichtet, indem er kaum wissenschaftlich ist. Daher entsteht die Notwendigkeit, die
Klasse der kontextuellen Termini abzugrenzen, bei deren Wörterbuchdefinitionen
spezifische lexikografische Angaben (fachspr. Musik u.Ä.) fehlen, obwohl die
Fachbezogenheit aus den Definitionen oder kontextuellen Realisierungen zu
erschließen ist. Dieses Modell ist in folgender Tabelle vorstellbar:
Tabelle 2. Typologie der Fachlexik
Klassen
Termini
Subklassen
Erläuterungen
„ideale“ Termini
Fachwörter, die alle Aufgaben des Terminus
erfüllen
Kontextuelle
Termini
Lexikalische Einheiten, die zwar nicht als
fachlich markiert werden, aber einer
fachbezogenen Aktualisierung im Kontext
unterliegen
!19
Vortermini
Die „Vorversion“ des zukünftigen Terminus, die
noch nicht allen Anforderungen an den Terminus
entspricht
Prototermini
Termini der vorwissenschaftlichen Zeiten
Terminoide
Fachwörter, die natürliche Begriffe bezeichnen,
aber noch nicht greifbar genug sind
Quasitermini
Die zweite Phase des Vorterminus, wenn kein
passender Terminus gefunden wurde, um ihn zu
ersetzen
Pseudotermini
Fachwörter, die alle Anforderungen an den
Terminus erfüllen, aber falsche Begriffe
bezeichnen
Professionalismen
Fachwörter, die mit der beruflichen Tätigkeit der
Menschen verbunden sind
Fachjargonismen
Stilistisch gefärbte, expressive Synonyme zu
existierenden Fachwörtern
Halbtermini
Expressive
Fachwörter
Fachlexik aus dem Diskurs populärer Musik lässt sich anhand dieser
Klassifikation auch in drei Hauptgruppen gliedern: Termini (lexikografisch fixierte
bzw. kodifizierte Fachwörter), Halbtermini („nicht-ideale“ Termini) und expressive
Fachwörter (nichtoffizielle Fachwörter und stilistisch gefärbte Fachsynonyme). Dabei
ist im Voraus schon anzumerken, dass solche Subklassen wie Prototermini (die
Begriffe der vorwissenschaftlichen Welt) und Pseudotermini (Bezeichnungen für
falsche oder nichtexistierende Begriffe) in diesem Fall entfallen, z.T., weil sich
populäre Musik auf 20. und 21. Jahrhunderte bezieht, und z.T., weil der Diskurs
populärer Musik an sich kaum wissenschaftlich sein kann. Bei der Zusammenstellung
der Klassifikation wurden Quasitermini von Vortermini nach dem Wortverlauf40
abgegrenzt, d.h. wenn ein Fachwort einen bestimmten Begriff bezeichnet und seit
langem in der Sprache verwendet wird, aber noch nicht lexikografisch kodifiziert
wurde und keinen äquivalenten Terminus hat, kann es als ein Quasiterminus
Wortverlaufskurven sind eines der Verfahren der quantitativen Analyse. Die Erstellung von Wortverlaufskurven ist auf
www.dwds.de möglich.
!20
40
eingeordnet werden.
Tabelle 3. Typologie der Fachlexik aus dem Diskurs populärer Musik
Klassen
Termini
Halbtermini
Expressive
Fachwörte
r
Subklassen
Beispiele
„ideale
Termini“
das Stakkato, das Falsett
das Lied; der Song; das Album; das Doppelalbum; die
Band; der Musiker; der Sänger; der Sound;
Kontextuelle
der Frontmann; das Open-Air-Konzert; die Tournee; die
Termini
Welttournee; der New Wave; die Single; covern;
der Produzent; der Songwriter
Vortermini
der Turbo-Hit
Quasitermin
i
das Open-Air; der Nummer-eins-Hit; das ComebackAlbum; das Sample; das Album des Jahres; das Cover
Fachjargonismen
der Opener; der Album-Opener; der Track
Diese Klassifikation lässt uns zwei Schlussfolgerungen ziehen:
• Terminoide und Professionalismen wurden im gesammelten Korpus nicht
gefunden;
• die zwei dominierenden Subklassen des Fachwortschatzes bilden
kontextuelle Termini und Quasitermini.
Dass Terminoide bei der Klassifizierung des Korpus nicht aufgetaucht sind,
lässt sich dadurch erklären, dass populäre Musik kein vager Gegenstand ist und alle
Einheiten des Fachwortschatzes im Diskurs populärer Musik ziemlich eindeutig
verstanden werden. Die Abwesenheit von Professionalismen hat wahrscheinlich mit
der Tatsache zu tun, dass Professionalismen von Termini schwer abzugrenzen sind.
Meist vertreten in der Klassifikation sind kontextuelle Termini und
Quasitermini. Einerseits erscheinen im fachbezogenen Kontext viele klare Begriffe,
die kurz und eindeutig sind und kontextunabhängig wirken. Kontextuelle Termini sind
meistens als allgemeinsprachliche oder auch umgangssprachliche Einheiten markiert,
!21
weil sie zum Allgemeinwortschatz der Sprache gehören und praktisch von allen
Deutschsprechern verstanden werden, obwohl sie sich ganz offensichtlich auf den
musikalischen Bereich beziehen und im Kontext eine speziellere Bedeutung
aktualisieren können. Andererseits kommen im Fachwortschatz auch Einheiten vor,
die einen expliziten Bezug auf den Musikbereich haben, aber noch nicht fixiert
wurden, obwohl sie schon seit Jahrzehnten in der Sprache existieren, was an Korpora
erkennbar ist, und dadurch einen gefestigten Charakter erhalten haben. Die
Reichhaltigkeit der Halbtermini kann dadurch begründet werden, dass der Diskurs
populärer Musik noch relativ jung ist und dass sich der Fachwortschatz noch nicht bis
zum Ende konstituiert hat, sondern erst auf diesem Weg steht.
Anhand der Klassifizierungsergebnisse kann man auch feststellen, dass einige
Quasitermini als umgangssprachlich markiert sind (z.B. der Nummer-eins-Hit), einige
in Wörterbüchern gar nicht zu finden sind (z.B. das Comeback-Album), andere schon
in lexikografischen Quellen fixiert sind, aber nicht in musikalischer Bedeutung (z.B.
das Cover ‘Titelseite’41).
Wir finden es möglich, dass viele Vortermini (auch einige Quasitermini) noch
nicht lexikografisch kodifiziert wurden bzw. dass sie als umgangssprachlich
wahrgenommen werden, weil sie aus dem Englischen stammen: der Gebrauch von
englischen Fachwörtern könnte zunächst mit dem Wunsch des Sprechenden bzw.
Schreibenden, jung und „modisch“ zu klingen, verbunden sein und erst dann das Ziel
verfolgen, einen Begriff genau zu benennen. Solche Fälle im Fachwortschatz können
auch als kontextuelle Fachwörter betrachtet werden, d.h. Lexeme, die zwar keine
fachliche Bedeutung als Systemeinheiten beinhalten, aber eine fachspezifische
Bedeutung im Kontext aktualisieren können. Lexeme wie der Turbo-Hit sind in
Wörterbüchern und in Korpora42 nicht fixiert, sie bezeichnen aber etwas Spezifisches,
was aus dem Kontext ableitbar ist (der Turbo-Hit ist ein sehr populäres und
41 URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Cover
42 URL: https://www.dwds.de/r
!22
erfolgreiches Musikstück).
Die Anwesenheit von Fachjargonismen in Medientexten lässt uns annehmen,
dass der Medientext durch Informalität und Expressivität gekennzeichnet werden
kann, was eine Art „Entdistanzierung“43 zwischen dem Autor und seiner Leserschaft
verursacht, weil informelle Kommunikation normalerweise zwischen vertrauten bzw.
gleichaltrigen Personen stattfindet. Der Gebrauch von Fachjargonismen im
Medientext kann also als Versuch des Autors betrachtet werden, eine entspannte
Atmosphäre zu schaffen und die Distanz zu seinen Lesern zu reduzieren.
1.4 Tendenzen der Fachwortbildung im Diskurs populärer Musik
Die Welt, die uns umgibt, sucht, den Bedürfnissen des Menschen zu
entsprechen; sie passt sich an unsere Wünsche an, indem neue Geräte entstehen, die
unser Leben erleichtern, neue Medikamente entwickelt werden, die schwere
Krankheiten heilen, und neue Begriffe entdeckt werden, die alles um die Menschheit
herum zu erklären versuchen. Der Fachwortschatz wird ständig durch neue Begriffe
erweitert und erneuert, was die Dynamik und die Entwicklung der Welt akzentuiert.44
Jewgenij W. Moskwitin beschreibt sogar Fachlexik als einen sprachlichen Spiegel, der
fachliches Wissen und die Mentalität der Menschen auf diesem oder jenem Gebiet
widerspiegelt.45 Durch diesen Vergleich kann man die Entstehung der Fachlexik
erklären, und zwar ihre unmittelbare Abhängigkeit von der Tätigkeit des Menschen.
Alles Neuentstandene bedarf einer Benennung, oft wird eine Nomination einem
fachlichen Begriff künstlich gegeben 46. Zu den primären Fachwortbildungswegen
Linke A. Informalisierung? Ent-Distanzierung? Familiarisierung? Sprach(gebrauchs)wandel als Indikator
soziokultureller Entwicklungen. In: Der Deutschunterricht 3, 2000. S. 66-77.
43
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 193-194.
44
45
Москвитин Е.В. Немецкий железнодорожный социолект: системный, структурно- семантический и
функциональный аспекты: диссертация на соискание уч. степ. к.ф.н. Санкт-Петербург, 2015. C. 19.
46 Герд А.С. Введение в изучение языков для специальных целей: Учебное пособие. Санкт-Петербург, 2011. С.
47.
!23
zählen Entlehnungen und Lehnübersetzungen, Metaphorisierung und Wortbildung.
Entlehnung (Übernahme sprachlicher Einheiten aus einer Sprache in eine
andere) gilt als eines der beliebtesten und produktivsten Fachwortbildungswege.
Davon zeugt, dass sich Internationalismen und Fremdwörter im Fachwortschatz
großer Popularität erfreuen.47 Eine Lehnübersetzung ist ein Wort, das nach einem
Fremdwort gebildet wird; das könnte man auch „verdeutschte Entlehnung“ nennen:
das Lexem wird zwar entlehnt, aber unterliegt einer Übersetzung. Der Überfluss an
Entlehnungen und Lehnübersetzungen lässt sich dadurch erklären, dass „Neuerungen“
in Bereichen wie Wissenschaft, Kultur, Technik, Wirtschaft u.a. nicht gleichzeitig in
allen Ländern stattfinden. Neue Begriffe und Geräte werden zunächst in einem Land,
also in einem Sprachraum, entwickelt und benannt, erst dann werden sie in anderen
Ländern verbreitet und in andere Sprachen übernommen, um das Neuentstandene zu
benennen. Ein weiterer Grund der Vielzahl von Entlehnungen liegt darin, dass die
englische Sprache stark globalisiert und popularisiert wurde und Entlehnungen aus
dem Englischen modisch und frisch wirken48.
Metaphorisierung ist ein Fachwortbildungsmechanismus, der auf einer
Übertragung nach dem Merkmal der Ähnlichkeit basiert. Metaphern im
Fachwortschatz können helfen, die Gestalt hinter dem diskutierten Fachwort besser zu
verstehen, indem z.B. ein fachlicher Gegenstand mit einem Objekt des Alltags
verglichen wird. Somit wird die Verbindung zwischen dem Bezeichneten und der
Bezeichnung verständlicher.
Wortbildung ist noch eine Möglichkeit, neue Fachwörter zu bilden. Sie werden
sowohl von deutschen Wörtern, als auch von Entlehnungen abgeleitet. Auf dem
Gebiet der Wortbildung gilt Bildung von Komposita als einer der produktivsten
Wortbildungswege 49, denn ein zusammengesetztes Fachwort umfasst im Rahmen
47
Hoffmann L. Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag Berlin, 1976. S. 153-154.
48 Elsen H. Wortschatzanalyse. A. Francke-Verlag. Tübingen – Basel. 2013. S. 190.
Fluck H.-R. Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 5. Auflage. A. Francke Verlag Tübingen und Basel. 1976.
S. 50-51.
!24
49
eines Wortes (formal gesehen) einen klaren und umfangreichen Sachverhalt.
Die Fachlexik aus dem Diskurs populärer Musik verteilt sich nach
Fachwortbildungstypen folgendermaßen:
Tabelle 4. Klassifikation der Fachlexik aus dem Diskurs populärer Musik
nach dem Wortbildungstyp
Fachwortbildungstyp
Beispiele
Entlehnung
der Track; der Star; der Pop-Star; der Superstar; das
Sample; die Single; der Song; das Cover; der Opener;
die Band; der Sound; der/das Outtake; das
Countdown; der Beat; der Refrain; der SingerSongwriter; der Keyboarder; der Rapper; die Show;
der Headliner; der Soundtrack; der Co-Songwriter; das
Albumcover; das Social-Media-Monster; die
Listening-Session
Lehnübersetzung
Wortbildung
Völlig
übersetzt
das Album des Jahres; das Doppelalbum; das
Studioalbum; das Debütalbum; die Zurück-zu-denWurzeln-Hymne; das Titelthema; das Titelstück
Teilweise
übersetzt
der Nummer-eins-Hit; der Songschreiber; der
Titelsong; der Frontmann; das Open-Air-Konzert; die
Soulstimme; das Musikbiz; die Rockstarpose; der
Songtitel; der Songtext; der Popmann
Deutsche /
verdeutschte
Fachwörter
der Musiker; der Klang; das Lied; der Sänger; der
Produzent; der Langzeitkomponist; selbstproduzieren
Von
Entlehnungen
gebildet
covern; touren; rappen; countryfizieren; die RetroBeats; die Songwriterin
Im Rahmen der Klassifikation unterscheiden wir völlige Lehnübersetzungen
und die, die nur teilweise übersetzt wurden. Die teilweise Übersetzung einiger
Fachwörter kann dadurch verdeutlicht werden, dass es eine Reihe von
Zusammensetzungen gibt, die aus zwei Teilen bestehen: der eine hat schon eine
Übersetzung im Deutschen, der andere hat aber noch keine Entsprechung und wird
!25
deswegen in seiner originellen Form ins Deutsche eingenommen.
Metaphorisierung wurde bei der Klassifizierung im Korpus nicht gefunden.
Vermutlich macht das sich dadurch deutlich, dass wir alle Fremdwörter als
Entlehnungen eingeordnet und die ursprüngliche Metaphorisierung der englischen
Fachlexik nicht berücksichtigt haben. Da es sich hier um die Entstehung von
Fachwörtern in der deutschen Sprache handelt, wäre es nicht sinnvoll die Entstehung
der Fachwörter im Englischen zu untersuchen.
Auf dem Gebiet der Wortbildung sind folgende Gruppen zu unterscheiden:
• Verben, die aufgrund der Konjugationsunfähigkeit die Endung -(e)n und
manchmal auch zusätzliche Suffixe erhalten (eng. to cover – deu. covern;
eng. to countrify – deu. countryfizieren);
• Bezeichnungen für männliche Berufe, die das weibliche Suffix -in
hinzufügen (eng. songwriter – deu. der Songwriter – die Songwriterin).
Markant ist, dass neue Fachwörter vorwiegend von Entlehnungen gebildet
werden. Diese Bildungen können als angepasste Entlehnungen betrachtet werden, d.h.
Entlehnungen, die deutsche Morpheme zu sich hinzufügen (rappen) oder
Rechtschreibungsprinzipien der deutschen Sprache annehmen (die Retro-Beats), um
sich an den deutschen Sprachraum anzupassen.
Einige Komposita, wie das Albumcover und die Listening-Session, hätten in die
Spalte der Wortbildung eingeordnet werden können, weil sie offensichtlich aus zwei
Stämmen bestehen, die zu einem Wort zusammengezogen wurden. In diesem Fall
handelt es sich aber um Entlehnungen aus dem Englischen, denn die beiden Wörter
sind ursprüngliche Wortgruppen album cover und listening session. Im Rahmen des
Entlehnungsprozesses werden Wortgruppen zu Komposita, was die Anpassung von
Entlehnungen an den deutschsprachigen Raum exemplifiziert.
Die Ergebnisse der Klassifizierung lassen schlussfolgern, dass die wichtigsten
Fachwortbildungstypen im Mediendiskurs populärer Musik Entlehnungen und
Lehnübersetzungen sind. Fremdwörter aus dem Englischen sind im Bereich populärer
!26
Musik häufig zu treffen, denn nicht nur die englische Sprache an sich ist populär und
modisch, sondern auch englischsprachige und zwar amerikanische Musik erfreut sich
besonderer Beliebtheit, vor allem unter Jugendlichen.
1.5 Funktionspalette der Fachlexik
Bevor das funktionale Potenzial der Fachlexik vorgestellt wird, muss noch
erwähnt werden, dass Fachlexik aus untersucht werden kann, und zwar systematisch
und pragmatisch.
Der Gebrauch von Begriffen systematisch und pragmatisch hängt davon ab,
welches Ziel der Forscher bzw. die Forscherin verfolgt: man kann ein Fachwort
entweder aus systematischer (welche Form und Bedeutung Fachlexik außerhalb des
Kontextes hat) oder aus pragmatischer Sicht (wie ein Fachwort im Kontext
funktioniert, ob es Nebenbedeutungen im Kontext aufweist, ob es eine Konnotation
beinhaltet, welche Funktion es erfüllt usw.) untersuchen. Der pragmalinguistische
Ansatz schließt den systematischen nicht aus, sondern erweitert den. In den
Paragraphen über Typologien der Fachlexik und Modelle der Fachwortbildung folgten
wir mehr dem systemlinguistischen Inventarmodell, indem Fachwörter als
Systemeinheiten betrachtet wurden. Da Fachlexik in der vorliegenden Forschung am
Beispiel des Medientextes, im realen Gebrauch, beobachtet wird, sollen wir auch der
pragmatischen Auffassung folgen.
Sind Fachtextwörter zu analysieren, muss man noch ein Kriterium im Auge
behalten, und zwar die Umgebung der zu untersuchenden Fachwörter. Wenn es sich
um einen Fachtext handelt, dann ist die funktionale Klassifikation der Termini von
Wladimir M. Leitschik anzuwenden. Als Grundlage dafür dient die klassische
funktionale Klassifikation der Lexik. Es ist aber in diesem Zusammenhang
anzumerken, dass die folgende Klassifikation für „ideale“ Termini gedacht ist.
Leitschik unterscheidet fünf Funktionen: nominative, signifikative,
!27
kommunikative, pragmatische und heuristische.50 Die nominative Funktion ist die
primäre Funktion der Termini und besteht darin, dass Fachwörter hauptsächlich
fachliche Gegenstände und Erscheinungen benennen. Die signifikative Funktion
spiegelt sich in der Fähigkeit der Fachlexik wider, Fachliches zu bezeichnen, wobei
verschiedene Bezeichnungsverfahren und die Motiviertheit bzw. Unmotiviertheit des
sprachlichen Zeichens berücksichtigt werden. Vom Standpunkt der kommunikativen
Funktion ist Fachlexik ein Mittel zur Wiedergabe gewisser Information
(einschließlich Rückmeldung): Fachwörter geben fachliches Wissen wieder, aber sie
können auch Informationen mitteilen, die mit dem fachlichen Kontext kaum etwas zu
tun haben. Die pragmatische Funktion betrifft die Verbindung des Fachwortes mit der
außersprachlichen Realität, mit der Gesprächssituation, mit den
Kommunikationsteilnehmern usw.; sie greift auf das Hintergrundwissen ein (aber
nicht unbedingt auf das fachliche). Die heuristische Funktion umfasst das Vermögen
der Fachlexik, neue Begriffe zu benennen, und ihre Teilnahme an der
wissenschaftlichen Erkenntnis.
In der vorliegenden Masterarbeit wird vorgeschlagen, die von Leitschik
diskutierten Funktionen in zwei Gruppen zu gliedern. Einerseits bilden die
nominative, signifikative, heuristische Funktionen die Gruppe der primären
Funktionen, die praktisch allen Fachwörtern innewohnen. Die zweite Gruppe ist die
der sekundären Funktionen, zu denen die pragmatische und die kommunikative
Funktionen zählen; sekundäre Funktionen der Fachlexik bilden kein Spezifikum des
Fachwortschatzes, sondern können an jeder lexikalischen Schicht angewendet
werden. Die Besonderheit der sekundären Funktionen liegt aber darin, dass sie sich
auf Außersprachliches beziehen können. Für den Fachwortschatz ist es nicht typisch,
auf außersprachliche Faktoren einzugreifen, weil sie eine festgelegte Definition haben
und auf etwas Eindeutiges beruhen müssen. Unsere Gliederung kann in der folgenden
Tabelle präsentiert werden:
50
Лейчик В.М. Терминоведение. Москва, Издательство ЛКИ. 2007. С. 63-76.
!28
Tabelle 5. Funktionale Klassifikation von Fachlexik nach Leitschik
Klassen
Primäre
Funktionen
Sekundäre
Funktionen
Subklassen
Erläuterungen
Nominative Funktion
Die Funktion des Benennens
Signifikative Funktion
Die Funktion des Bezeichnens von
Fachlichem
Heuristische Funktion
Das Vermögen der Fachlexik, an
der wissenschaftlichen Erkenntnis
teilzunehmen
Pragmatische Funktion
Die Verbindung mit dem Kontext
und mit dem Hintergrundwissen
Kommunikative Funktion
Wiedergabe von Informationen und
Rückmeldung der handelnden
Personen
Wenn Fachwörter in einem nicht fachlichen Text erscheinen, kann der Eindruck
eines Konflikts entstehen, weil die Fachlexik vorwiegend im Fachtext existiert. Daher
erfüllt die Fachlexik in anderen Kontexten andere Funktionen. Eine funktionale
Klassifikation der Fachlexik in nicht-fachbezogenen Kontexten schlägt Wiktorija J.
Sobolewa vor. 51 Sie beschäftigt sich zwar hauptsächlich mit der Belletristik, aber die
folgenden Funktionen können auch an andere nicht-fachbezogene Kontexte angepasst
werden. Sie unterscheidet sechs Funktionen, die die Fachlexik in einer (stilistisch oder
auch thematisch) untypischen Umgebung annehmen kann: thematische,
dokumentierende, charakterisierende, emotional-expressive, satirisch-humoristische
und bewertende. Die thematische Funktion stellt sich die Aufgabe, ein thematisches
„Netz“ im Text zu bilden und die Handlung zu unterstützen; in diesem Sinne kann
thematische Funktion auch textbildende Funktion heißen. Die dokumentierende
Funktion besteht darin, eine Person oder ein Ereignis wahrheitsgemäß zu beschreiben.
Die charakterisierende Funktion schafft das Sprachbild des Autors und der Figuren;
in Medientexten kann die charakterisierende Funktion auf die Sprache des Autors des
Соболева В.Ю. Функционально маркированная специальная лексика в словаре и тексте: диссертация на
соискание уч. степ. к.ф.н. (автореферат). Самара, 2000. С. 19
!29
51
Artikels angewendet werden. Der emotional-expressiven Funktion geht es um die
Verstärkung der Expressivität im Text. Eine solche Wirkung erklärt sich dadurch, dass
ein Fachwort innerhalb eines nicht-fachbezogenen Kontextes fremd klingt und nicht
das Ziel verfolgt, fachliches Wissen mitzuteilen. Mithilfe der satirisch-humoristischen
Funktion wird ein komischer Effekt geschaffen, z.B. wenn der Gebrauch von
Fachlexik als unangemessen gilt. Die bewertende Funktion drückt die Einstellung des
Autors zum Gesagten bzw. Geschriebenen aus.
Die angeführten Funktionen von Sobolewa sollen an den Medientext angepasst
werden. Wir können sie grob in zwei Gruppen gliedern: objektive und subjektive
Funktionen. Zu den objektiven gehören die thematische Funktion, die den
Textzusammenhang stützt, und die dokumentierende Funktion, die versucht,
Gegenstände, Erscheinungen, Personen und Ereignisse richtig und wahrheitsgemäß zu
beschreiben. Als subjektive betrachten wir die charakterisierende Funktion, die etwas
über den Autor vermuten lässt, die bewertende Funktion, die Objekte einschätzt, die
satirisch-humoristische Funktion, die Fachwörter erfüllen, wenn sie im Kontext
„nicht am Platz“ sind, und die emotional-expressive Funktion, die dem Namen nach
nicht als objektiv gelten kann. Diese Gliederung kann in der folgenden Tabelle gezeigt
werden, wobei die Erläuterungen an den Medientext angepasst wurden:
Tabelle 6. Funktionale Klassifikation von Fachlexik nach Sobolewa
Klassen
Objektive
Funktionen
Subjektive
Subklassen
Erläuterungen
Thematische Funktion
Bildung eines thematischen Netzes im
Text
Dokumentierende Funktion
Wahrheitsgemäße Widerspiegelung der
Subjekte und der Objekte
Charakterisierende Funktion
Beschreibung des Autors
(z.B. seines Schreibstils)
Emotional-expressive
Funktion
Verstärkung der Expressivität und
Bildhaftigkeit eines Textes
!30
Subjektive
Funktionen
Satirisch-humoristische
Funktion
Bildung eines komischen Effekts
Bewertende Funktion
Die Einstellung des Autors über
Objekte und Personen, von denen der
Text handelt
Wenn wir aber versuchen, die beiden Klassifikationen zusammenzustellen,
können objektive Funktionen in die Gruppe der primären Funktionen eingeordnet
werden, weil sie zu der formalen Seite des Textes gehören. Subjektive Funktionen
können im Rahmen der sekundären Funktionen betrachtet werden, denn sie beziehen
sich auf die außersprachliche Seite der Texte, auf das Hintergrundwissen der
Rezipienten und auf ihre Reaktion, die der Autor antizipiert und erregen möchte. Dazu
kommt noch die Funktion der Meinungsbildung, weil Medien „ein
Kontrollinstrument, ein Mittel der Meinungslenkung und Erziehung“ 52 sind und
Werbung eines deren Ziele bildet. Die objektiven Funktionen können auch zusätzlich
durch die informative Funktion53 ergänzt werden, die als eine der wichtigsten
Funktionen der Presse gilt. Das Modell sehen wir folgendermaßen:
Tabelle 7. Funktionale Klassifikation von Fachlexik in Medientexten
Klassen
Subklassen
Nominative Funktion
Signifikative Funktion
Primäre / Objektive Funktionen
Heuristische Funktion
Informative Funktion
Thematische Funktion
Dokumentierende Funktion
Kommunikative Funktion
Pragmatische Funktion
52
Elsen H. Wortschatzanalyse. A. Francke-Verlag. Tübingen – Basel. 2013. S. 161.
53
Elsen H. Wortschatzanalyse. A. Francke-Verlag. Tübingen – Basel. 2013. S. 162.
!31
Charakterisierende Funktion
Sekundäre / Subjektive Funktionen
Bewertende Funktion
Emotional-expressive Funktion
Satirisch-humoristische Funktion
Funktion der Meinungsbildung
Dieses Modell ist ein Versuch, ein Verfahren zur Analyse von Fachlexik und
ihrer Funktionen in medialen Kontexten zu entwickeln, es wird im 2. Kapitel der
Forschung an unser Korpus angewendet54.
1.6 Zum Gebrauch der Fachlexik in Medientexten
Der Medientext wird im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit nach der
Auffassung von Harald Burger definiert: „Der Medientext ist das publizierte, von
Redakteuren („Autoren“) erstellte Medienprodukt, das der Rezipient wahrnimmt“.55
Medientexte richten sich im Allgemeinen an ein sehr breites Publikum und
werden mit der Absicht verfasst, dass die Leserschaft sie versteht und dadurch
informiert wird. Natürlich haben einige Medien, wie gesellschaftlich-politische
Zeitungen, eine begrenzte Leserschaft in dem Sinne, dass sie für Kinder nicht
geeignet sind. Im Prinzip können Medien ihre Leserschaft nach dem regionalen,
sozialen oder thematischen Merkmal begrenzen. Texte aus nicht-fachbezogenen
Medien können dennoch praktisch von allen Lesenden verstanden werden.
Da eines der Ziele von Medien Meinungsbildung ist, steht im Mittelpunkt der
Mediensprache die sogenannte „Wirkabsicht“56. Das bedeutet, dass Medien,
insbesondere die Presse, nicht nur neue Informationen mitteilt, sondern auch einen
54
s. dazu 2.3.
55 Burger H. Mediensprache: Eine Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien. 3., völlig
neu bearbeitete Auflage. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2005. S. 72.
56 Löffler H. Germanistische Soziolinguistik. 5., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2016. S. 110.
!32
erzieherischen Effekt ausübt, um die Meinung der Leserschaft zu beeinflussen und
ihre Reaktion zu kontrollieren.
Wie oben schon diskutiert wurde57, gehört Fachlexik an sich zu dem
Instrumentarium einer Fachsprache und sie erleichtert Fachkommunikation, denn sie
wird zu einem bestimmten „Code“ der Fachleute. Wenn aber Fachwörter im
Medientext (also in einer nicht typisch fachlichen Umgebung) erscheinen, erregt sich
die Frage, ob und inwieweit sie von dem Rezipienten verstanden werden. Als
allgemeine Voraussetzungen zum Verständnis der Fachsprachen und der Fachlexik
gelten das Vorhandensein fachlicher Kenntnisse und die Beherrschung
fachsprachlicher Gepflogenheiten.58 Fluck diskutiert, dass Fachsprachen eine
k o m m u n i k a t i v e B a r r i e r e f ü r N i c h t - F a c h l e u t e b i l d e n . 59 I n e i n e m
gesamtgesellschaftlichen Kontext können sich viele Kriterien der Fachlexik nicht
vergegenwärtigen, da sie dem durchschnittlichen Leser unverständlich ist: Fachwörter
sind nicht klar, werden nicht exakt verstanden und wirken gar nicht
kontextunabhängig. Für Laien können sie zu einem Hindernis werden und die
Kommunikation verletzen, anstatt sie zu erleichtern.
Hilke Elsen schreibt, dass Fachausdrücke im Medientext seriös wirken. Dieser
seriöse Effekt erweckt aber Vertrauen vonseiten des Rezipienten, besonders wenn
Fachlexik unverständlich ist 60, wahrscheinlich aus dem Grund, dass Fachwortschatz
mit Qualität und Intelligenz assoziiert wird. Davon ausgehend kann angenommen
werden, dass Fachlexik im Medientext mit der Absicht gebraucht wird, den
Rezipienten von etwas zu überzeugen (z.B. Fachlexik in einer Werbung kann den
Rezipienten bewegen, eine Ware zu kaufen; Fachlexik in einer Rezension kann den
57 s. dazu 1.1.
58 Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [HSK]: Band 14/1 – Fachsprachen. Walter de Gruyter,
Berlin, New York, 2008. S. 190.
59 Fluck H.-R. Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 5. Auflage. A. Francke Verlag Tübingen und Basel. 1976.
S. 37-39.
60 Elsen H. Wortschatzanalyse. A. Francke-Verlag. Tübingen – Basel. 2013. S. 189-190.
!33
Eindruck schaffen, dass der Autor intelligent ist und seine Meinung richtig ist,
unabhängig davon, ob es der Realität entspricht, etc.). Auf diese Weise kann
Fachlexik die Funktion der Meinungsbeeinflussung bzw. –bildung im Medientext
realisieren.
Den diskutierten Thesen zufolge wäre aber überflüssiger Gebrauch von Termini
im Medientext unangemessen, weil sie das Verständnis stören würden. Trotzdem ist
das Erscheinen von Fachlexik in Medientexten unvermeidlich. Die Kontextstellen im
zusammengestellten Korpus und die gesamten Texte zeigen, dass Fachlexik aus dem
Diskurs populärer Musik das Verständnis der Texte nicht verhindert. Zum einen kann
es dadurch erklärt werden, dass der Bereich populärer Musik in hohem Maße
popularisiert wurde und sehr viele Leute, insbesondere Jugendliche, sich für Musik
interessieren und Texte zu dieser Thematik verstehen, obwohl sie sich damit nicht
beruflich beschäftigen. Zum anderen stammen viele Fachwörter dieses Bereichs aus
dem Englischen, das zur internationalen Lingua Franca geworden ist und für
Englischsprecher kein kommunikatives Hindernis darstellt. Es könnte also festgestellt
werden, dass Fachwörter im Kontext populärer Musik intuitiv verständlich sind, auch
wenn sie nicht kodifiziert sind. Davon zeugen aktuelle Texte aus deutschsprachigen
Medien, sowohl aus gesellschaftlich-politischen wie das Nachrichtenmagazin „Der
Spiegel“, die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die Boulevardzeitung „Das Bild“, als
auch aus musikalischen wie „Neue Musikzeitung“, Deutschlands auflagenstärkste
Musikfachzeitung61, oder der Musikkanal „Laut.de“.
In manchen Fällen ist es schwer, die Wortwahl des Sprechenden bzw.
Schreibenden zu begründen und eine klare Grenze zwischen einigen Fachwörtern zu
ziehen (z.B. das Lied und der Song62), die synonym wirken. Es hat vermutlich damit
zu tun, dass Fachwörter im medialen Kontext an ihrer Exaktheit bzw.
Kontextunabhängigkeit verlieren. Dieser Verlust an Exaktheit der Inhaltsseite
61 URL: http://www.facebook.de/musikzeitung/
62 s. dazu 2.4.
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entspannt die Wirkung von Fachlexik im Text und kompensiert die Tatsache, dass
Termini in nicht-fachbezogenen Kontexten den Rezipienten verwirren können.
Die „Vereinfachung“ fachlicher Begriffe im medialen Kontext hängt mit der
Tendenz der Mediensprache zur Lesbarkeit63 eng zusammen. Das Spezifikum der
Pressesprache liegt nämlich darin, dass ihr kein einzelner sprachlicher Stil
zugeschrieben werden kann.64 Auf diese Weise kann die Pressesprache als vielfältig
und heterogen beschrieben werden, indem sie in sich sowohl Alltagssprache als auch
Fachsprache bzw. Wissenschaftssprache kombinieren kann. Auf der lexikalischen
Ebene tauchen oft in der Pressesprache Fachjargonismen, die dem Medientext eine
expressive Färbung verleihen, Modewörter, dank denen der Medientext modern
klingt, und Schlagwörter, die zu seiner Relevanz beitragen. Die ersten zwei Typen der
Lexeme sind auch von der Fachlexik aus dem Bereich populärer Musik
charakteristisch.
Die expressive Wirkung der Fachlexik in einer nicht-fachlichen Umgebung
manifestiert sich primär durch den Gebrauch von expressiven Fachwörtern –
Professionalismen und Fachjargonismen. Wie oben schon angenommen wurde, ist
Expressivität ein Mittel zur Informalisierung der Kommunikation zwischen dem
Autor des Artikels und dessen Leserschaft65. Aus diesem Grund können
Fachjargonismen als Hilfsmittel bei der Schaffung einer gewissen Nähe und einer
entspannten Atmosphäre auftreten.
Ein gewisser Grad an Expressivität ist auch für Fremdwörter, insbesondere
Entlehnungen aus dem Englischen, typisch. Da Englisch allgemein mit Modernität
und Internationalität assoziiert wird 66, auch wenn es um Fachlexik geht, wirken
Anglizismen jung, frisch und modern, was viele Leser anlockt und auch zur
63 Löffler H. Germanistische Soziolinguistik. 5., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2016. S. 112.
64 Löffler H. Germanistische Soziolinguistik. 5., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2016. S. 111.
65 s. dazu 1.3.
66 Elsen H. Wortschatzanalyse. A. Francke-Verlag. Tübingen – Basel. 2013. S. 190.
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entspannten und informellen Stimmung des Textes beiträgt.
Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass Fachlexik zu verschiedenen
Zwecken in Medien gebraucht werden kann: Fachwörter können einen seriösen oder
einen expressiven Effekt haben, unverstanden bleiben oder die Distanz zwischen dem
Autor und dem Leser reduzieren, den Text durch die Komplexität deren Bedeutungen
erschweren oder einen „modischen Klang“ schaffen und den Text „erfrischen“. Das
Gesagte bildet zwar einen Widerspruch, aber es unterstützt die These von der
funktionalen Vielfalt der Fachlexik im Medientext.
Fazit zum 1. Kapitel
Im 1. Kapitel der Masterarbeit wurde Fachlexik vorwiegend vom Standpunkt
des systemlinguistischen Ansatzes aus behandelt. Fachlexik ist Gesamtheit aller
lexikalischen Mittel, die die Verständigung zwischen Fachleuten gewährleisten. Ihr
Ziel ist, die Fachkommunikation zu stützen und zu erleichtern. Im Idealfall müssen
Fachwörter mehreren Kriterien entsprechen wie Klarheit, Eindeutigkeit, Explizitheit,
Fachbezogenheit, Kürze und Kontextunabhängigkeit, aber die angeführten Kriterien
sind nicht in allen Fachwörtern und nicht in allen Kontexten in gleichem Maße
präsent.
Im Großen und Ganzen lässt sich der Fachwortschatz nach dem Grad der
Kriterienrepräsentation in drei Gruppen einteilen, und zwar in Termini (ideale
Fachwörter), Halbtermini (nicht-ideale Fachwörter) und expressive Fachwörter, die
alle in aktuellen Texten ihre Verwendung finden. Markant ist, dass es ziemlich viele
Fachwörter gibt, die noch nicht kodifiziert wurden. Einerseits kann man das dadurch
erklären, dass Wörter in lexikografische Quellen „mit Verspätung“ eingenommen
werden, d.h. kein Lexem kann gleich fixiert werden, weil Lexikografen noch den
Gebrauch des Lexems beobachten und aufgrund ihrer Beobachtungen schlussfolgern
müssen, ob das neue Lexem im Wortschatz bleibt (z.B. jedes Jahr erscheint eine
Menge umgangssprachlicher Einheiten, aber einige Lexeme sind einfach als
Modewörter einzuordnen und bleiben nicht in der Sprache). Andererseits kann
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angenommen werden, dass sich Quasitermini, besonders die, die aus dem Englischen
stammen, in einer Übergangsphase (vom Vorterminus zum Terminus) befinden und
aus diesem Grund noch nicht in Wörterbüchern als Fachwörter markiert wurden.
Außerdem ist anzumerken, dass nicht jedes Wort, das als allgemeinsprachlich
wahrgenommen wird und eine musikalische Bedeutung in sich trägt, eine
lexikografische Angabe der Fachsprache Musik erhält bzw. in musikalische
Fachwörterbücher und Lexika aufgenommen wird.
Die Analyse der Fachwortbildungstypen hat aufgezeigt, dass der
Fachwortschatz der populären Musik heute vorwiegend aus Entlehnungen und
Lehnübersetzungen besteht, was sich durch die Tatsache verdeutlicht, dass der
Diskurs populärer Musik in hohem Maße durch amerikanische Musik und Kultur
popularisiert wurde.
Funktional gesehen, existiert noch keine Klassifikation der Fachlexik im
medialen Kontext. Aus diesem Grund wurde versucht, eine Klassifikation
zusammenzustellen. Das Modell ergibt sich zum einen aus der funktionalen
Klassifikation von Leitschik und zum anderen aus der von Sobolewa, wobei zwei
Hauptklassen von Funktionen unterschieden werden können: primäre bzw. objektive
und sekundäre bzw. subjektive Funktionen.
Die beiden funktionalen Klassen der Fachlexik manifestieren sich im
Medientext, der in sich eine informelle Stimmung und fachliche Sachverhalte
kombinieren kann. Die Untersuchungen der Mediensprache zeugen davon, dass
Medientexte versuchen, die Distanz zwischen dem Autor und seiner Leserschaft zu
reduzieren, wobei der Medientext an expressiven Ausdrücken, wie Fachjargonismen,
jugendsprachlichen Elementen und Fremdwörtern, immer mehr gewinnt. Es wurde
angenommen, dass sich Fachlexik im massenmedialen Kontext weniger exakt und
kontextabhängiger realisiert, was als eine Art Entspannung des fachbezogenen
Kontextes betrachtet werden kann.
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2. Empirische Analyse der Fachlexik im Diskurs populärer Musik
2.1 Diskurs populärer Musik
Unter Diskurs wird in dieser Arbeit eine offene Gesamtheit von Texten
verstanden, die miteinander nach dem funktional-thematischen Prinzip verbunden
werden.67 Somit wird Fachlexik in dieser Forschung auch diskurslinguistisch
betrachtet, da sich die Texte, aus denen das Korpus besteht, thematisch und funktional
vereinen.
Diskurslinguistische Analyse stellt einen jüngeren Zweig in der Linguistik dar
und wendet sich an unterschiedlichste Methoden an: von Morphologie über
Wortsemantik bis zur Textlinguistik. Die Popularität, deren sich diese Richtung
erfreut, erklärt sich dadurch, dass diese Analyse eine mehrseitige Beschreibung eines
Diskurses ermöglicht. Die Mehrzahl der Methoden kann zwar verwirrend wirken,
aber sie ist lediglich als Beweis der Fruchtbarkeit dieser linguistischen Richtung zu
verstehen.68
Anhand dieser Methode kann man Schlüsselbegriffe eines Diskurses in einem
begrenzten Zeitraum bestimmen, den realen Gebrauch der Lexeme analysieren und
darüber hinaus beobachten, wie Muttersprachler die außersprachliche Realität
wahrnehmen und sprachlich ausdrücken 69. Daher lässt diskurslinguistische Analyse
auch gewisse Schlussfolgerungen über die Mentalität der Muttersprachler ausgehend
von ihrem sprachlichen Handeln ziehen.
Wie schon angemerkt wurde, verbindet diskurslinguistische Analyse mehrere
Forschungsansätze. Die Analyse der Lexik weist ein enormes Potenzial innerhalb der
Diskurslinguistik auf, da Wörter Knotenpunkte der Texte und der ganzen Diskurse
67 Busse, F. Teubert W. Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? In: Busse, F. Hermanns, F. Teubert, W.
Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. –
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994. – S. 14.
68 Larcher, S.B. Linguistische Diskursanalyse. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2015. S. 34.
69 Krüger, C. Graue Wahlkämpfe und Rentnerbonbons. Öffentliche Altersdiskurse in der Bundesrepublik Deutschland. –
Sprachspiegel, Heft 4, 2016. – S. 108-109.
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sind. Wörter im Diskurs können verschiedenartig analysiert werden: vom Standpunkt
der Herkunft aus oder nach dem morphologischen Bestand, aus Sicht der Wortbildung
oder im Rahmen der Wort- oder Satzsemantik, in funktionaler Hinsicht oder als
„Ankerpunkte“ ganzer Diskurse. Wörter werden nicht getrennt von den Diskursen
betrachtet, sondern sie werden als Ausgangspunkt zur Diskursanalyse verstanden.
Als einzelne Methoden diskurslinguistischer Analyse der Lexik können
Frequenzanalyse, Clusteranalyse, Konkordanzanalyse, Kollokationsanalyse, FrameAnalyse und Korpusanalyse angeführt werden.70 Korpusanalyse ist in diesem
Zusammenhang ein Schlüsselverfahren, weil Diskurse durch Korpora erkannt werden.
Ingo H. Warnke und Jürgen Spitzmüller bieten ein umfassendes Modell der
Diskurs-Analyse – das DIMEAN-Modell – an. Das DIMEAN-Modell
(„Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse“)71 unterscheidet drei Ebenen der
Analyse: intratextuelle Ebene, auf der sich Wortanalyse, Propositionsanalyse und
Textanalyse befinden, transtextuelle Ebene, die sich auf diskursorientierte Fragen
bezieht, und die Ebene der Akteure. Die drei Ebenen werden weiterhin in diesem
Kapitel behandelt.
2.1.1 Zum Begriff Populäre Musik
Populäre Musik scheint gleichzeitig ein klarer Begriff des Alltags zu sein und
eine problematische Bezeichnung im musikalischen Fachdiskurs darzustellen.
Einerseits ist Musik ein Unterhaltungsmittel nicht nur für diejenigen, die daran
ein großes Interesse haben, sondern darüber hinaus für praktisch alle Menschen, da
wir uns ziemlich oft in einer musikalischen Umgebung befinden, auch wenn wir sie
nicht absichtlich hören: z.B. man kann Musik beim Essen in einem Restaurant oder
70 Gür-Seker D. Das Wort im Diskurs. Handbuch Wort und Wortschatz (Ed. by Haß, Ulrike / Storjohann, Petra). De
Gruyter Mouton, 2015. S. 82-95.
71 Spitzmüller J., Warnke I.H. Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen
Ebene. Berlin ; New York, NY : de Gruyter, 2008. S. 43-44.
!39
beim Einkaufen in einem Geschäft hören. Der Mensch hat sich seit langem für Musik
interessiert, denn sie kann durch unterschiedliche Melodien eine Stimmung schaffen,
eine Geschichte in ihrem Text erzählen, den Menschen zu einer Aktivität bewegen
(z.B. zum Tanzen) oder auch inspirieren.
Im Rahmen der Musikforschung andererseits wird der Begriff „populäre
Musik“ häufig mit ähnlichen Begriffen Popmusik und Popularmusik verwechselt, die
aber keineswegs gleichgesetzt werden dürfen.
Vor allem muss die Stellung populärer Musik im musikalischen Rahmen
bestimmt werden. Zum einen wird populäre Musik der Kunstmusik gegenübergestellt,
der traditionell klassische Musik angehört. Zum anderen ist populäre Musik von
Volksmusik abzugrenzen. Wie sie auch im Alltag verstanden wird, ist einer der
Aspekte populärer Musik ihr unterhaltsamer Charakter. Das Populäre an populärer
Musik liegt auch darin, dass sie sich an einen breiten Kreis von Rezipienten
ausrichtet.
Die Anwesenheit ähnlich klingender Begriffe ist zwar ziemlich verwirrend,
aber in dieser Mehrzahl spiegelt sich die musikalische Vielfalt. Die Popularmusik ist
in diesem Zusammenhang als ein Überbegriff zu betrachten, der sich nicht durch eine
begrenzte Zahl musikalischer Formen bestimmt, sondern so etwas wie ‘Musik für
alle’ bezeichnet.72
Unter dem Fachwort die Popmusik ist das Pop-Genre zu verstehen, also eine
Musikrichtung, die sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat73. Der Begriff
stammt vom englischen Begriff pop music, der eine Kurzform von popular music
darstellt. Manchmal werden auch Schlager und Volksmusik als Popmusik
kategorisiert, d.h. Popmusik wird anstatt populärer Musik gebraucht, was aber
fehlerhaft ist.
Als populäre Musik wird eine Gesamtheit populärer Musikrichtungen
72
Österreichisches Musiklexikon Online. URL: http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_P/Popularmusik.xml
73
Dahlhaus, Carl/Eggebrecht, Hans Heinrich (Hrsg.): »Brockhaus Riemann Musiklexikon«, 2 Bände Wiesbaden, Mainz
1979. URL: http://www.savoy-truffle.de/zippo/Stationen.html#Literatur
!40
bezeichnet, zu der primär Pop-, Rock- und Jazzmusik gezählt werden, aber auch
gelegentlich populäre Versionen klassischer Werke zugeordnet werden
können74. Populäre Musik kann durch sentimentale und romantische Stimmung
gekennzeichnet werden 75. Daher verstehen wir unter dem Begriff eine Menge
musikalischer Richtungen, die in der modernen Zeit weit verbreitet ist und von
breitem Publikum als unterhaltsam und erfolgreich empfunden wird.
Von dieser Definition ausgehend wurden im Korpus Medientexte gesammelt, in
denen es sich primär um Pop-, Rock-, Rap- und Jazzmusik handelt, aber der
Themenkreis beschränkt sich auf die genannten Richtungen nicht, da nicht jeder
Musiker nur in einem Genre Musik schreibt und spielt. Auf diese Weise tauchen im
Korpus auch Artikel, in denen es um Elektronik oder sogar klassische und orchestrale
Musik geht.
Es kann in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass die Grenzen des
Begriffs etwas verschwommen sind und die Identifizierung von Musikformen als
populär oder nicht populär ziemlich subjektiv ist, aber das kann man wahrscheinlich
dadurch begründen, dass es im Prinzip vom Wahrnehmen des Hörers abhängt, ob ein
musikalisches Werk als populär eingeordnet werden kann.
Was den Mediendiskurs populärer Musik anbetrifft, lässt sich im Allgemeinen
feststellen, dass er einen heterogenen Bereich darstellt, da er in sich sowohl
musikalische Themen, als auch benachbarte Teilbereiche wie Film sowie Elemente
völlig anderer Diskurse kombinieren: im Rahmen der Korpusanalyse haben sich
einige Texte ergeben, die sowohl von Musik, als auch von politischen Themen
handeln (z.B. der Spiegel-Artikel über einen Song von Eminem, in dem er Stellung
zur US-Wahlkampagne und zu Donald Trump nimmt76 ). Die thematische
Unbegrenztheit zeugt davon, dass vorliegender Diskurs heterogen ist und Fachlexik
74
URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Popular_music
75
URL: https://www.collinsdictionary.com/dictionary/english/popular-music
76 URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/eminem-rappt-in-campaign-speech-gegen-donald-trump-a-1117531.html
!41
aus verschiedenen Bereichen enthalten kann.
Da die Texte unterschiedliche Sachverhalte thematisieren können, sind auch die
Akteure des Diskurses, insbesondere die Zielgruppe der Texte, nicht homogen. Wie es
oben schon erwähnt wurde, sind Rezipienten der Medientext aus dem Diskurs
populärer Musik praktisch alle Menschen, die solche Medien lesen können: es sind
sowohl Fachleute, die mit fachlichen Elementen des Diskurses vertraut sind, als auch
durchschnittliche Leser, die lediglich über ein allgemeines Wissen zum Thema
verfügen. Der Autor kennt sich in dem Bereich aus, da er Texte zu musikalischen
Themen beruflich schreibt. Die Musiker, die als Subjekte des Diskurses auftreten,
sind in diesem Rahmen als Vermittler zwischen dem Autor und dem Leser zu
verstehen, denn sie bilden eine Art Brücke zwischen den Akteuren: dank dem
Interesse der Leserschaft an einem Musiker erreichen fachbezogene Inhalte den Leser.
Insgesamt muss noch einmal unterstrichen werden, dass der Diskurs populärer
Musik durch Heterogenität seiner Rezipienten und der Themenkreise gekennzeichnet
wird, da er sich im massenmedialen Raum realisiert.
2.1.2 Verfahren der funktional-semantischen Analyse der Fachlexik im
Diskurs populärer Musik
Die empirische Analyse des gesammelten Korpus von Medientexten über
populäre Musik erfolgt in mehreren Schritten.
In erster Linie wurde unser Korpus zusammengestellt, das 53 Artikeln aus
unterschiedlichen deutschsprachigen Medien enthält. Das Korpus besteht aus
Medientexten, die aus den Jahren 2015-2017 stammen, was sich durch die
Orientierung an den modernen Stand der Sprache begründet, und die sich als
journalistische Texte nach der Klassifikation von Burger kategorisieren lassen. 77 Als
weitere Kriterien bei der Korpuserstellung gelten bestimmter Themenkreis (Genres
77 Burger H. Mediensprache: Eine Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien. 3., völlig
neu bearbeitete Auflage. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2005. S. 64.
!42
populärer Musik: Pop, Rock, Jazz, Soul, Rap) und die Herkunft der Autoren
(deutschsprachige Autoren). Bezüglich der Textsorten sind im Korpus Rezensionen,
Nachrichten über Award Shows, Nachrufe, Ankündigungen von Alben, Tournees und
manchmal Kollaborationen und Interviews.
Als Quellen empirischen Materials dienten sowohl fachbezogene, als auch
nicht-fachbezogene Medien:
• das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“;
• die Wochenzeitung „Die Zeit“;
• die Boulevardzeitung „Das Bild“;
• die Zeitung „Die Welt“;
• „Neue Musikzeitung“, Deutschlands auflagenstärkste Musikfachzeitung78;
• der Musikkanal „Laut.de“;
• das Online-Magazin „Sounds & Books“;
• das Musikmagazin „Rolling Stone“;
• das Online-Magazin „Visions“.
Die Schritte der Analyse können folgendermaßen dargestellt werden:
1. Korpusbildung;
2. Identifizierung der Fachlexik in den ausgesuchten Korpusartikeln;
3. Morphologische Zuordnung der Fachwörter;
4. Semantische Zuordnung der Fachwörter;
5. Semantische Konkordanzanalyse repräsentativer Einheiten des Korpus:
a. Analyse der Wörterbuchdefinitionen;
b. Vergleich der Wörterbuchdefinitionen mit den aktuellen Bedeutungen
in ausgewählten Medientexten;
c. Analyse semantischer Relationen, die sich kontextuell manifestieren;
d. Morphologisch-semantische Analyse ausgewählter Okkasionalismen;
6. Funktionale Analyse der Fachlexik im medialen Kontext;
78 URL: http://www.facebook.de/musikzeitung/
!43
7. Exemplarische diskurslinguistische Analyse einzelner Schlüsselbegriffe.
Es gibt zwar viele Möglichkeiten, Fachlexik in Medientexten zu analysieren,
aber die angeführten Schritte lassen zum einen die Wortsemantik im dynamischen
Aspekt auf unterschiedlichen Weisen zu beobachten und zum anderen die funktionale
Vielfalt der Fachlexik im medialen Kontext zu bestimmen. Auf allen Ebenen der
Analyse bilden Fachwörter, die nicht getrennt von dem Fachbereich untersucht
werden, sondern als Ausgangspunkt zu seiner Analyse gelten, den Schwerpunkt.
Darüber hinaus bildet die diskurslinguistische Fachwortanalyse die erste Stufe
eines komplexen Analyseverfahrens zur Untersuchung vom Diskurs, was eine
komplexe Beschreibung des Diskurses ermöglicht.
2.2 Morphologisch-semantische Zuordnung der Fachlexik aus
dem Diskurs populärer Musik
Bevor die lexikalischen Einheiten aus dem gesammelten Korpus semantisch
eingeordnet werden, gilt es die Lexeme morphologisch zu kategorisieren, und zwar
lassen sie sich in drei Gruppen gliedern: Substantive, Verben und Wortfügungen,
Adjektive und Partizipien.
Die Wortart, die im Korpus am häufigsten auftaucht, ist das Substantiv. Die
Mehrzahl der Substantive in Fachsprachen generell erklärt sich durch die
Begrifflichkeit und die Gegenständlichkeit der Fachdiskurse.79 Im Diskurs populärer
Musik handelt es sich vorwiegend um Subjekte des Diskurses (also, um Musiker bzw.
Musikerinnen) und um Produkte ihrer Tätigkeit, was in der nachfolgenden
semantischen Analyse bewiesen wird. Außerdem unterstützt die Mehrzahl der
Substantive die These über den nominativen Charakter der Fachlexik und die Tendenz
der Fachsprachen zum Nominalstil.
Die zweitgrößte Gruppe bilden Verben und Wortfügungen, die zwar gar nicht so
79 Faulseit D. Das Fachwort in unserem Alltag. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1975. S. 55.
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vielzählig wie Substantive sind, aber dennoch eine interessante morphologische
Schicht in der Fachlexik darstellen, weil Verben und Wortfügungen oft
Entsprechungen für Substantive sind und als Paraphrasen im Text verwendet werden
können, um lexikalische Wiederholungen zu vermeiden (z.B. die Tour – touren – auf
Tour gehen).
Die dritte und die kleinste Gruppe besteht aus Adjektiven und Partizipien, die
vorwiegend mit Stilen und Genres verbunden sind (z.B. poppig, soulig, instrumental)
und den Klang charakterisieren (z.B. angejazzt, countryfiziert).
Da Verben und Wortfügungen und Adjektive und Partizipien zahlenmäßig klein
sind und nur wenige Besonderheiten im kontextuellen Gebrauch aufweisen, steht im
Mittelpunkt der Analyse die Gruppe der Substantive.
Semantisch lassen sich die Substantive aus dem Korpus in mehrere Klassen
gliedern:
• Handelnde Personen;
• Produkte der Tätigkeit;
• Nebenaspekte der Musik;
• Musikinstrumente;
• Richtungen / Genres;
• Massenereignisse;
• Leistungen und Preise;
• Prozesse und Handlungen.
Jede Klasse kann in Subklassen gegliedert werden, was in der weiteren Analyse
gezeigt wird. Es muss aber voraussichtlich angemerkt werden, dass es sich im
Medientext vorwiegend um Subjekte des Diskurses, d.h. um Musiker selbst, und um
Produkte ihrer musikalischen Tätigkeit handelt. Aus diesem Grund wurde besondere
Aufmerksamkeit auf die genannten zwei Klassen gelenkt.
!45
2.2.1 Bezeichnungen der handelnden Personen
Unter handelnden Personen unterscheiden wir einzelne Emittenten,
Emittentengruppen, Nebenakteure und Rezipienten.
Bezeichnungen der einzelnen Emittenten
Als einzelne Emittenten wurden alle lexikalischen Einheiten kategorisiert, die
einen Musiker bzw. eine Musikerin bezeichnen:
der Musiker '1. jemand, der beruflich Musik, eine Tätigkeit
im musikalischen Bereich ausübt (Berufsbezeichnung)'
Der Musiker bzw. die Musikerin bildet also den Oberbegriff dieser Klasse.
Manchmal werden Musiker auch Künstler genannt, obwohl Künstler ein Hyperonym
von Musiker ist. Davon zeugt die Definition aus dem Duden-Online:
der Künstler '1. jemand, der [berufsmäßig] Kunstwerke
hervorbringt oder darstellend, aufführend interpretiert;
2. jemand, der auf einem Gebiet über besondere Fähigkeiten verfügt'
Im folgenden Auszug aus einem Spiegel-Artikel, der von den Grammy Awards
handelt, ist das Lexem der Künstler auf der Stelle zu betrachten, auf der der Musiker
oder, auch konkreter, der Rapper zu erwarten wäre:
!46
Konkordanz (1)
Musikpreis Grammy
Der Preis ist heiß, die Show ist heißer
Aber trotzdem blieb der Beigeschmack, dass vor allem Erfolg und Selbstverwaltung
großer Popgeschichten belohnt wurden, aber nicht die dringend benötigte Haltung:
Kendrick Lamar, der mit seinem Hip-Hop-Manifest "To Pimp A Butterfly" wütend und
hochintelligent die Ereignisse von Ferguson verarbeitete, war in diesem Jahr als
unangefochtener Favorit in elf Kategorien nominiert - und gewann in fünf, räumte also
ziemlich ab. Aber eben fast ausschließlich in den Rap-Kategorien: Der Künstler wurde
ausgezeichnet für das beste Rap-Album, den besten Rap-Song, die beste RapPerformance, die beste Rap-Kollaboration.
Da Kendrick Lamar ein Rapper aus den USA ist, kann in diesem
Zusammenhang angenommen werden, dass das Lexem der Künstler hier entweder
generalisierend verwendet wird, oder als ein kontextueller Synonym von der Rapper
auftritt, oder ein Wortspiel bildet, indem es in beiden Bedeutungen kontextuell
aktualisiert wird.
Unter einzelnen Emittenten unterscheiden wir folgende Subklassen:
• Sänger: der Sänger, die Sängerin, der Singer-Songwriter;
• Personen, die Instrumente spielen: der Gitarrist, der Pianist, der
Vibraphonist, die Bassistin, der Keyboarder, der Drummer, der
Schlagzeuger;
• Bezeichnungen der Rollen innerhalb einer Band: das Bandmitglied, der
Frontmann, die Hauptsängerin, der Band-Gitarrist;
• Andere Bezeichnungen: das Tour-Mitglied, der Headliner, der Gastsänger.
Innerhalb der Subklasse der Sänger lassen sich verschiedene Arten der Sänger
nach dem musikalischen Stil finden: der Rapper, der Soul-Sänger, die Volkssängerin,
der Popmusiker, der Rockmusiker, der Elektronik-Musiker, der Bluesmusiker, der
Indie-Künstler, der Avantgarde-Künstler, der Alternativ-Künstler. Die angeführten
Substantive stellen Hyponyme des Sängers dar und können in vier Gruppen aufgeteilt
werden, wobei eine morphologisch-semantische Klassifikation entsteht:
Tabelle 8. Tabelle der Hyponyme von der Sänger
!47
Hyperonym: Sänger
Einfache
Substantive
der Rapper
Komposita
Komposita mit
„Sänger“
Komposita mit
„Musiker“
der Popmusiker, der
der Soul-Sänger, die Rockmusiker, der
Volkssängerin
Elektronik-Musiker,
der Bluesmusiker
Komposita mit
„Künstler“
der Indie-Künstler,
der AvantgardeKünstler, der
Alternativ-Künstler
Bemerkenswert unter einzelnen Emittenten ist die Tendenz zur
Hyperbolisierung. Bei der Klassifizierung der Lexeme wurde eine Gruppe von
Nominationen entdeckt, die eine positive Semantik beinhalten. Als Beispiele für diese
Gruppe gelten folgende lexikalische Einheiten: der Star, der Popstar, der Superstar,
der Pop-Superstar, der R&B-Superstar, der Szenestar, das Schlagersternchen, der
Pop-Innovator, der Pop-Ken, die Rock-Größe, die Rapgröße, die Soul-Größe, der
Pop-Irre, die Soullegende, die Rocklegend, die Post-Punk-Legende, die Legende der
Rockmusik, die Ikone, die Retro-Soul-Ikone, das Kunstgenie, das Teenager-Idol, der
Saxofongigant.
Die angeführten Komposita bestehen im Allgemeinen aus zwei Teilen: ein Teil
benennt den Stil, das Instrument oder das Gebiet, auf dem sich die Person der
Popularität erfreut, der andere Teil ist normalerweise ein Wort, dem eine positive
Konnotation zugeschrieben wird. Die häufigsten Wortbildungsmodelle innerhalb
dieser Gruppe sind Komposita mit Star, Größe und Legende. Im Lexem die Rapgröße
z.B. sind zwei Wurzeln enthalten:
der Rap 'schneller, rhythmischer Sprechgesang in der populären Musik'
die Größe '4. bedeutende, berühmte Persönlichkeit, Kapazität'
!48
Das Lexem die Rapgröße wurde nicht lexikografisch kodifiziert, aber es ist
klar, dass es analog zum Lexem die Fachgröße gebildet wird:
die Fachgröße 'Koryphäe'
die Koryphäe '1. (bildungssprachlich) jemand, der auf einem
bestimmten Gebiet außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt'
Die Tendenz zur Hyperbolisierung ist praktisch nur bei den Bezeichnungen der
einzelnen Emittenten zu betrachten. Hyperbolisierung bildet eines der Mittel, die ein
positives Bild von den zu beschreibenden Subjekten schaffen, denn die diskutierten
Beispiele tragen eine positive Bedeutung und intensivieren die positive Semantik im
Kontext, indem sie das Talent und den Erfolg der Musiker hervorheben. Auf diese
Weise trägt Hyperbolisierung als Intensivierungsmittel auch zur Expressivität des
Textes bei, wonach der Medientext strebt80.
Innerhalb der Subklasse von einzelnen Emittenten sind auch Paare vorhanden,
in denen Lexeme anscheinend synonym sind: z.B. der Schlagzeuger – der Drummer:
Den Unterschied verdeutlicht der Duden-Online:
der Schlagzeuger ‘jemand, der [berufsmäßig] Schlagzeug spielt’
der Drummer ‘Schlagzeuger in einer Band’
Es muss aber angemerkt werden, dass der Drummer normalerweise einen
Schlagzeuger in einer Jazz-Band bezeichnet, was auch der Kontext aufzeigt:
80 s. dazu 1.6.
!49
Konkordanz (2)
Konkordanz (3)
Max Mutzke
Das Pop-Chamäleon
Max Mutzke
Das Pop-Chamäleon
Casting-Stars wollen normalerweise den
Kurzzeitruhm maximal nutzen, überfordern
sich und verbrennen. Mutzke hingegen
hatte - anders als die meisten Bewerber bei
Talentshows - eine Ausbildung als
Schlagzeuger und Erfahrung mit einer
Funkband hinter sich, als er zum TV TotalWettbewerb antrat und überlegen siegte.
Manche finden seinen Jazztitel "Piano
Man" im Trio mit dem Drummer
Wolfgang Haffner großartig; viel mehr
Menschen kennen sein "Can't Wait until
Tonight", mit dem er Deutschland 2004
beim Eurovision Song Contest in Istanbul
vertrat.
Wolfgang Haffner, der im zweiten Beispiel erwähnt wird, ist wirklich ein JazzSchlagzeuger 81. Konkordanzen (2) und (3) demonstrieren, dass der Autor des Artikels
ein differenziertes Herangehen beim Verfassen des Textes verwendet, was ein Beleg
ist, dass Fachlexik nach Exaktheit strebt.
Anhand der angegebenen Definitionen und der angeführten Konkordanzen lässt
sich feststellen, dass der Schlagzeuger das Hyperonym und der Drummer das
Hyponym in diesem Paar ist, obwohl diese Unterscheidung außerhalb des Kontextes
bzw. ohne Wörterbuchdefinitionen nicht offenbar ist.
Bezeichnungen der Emittentengruppen
Unter Emittentengruppen verstehen wir Gruppen von Musikern bzw.
Musikerinnen, die zusammen Musik schaffen und spielen. Zu dieser Subklasse
gehören folgende Lexeme: die Band, die Gruppe, das Kollektiv, das Duo, das Trio,
die Boyband, die Girlgroup, die Bigband, die Kollaboration, der Chor, das Orchester,
das Ensemble.
Interessant ist, dass es im Diskurs populärer Musik unterschiedliche
Nominationen für Emittentengruppen auftauchen, die dem zu untersuchenden Diskurs
81 URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Haffner
!50
kaum zugeordnet werden können, wie das Orchester.
das Orchester '1. größeres Ensemble aus Instrumentalisten,
in dem bestimmte Instrumente mehrfach besetzt sind
und das unter der Leitung eines Dirigenten spielt'
Die Anwesenheit solcher lexikalischen Einheiten lässt uns vermuten, dass die
Richtung populärer Musik ziemlich umfassend ist und zur Vielfalt tendiert. Davon
zeugt der Textabschnitt aus dem folgenden Spiegel-Artikel:
Konkordanz (4)
Max Mutzke
Das Pop-Chamäleon
Vorwärts in Richtung Klassik. Nach Erfolgen in Pop, Soul und Jazz veröffentlicht Max
Mutzke in dieser Woche ein Album mit der NDR Radiophilharmonie: Warum es gut ist,
dass er sich nicht entscheiden kann.
(…) Nach der Jazz-Platte und dem wieder soulig-poppigen Studio-Album "Max" macht
Mutzke nun eine neue Erfahrung: Die Zusammenarbeit mit der NDR
Radiophilharmonie auf "Experience". Für das große Orchester arrangierte Dirigent
Enrique Ugarte Mutzkes bekannteste Songs und Coverversionen wie den Billy-Paul-Hit
"Me and Mrs. Jones". Großes Kino für eine große Stimme! Nach Erfolgen in Pop und
Jazz nähert sich Max Mutzke nun der Klassik. "Die aufwendige Zusammenarbeit mit
dem grandiosen Orchester", sagt Mutzke, "war ein wunderbares Erlebnis und meine
bislang größte Herausforderung." (…)
Im angeführten Kontext geht es um Maximilian Mutzke, einen deutschen
Sänger, der Pop-Rock-, Soul-, Funk- und Jazz-Musik schreibt 82. Dass er größtenteils
nicht mit einem, sondern mit vier musikalischen Stils arbeitet, ist schon ein Beleg,
dass populäre Musik mehrseitig ist und mehrere Stile in sich kombinieren kann. Der
Musiker wendet sich aber auch an klassische Musik an, die für den Pop nicht typisch
ist und manchmal auch als etwas veraltet empfunden werden kann (deswegen ergibt
sich ein komischer Effekt in der Phrase „Vorwärts in Richtung Klassik“). Diese
Vielfalt in der Arbeit des Musikers wird im Text auch durch den Untertitel das PopChamäleon zum Ausdruck gebracht, d.h. Maximilian Mutzke passt sich an
82 URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Mutzke
!51
verschiedene Musikstile genauso gut an, wie das Chamäleon seine Farbe in
Abhängigkeit von seiner Umgebung wechselt. Dabei wirkt die Metapher bildlich und
trägt zur Expressivität des Textes bei.
Im Rahmen der Subklasse der Emittentengruppen gilt Zusammensetzung als
ein produktiver Wortbildungstyp. Die häufigsten Komposita innerhalb der Subklasse
werden nach einem klaren Modell gebildet: ein Teil benennt den Stil und der andere
ist eine der Bezeichnungen der Emittentengruppen. Zu dieser Gruppe gehören
Lexeme, wie die Rock'n'Roll-Gruppe, die Rockband, die Retro-Rockband, die
Americana-Band, das Hip-Hop-Duo, die Poptruppe, die Funkband.
Wie innerhalb der Bezeichnungen der einzelnen Emittenten erscheinen auch
unter Emittentengruppen bewertende Lexeme, wie die Kultband. Bewertende Lexeme
können zwar wie Hyperbeln wirken, aber sie unterstreichen die Semantik des Erfolgs
und unterstützen bzw. intensivieren damit das positive Bild des Subjektes.
Unter Bezeichnungen von Emittentengruppen kommen auch Okkasionalismen
(„Wortbildungsprodukte, die ohne Wissen um den Kontext ihrer Entstehung nicht
transparent sind“ 83) vor: die Neunzigerjahre-Teenie-Band, die Schrottvogelgruppe,
die Killers-Kollabo.
Das Lexem die Neunzigerjahre-Teenie-Band ist eine Zusammensetzung von
zwei Teilen – die Teenie-Band und die 90er Jahre – und ist aus der Wortgruppe die
Teenie-Band der 90er Jahre entstanden (es ist hier auch anzumerken, dass die aus
dem Englischen entlehnte Einheit die Teenie-Band noch nicht lexikografisch fixiert
wurde). Dieses Modell ist für Entlehnungen und Lehnübersetzungen aus der
englischen Sprache typisch, weil die ursprünglichen Wortgruppen im Englischen
zweierlei gestaltet werden können: entweder in Form einer präpositionalen Phrase
(eng. a teeny band from the nineties) oder in Form einer Phrase ohne Präposition (eng.
a nineties teeny band). Da die zweite Variante im Englischen gängiger ist, wird dieses
Modell der Gestaltung von Okkasionalbildungen auch ins Deutsche übernommen,
83 Metzler Lexikon Sprache. 5., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2016. S. 227.
!52
aber in Form einer Zusammensetzung, weil die Rechtschreibung an die Sprache
angepasst werden muss.
Ein weiteres Lexem, die Schrottvogelgruppe, lässt sich nicht so leicht
definieren. Dem morphologischen Bestand nach enthält diese Zusammensetzung zwei
Teile: der Schrottvogel und die Gruppe. Während sich bei der Definition des Lexems
die Gruppe kaum Probleme ergeben, ist die nicht kodifizierte Einheit der Schrottvogel
etwas schwieriger zu interpretieren.
der Schrott '2. a. (umgangssprachlich abwertend) unbrauchbares
(oft altes und kaputtes) Zeug; Plunder; b. (salopp abwertend)
etwas, was nichts taugt, etwas Minderwertiges'
der Vogel '2. (salopp, oft scherzhaft)
durch seine Art auffallender Mensch'
Die angegebenen Wörterbuchdefinitionen lassen uns diskursbezogene
Definitionen der Lexeme der Schrottvogel und die Schrottvogelgruppe vorschlagen,
die aus dem Kontext abgeleitet werden können:
• ein Schrottvogel ist ein Mensch, der unbrauchbares Zeug sammelt, oder ein
Mensch, der durch seine Minderwertigkeit auffällt,
• eine Schrottvogelgruppe ist eine Gruppe, die aus solchen Menschen besteht,
oder eine musikalische Gruppe, deren Musik als minderwertig oder
mindestens als schlecht empfunden wird.
Der folgende Auszug aus einem Spiegel-Artikel vom 16.02.2016 erörtert diesen
Okkasionalismus:
!53
Konkordanz (5)
Abgehört > Neue CDs: Kanye West, Animal Collective, Motorpsycho
Animal Collective - "Painting With"
Die verbreitete Häme über den Staat sei ihnen schon deswegen unerträglich - erläutern
die Kollektiv-Mitglieder Avey Tare, Panda Bear und Geologist die unter dieser ästhetik
waltende Motivation -, weil sie als Kinder mit ihren Eltern dorthin oft und gerne in
Urlaub gefahren seien. Dass sie den floridatypischen "state of mind" nun in rasend sich
umrankenden Chören beschwören, kann man ebenfalls als provokante Entscheidung
betrachten, geriet männliches Chorsingen in den vergangenen Jahren doch durch
folkbiedermeierliche Schrottvogelgruppen wie Mumford and Sons in starken Verruf.
Allerdings kombinieren diese ihren Gesang auch nicht mit tribalistischem Getrommel
und ochsenfroschartig quakenden Modularsynthesizern.
Von dem angegebenen Kontext ausgehend ist die Band Mumford and Sons eine
Band, die durch ihre ungewöhnliche Musik „in starken Verruf“ geraten ist und
anscheinend nicht populär ist. Im nächsten Satz wird angedeutet, dass die Musik der
Band einen bizarren Klang hat, der nämlich kritisiert wird. Die Kritik wird durch
mehrere sprachliche Mittel zum Ausdruck gebracht. Zum einen verwirklicht sich die
Kritik durch einen Vergleich der Band Animal Collective (von der es hauptsächlich im
Text geht) mit der Mumford and Sons: der Autor des Artikels zieht in den Vordergrund
die Tatsache, dass die Animal Collective kein „tribalistisches Getrommel“ und keine
„quakende Modularsynthesizer“ in ihrer Musik hat. Zum anderen trägt dazu auch die
Personifikation der Modularsynthesizer, die „ochsenfroschartig quaken“, was den
Klang der Band als unangenehm darstellt.
Die Meinung, dass die Band Mumford and Sons als schlecht wahrgenommen
wird, scheint aber etwas unerwartet zu sein, weil die Band weltweit populär gilt und
mehrere Awards gewonnen hat (Grammy Awards 2011: „Aufnahme des Jahres“ und
„Song des Jahres“, Grammy Awards 2013: „Album des Jahres“, Brit Award 2013
„British Group“ etc.), obwohl die meisten Auszeichnungen vor dem Jahr 2013
verliehen wurden. Es kann angenommen werden, dass sich die letzten Werke der
Band nicht mehr großer Popularität erfreuen. Davon zeugt auch der Wikipedia-Artikel
!54
über die Diskografie der Band 84.
Die zitierte Kontextstelle ist außerdem ein Beleg von der
Umgangssprachlichkeit der Medientexte über populäre Musik. Umgangssprachliche
Elemente können als Merkmale der „Entdistanzierung“85 der Medien betrachtet
werden, wobei sich die Autoren der Medientexte über populäre Musik nach junger
Leserschaft richten.
Markant aber ist, dass es fast keine Okkurenzen im gesammelten Korpus gibt,
in denen Fachlexik eine negative Semantik enthält. Wie oben schon aufgezeigt wurde,
kommen positiv bewertende Lexeme ziemlich häufig vor, was wir als
Hyperbolisierung bezeichnet haben. Die Verteilung der positiven und der negativen
Einheiten kann tabellarisch präsentiert werden:
Tabelle 9. Statistik der Lexeme mit positiver und negativer Bedeutung
unter Bezeichnungen der handelnden Personen
Zahl der Lexeme mit
einer positiven
Bedeutung
Zahl der Lexeme mit
einer negativen
Bedeutung
Bezeichnungen der
einzelnen Emittenten
22
0
Bezeichnungen der
Emittentengruppen
2
1
Bezeichnungen der
Nebenakteure
1
1
Bezeichnungen der
Rezipienten
0
0
Insgesamt
25
2
Die angegebene Statistik beweist, dass der Mediendiskurs populärer Musik eine
Tendenz zur positiven Gestaltung seiner Subjekte aufweist. Wahrscheinlich kann der
84 URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Mumford_%26_Sons/Diskografie
85 s. dazu 1.3.
!55
Gebrauch von positiv konnotierter Lexik dadurch erklärt werden, dass Medien ein
bestimmtes Image der Persönlichkeiten im Text zu schaffen versuchen, und zwar ein
anziehendes Bild der Musiker zu malen, was Medien helfen kann, Leser zu gewinnen.
Die Strebung der Medien nach Lesergewinn begründet sich dadurch, dass die
Mediensprache eng mit der Werbung zusammenhängt. Medientexte werden
absichtlich so verfasst, um etwas zu verkaufen. Im Falle des medialen Musikdiskurses
können es beispielsweise Alben der Musiker oder Konzerttickets sein. Die Schaffung
eines anlockenden Bildes der Subjekte verfolgt also das Ziel, die Meinung der
Leserschaft zu bilden und ein positives Image der Musiker zu propagieren.
Bezeichnungen der Nebenakteure
Als Nebenakteure sind Menschen bezeichnet, die den Bereich populärer Musik
in gewissem Sinne gewährleisten. Dazu gehören Produzenten, Labels,
Musikzeitungen usw.
Die Lexeme in dieser Subklasse lassen sich klar gruppieren, was in folgender
Tabelle aufgezeigt wird:
Tabelle 10. Klassifikation der Nebenakteure im Diskurs populärer Musik
Arten der Nebenakteure
Lexeme
Hersteller der CDs
der Produzent, das Label, der LabelManager, der Label-Boss, die
Plattenfirma, der Plattenmanager, die
Managerin
Songwriter (wenn der Musiker bzw. die
Musikerin die Texte nicht selbst verfasst)
der Songwriter-Partner, der CoSongwriter, das Songwriter-Team
Konkurrenz
der Konkurrent
Medien
das Musikblatt, der Popredakteur,
der Feuilletonchef, der Sender, der
Kritiker
Nur ein Lexem passt in die angeführte Gliederung nicht ein. Das Lexem das
Musikbiz (analog zum Lexem das Showbiz, das aus dem Englischen entlehnt wurde
!56
und ‘show business’ bedeutet) bezeichnet die Musikindustrie, d.h. einen Raum, wo
Emittenten und Nebenakteure interagieren.
Auch in dieser Subklasse finden Komposita weiten Gebrauch. Einerseits sind es
Zusammensetzungen nach dem Modell „Name des Herstellers + Bezeichnung des
Herstellers“, wie das EMI-Label, das Motown-Label etc., andererseits gibt es Lexeme,
die nach dem Modell „Name des Herstellers / der Band / des Genres + Name des
Berufs“ gebildet werden, wie der Beatles-Produzent, der Bassmusic-Produzent, der
Rockproduzent etc.
Was bewertende Lexeme angeht, sind bei der Analyse des Korpus zwei
Okkurenzen aufgetaucht, eine Einheit mit positiver und eine mit negativer Semantik:
das Major-Plattenlabel und das Verramsch-Label.
Das eine Lexem betont den Erfolg des Labels, während das andere den Nachteil
des Labels in den Vordergrund zieht: die erste Wurzel des Lexems das VerramschLabel stammt vom umgangssprachlichen Verb verramschen ‘sehr billig, unter seinem
Wert verkaufen’86.
Bezeichnungen der Rezipienten
Mit Rezipienten werden alle Personen bezeichnet, an die sich die Musiker
richten. Im Allgemeinen werden Rezipienten in Medien fast nicht beleuchtet, da
Medientexte über populäre Musik primär von Musikern bzw. Musikerinnen und ihrer
Tätigkeit handeln.
Unter Rezipienten tauchen folgende lexikalische Einheiten auf: der Fan, der
Hörer, der Zuhörer. Im gesammelten Korpus wurde nur ein Kompositum gefunden,
das als eine spezifizierte Art des Fans verstanden werden kann, und zwar der
Schlagerfan.
86 URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/verramschen
!57
2.2.2 Bezeichnungen der Produkte der Tätigkeit
Als Produkte musikalischer Tätigkeit verstehen wir musikalische Werke in allen
Formen: einzelne Lieder, ganze Alben und auch Konzerte. Somit lässt sich die Klasse
der Produkte folgendermaßen gliedern: einzelne Produkte, Produktensammlungen und
„Live“-Produkte.
Bezeichnungen einzelner Produkte
Zu den Bezeichnungen einzelner Produkte zählen wir alle einzelnen
musikalischen Werke. Im Rahmen dieser Subklasse können auch mehrere Unterarten
unterschieden werden:
• allgemeine Nominationen der Produkte: das Werk, das Lied, das Stück, der
Song, die Single, die Singleauskopplung, der Track, die Nummer;
• Bezeichnungen der Lieder, die bei der Albumherstellung entstehen: das
Sample, das Demo, der/das Outtake;
• Bezeichnungen der Liedervariationen: das Original, das Cover, die
Coverversion, die Version, die Variante, die Variation;
• Bezeichnungen der Werke, die ihre Reihenfolge bestimmen (auf einem
Album oder im Konzert): das Eröffnungslied, der Album-Opener, der
Schlusstrack, der Show-Opener, die Schlussnummer;
• Bezeichnungen des Hauptstücks eines Albums oder eines Films: das
Titelstück, der Titelsong, das Titelthema;
• Werke, die Phasen des Schöpfungsprozesses bezeichnen: der Erstling, das
Spätwerk;
• Bezeichnungen der „Liedermischungen“: das Medley, das Musik-Medley,
die Compilation.
Als zentrales Produkt musikalischer Tätigkeit und Oberbegriff für alle
Unterarten kann das Lexem das Lied gelten. Die Gegenüberstellung von Lexemen das
Lied und der Song spiegelt sich in einem abgesonderten Paragraphen, was sich durch
!58
mehrseitige semantische Relationen zwischen den Lexemen erklärt.
Das Lexem das Werk stellt dabei ein Hyperonym für alle Produkte der Kunst
dar:
das Werk ‘3a. Produkt schöpferischer Arbeit’
Im Kontext aktualisiert sich die Bedeutung des angeführten Lexems
generalisierend:
Konkordanz (6)
Konkordanz (7)
Abgehört > Neue CDs: Kanye West, Interview mit Konstantin Gropper
Animal Collective, Motorpsycho
"30STM sind mir fast zuwider"
Man kann es also unangemessen finden,
dass West sein neues Werk vergangene
Woche mit einem 160-Dollar-pro-TicketSpektakel im New Yorker Madison Square
Garden präsentierte, und das Ganze, samt
Fashionshow seines eigenen Labels und
Performance von Künstlerin Vanessa
Beecroft, dann auch noch in alle Welt
streamen ließ.
Und so suchte er sich für sein neuestes
Werk eines der am meisten - wenn nicht
sogar das am häufigsten besungene Thema
heraus.
Wie unter Emittenten gibt es auch innerhalb der Subklasse der Produkte viele
bewertende Fachwörter, einige davon sind Okkasionalismen, andere aber sind schon
in lexikografischen Quellen dargestellt. Zu den kodifizierten Lexemen gehören das
Meisterwerk, der Hit und der Nummer-eins-Hit, die letzten zwei sind im DudenOnline als umgangssprachlich markiert:
der Hit ‘1. (umgangssprachlich) besonders erfolgreiches Musikstück,
häufig gespielter Titel moderner Musik’
!59
der Nummer-eins-Hit ‘(umgangssprachlich) Musikstück, das den
Spitzenplatz einer Hitliste oder Hitparade belegt [hat]’
Wahrscheinlich wird diesen Fachwörtern Umgangssprachlichkeit
zugeschrieben, weil sie aus dem Englischen entlehnt wurden. Es gilt aber
anzumerken, dass der Hit nicht nur einzelne Lieder, sondern auch ganze Alben
bezeichnen kann.
Die Wurzel Hit zeigt Wortbildungsproduktivität auf und bildet folgende
Okkasionalismen: der Turbo-Hit, der Instant-Hit, der Ringelpietz-Hit.
Das Lexem der Turbo-Hit enthält ein Intensivierungspräfix Turbo, das dem
Text expressive Färbung zugibt und das Bild des Musikers im Kontext positiv bemalt:
Konkordanz (8)
Fleetwood Mac
Weltmeister in schlechter Laune
Der Turbo-Hit "Rumours", der bis heute mehr als 40 Millionen Mal verkauft wurde und
noch immer auf Rang sechs der bestverkauften Alben aller Zeiten thront, war - was die
Songtexte angeht - eine Sammlung von Abrechnungen, Schuldzuweisungen und
Liebesklagen. Bester Stoff für eine Seifenoper.
Der erweiterte Kontext lässt uns annehmen, dass ein Hit erst dann zu einem
Turbo-Hit wird, wenn er so viel geleistet hat wie das Album von Fleetwood Mac.
Der Okkasionalismus der Instant-Hit benennt ein Lied, das sehr schnell zu
einem Hit geworden ist, was an der Wurzel „Instant“ (eng. instant ‘sofortig,
blitzschnell’) erkannt werden kann:
Konkordanz (9)
Pop-Ironiker Neil Hannon
Wenn Napoleon schmollt
Auch ein veritabler Broadway-Gassenhauer ist mit "Funny Peculiar" dabei, ebenso wie
Hannons Versuch eines Chansons - alles melodische, fein gearbeitete Instant-Hits, mit
denen Hannon sehr altmodisch und sehr schrullig die Tradition britischen Songwritings
verteidigt - von Beatles bis Bevis Frond.
!60
Auch wie im Rahmen der Klasse der handelnden Personen bilden
Bezeichnungen der musikalischen Produkte Komposita nach den folgenden Modellen:
• „Name des Emittenten“ + „Bezeichnung des Produkts“: die Beatles-Single,
der Beatles-Song, der Beatles-Klassiker, der Chuck-Berry-Song, der
Lambchop-Song, der Billy-Paul-Hit, der David-Bowie-Tribut, die GagaHymne;
• „Bezeichnung der Richtung“ + „Bezeichnung des Produkts“: das RetroSample, die Country-Swing-Nummer, die Rock'n'Roll-Hymne, der Jazztitel,
die Country-Folk-Ballade, das Hip-Hop-Manifest.
Bezeichnungen der Produktsammlungen
Zu Produktsammlungen gehören „Sammlungen“ von Liedern, d.h. Aufnahmen
mehrerer Lieder in einem Stück (z.B. auf einer CD).
Innerhalb dieser Subklasse lassen sich mehrere Unterarten finden, die nach
unterschiedlichen Merkmalen abgesondert werden:
• Bezeichnungen der Tonträger: die CD, die Platte, die Vinylplatte, die
Langspielplatte;
• Bezeichnungen der Studioalben: das Album, die EP, die Box, das Set;
• Bezeichnungen der Aufnahmen von Konzerten: der Konzertmitschnitt, die
Konzertaufnahme, das Live-Album;
• Andere Bezeichnungen: das Repertoire, der Soundtrack, die Begleitmusik,
das Demotape.
Markant ist die Gruppe der Bezeichnungen der Tonträger, da die Lexeme
innerhalb dieser Gruppe im Kontext in erster Linie nicht den Tonträger, sondern ein
Album, das auf den Tonträger aufgenommen wurde, bezeichnet. Dieser These folgend
lässt sich feststellen, dass es sich in diesem Fall um eine metonymische Übertragung
handelt.
Unter Produktsammlungen stellt das Album den zentralen Begriff dar, weil von
!61
diesem Lexem viele Komposita gebildet werden. Meistens werden Alben nach Genres
differenziert, aber sie können außerdem nach dem Ort der Aufnahme, nach der Phase
im Schöpfungsprozesses des Musikers und nach der Form des Albums unterschieden
werden, was in Form einer Tabelle präsentiert werden kann:
Tabelle 11. Hyponyme des Albums
Hyperonym: das Album
Ort der Aufnahme
das Studioalbum, das Live-Album
Phase im
Schöpfungsprozess
das Debütalbum, das Comeback-Album, das
Abschiedsalbum
Form des Albums
das Doppelalbum, die EP, die Box, das Set
Genre des Albums
das Elektro-Album, das Hip-Hop-Album, das ComedyAlbum, das Klassik-Album, das Swing-Album, das
House-Album, das Experimental-Album, das Rap-Album,
das Pop-Album / das Popalbum, das Gospel-Album, das
Electronica-Album, das Synthiepop-Album
Sonstiges
das Tributalbum, das Konzeptalbum, das BlockbusterAlbum
Auffällig ist, dass das Fachwort das Studioalbum (ein Album, das in einem
Studio aufgenommen wurde) sehr selten gebraucht wird. Das Lexem an sich wurde
nie kodifiziert, obwohl es seit Ende 20. Jahrhunderts in der deutschen Sprache
existiert. Diese Situation verdeutlicht sich dadurch, dass das Fachwort das
Studioalbum im System überflüssig wäre, weil es hauptsächlich als Antonym zum
Live-Album verwendet wird, wenn der Ort der Aufnahme betont werden muss. Davon
zeugt der folgende Textabschnitt:
Konkordanz (10)
The Rolling Stones
Neues Album erscheint Anfang Dezember
Die Rolling Stones haben in den vergangenen Jahren mehrere Konzertmitschnitte
veröffentlicht, aber kein Studioalbum.
Im angeführten Kontext wird die Gegenüberstellung das Studioalbum – der
!62
Konzertmitschnitt in den Vordergrund gezogen, da die Band seit langem keine
Studioalben veröffentlicht hat.
Bezeichnungen der „Live“-Produkte
Als „Live“-Produkte werden alle öffentlichen Auftritte bezeichnet. Darunter
finden sich sowohl Gastspielreisen, als auch Auftritte, die im Anschluss an Interviews
stattfinden oder von Sendern organisiert werden. Als „Live“-Produkte wurden
folgende lexikalische Einheiten eingeordnet: die Tour, die Tournee, die Welttournee,
die Mega-Tournee, das Konzert, das Open-Air-Konzert, die Show, der Auftritt, die
Performance, die Musik-Show, der TV-Auftritt.
Auch innerhalb der vorliegenden Subklasse erscheinen bewertende Lexeme,
wie die Mega-Tournee. Diese Einheit enthält das intensivierende Präfix Mega-, das
den Maßstab der Tournee unterstreicht.
Was das Paar die Tournee – die Tour angeht, besteht der Unterschied in der
Konnotation. Einerseits bedeutet die Tournee ‘Gastspielreise von Künstler[inne]n,
Artist[inn]en’87. Andererseits ist die Tour eine polyseme Einheit, die in einer ihrer
Bedeutungen mit dem Lexem die Tournee zusammenfällt, aber die Tour ist wegen der
Kurzform als Fachjargonismus markiert88.
2.2.3 Bezeichnungen der Nebenaspekte der Musik
Zu den Nebenaspekten der Musik gehören unterschiedliche Charakteristiken,
die Musik beschreiben, und auch einige praktische Aspekte der Ausstattung:
• Charakteristika der Stimme: der Gesang, der Sprechgesang, die Stimme, die
Soulstimme, die Harmonie, die Vokalharmonie, die Engelsstimme, der
Beach-Boys-Gesang, das Falsett, der Falsettgesang, der Bardengesang, der
87 URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Tournee
88 URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Tour#Bedeutung3
!63
Bariton;
• der Klang: der Sound, der Rocksound, der Beatles-Sound, der Clubsound,
der Saxophonsound, der Radiosound, die Soundästhetik, der Klang, das
Klang-Gemälde, das Klangambiente, das Klangkaleidoskop, die
Klangsignatur, der Klangkern, der Synthie-Klang, der Achtzigerjahreklang;
• die Melodie: die Melodie, die Piano-Melodie, die Klaviermelodie, die
Gitarrenmelodie, die Folkmelodie, die Country-Soul-Melodie, Klavierparts,
der Beat, der Retro-Beat, der Swingbeat, der 7/8-Takt, das Tempo, das
Stakkato, der Refrain, der Retro-Beat, die Bassfigur, das Cohen-Motiv, die
Orgel-Exposition, das Arrangement;
• audiale Effekte: der Hall-Effekt, der Echo-Effekt, der Autotune-Effekt, der
Soundeffekt, der „Music“-Effekt (Madonna), der Vocoder-Effekt, die
Looping-Technik;
• visuelle Ausstattung: der Video-Zusammenschnitt, der Clip;
• Komponenten des Albums: das Albumcover, das Album-Artwork, das
Klappcover;
• Komponenten des Liedes: der Text, der Rock-Text, der Pop-Text, der RapText, der Songtext, der Songtitel, das Intro, die Songskizze, der HouseEntwurf, die Songstruktur.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es auf die Charakteristika des Klanges
und der Stimme im Medientext ein großes Gewicht gelegt wird. Die Mehrzahl von
Fachwörtern aus dieser Subklasse kann als Beleg betrachtet werden, dass auch
Medientexte, die sich auf breites Publikum ausrichten, fachliche Sachverhalte
entfaltet präsentieren. Als Beispiel dafür kann folgender Auszug angeführt werden:
!64
Konkordanz (11)
Abgehört - neue Musik
Die hohle Entertainment-Show
Ein Va-Banque-Spiel, das Lambchop mit dem 18-minütigen Schlusstrack "The Hustle"
nachhaltig für sich entscheiden: Über fünf Minuten baut sich ein kleinteiliges Geflecht
aus elektronischen Stakkatos und hart angeschnittenen Flötentönen auf, ehe der BassSynthesizer in die Magengegend drückt und alles in eine samtene Kakophonie zerfließt.
Außerdem muss angemerkt werden, dass diese Klasse einige Kurzformen
aufweist: das Albumcover – das Cover, der Songtext – der Text. Das Fachwort das
Cover stellt somit ein polysemes Lexem dar: einerseits bezeichnet es eine
Coverversion eines Liedes, andererseits – ein Albumcover. Die aktualisierte
Bedeutung ist im Kontext der sprachlichen Umgebung nach nachvollziehbar, da es
sich um prinzipiell verschiedene Bereiche handelt.
2.2.4 Bezeichnungen der Musikinstrumente
Unter Musikinstrumenten unterscheiden wir eigentliche Instrumente und eine
Gruppe der zusätzlichen Sounds, die bei der Aufnahme der Musik gebraucht werden.
Zu Musikinstrumenten zählen: die Gitarre, die Bassgitarre, die Flöte, die
Drums, das Keyboard, der Modularsynthesizer, der Bass, das Klavier, die akustische
Gitarre, die Bassdrum, das Saxofon, die Drum-Machine, die Schalmei, die Bläser, der
Gitarren-Synthesizer, die Country-Gitarre, die Orgel, die Fanfaren.
Darunter tauchen auch Okkasionalismen auf, wie die New-WaveSchrabbelgitarre und der Motorpsycho-Bass. Den ersten Teil dieser Komposita bildet
entweder die Bezeichnung der musikalischen Richtung oder der Name des Musikers,
den zweiten – das Instrument.
Als zusätzliche Sounds wurden folgende Lexeme kategorisiert: das Metronom,
die Beatbox, die Riffschleife, die Gitarrenriffs, das Glockenspiel, die Handclaps, das
Klaviergehämmer. Es fällt schwer, diese Gruppe genau zu bezeichnen, weil sie z.B.
Bezeichnungen einzelner Gitarrensounds enthält.
!65
Die Anwesenheit solcher Lexeme zeugt davon, dass der Medientext nicht nur
Nachrichten aus dem „Musikbiz“ vermittelt, sondern auch auf fachliche Einzelheiten
eingeht. Daher kann man schließen, dass Medientexte im Diskurs populärer Musik als
eine besondere Art von Fachtexten gelten.
2.2.5 Bezeichnungen der Richtungen
Innerhalb der Bezeichnungen verschiedener Richtungen gilt es „reine“
Richtungen und Mischungen abzugrenzen. „Reine“ Richtungen werden
normalerweise in einem einfachen Wort zum Ausdruck gebracht: der Rock, der Pop,
der R&B, der Soul, der Gospel, der Industrial, der House, der New Wave, die Klassik,
der Punk, der Jazz, der Post-Hall, der Rock'n'Roll, der Rockabilly, der Techno, der
Pomp.
Im Rahmen dieser Gruppe tauchen aber auch Komposita und Wortgruppen mit
der Komponente Musik auf: die Volksmusik, die House-Music, die Popmusik, die
Bluesmusik, die orchestrale Musik, die klassische Musik.
Eine Ausnahme stellt bei der Klassifizierung das Lexem das HipHop-Genre
dar, das nämlich generalisierend das Genre von Hip-Hop bezeichnet. Das ist am
vorgeschlagenen Kontext erkennbar:
Konkordanz (12)
Abgehört > Neue CDs:
Kanye West, Animal Collective, Motorpsycho
Aufmerksamkeit und Respekt hat West allemal verdient, noch jedes seiner bisherigen
Alben taugte dazu, das HipHop-Genre neu zu definieren.
Unter „reinen“ Richtungen wurden auch Okkasionalismen abgegrenzt: der
Mundharmonika-Blues, der Heartland-Rock, der Schlafzimmer-Soul, der
Ohrwurmpop. Der erste Teil in den angegebenen Komposita charakterisiert
gewissermaßen das Genre. Beispielsweise bezeichnet der Ohrwurmpop eine Menge
einprägsamer Poplieder, während der Schlafzimmer-Soul den Soul als Musik, die eine
!66
intime Atmosphäre schafft, bedeutet.
Zu den Mischungen wurden Lexeme zugeordnet, die aus mehreren Genres
bestehen: der Pop-Rock, der Glam-Rock, der Glam-Pop, der Folk-Pop, der ElektroCountry, der Altermative Country, die elektronische Clubmusik, der Power-ElektroPop, der Country-Pop, die neuere Indie-Rockmusik, der Andachtsfolk, das
experimentelle Elektronik-Genre, der Synthiepop. Dabei ist auffällig, dass gemischte
Genres verschiedenartig benannt werden: es können Komposita und Wortgruppen
sein.
Von den angeführten Beispielen ausgehend kann man schließen, dass populäre
Musik in ihrem heutigen Stand ganz vielfältig ist und sich großen Interesses erfreut.
2.2.6 Bezeichnungen der Massenereignisse
Massenereignisse bezeichnen öffentliche Auftritte der Musiker, die im
Vergleich zu Konzerten im Rahmen einer Veranstaltung stattfinden, an der mehrere
Musiker teilnehmen. Darunter unterscheiden wir folgende Gruppen:
• Wettbewerbe: Eurovision Song Contest;
• Awards: die Brit Awards, die Grammy Awards;
• Festivals: das Michelberger-Music-Festival, das Reeperbahn-Festival, das
Festival „Desert Trip“.
Die Ergebnisse der quantitativen Analyse haben aufgezeigt, dass solche
Ereignisse im Diskurs populärer Musik wenig beleuchtet werden. Das ist vermutlich
mit der Tatsache verbunden, dass die meisten Ereignisse nur einmal pro Jahr
stattfinden.
2.2.7 Bezeichnungen der Leistungen und Preise
Im Rahmen der Subklasse der Leistungen und Preise unterscheiden wir
folgende Unterarten:
!67
• Leistungen: die Verkaufsrekorde, der Bestseller, der Spitzenplatz, der
Triumph, das bestverkaufte Album, die bestverkaufte Single, „die deutsche
Band der Stunde“, die Rekordsumme, die Charts-Rekorde, die TourRekorde, die Pop-Rekorde, der Song dieses Jahrhunderts;
• Ratings: die Charts, die US-Pop-Hitparade;
• Preise: der Musikpreis, der Global Success Award, der Platin Award, der
Platin Jazz Award, der Brit Award, der Brit, die Trophäe;
• Kategorien: die Single des Jahres, der Song des Jahres, die Aufnahme des
Jahres, das Album des Jahres, die beste Musikerin, der beste Song, der beste
R&B-Song, das beste zeitgenössische Album, das beste Rock-Album, das
beste Rap-Album, der beste Rap-Song, die beste Rap-Kollaboration, die
beste Rap-Performance, die beste Pop-Solo-Performance, die beste PopDuo-Performance, das beste Video, der beste Newcomer, das beste PopGesangsalbum, das beste traditionelle Gesangsalbum.
Die angegebenen Beispiele machen deutlich, dass der Diskurs populärer Musik
von der Bewertung gesteuert wird: Musik wird produziert und dann in Charts, Ratings
und auf Award Shows eingeschätzt. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum
es unter Bezeichnungen der handelnden Personen und der Produkte musikalischer
Tätigkeit so viele bewertende Einheiten gibt.
Markant ist auch, dass viele Bezeichnungen der Kategorien Anglizismen
enthalten, was vermutlich durch die Tatsache motiviert ist, dass Award Shows der
Herkunft nach ein Phänomen des englischsprachigen Raums sind. Wegen des
gefestigten Charakters bilden sie stehende Kollokationen.
Als die frequentesten gelten folgende Modelle:
• „X des Jahres“: der Song des Jahres;
• „der/das/die beste X“: das beste Rock-Album.
Die Kennzeichnung des Emittenten bzw. des Produktes des Jahres erklärt sich
dadurch, dass solche Veranstaltungen jährlich organisiert werden. Wenn aber einem
!68
Emittenten oder Produkt die Superlativform „bester/-es/-e“ zugeschrieben wird,
impliziert man auch in diesem Fall einen bestimmten Zeitraum.
2.2.8 Bezeichnungen der Handlungen und Prozesse
Unter Bezeichnungen der Handlungen im Diskurs populärer Musik fanden sich
nur wenige Lexeme, wie das Rappen, das Touren, das Chorsingen, das
Songschreiben, das Songwriting, das Remastering, die Zusammenarbeit, die
Produktion.
Es fällt aber auf, dass nicht alle Handlungen durch substantivierte Infinitive
zum Ausdruck gebracht werden, wobei es auch Entlehnungen aus dem Englischen
(das Songwriting) und Bildungen des Deutschen (die Produktion) gibt.
2.3 Funktionale Analyse der Fachlexik im Diskurs populärer
Musik
Obwohl sich Wortsemantik und kontextuelle Funktionen der Lexeme in einem
engen Zusammenhang befinden und manchmal schwer voneinander abgrenzen lassen,
betrachten wir diese Aspekte getrennt. Innerhalb semantischer Analyse wurde ein
Versuch unternommen, kontextuelle Aktualisierung (also Monosemierung) der
Lexeme zu beobachten und zu untersuchen, während wir im Rahmen funktionaler
Analyse mehr Rücksicht auf die Satz- und Textebenen nehmen und die funktionalen
Effekte analysieren, die die Fachlexik innerhalb eines Satzes, Absatzes bzw. ganzen
Textes schaffen kann.
2.3.1 Exemplarische Analyse: Textbildende Funktion
Wie oben schon diskutiert wurde89, ist die textbildende bzw. thematische
89 s. dazu 1.5.
!69
Funktion ein Mittel zur Unterstützung des Textzusammenhangs, wobei ein
thematisches Netz im Text entwickelt wird. Zur Analyse wird ein Abschnitt aus dem
Artikel über die Brit Awards 2016 vorgeschlagen (Spiegel-Online, Februar 2016), und
zwar die Absätze, in denen es von der Musikerin Adele handelt:
Konkordanz (14)
Adele bei den Brit Awards
Hello again
Pop-Superstar Adele hat bei den Brit Awards abgeräumt. Beim wichtigsten Musikpreis
Großbritanniens wurde die 27-Jährige für "Hello" mit dem Preis für die Single des
Jahres gekürt und gewann zudem die Auszeichnung als beste britische Musikerin, den
Global Success Award und die Trophäe für das Album des Jahres.
Adele, deren Comeback-Album "25" weltweit Verkaufsrekorde gebrochen hat, stach mit
dem Preis als beste Musikerin Amy Winehouse aus, die posthum nominiert war. In ihrer
Dankesrede unterstützte Adele am Mittwoch in London ihre US-Kollegin Kesha (28),
die ihrem Produzenten vor Gericht unter anderem psychischen Missbrauch und sexuelle
Gewalt vorwirft.
In dem angeführten Abschnitt sind die lexikalischen Einheiten durch
Kursivschrift hervorgehoben, die zur Textkohäsion beitragen:
• Hello (eng. 'hallo') ist die Single aus „25“, dem neuen Album von Adele;
• Hello again (eng. 'hallo nochmals') ist der Artikeltitel;
• das Comeback-Album 'ein erfolgreiches neues Album eines Musikers bzw.
einer Musikerin, das nach längerer Pause erscheint' (von das Comeback
'Neubeginn einer Karriere durch erfolgreiches Wiederauftreten nach längerer
Pause'90).
Aus diesem Kontext kann man schließen, dass es zwischen dem letzten und
dem neuen Album der Sängerin eine längere Pause gab und dass das neue Album eine
„Rückkehr“ in die Musikwelt markiert: „21“, das vorige Album, ist im Jahre 2011
erschienen, das Album „25“ – im Jahre 2015 91. Der Titel Hello again 'hallo nochmals'
ist ziemlich anpassend, weil er zum einen auf die erfolgreiche Single „Hello“ Bezug
90 URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Comeback
91 URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Adele_(Sängerin)/Diskografie
!70
nimmt und zum anderen eine „Rückkehr“ mitimpliziert. Die drei Lexeme bilden das
thematische Netz des vorliegenden Artikels, wobei der Titel einen „doppelten“ Bezug
auf den Artikelinhalt nimmt.
Die thematische Funktion wird auch in einer der oben schon diskutierten
Konkordanzen exemplifiziert, nämlich im Artikel über Maximilian Mutzke:
Konkordanz (15)
Max Mutzke
Das Pop-Chamäleon
Vorwärts in Richtung Klassik. Nach Erfolgen in Pop, Soul und Jazz veröffentlicht Max
Mutzke in dieser Woche ein Album mit der NDR Radiophilharmonie: Warum es gut ist,
dass er sich nicht entscheiden kann.
(…) Vielfältigkeit ist sein Ding, der Mann mit der Soulstimme lässt sich nicht in eine
musikalische Schublade einordnen. Er tritt mit der Poptruppe Luxuslärm und der SWR
Bigband auf und hat Anhänger von Schlagerfans bis zu Jazzsnobs. Manche finden
seinen Jazztitel "Piano Man" im Trio mit dem Drummer Wolfgang Haffner großartig;
viel mehr Menschen kennen sein "Can't Wait until Tonight", mit dem er Deutschland
2004 beim Eurovision Song Contest in Istanbul vertrat. Dorthin schaffte es der Sänger
über Stefan Raabs Pro-Sieben-Show "TV Total". Ein ungewöhnlicher Karrierebeginn.
Die meisten Gewinner von Casting-Wettbewerben verschwinden nach kurzer Zeit
wieder in der Versenkung; Mutzke aber etablierte sich anhaltend in der Popszene. (…)
(…) Nach der Jazz-Platte und dem wieder soulig-poppigen Studio-Album "Max" macht
Mutzke nun eine neue Erfahrung: Die Zusammenarbeit mit der NDR
Radiophilharmonie auf "Experience". Für das große Orchester arrangierte Dirigent
Enrique Ugarte Mutzkes bekannteste Songs und Coverversionen wie den Billy-Paul-Hit
"Me and Mrs. Jones". Großes Kino für eine große Stimme! Nach Erfolgen in Pop und
Jazz nähert sich Max Mutzke nun der Klassik. "Die aufwendige Zusammenarbeit mit
dem grandiosen Orchester", sagt Mutzke, "war ein wunderbares Erlebnis und meine
bislang größte Herausforderung." (…)
Kursiv gestellt sind Lexeme, die ein thematisches Netz der Vielfalt darstellen.
Im vorgeschlagenen Auszug handelt es sich um den Musiker Maximilian Mutzke, der
Musik in mehreren Genres schreibt (Pop, Soul, Jazz und Funk). Der Artikel erzählt,
dass Mutzke an einem klassischen Album zusammen mit der NDR
Radiophilharmonie arbeitet.
Das Motiv der Vielfältigkeit wird von folgenden Lexemen unterstützt:
• von Fachwörtern, die verschiedene musikalische Richtungen bezeichnen
(auch Adjektive): die Klassik, der Pop, der Soul, der Jazz, soulig-poppig;
!71
• von Fachwörtern, die Emittentengruppen aus verschiedenen Genres
benennen: die Poptruppe, die Bigband, das Orchester;
• von Fachwörtern, die Rezipienten – Anhänger unterschiedlicher
musikalischer Genres – bezeichnen: die Schlagerfans, die Jazzsnobs;
• von Fachwörtern, die Produkte musikalischer Tätigkeit bezeichnen: der
Jazztitel, die Jazz-Platte, der Song (meistens ein Pop-Song, zumindest kein
klassisches Werk), die Coverversion (bezieht sich meistens auf Pop-, Rockoder Jazz-Musik), der Billy-Paul-Hit (Billy Paul ist ein amerikanischer
Soul-Sänger92);
• vom Fachwort die Popszene, das den Bereich des Pop bezeichnet;
• vom okkasionellen Fachwort das Pop-Chamäleon, das im Titel steht und in
dem eine Metapher steckt: Max Mutzke wechselt seine Musik wie ein
Chamäleon.
Die angeführten Fachwörter unterstützen das Thema im vorliegenden Artikel
und tragen zur Textkohärenz bei.
2.3.2 Exemplarische Analyse: Pragmatische Funktion
Die pragmatische Funktion greift auf die extralinguistischen Faktoren, d.h. auf
die Situation, ein. Die Realisierung dieser Funktion wird am Beispiel der Lexeme der
Pop-Star und der Pop-Superstar dargestellt.
der Pop-Star 'erfolgreicher Künstler auf dem Gebiet der Popmusik'
Der folgende Textabschnitt stammt aus dem Musikkanal „Laut.de“:
92 URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Billy_Paul
!72
Konkordanz (16)
Man wollte einen Pop-Star aus mir machen
Da waren Dutzende Leute um mich herum, die mich und meine Musik formen wollten.
Man wollte einen Pop-Star aus mir machen. Aber schau mich an. Sehe ich aus wie ein
Pop-Star? Nicht wirklich, oder?
Eliot Sumner, die interviewte Sängerin in dem vorliegenden Artikel, nimmt
einen direkten Bezug auf ihr Aussehen, indem sie dem Interviewer eine Frage stellt.
Aus diesem Kontext lässt sich schließen, dass die Sängerin wie kein Pop-Star aussieht
oder zumindest meint, dass sie wie kein Pop-Star aussieht.
In diesem Abschnitt wird also impliziert, dass Pop-Stars ein typisches Aussehen
haben, und zwar unterscheidet es sich von dem Aussehen der interviewten Musikerin,
die auf Bild 1 zu sehen ist.
Bild 1.
!
Bild 1 zeigt Eliot Sumner: die Sängerin sieht etwas knabenhaft aus, sie
schminkt sich selten und lächelt fast nicht. Aufgrund des Gesagten kann angenommen
!73
werden, dass Pop-Stars schicke und modische Kleidung und viel Kosmetik tragen und
viel lächeln.
Im nächsten Textabschnitt aus dem „Spiegel-Online“ handelt es sich um Lady
Gaga und ihr Album „Joanne“:
Konkordanz (17)
Neues Album "Joanne"
All-American Gaga
Erstmal umarmen. "I'm a hugger, I hug everybody", sagt Lady Gaga, während der
Reporter noch mit seiner Contenance ringt: Wurde man wirklich gerade von einem
Pop-Superstar geherzt? Wurde man. Dafür hat sich doch das zwei Stunden lange
Warten auf den Beginn des Interviews gelohnt. Oder?
Unter dem Pop-Superstar wird Bezug auf Lady Gaga genommen. Der
vorliegende Kontext, insbesondere die Frage des Autors „Wurde man wirklich von
einem Pop-Superstar geherzt?“, stellt sein Erstaunen dar, und zwar auf mehreren
Ebenen:
• syntaktisch wird das Erstaunen durch eine Bestätigungsfrage zum Ausdruck
gebracht;
• lexikalisch trägt dazu das Adverb wirklich bei.
Dass der Interviewer die Umarmung nicht erwartet hat, ist ein Zeugnis davon,
dass es nicht typisch von Pop-Superstars ist, den Interviewer zu umarmen, denn das
Interview als Textsorte gehört zur öffentlichen Kommunikation. Man umarmt
normalerweise seine Familienmitglieder und Freunde, d.h. Umarmungen sind dem
privaten Bereich zuzuordnen. Superstars haben nämlich ein typisches Benehmen bzw.
eine typische Haltung. Da sich der Interviewer wegen der Umarmung verehrt fühlt,
kann angenommen werden, dass Superstars von ihren Fans als etwas Unerreichbares
empfunden werden. Ein Superstar ist nämlich zunächst eine Persönlichkeit und erst
dann ein Mensch.
Die diskutierten Beispiele lassen feststellen, dass Pop-Stars nicht nur durch
ihren Erfolg ausgezeichnet werden, sondern auch ein typisches Aussehen und eine
!74
typische Haltung haben.
2.3.3 Exemplarische Analyse: Emotional-expressive Funktion
Die emotional-expressive Funktion ist besonders für Medientexte
charakteristisch, da sie zum expressiven Gebrauch tendieren, um die Leser
gewissermaßen zu „unterhalten“.
Wie oben angemerkt wurde, wird Expressivität mehreren lexikalischen Mitteln
aus Fachsprachen zugeschrieben, nämlich den Fachjargonismen und den
Entlehnungen93. Dazu können auch Okkasionalismen und umgangssprachliche
Einheiten hinzugefügt werden.
Im folgenden Auszug aus dem Spiegel-Artikel über Fleetwood Mac realisiert
sich die expressive Funktion durch einen Okkasionalismus:
Konkordanz (18)
Fleetwood Mac
Weltmeister in schlechter Laune
Der Turbo-Hit "Rumours", der bis heute mehr als 40 Millionen Mal verkauft wurde und
noch immer auf Rang sechs der bestverkauften Alben aller Zeiten thront, war - was die
Songtexte angeht - eine Sammlung von Abrechnungen, Schuldzuweisungen und
Liebesklagen. Bester Stoff für eine Seifenoper.
Das Lexem der Turbo-Hit mit dem Intensivierungspräfix Turbo- und die
Kollokation die bestverkauften Alben mit der Hinzufügung „aller Zeiten“ (was als
redundant empfunden werden kann) schaffen im Kontext das Bild eines erfolgreichen
Albums. Dazu tragen auch die Daten der Statistik („mehr als 40 Millionen Mal“, „auf
Rang sechs der bestverkauften Alben“) und das Verb thronen bei, das eine Metapher
bildet: das Album „Rumours“ ist ein „König“ unter musikalischen Alben.
93 s. dazu 1.6.
!75
2.4 Diskurslinguistische Analyse der Lexeme das Lied und der
Song
Die Lexeme das Lied und der Song sind einige von den lexikalischen
Einheiten, die im Diskurs populärer Musik am häufigsten vorkommen, wovon die
Ergebnisse der Frequenzanalyse zeugen.
Im digitalen Korpus der Zeitung „die Zeit“ in Jahren 2014-2016 gibt es 2407
Treffer für das Lied94 und 4405 Treffer für der Song95. Bei der Google-Suche auf
deutschsprachigen Webseiten (Operator ‘site:de’) haben sich über 4 Mio. Treffer für
das Lied 96 und fast 6 Mio. Treffer für der Song 97 ergeben. Das Korpus der
vorliegenden Masterarbeit enthält nur 18 Konkordanzen vom Lexem das Lied und 85
Konkordanzen vom Lexem der Song aus insgesamt fast 600 Konkordanzen des
Korpus.
Von den angeführten Daten ausgehend kann geschlossen werden, dass die
beiden Lexeme Schlüsselwörter im Diskurs populärer Musik bilden. Wie es schon
festgestellt wurde98, sind Lieder und Songs sowie Alben primäre Produkte der
musikalischen Tätigkeit, von denen Medientexte handeln. Die angegebenen Zahlen
zeigen auch, dass das Lexem der Song öfter im Kontext erscheint, als das Lexem das
Lied. Im Prinzip kann voraussichtlich angenommen werden, dass die Popularität des
entlehnten Lexems mit der Mode auf Englisch zu tun hat. Ob diese Hypothese
verifiziert wird, prüft die komparative Analyse.
Auf den ersten Blick scheinen die zwei lexikalischen Einheiten Synonyme zu
sein, da das englische Lexem song ins Deutsche generell als 'Lied' übersetzt wird. Es
94
URL: https://www.dwds.de/r?q=lied&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=kwic&sort=date_asc&limit=10
95
URL: https://www.dwds.de/r?q=song+&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=kwic&sort=date_asc&limit=10
96
URL: https://www.google.ru/#newwindow=1&safe=off&q=site:de+%22lied%22
97
URL: https://www.google.ru/#newwindow=1&safe=off&q=site:de+%22song%22
98
s. dazu 2.2.2
!76
ist aber klar, dass absolute Synonymie in Sprachen und insbesondere in Fachsprachen
fast nie stattfindet, was durch Sprachökonomie und die Tendenz zur Exaktheit
verursacht ist.
Der Duden-Online bietet folgende Definitionen an:
das Lied '1. auf eine bestimmte Melodie gesungenes [lyrisches]
(meist aus mehreren gleich gebauten und gereimten Strophen
bestehendes) Gedicht; Melodie, die einem Gedicht unterlegt ist; 2.
epische Dichtung.'
der Song '1. (umgangssprachlich) Lied (der Unterhaltungsmusik o.Ä.);
2. (musikalisch und textlich meist einfaches) einprägsames, oft als
Sprechgesang vorgetragenes Lied mit zeitkritischem,
sozialkritischem, satirischem o. ä. Inhalt.'
Aufgrund der angeführten Definitionen lässt sich feststellen, dass das Lied das
Hyperonym und der Song das Hyponym in diesem Paar ist. Davon zeugt auch
Konkordanzanalyse:
Konkordanz (19)
Konkordanz (20)
Zum Tode George Martins
Der fünfte Beatle
Pop-Ironiker Neil Hannon
Wenn Napoleon schmollt
1996 wurde George Martin zum Ritter
geschlagen, im Jahr darauf produzierte er
gemeinsam mit Elton John dessen
modifizierte Version des Songs "Candle In
The Wind" zu Ehren von Prinzessin
Diana.
So entstand eine ganze Reihe trübseliger
Lieder, in denen Hannon seinem
selbstmitleidigen Schmollen hemmungslos
freien Lauf ließ.
In den vorliegenden Konkordanzen aktualisieren sich die
Wörterbuchdefinitionen: in Konkordanz (19) handelt es sich um einen populären Song
von Elton John, während in Konkordanz (20) Lieder im Allgemeinen gemeint
!77
werden.
Vorhanden sind aber auch Konkordanzen, in denen beide Lexeme innerhalb
eines Textes oder auch eines Satzes vorkommen. Es wurde voraussichtlich vermutet,
dass sich der Gebrauch beider lexikalischen Einheiten in einem Mikrokontext durch
den stilistischen Ersatz begründet, um lexikalische Wiederholungen in unmittelbarer
Nähe zu vermeiden. Diese Hypothese hat sich jedoch nicht verifiziert, was an den
folgenden Textauszügen zu erkennen ist:
Konkordanz (21)
Roll over Beethoven
(…) Eine alte Country-Swing-Nummer von Bob Wills, „Ida Red“, hat er sofort in einen
klassischen Chuck-Berry-Song verwandelt: „Maybellene“.
(…) 1972 schließlich schaffte er es auch zugleich, die Topposition der US-PopHitparade und der britischen Charts zu besetzen, mit einem schmutzigen Liedchen
namens „My Ding- a-Ling“.
(…) Die ersten Langspielplatten der Beatles und der Rolling Stones waren gespickt mit
seinen Liedern: „Roll Over Beethoven“, „Rock And Roll Music“ oder „Carol“,
„Around And Around“, „You Can’t Catch Me“.
Die vorliegenden Kontextstellen sind einem Artikel über Chuck Berry
entnommen und stellen alle Gebrauchsfälle der zu untersuchenden Lexeme innerhalb
des Artikels dar. Aufgrund davon kann eine nominative Kette erstellt werden: der
Chuck-Berry-Song — das Liedchen — die Lieder. Mittels dieser nominativen Kette
kann der Gebrauch dieser oder jener lexikalischen Einheit begründet werden.
Die lexikalische Einheit die Lieder aktualisiert sich in diesem Fall als Synonym
zum Lexem der Song in der Bedeutung ‘populäres Lied’.
Markant ist das Lexem das Liedchen, das mithilfe eines Diminutivsuffixes
gebildet wird. Die Korpussuche hat keine Konkordanzen aufgezeigt, in denen die
Wurzel Song derivationsproduktiv auftreten würde. Vom Lexem der Song werden
viele Komposita gebildet (z.B. der Titelsong, das Songwriting, der Songschreiber),
aber keine Ableitungen. Vermutlich kann man das dadurch erklären, dass die Einheit
der Song aus dem Englischen stammt und die Verbindung mit der Herkunftssprache
!78
noch ziemlich stark im sprachlichen Bewusstsein eingeprägt ist.
Die Hinzufügung des Diminutivsuffixes -chen ist in diesem Kontext als
funktional bedingt zu betrachten, da das Lexem das Liedchen die pragmatische
Funktion des Ausdrucks von der Meinung des Autors erfüllt, wobei das Fachwort das
Denotat unterschätzt oder humoristisch benennt (es ist also nicht ausgeschlossen, dass
die satirisch-humoristische Funktion im angeführten Kontext mitrealisiert wird).
Was die Zusammensetzung der Chuck-Berry-Song angeht, die einen Song von
Chuck Berry bezeichnet, ist es bemerkenswert, dass Bildungen nach dem Modell
„Name des Musikers“ + „Song“ eine hohe Frequenz aufweisen. Als weitere Beispiele
für dieses Wortbildungsmodell können der Beatles-Song, der Matthias-Reim-Song
und der Lambchop-Song genannt werden. Dabei ist wichtig anzumerken, dass solche
Komposita nur mit Namen englischsprachiger Musiker gebildet werden; infolge des
Gesagten kann man annehmen, dass die Wahl des Lexems von der Herkunft des
jeweiligen Musikers abhängen kann.
Die nächsten Konkordanzen lassen diese Hypothese konkretisieren:
Konkordanz (22)
Konkordanz (23)
The Rolling Stones
Neues Album erscheint Anfang
Dezember
Ziemlich beste Songwriter
Schließlich liefert Bosse seit über 15
Jahren wunderbare, anrührende und
Der französischen Zeitung "Le Figaro" bezirzende Songs ab.
hatte Was gesagt, die Stones hätten die
Lieder an nur drei Tagen eingespielt.
In Konkordanz (22) handelt es sich um die englischsprachige Band die Rolling
Stones und um ihre Lieder, während in Konkordanz (23) Bosse, ein Musiker aus
Braunschweig, mit seinen Songs thematisiert wird. Man kann außerdem annehmen,
dass Songs in Konkordanz (23) auch Lieder generell bedeuten können.
Den diskutierten Thesen zufolge kann die Herkunft des Musikers die Wortwahl
nur in dem Fall bestimmen, wenn es um Komposita mit englischsprachigen Namen
geht. Das kann sich wahrscheinlich dadurch verdeutlichen, dass englische Namen mit
!79
Entlehnungen aus dem Englischen kombinierbar sind.
Der folgende Textabschnitt stammt aus einem Artikel über Sting und stellt einen
interessanten Fall dar:
Konkordanz (24)
Sting eröffnet das "Bataclan" neu
„Dieses Lied ist für ihn [James Foley, amerikanischer Journalist], seine Familie und alle
Familien, die an jenem Abend einen geliebten Menschen verloren haben", sagt der
Sänger [Sting], und singt den Song "The Empty Chair".
Im angegebenen Kontext tauchen beide Lexeme in einem gemeinsamen
Mikrokontext auf, was durch den Wechsel der Gesprächssituation verursacht wird: der
Musiker widmet sein Lied einem Journalisten, indem er sich in einer nichtfachspezifischen sprachlichen Dimension befindet und sich auf ein breites Publikum
wendet, während der Autor des Artikels ein fachliches Phänomen (eine besondere Art
des Lieds) bezeichnet und den fachlichen Zusammenhang des Textes „webt“.
Von dem Gesagten ausgehend, ist Folgendes zu schließen: Lexeme das Lied
und das Song können in unterschiedliche Beziehungen miteinander treten.
Systematisch werden sie als Hyperonym und Hyponym eingeschätzt. Im Laufe
kontextueller Monosemierung zeigen sich aber auch Synonymiefälle, wobei das Lied
in der Bedeutung ‘Song, populäres Lied’ im Kontext auftritt. Es gilt daher in diesem
Zusammenhang über kontextuelle Bedeutungsverengung der Einheit das Lied zu
sprechen. An dieser Stelle lässt sich aber noch nicht eindeutig feststellen, ob ein
gegenläufiger Prozess — kontextuelle Bedeutungserweiterung der Einheit der Song
— stattfindet. Die diskutierten Prozesse besagen die Dynamik der Wortsemantik im
Kontext.
Wie es oben schon demonstriert wurde, zeigt die Wurzel Song einen hohen
Grad an Wortbildungsproduktivität. In diesem Zusammenhang sind folgende
Komposita von besonderem Interesse: der Liederschreiber, der Songschreiber, der
Songwriter. Ohne Wörterbuchdefinitionen anzuführen, können wir keine prinzipiellen
!80
Unterschiede in der Semantik auffinden. Der offenbare Unterschied liegt in der
Herkunft der Lexeme, wobei der Liederschreiber — ein deutsches Wort, der
Songwriter — eine Entlehnung und der Songschreiber — eine teilweise
Lehnübersetzung darstellt.
Der Duden-Online bietet eine Definition nur dem Lexem der Songwriter an:
der Songwriter ‘jemand, der Texte [und Melodien] von Songs
schreibt’
Im Duden-Artikel zu der Songschreiber wird als Definition ‘Songwriter’
angegeben99.
Das Lexem der Liederschreiber wurde in der deutschen Sprache nicht fixiert,
infolgedessen kann die Einheit als eine okkasionelle Verdeutschung eines entlehnten
Fachwortes betrachtet werden.
Den Definitionen nach kann man feststellen, dass die Einheit der Songwriter
ins Deutsche entlehnt wurde und als dominierend in der angeführten Reihe betrachtet
werden kann.
Da die aufgezählten Fachwörter als synonym empfunden werden, gilt es, ihren
Gebrauch zu analysieren. Die Ergebnisse quantitativer Analyse lassen uns schließen,
dass das verdeutschte Fachwort der Liederschreiber wenig verbreitet ist: das digitale
Korpus der Zeitung "Die Zeit" in Jahren 2014-2016 hat nur einen Treffer
aufgewiesen100, während es bei der Google-Suche auf deutschsprachigen Webseiten
5420 Konkordanzen gefunden waren101.
Das Lexem der Songschreiber bildet eine Art Zwischenstufe, denn sie enthält
eine entlehnte und eine deutsche Wurzel. Es wird häufiger als der Liederschreiber
99
URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Songschreiber
100
URL: https://www.dwds.de/r?q=liederschreiber&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=kwic&sort=date_asc&limit=10
101
URL: https://www.google.ru/#newwindow=1&safe=off&q=site:de+%22liederschreiber%22
!81
verwendet: 133 000 Treffer bei der Google-Suche auf deutschsprachigen Webseiten102,
91 Treffer im digitalen Korpus „der Zeit“ 103. Innerhalb semantischer
Konkordanzanalyse hat sich folgender Kontext ergeben:
Konkordanz (25)
Tour und Album
Depeche Mode gehen 2017 auf Welttournee
Die Band wolle aber nicht zu viel verraten, sagte Gitarrist und Songschreiber Martin
Gore.
Am angeführten Gebrauchskontext sind keine spezifischen Elemente der
Bedeutung zu beobachten, deswegen kann der Songschreiber als ein DenglischSynonym von der Songwriter eingeordnet werden.
Die entlehnte Einheit der Songwriter weist einen höheren Grad an
Gebräuchlichkeit auf: über 2 Mio. Treffer bei der Google-Suche104, 170 Treffer im
digitalen Korpus „der Zeit“ 105.
Der Gebrauchsunterschied lässt sich an folgender Konkordanz aus einem
Artikel des „Zeit“-Korpus über die Castingshow „Dein Song“ des Kinderkanals von
ARD und ZDF erkennen:
102
URL: https://www.google.ru/?
gfe_rd=cr&ei=uOotWYSGEeGD7gSM0JOYCQ&gws_rd=ssl#newwindow=1&safe=off&q=site:de+
%22songschreiber%22
103
URL: https://www.dwds.de/r?q=songschreiber&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=kwic&sort=date_asc&limit=10
104
URL: https://www.google.ru/#newwindow=1&safe=off&q=site:de+%22songwriter%22+
105
URL: https://www.dwds.de/r?q=songwriter&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=kwic&sort=date_asc&limit=10
!82
Konkordanz (26)
18-Jährige gewinnt Kika-Castingshow "Dein Song"
Victoria kann sich "Songwriterin des Jahres" nennen und gewann 5000 Euro. Die
Dortmunderin sang ihr Liebeslied mit deutschen Strophen und englischem Refrain
zusammen mit ihrem prominenten Paten Mark Forster. Er habe geahnt, dass Victoria
gewinnen werde, erklärte Forster. Ihr Song sei ein echter Ohrwurm. Acht junge
Liederschreiber im Alter von zehn bis 18 Jahren hatten es ins Finale geschafft.
Im angeführten Kontext kann der Gebrauch des Fachwortes die Songwriterin
durch den stehenden Charakter der Kollokation die Songwriterin des Jahres
verdeutlicht werden. Diese Kollokation wird in die semantische Klasse der
Leistungen und Preise eingeordnet, die größtenteils aus dem Englischen stammen und
englische Wurzeln daher beibehalten.
Der Gebrauch des Lexems der Liederschreiber ist wahrscheinlich durch die
Herkunft der Teilnehmer von der Casting-Show motiviert: da die Show in
Deutschland gesendet wird und ihre Teilnehmer deutsche Bürger sind, wird auch eine
verdeutschte Bezeichnung verwendet.
Dazu noch existiert das Fachwort der Singer-Songwriter, das ein besonderes
„Genre“ des Sängers bezeichnet:
der Singer-Songwriter ‘jemand, der Lieder singt,
die er selbst komponiert und getextet hat’
Dadurch entsteht eine klare Grenze zwischen der Songwriter und der SingerSongwriter: während ein Songwriter nicht unbedingt mit seinen Texten bzw. Melodien
selbst auftritt, gilt es als eine Voraussetzung für einen Singer-Songwriter. Den
Definitionen folgend bilden die zwei Fachwörter ein Hyperonym-Hyponym-Paar (der
Songwriter ist das Hyperonym, der Singer-Songwriter ist das Hyponym).
!83
Konkordanz (27)
Konkordanz (28)
Abgehört - neue Musik
Im Land der letzten Dinge
Fleetwood Mac
Weltmeister in schlechter Laune
Das Faible für zuckrige
Aber bei aller Exzentrik und
Pianomelodien, Harmoniegesänge, Egomanie war Buckingham auch immer
Glamrock-Pathos und Siebzigerjahre- der abenteuerlustigste Songwriter bei
Seifenoper- Theatralik bekamen die Fleetwood Mac.
Brüder bereits in die Wiege gelegt, denn
Daddy Ronnie D'Addario versuchte sich
einst mit exakt demselben Sound als
Singer-Songwriter, blieb allerdings
erfolglos.
Lindsey Buckingham106 , um den es in Konkordanz (26) geht, war früher
Gitarrist, Sänger und Komponist in der Band Fleetwood Mac. Im angegebenen Paar
ist kein semantischer Unterschied zwischen den kursiv gestellten Fachwörtern zu
beobachten. Diese Beobachtung besagt, dass diese lexikalischen Einheiten kontextuell
als Synonyme funktionieren können, wobei sich die Bedeutung von der Songwriter
sich bis auf ‘Singer-Songwriter’ verengt. Dem Gesagten zufolge kann davon
ausgegangen werden, dass der semantische Unterschied zwischen den Lexemen der
Songwriter und der Singer-Songwriter ziemlich subtil ist und daher nur dann betont
wird, wenn es situativ bzw. kontextuell bedingt ist.
Obwohl sich das nächstfolgende Fachwort im gesammelten Korpus nicht
ergeben hat, muss man es in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden.
Die lexikalische Einheit der Liedermacher ‘jemand, der zu Liedern mit
aktuellem Inhalt Text und Musik schreibt [und sie selbst vorträgt]’107 ist der Herkunft
nach als eine regionale Variante des Fachwortes der Songwriter zu verstehen, da sie in
1960er Jahren als ein deutsches Äquivalent dafür gedacht wurde108. In der modernen
deutschen Sprache ist dieses Lexem aber nicht mehr mit der Songwriter
106
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Lindsey_Buckingham
107
URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Liedermacher
108
Wicke P. Art. Liedermacher, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff.,
veröffentlicht 2016-02-25, https://www.mgg-online.com/article?id=mgg16620&v=1.1&rs=mgg16620
!84
gleichzusetzen, denn der Liedermacher bezeichnet eine Person, deren Liedtexte
Bezug auf relevante alltägliche Themen und auf Politik und Gesellschaft nehmen,
indem die Texte oft kritisch oder ironisch sind109. Das Fachwort der Liedermacher ist
wie der Liederschreiber wenig verbreitet: 143 Treffer im Korpus „der Zeit“110 und
763 000 Treffer bei der Google-Suche111.
Infolge der diskutierten Thesen und der angegebenen Zahlen lässt sich
schlussfolgern: es gibt zwar mehrere Bezeichnungen für naheliegende Begriffe, aber
sie aktualisieren sich in ihren Wörterbuchdefinitionen ziemlich selten im Kontext
populärer Musik. Dass die Mediensprache nicht so oft auf solche Einzelheiten
eingeht, kann man wahrscheinlich dadurch deutlich machen, dass es ein
fachsprachliches und nicht mediensprachliches Merkmal ist, Sachverhalte exakt und
eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Die Mediensprache richtet sich auf ein breites
Publikum aus, wobei sie an Exaktheit etwas verlieren kann, ohne den
kommunikativen Sinn der Texte zu verhindern.
Fazit zum 2. Kapitel
Die Analyse des gesammelten Korpus von Texten aus dem Diskurs populärer
Musik wurde in mehreren Schritten durchgeführt.
Die ausgewählten lexikalischen Einheiten wurden morphologisch gruppiert,
wodurch drei morphologischen Klassen der Fachlexik im zu behandelnden Diskurs
bestimmt wurden:
• Substantive, die den Kern des musikalischen Fachwortschatzes bilden;
• Verben und Wortfügungen, die größtenteils den Substantiven entsprechen
109
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Liedermacher
110
URL: https://www.dwds.de/r?q=Liedermacher&corpus=zeit&date-start=2014&dateend=2016&format=full&sort=date_asc&limit=10
111
URL: https://www.google.ru/?
gfe_rd=cr&ei=uOotWYSGEeGD7gSM0JOYCQ&gws_rd=ssl#newwindow=1&safe=off&q=site:de+
%22liedermacher%22
!85
(z.B. das Cover – covern) und eine kleinere Klasse darstellen;
• Adjektive und Partizipien, die generell den Klang, Melodien und Stimmen
charakterisieren (z.B. der Soul – soulig).
Da Substantive die zahlreichste Klasse ausmachen und sich teilweise mit den
anderen zwei Klassen überschneiden, wurden Verben und Wortfügungen und
Adjektive und Partizipien bei der semantischen Analyse ausgelassen.
Die semantische Zuordnung der ausgewählten Fachwörter hat acht semantische
Klassen aufgewiesen, jede von denen in Subklassen weitergegliedert wurde:
• Handelnde Personen (einzelne Emittenten, Emittentengruppen,
Nebenakteure, Rezipienten),
• Produkte der Tätigkeit (einzelne Produkte, Produktensammlungen, LiveProdukte),
• Nebenaspekte der Musik (Charakteristika der Stimme, der Klang, die
Melodie, audiale Effekte, visuelle Ausstattung, Komponenten des Albums,
Komponenten des Liedes),
• Musikinstrumente,
• Genres bzw. Richtungen,
• Massenereignisse (Wettbewerbe, Awards, Festivals),
• Leistungen und Preise (Leistungen, Ratings, Preise, Kategorien),
• Handlungen und Prozesse.
Von den Ergebnissen der morphologisch-semantischen Konkordanzanalyse
ausgehend sind drei Schlussfolgerungen zu ziehen.
Erstens hat sich aufgezeigt, dass die Mediensprache im Diskurs populärer
Musik einen hohen Grad an Expressivität aufweist, indem viele Okkurenzen des
hyperbolisierten Gebrauchs der Lexeme vorgekommen sind. Hyperbolisierte
lexikalische Einheiten werden von uns als kontextuelle Intensivierungsmittel
betrachtet, die ein positives Bild der Subjekte schaffen und Leser anlocken.
Zweitens ist markant, dass Fachwörter im gesammelten Korpus als äußerst
!86
wortbildungsproduktiv auftreten, wobei eine Menge von Okkasionalismen im Kontext
erscheint. Das besagt einerseits die Tendenz der Fachlexik, Gegenstände und
Phänomene exakt zu benennen, und andererseits die Nachahmung dem
englischsprachigen Stil der sprachlichen Darstellung, d.h. der Gebrauch von
präpositionslosen Komposita anstatt Wortgruppen mit dem Genitiv der Zugehörigkeit
(z.B. der Beatles-Song).
Drittens wurde festgestellt, dass der Mediendiskurs populärer Musik ziemlich
viele Fachwörter enthält und oft auf Details eingeht. Dem Gesagten folgend bezieht
sich der Medientext auf fachspezifische Bestandteile des Musikdiskurses, obwohl
einige Einzelheiten zu kommunikativer Barriere für diejenigen werden können, die
sich auf dem Gebiet nicht auskennen.
Die funktionale Analyse hat aufgewiesen, dass Fachlexik im medialen Kontext
nicht-typische Funktionen erfüllen kann. Die Sprechenden nehmen mit Fachwörtern
Bezug auf die außersprachliche Realität und nutzen Fachlexik zur Schaffung eines
humoristischen Effekts; Fachlexik kann eine Basis für Wortspiel bilden,
Zusammenhänge im Text verbinden und zu Expressivitätszwecken gebraucht werden.
Das funktionale Spektrum der Fachlexik beschränkt sich daher nicht auf die primären
Funktionen von Leitschik, sondern überschreitet sie, indem Fachlexik in gewissem
Sinne als polyfunktional betrachtet werden kann, da manche Fachwörter im Kontext
auch mehrere Funktionen annehmen können.
Von dem Festgestellten ausgehend wurden zwei Schlüsselbegriffe des Korpus
exemplarisch untersucht, indem eine diskurslinguistische Analyse von Lexemen das
Lied und der Song entstand. Den Ergebnissen der Konkordanzanalyse nach enthalten
zwar die behandelten Fachwörter subtile semantische Unterschiede, aber die aktuellen
Bedeutungen weichen von den Wörterbuchdefinitionen ab, da dieses Paar eine
Vielfalt semantischer Relationen im Kontext gezeigt hat.
!87
Schlussfolgerungen und Ausblick
In der vorliegenden Forschung wurde Fachlexik aus dem Diskurs populärer
Musik am Beispiel aktueller deutschsprachiger Medientexte untersucht. Im Rahmen
der Arbeit wurden die Schlüsselbegriffe der Fachwortforschung erläutert und
unterschiedliche Auffassungen der Fachlexik überblickt (nämlich das
systemlinguistische Inventarmodell und das pragmalinguistische Kontextmodell). Es
wurde festgestellt, dass zwischen der russischen und deutschen Tradition gewisse
Unterschiede existieren, da die Fachwortforschung in Russland auf dem Terminus
basiert, während deutsche Fachwortforschung oft das Fachwort in den Mittelpunkt
stellt.
Den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet intrafachlicher
Fachtextwortschatz, d.h. die Gesamtheit fachlicher Ausdrücke aus dem musikalischen
Fachgebiet in ihrer kontextuellen Aktualisierung.
Die vorliegende Masterarbeit hat Fachlexik im Diskurs populärer Musik von
verschiedenen Standpunkten aus analysiert. Der systemlinguistischen Auffassung
folgend wurden verschiedene Klassifizierungen der Fachlexik sowohl in russischer,
als auch in deutscher Fachwortforschung analysiert, wobei ein Versuch unternommen
wurde, die existierenden Klassifikationen zu kombinieren und der erstellten
Gliederung nach die lexikalischen Einheiten im Korpus zu klassifizieren. Im 1.
Kapitel wurden auch linguistische Besonderheiten des Fachwortes als einer
sprachlichen Schicht beschrieben und auch kritisiert, unter anderem wurden
Tendenzen der Fachwortbildung in Anspruch genommen und die häufigsten
Fachwortbildungstypen im zu behandelnden Diskurs ausgezeichnet.
Innerhalb des 1. Kapitels wurde außerdem das funktionale Potenzial der
Fachlexik im Allgemeinen bestimmt; da es noch keine funktionale Klassifikation der
Fachlexik im Medientext gibt, wurden die ausgezeichneten Funktionen an den
massenmedialen Kontext angepasst, indem eine integrierte funktionale Gliederung
entstanden ist. Aufmerksamkeit wurde außerdem dem Gebrauch von Fachlexik in der
!88
Mediensprache gelenkt, indem einige Annahmen gemacht wurden, bezüglich der
Vereinbarkeit der Medien- und der Fachsprache.
Vor empirischer Untersuchung wurde der Begriff populäre Musik erläutert und
das Analyseverfahren in Form eines Algorithmus präsentiert. Analysiert im
praktischen Teil der Masterarbeit wurden morphologische Gruppen der Fachlexik
innerhalb des Korpus, wodurch drei Gruppen bestimmt und beschrieben wurden. Im
Anschluss an die morphologische Klassifizierung wurde die zahlreichste Gruppe – die
Gruppe der Substantive – semantisch analysiert. Dabei wurden acht semantische
Klassen aufgewiesen, jede von denen einer weiteren Gliederung unterlag und eine
Menge semantischer Besonderheiten in kontextueller Aktualisierung gezeigt hat.
Aus pragmalinguistischer Sicht wurden im 2. Kapitel der Forschung
exemplarische Analysen der Funktionen von Fachlexik im Medientext durchgeführt,
die nach unserer Auffassung als für Fachsprachen nicht-typische Funktionen
betrachtet werden können. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass
Fachlexik ein reiches funktionales Spektrum hat und gleichzeitig mehrere Funktionen
im massenmedialen Kontext erfüllen kann.
Zum Schluss wurde eine exemplarische Analyse von zwei Schlüsselbegriffen
im Diskurs populärer Musik durchgeführt. Anhand der durchgeführten funktionalsemantischen Konkordanzanalyse wurden unterschiedliche
Aktualisierungsmöglichkeiten im Kontext gezeigt, wobei die Variation innerhalb
semantischer Relationen zwischen diesen zwei Fachwörtern betrachtet wurde.
Die vorliegende Masterarbeit hat unterschiedliche Ansätze zur
Fachwortforschung dargestellt und an das Korpus angewendet, wobei eine
umfassende Beschreibung vom Diskurs populärer Musik entstanden ist.
Im weiteren Verlauf kann die Realisierung der Funktion der Meinungsbildung
bzw. –beeinflussung durch Fachlexik im Medientext tiefer untersucht werden. Im
Anschluss daran kann man auch die Realisierung persuasiver Strategie behandeln und
weitere Gründe für Hyperbolisierung und Intensivierung aktueller Bedeutungen in
!89
Medientexten diskutieren. Die Lexik innerhalb des Diskurses populärer Musik lässt
sich außerdem aus kognitiv-kommunikativer Sicht betrachten, wobei z.B. der
Gebrauch von Anglizismen näher betrachtet werden kann.
Da sich die Grenzen des vorliegenden Diskurses als verschwommen präsentiert
haben, kann diese Masterarbeit als Anlass dienen, das Problem der Bestimmung von
modernen Termini und Fachwörtern im massenmedialen Gebrauch weiter zu
erforschen und die Kriterien des Terminus zu konkretisieren.
!90
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Musiklexikon«, 2 Bände Wiesbaden, Mainz, 1979.
2. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache – dwds.de
3. Duden. Das Fremdwörterbuch. Band 5. 10., aktualisierte Auflage,
Mannheim, Zürich: Dudenverlag, 2010. 1104 S.
4. Duden Online – duden.de
5. Metzler Lexikon Sprache. 5., aktualisierte und überarbeitete Auflage.
Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2016. 814 S.
6. MMG – Die Musik in Geschichte und Gegenwart – https://www.mggonline.com/
7. Österreichisches Musiklexikon Online – http://www.musiklexikon.ac.at
8. Online Lexikon zur Rock- und Popmusik – roxikon.de
9. Wahrig, R. Deutsches Wörterbuch. 9., vollständig neu bearbeitete und
aktualisierte Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, 2011. 1728 S.
10. Лингвистический энциклопедический словарь под ред. В.Н. Ярцевой –
М.: «Советская энциклопедия», 1990. – 685 с.
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Феникс, 2008. - 811 с.
!97
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1. Online-Magazin „Neue Musikzeitschrift” — http://www.nmz.de/
2. Online-Magazin „Laut” — http://www.laut.de/
3. Online-Magazin „Visions” — http://www.visions.de
4. Online-Magazin „Sounds & Books“ — http://www.soundsandbooks.com/
5. Musikmagazin „Rolling Stone“ — https://www.rollingstone.de/
6. Online-Magazin „Spex“ — http://www.spex.de/
Nicht-fachbezogene Zeitschriften und Zeitungen:
7. Spiegel / Spiegel-Online — http://www.spiegel.de/kultur/musik/
8. Die Zeit / Die Zeit-Online – http://www.zeit.de/kultur/index
9. Bild / Bild-Online — http://www.bild.de/unterhaltung/musik/musik/
home-15697104.bild.html
10.Die Welt — https://www.welt.de/kultur/pop/
!98
Anhang I – Konkordanzen der Fachlexik im gesammelten Korpus
(1) „Dead Or Alive“-Sänger Pete Burns ist tot – Herzinfarkt mit 57 Jahren112
1. Mit „You Spin Me Round (Like a Record)“ gelang der New-Wave-Band Dead Or Alive ein RiesenHit in den 80er-Jahren.
2. Das Gesicht des Erfolgs war dabei immer auch der extrovertierte Sänger Pete Burns, der nun mit nur
57 Jahren verstorben ist, wie auf Twitter öffentlich gemacht wurde.
3. Sein Management ergänzte, dass der Musiker einem Herzinfarkt erlegen sei.
4. Bis zu 300 Mal soll sich der Sänger unters Messer gelegt haben, um sein Geschlecht anzupassen.
5. Dead Or Alive, 1978 zunächst unter dem Namen Nightmares in Wax in Liverpool gegründet, machte
sich in den frühen 80er-Jahren vor allem mit Psychedlic-Rock-Nummern einen Namen.
6. Später wich der düstere Sound eher Disco-Standards, die auch zu dem androgynen
Erscheinungsbild von Sänger Burns passten.
7. Der größte Erfolg der Band war „You Spin Me Round (Like a Record)“, das in den britischen Charts
auf Platz eins kletterte und selbst in den USA in den Top 20 einstieg.
(2) Adele: „Ich hatte eine schlimme Depression“ 113
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Fernab vom Glanz des Superstar-Daseins hatte Adele düstere Phasen in ihrem Leben, wie sie nun in
einem Interview mit dem Magazin „Vanity Fair“ eröffnete.
„Ich habe eine sehr dunkle Seite. Ich bin sehr anfällig für Depressionen“, sagt der Weltstar.
Auch nach der Geburt ihres Sohnes Angelo im Jahr 2012 kehrte eine richtig schlimme postnatale
Depression, nachdem ich meinen Sohn geboren hatte, und das hat mir Angst gemacht.“
Wie viele Frauen mit ähnlichen Symptomen war die Sängerin zögerlich, sich jemandem zu öffnen.
„Ich hatte das Gefühl, die dümmste Entscheidung meines Lebens getroffen zu haben“, erzählt die
Sängerin.
Die Lieder ihres Albums „21“ seien im Rausch entstanden.
Heute genehmigt sich die Sängerin lediglich zwei Gläser Wein in der Woche.
(3) Album der Ausgabe: Iggy Pop »Post Pop Depression« / Review & Vorabstream114
15. Kluger Kompromiss: Post Pop Depression muss nicht zwingend die letzte Platte von Iggy Pop
bleiben, aber es ist ziemlich sicher sein letztes Rodeo.
16. »I’m gonna break into your heart«, singt er zur Eröffnung seines neuen Soloalbums, dann, noch
bedrohlicher: »I’m gonna crawl under your skin«.
17. Sechseinhalb Jahre nach seiner letzten regulären Soloplatte, dem zwischen Fahrstuhl und AfterworkLounge steckengebliebenen Iggy-as-Cohen-Experiment Préliminaires, schlägt der Sänger einen
Ton an, der viel besser passt zu seiner Paraderolle als selbstironischer Lebemann mit Dreck am
Stecken (und ein paar Glasscherben im Rücken).
18. Auf »Break Into Your Heart« folgt »Gardenia«, Iggys bester Song seit 40 Jahren und noch ein
degeneriertes Liebeslied.
19. Mit einer Mischung aus Bettel- und Befehlston kniet sich der Protagonist vor seiner Titelheldin hin,
aber es hat einen Sinn mehr, Gardenia ist längst woanders, nur die Erinnerung bleibt, an ihren
»hourglass ass« – hochnotpeinlich und irgendwie rührend.
20. Nun ist es zwar verlockend, das Stück der continuity wegen in der Tradition von »I Wanna Be Your
Dog« zu sehen – Unterwerfung, Untergang und so weiter.
21. Eine weniger derangierte Version von Grindermans »No Pussy Blues« kommt jedoch eher hin.
22. Die Musik dahinter trägt Joshua Hommes Handschrift.
23. Mit den Queens Of The Stone Age unterhält der Kalifornier die wahrscheinlich letzte in allen
Gesellschaftskreisen akzeptierte Hardrock-Truppe.
112
URL: https://www.rollingstone.de/dead-or-alive-saenger-pete-burns-ist-tot-herzinfarkt-mit-57-jahren-1145721/
113
URL: https://www.rollingstone.de/adele-ich-hatte-eine-schlimme-depression-1148561/
114
URL: http://www.spex.de/2016/03/11/album-der-ausgabe-iggy-pop-post-pop-depression-review/
!99
24. Für Post Pop Depression entwirft Homme einen schlanken Sound, der die Trademarks seiner
Hauptband – stringente Melodieführung, quirlige Gitarrenlicks, trockenes Bassgrummeln,
kopflastiger Harmoniegesang – sehr schön auf die Eigenheiten von Post Pop Depression abstimmt.
25. Statt in zivildiensthafte Ehrerbietungen zu verfallen oder die Herangehensweisen anderer berühmter
Iggy-Kollaborateure zu kopieren, startet Homme immer dann durch, wenn er sich über jeden
angebrachten Rahmen hinauswagt.
26. »Sunday« endet als Trauermarsch für zehn Blasinstrumente und ein Streicherquartett.
27. »Paraguay« kapituliert mit seinem Männerchor vor Iggys finalem Wutanfall (irgendwas ist mit
seinem Laptop).
28. »German Days« ist nicht nostalgisch, sondern doppelt nostalgisch: der Text mehr Weimarer Republik
als Westberlin, die Musik ein Kissenschlacht-Update von Hommes erster Stoner-Rock-Band
Kyuss.
29. Sie erzählen weite Teile der relevanten Rockgeschichte nach, ohne mit einem konkreten Wort darauf
eingehen zu müssen.
30. Je länger die Platte läuft, desto klarer erkennt Iggy die Zeichen: Er sieht das Ende in einem Sonntag,
im eigenen Schatten, in den Aasgeiern am Straßenrand oder im südamerikanischen Wahlexil.
31. Eigentlich sieht er das Ende also überall – und ganz besonders in »American Valhalla«, einem
dahinschleichenden Rocksong mit Vibrafon und Abschlussexplosion, der eine Irrfahrt auf dem
Weg in die Ahnenhalle der Popkultur beschreibt.
32. Am Schluss findet Post Pop Depression zu einem klugen Kompromiss, den Ready To Die, das
Album zur Stooges-Reunion vor drei Jahren, noch erfolglos angestrebt hatte: Es muss nicht
zwingend die letzte Platte von Iggy Pop bleiben, aber es ist ziemlich sicher sein letztes Rodeo.
33. Absicht und Ausdruck finden noch einmal zusammen, als Idealfall und gleichzeitige Karikatur eines
gemeinsamen Alterswerks von Superstar und Superfan. Und Iggys letzte Worte sind auch gut:
»I’m gonna go heal myself now / Yeah!«
(4) "Pop-Kultur"-Festival in Berlin. Der Lärm der anderen115
34. Gegenveranstaltung, Streubewegung, Lautstärkestress: Nach wackeligem Start entwickelte sich das
Berliner "Pop-Kultur"- Festival durch Skinny Girl Diet, Selda Bagcan und Abra zur furiosen
weiblichen Leistungsschau.
35. Pop ist immer auch ein Verdrängungswettbewerb, das musste die US-Künstlerin SassyBlack gleich
am ersten Abend der zweiten Berliner "Pop-Kultur" feststellen.
36. Die junge Musikerin war in den mittleren der drei Aufführungsräume des alternativen
Veranstaltungszentrums "Schwuz" gebucht worden, das die Festivalleitung zur Basis ihres
dreitätigen Festivals erkoren hatten.
37. Während SassyBlack nun also auf ihrem Laptop minimalistische R&B-Beats und ein paar PopKlassiker-Samples (unter anderem von N'Sync) abspielte und dazu kecke Texte über das
Lebensgefühl schwarzer Frauen in Amerika rappte, lärmte aus dem größeren Nebenraum ihr
Chicagoer Kollege Ezra Furman mit seiner exaltiert-queeren Rockshow - was dank mangelnder
Schallisolierung und eklatanter Lautstärkedifferenz der beiden Stilistiken zu unangenehmen
Störgeräuschen führte.
38. SassyBlack jedoch, deren stämmige Frohnatur entzückend mit ihren zarten Gesängen kontrastiert,
nahm den organisatorischen Fauxpas wie auch die im Gegensatz zu Furman spärliche
Besucherfrequenz ihres Auftritts mit Souveränität und zog ihr Set mit einigen ironischen
Seitenhieben auf das Dröhnen von Nebenan konsequent durch. Aus dem anfänglichen Mitleid für
die tolle Künstlerin wurde schnell uneingeschränkte Bewunderung für diese coole
Selbstbehauptung.
39. Das verantwortliche Musicboard unter der Leitung von Katja Lucker entschied sich schließlich für
eine Verlagerung nach Neukölln, das zurzeit zwischen sozial schwachem Problemkiez und
teilgentrifiziertem In-Viertel schwankt, was es für lokale und externe Beobachter zu einem der
spannendsten Areale der Stadt macht.
40. Da man zusehen musste, es noch rechtzeitig zum Eröffnungskonzert des deutschen ElektronikPopnachwüchslers Roosevelt ins "Huxley's" zu schaffen, nahm sich das anwesende Branchen-,
115
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/algiers-abra-und-thurston-moore-beim-festival-pop-kultur-in-berlina-1110787.html
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Kritiker- und Szenevölkchen die Freiheit, das dem "Schwuz" benachbarte "Vollgutlager" schnell
wieder zu verlassen.
Das schuf nicht nur den Eindruck eines eher schleppenden, spärlich besuchten Auftakts, es
verhinderte für viele Gäste auch die Auseinandersetzung mit der humorigen Ausstellung von PopArtefakten des Londoner Illustrators und "Pop-Kultur"-Artdirektors Scott King, zu der unter
anderem ein pinkes Billigfeuerzeug gehörte, das Kurt Cobain ihm einst im längst vergessenen
Berliner Club "Ecstasy" von der Bühne aus zugeworfen hat.
Man lief viel an diesem ersten "Pop-Kultur"-Abend in den Straßen von Neukölln, aber nicht alles
lief rund.
Das mit Staatsgeldern (rund 700.000 Euro pro Jahr) ausgestattete Prestige-Event provozierte den DJ
und Konzertbooker Anton Teichmann dazu, mit einigen lokalen Musikern und Mitstreitern eine
"Protestival" genannte Gegenveranstaltung namens "Off-Kultur" zu starten, die parallel zur "PopKultur" in Neuköllner Kneipen und Klubs stattfand.
Teichmanns Argument: Das Musicboard schmücke sich mit der hippen Marke Neukölln,
vernachlässige aber mit seiner weitgehend internationalen Ausrichtung die dort arbeitetenden
Künstler.
"Pop-Kultur"-Kurator Christian Morin zeigte sich über die ideologische Attacke gegen die
Vereinnahmung Neuköllns durch staatlich subventionierte Events eher amüsiert und verwies darauf,
dass einige der "Off-Kultur"-Acts, darunter die Band Fenster, im vergangenen Jahr bei der "PopKultur" aufgetreten seien und Teichmann selbst lange Jahre im vom Bund initiierten Förderprojekt
"Initiative Musik" tätig war.
Und der musikinteressierte Festivalbesucher konnte sich über noch mehr interessante Konzerte
freuen.
Sollte die "Pop-Kultur" in Neukölln bleiben, empfiehlt sich fürs kommende Jahr vielleicht eine
friedliche Koexistenz, wenn nicht Kooperation, denn über Teichmanns Argument, dass der Anteil
originär Berliner "Pop-Kultur"-Künstler dieses Mal geringer war, lässt sich durchaus diskutieren.
Wobei sich natürlich die Frage stellt, wer heute noch ein originär Berliner Künstler ist.
Gerade Neukölln wurde in den vergangenen Jahren zum Stützpunkt vieler internationaler Musiker,
die Berlin als ihre Heimat betrachten.
Wohl nicht umsonst war das Programm der "Off-Kultur" auf der zugehörigen Website in Englisch
verfasst.
Zumal die "Pop-Kultur" bereits am zweiten Abend ihre Integrations-Probleme überwunden zu haben
schien.
Die türkische Prog-Rock-Veteranin Selda Bacan begeisterte im "Huxley's" ein ethnisch bunt
gemischtes Publikum, die israelische Girlband A-Wa groovte parallel ebenfalls mit nahöstlicher
Ästhetik, und im "Passage"-Kino machten sich die aus Kuwait stammende Wahlberlinerin Fatima al
Qadiri und die Künstlerin Juliana Huxtable in einem Panel Gedanken darüber, wie elektronische
Musik nonverbal Botschaften verbreiten kann.
In einem herrlich abgeranzten Club namens "Keller" sorgte derweil die aus der Bronx stammende
Band Show Me The Body für Furore.
Das Trio vermengt Hardcore aus den frühen Neunzigern zu einem wütenden Energiebündel, das
gleichermaßen an Fugazi und Body Count erinnert.
Danach spielte das aus London eingereiste Frauentrio Skinny Girl Diet eine lärmende Neo-Variante
alter Riot-Grrrl-Tugenden mit Grunge-Melodien.
Aber hatte man Gitarrenmusik nicht eigentlich schon zu den Akten gelegt?
Schlägt nicht gerade die Stunde der selbstorgansierten, smarten, gendertranszendenten ElektroFrauen, die den westlich-weiß definierten Rock'n'Roll-Kanon in die Sepia-Vergangenheit des 20.
Jahrhunderts verweisen?
Am dritten "Pop-Kultur"-Tag zeigte sich dank der letztlich doch recht klugen Programmierung und
Künstlerauswahl, dass der in steter Metamorphose befindliche Verdrängungs- und
Verdauungsorganismus Pop eben doch keiner vereinfachenden Linearität unterzuordnen lässt.
Während also am Freitag einerseits Veteranen wie Rock-Kritiker Jon Savage und Punk-Pionier
Richard Hell auf Panels über Vergangenes reflektierten und Ex-Sonic-Youth-Gitarrist Thurston
Moore als Quasi-Festival-Headliner und Publikumsmagnet das "Huxley's" rockte, traten mit dem
britischen Duo LUH und der US-Band Algiers auch zwei Bands auf, die Rockmusik mit Pathos
und politischer Attitüde in eine mögliche Zukunft des Genres transportieren.
!101
60. Die Herrscherin der Nacht war jedoch die junge, aus Atlanta stammende R&B-Sängerin Abra
(unlängst in unserer Abgehört-Rubrik gefeiert).
61. Nur mit Laptop, in die Achtziger verweisenden Hi-NRG-Beats und sehr lässigen Tanz-Moves
ausgestattet, brachte Abra eben jenen kleinen, jetzt bis zum Anschlag gefüllten "Schwuz"-Raum zum
Kochen, in dem zwei Tage zuvor noch SassyBlack zu kämpfen hatte.
62. Diesmal spielte nebenan die durchaus anständige Brandenburger Post-Goth-Truppe Diät, deren
herüberwabernder Gitarrendonner aber die allgemeine Abra-Ekstase nicht weiter stören konnte.
(5) "Ey, sing mal! Ich will noch mal die Stimme hören!"116
63. Vier blasse Jungs Mitte 20, die weite Pullis tragen und Folk-Pop spielen: AnnenMayKantereit sind
die deutsche Band der Stunde.
64. Hier sprechen sie über ihre Anfänge als Straßenmusiker und die Scheu vor politischen Inhalten.
65. Sie singen über Liebe, Zukunftsängste, das WG-Leben und Konflikte mit den Eltern.
66. Die Band AnnenMayKantereit - zusammengesetzt aus den drei Nachnamen der Gründungsmitglieder
- klingt nach beschwingtem Mundharmonika-Blues, der auf Pop heruntergepegelt wurde.
67. Wenig Diskurs-Rock, eher kumpelhafte Poesie, die ein wenig an die Neunzigerjahre-Teenie-Band
Echt erinnert.
68. Und tatsächlich: Auffällig viele Leute können sich auf den Kuschel-Pop von AnnenMayKantereit
einigen.
69. Anscheinend liefert die Gruppe nicht nur eine Begleitmusik für prä- und postpubertären Alltag,
sondern bietet auch jungen Eltern und Hipstern, Yoga-Lehrern und Büroangestellten, Städtern wie
Landbewohnern eine musikalische Heimat.
70. Die Bandgeschichte im Schnelldurchlauf: Christopher Annen, 25, Henning May, 23, und Severin
Kantereit, 24, machen in Köln Abitur.
71. Statt "Studium oder Ausland" gründen sie eine Band.
72. Gibt es keine [Bühne], dann spielen sie auf der Straße, oft in der Kölner Innenstadt.
73. Statt frühzeitig einen Vertrag bei einer Plattenfirma zu unterschreiben, bleiben sie aber lieber unter
sich.
74. Nehmen erste Demos auf, finanzieren über eine Crowdfunding-Aktion ihre ersten
Studioaufnahmen.
75. Und sie touren.
76. Allein im vergangenen Jahr spielten sie gut hundert Konzerte.
77. In diesen Tagen erscheint beim Major-Plattenlabel Universal das neue Album "Alles Nix
Konkretes" (Rezension hier lesen).
78. Auf der Straße haben Sie angefangen, Musik zu machen. Was lernt man dort?
79. Es gibt einen Satz von dem Musiker Gisbert zu Knyphausen: "Es dauert lange, bis du lernst, ein
Niemand zu sein."
80. Und was verdient man als Straßenmusiker?
81. Fremde Leute greifen dir in die Gitarre, halten dir das Metronom an den Kopf oder schreien, dass
sie jetzt Matthias-Reim-Songs hören wollen.
82. Dadurch reagiere ich heute aber entspannter, wenn nach dem Konzert jemand sagt: "Ey, sing mal!
Ich will noch mal die Stimme hören."
83. Ihre tiefe und markante Stimme ist das Markenzeichen der Band.
84. Mich nervt nur die Frage, ob meine Stimme so klingt, weil ich zu viel saufe.
85. Aber der Impuls, eine Band erst mal nur über den Sänger wahrzunehmen, ist mir nicht fremd.
86. Wir wissen selbst, wie wertvoll die Stimme von Henning ist.
87. Sie unterscheidet uns von anderen Bands.
88. Wenn das dazu führt, dass Menschen unsere Musik hören, ist das doch super.
89. In Ihren Liedern geht es viel um Liebe, WG-Leben, das Alltägliche.
90. "Oft gefragt" ist ein versöhnliches Lied an den Vater.
91. Wir machen reduzierte und handgemachte Musik.
92. Viele Bands profilieren sich auch mit einer politischen Attitüde, ohne dabei wirklich konsequent zu
sein.
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/annenmaykantereit-sing-mal-ich-will-noch-mal-die-stimme-hoerena-1083403.html
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Die Tour im Frühjahr ist ausverkauft.
Auf der Straße hängen jetzt große Plakate für Ihr neues Album.
Es gab Leute, die haben sich aufgeregt, warum wir unsere Konzerte nicht in größere Hallen verlegen.
Aber es ist so: Wir haben von Anfang an alles selbst gemacht: 30 Bars für Konzerte in Berlin
angeschrieben, von denen zwei geantwortet haben, Musik selbst finanziert, aufgenommen und
über das Internet verkauft. Natürlich könnten wir jetzt in größeren Hallen spielen, aber uns würde
ein Schritt dazwischen fehlen.
97. Bisher haben Sie alles in Eigenregie gemacht, nun sind Sie bei einem großen Plattenlabel.
98. Auffällig ist zum Beispiel, dass Sie lange nicht auf Plattformen wie Spotify vertreten waren.
99. Dann haben wir bei unserem Label unsere erste EP noch mal herausgebracht und sind damit jetzt auf
Spotify zu finden.
100. Wir haben viel diskutiert und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass man einen Spotify-Kanal
braucht. Wir haben aber nicht zähneknirschend dem Label zugestimmt.
101. Wie hat sich aus Ihrer Sicht mit YouTube und Spotify die Wertigkeit von Musik verändert?
102. Für uns war es wichtig, das Internet zu nutzen. Wir hatten kein Geld und konnten auf YouTube
unsere Videos teilen. Damit haben wir Aufmerksamkeit bekommen und schließlich
Konzertanfragen.
103. Mich persönlich stört es, wie Menschen heute Musik konsumieren.
104. Ich merke das auch in meinem Umfeld: Da wird immer seltener ein Album komplett gehört, sondern
nur die erste Single.
105. Die Vorstellung, dass man viel Arbeit in ein Album steckt und dann macht jemand nach dem ersten
Lied aus - das ist schon hart.
106. Auf Ihrem Instagram-Account gibt es viele Konzertfotos, gleichzeitig schimpfen Sie mit den Fans,
die Ihre Auftritte mit dem Handy filmen.
107. Es ist ein Unterschied, ob jemand das ganze Konzert filmt oder ein Tour-Mitglied bei der Zugabe
ein Foto von uns macht.
108. Wir wollen das Smartphone-Ding gar nicht verteufeln, aber für das Erleben von Musik sollte man sie
auch hören und nicht ständig überlegen, wie man sie am besten mit der Kamera einfängt.
109. Wir leben die sozialen Medien mit der Band so extrem aus, dass man als Privatperson schnell
erschöpft ist
110. Wann hatten Sie erstmals das Gefühl: Das klappt mit der Musik?
111. Es gab viele Momente: Das erste Mal auf einem Festival, als das Publikum unseren Namen gerufen
hat.
112. Das erste Mal in einem Studio aufnehmen.
113. Mit Clueso auf Tour, mit den Beatsteaks auf Tour.
(6) Bob Dylan freut sich doch über den Nobelpreis – aber wird er zur Zeremonie kommen?117
114. Tagelang rätselten die Fans von Bob Dylan, ob der Musiker sich irgendwann doch dazu äußern
würde, dass er den Literaturnobelpreis bekommen soll.
115. Demnach habe der Songwriter dem Nobelpreiskomitee persönlich geantwortet.
116. Nun wurde er damit als erster Musiker in dieser Kategorie ausgezeichnet.
117. Dass der US-Musiker sich nach der Bekanntgabe überhaupt nicht äußerte (sogar eine Meldung auf
seiner Website verschwand wieder über der Nacht), verschnupfte die Nobelpreisakademie.
118. Etwas ambivalent deutete der Sänger an, dass er „nach Möglichkeit“ kommen werde. Sollte er
erscheinen, kann es aber durchaus sein, dass die Zeremonie von dem einen oder anderen
subversiven Moment gekennzeichnet wird. Denn Dylan ist bekannt für das Sprengen von
Preisverleihungen.
119. Grammys nahm er mit knurrenden Worten über die darniederliegende Musikindustrie an.
120. „Ich bastle lieber Mundharmonikagestelle, als über Literatur zu reden“, soll er einmal gesagt
haben.
(7) Bob Dylan sagt Okay118
117
URL: https://www.rollingstone.de/bob-dylan-reaktion-literaturnobelpreis-1148253/
118
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/bob-dylan-nimmt-literatur-nobelpreis-an-a-1118820.html
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121. Nach Wochen des Schweigens äußert sich der Sänger und Autor damit erstmals zu der geplanten
Ehrung.
122. Die Rocklegende ("Blowin' in The Wind") hatte am Tag der Bekanntgabe durch die Nobeljury ein
Konzert gegeben und die Ehrung mit keinem Wort erwähnt.
123. Die Entscheidung des Nobelkomitees sei unausgereifte Nostalgie alter Hippies, sagte der Schotte
Irvine Welsh ("Trainspotting") - der sich ansonsten als Fan von Bob Dylan bezeichnet.
(8) BOB DYLAN: Dem Preisträger ein Trullala 119
124. Viele zeigen sich erstaunt darüber, dass ein Musiker den Preis einheimste, andere halten die
Entscheidung für zu nostalgisch.
125. Die meisten echauffieren sich darüber, dass mit Dylan ein genrefremder Künstler und nicht ein
Literat den Preis bekommen hat.
126. Bruce Springsteen, Tom Waits und Jarvis Cocker gratulieren dem legendären Sänger aufs
Herzlichste.
127. Cocker unterstreicht, die Entscheidung des Komitees sei eine "hervorragende Wahl" und nennt auch
gleich seinen Lieblingssong von Dylan: "I Don't Think Twice, It's Alright."
128. Seiner Meinung nach hat Bob den Nobelpreis absolut verdient, er habe zusammen mit Elvis Presley
den Rock'n'Roll maßgeblich beeinflusst.
129. Ohne Dylans Texte hätten die Beatles nur Boy-meets-Girl-Songs geschrieben.
130. Deswegen stelle der Musiker für den Kölner einen Fixpunkt dar: "Bob Dylan war für mich immer so
eine Art Polarstern, an dem man sich wirklich auch orientieren kann."
(9) BOB DYLAN: Musiker erhält Literaturnobelpreis120
131. Bob Dylan erhält als erster Singer/Songwriter überhaupt den Nobelpreis für Literatur.
132. Ein Musiker erhält den Nobelpreis für Literatur – das hat es noch nie gegeben.
133. Der legendäre Folk-Rocksänger erhält den Preis als zweiter US-Amerikaner nach Toni Morrison
1993.
134. Tatsächlich eigenständige literarische Werke von Dylan gibt es ebenfalls, z.B. die Gedichtsammlung
"Elf Entwürfe für meinen Grabspruch", seine Biographie "Chronicles Volume 1" oder sein
Bilderbuch über Weltfrieden "Blowin' in the Wind".
(10) Popmusiker Bon Iver in Berlin – Der Winter kann kommen121
135. Nach schwerer Depression kehrt der gefeierte US-Musiker Bon Iver mit seinem Album "22, A
Million" zurück - ein Triumph künstlerischer Verweigerung.
136. "Hier spielt gleich der amerikanische Rockmusiker Bon Iver."
137. Und so zieht die Frau ihres Weges, während im Innenhof des Hipster-Hotels kurz darauf eines der
exklusivsten Konzerte des Jahres beginnt.
138. Bon Iver (ausgesprochen wie der "gute Winter" auf Französisch), der eigentlich Justin Vernon heißt
und diesen Freitag sein drittes Album veröffentlicht, hätte sich über diese Szene gefreut.
139. Den wenigen Interviews, die er gab, war außerdem zu entnehmen, dass er in den vergangenen Jahren
eine schwere Depression und Sinnkrise durchlebte, die ihn vor allem mit seinem unwahrscheinlichen
Status als gefeierter Popstar hadern ließen.
140. 2011, mit seinem zweiten Album, war der bärtige Mann mit dem zotteligen, aber bereits schütteren
Haupthaar und der schluffigen Anmutung eines gutmütigen Automechanikers, zu einer Ikone
neuerer Indie-Rockmusik geworden.
141. Sein brüchiger Falsettgesang und ein schwebend leichter, gleißend elektrifizierter Andachtsfolk
wurden zum Synonym für eine verschüchterte Chorknaben-Innerlichkeit, die zahlreiche junge
weiße Popmänner zu jener Zeit erfasste, darunter auch den britischen Sänger James Blake.
119
URL: http://www.laut.de/News/Bob-Dylan-Dem-Preistraeger-ein-Trullala-14-10-2016-13027
120
URL: http://www.laut.de/News/Bob-Dylan-Musiker-erhaelt-Literaturnobelpreis-13-10-2016-13023
121
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/bon-iver-neues-album-22-a-million-kritik-und-konzertberichta-1114740.html
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142. R&B-Superstar Kanye West hatte das Crossover-Potenzial Bon Ivers bereits frühzeitig erkannt und
Vernon als Co-Songwriter für sein Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" beschäftigt, auch
am brachialen Nachfolger "Yeezus" war er beteiligt.
143. Bon Iver im Michelberger: Americana aus dem Effektgerät
144. Die Zusammenarbeit mit West und dessen Faible für sonische Verfremdungen und musikalische
Abrasion schlägt sich nun deutlich auf "22, A Million" nieder, dem berührenden und verblüffenden
Album, mit dem Bon Iver aus der Phase mentaler Zerrüttung zurückkehrt.
145. Wie West auf seinem Liebeskummer-Album "808 And Heartbreak" schaltet auch Vernon eine
Filtermembran zwischen seine Emotionen und den Zuhörer, konsequent verzerrt und moduliert er
sein Falsett durch einen Vocoder-Effekt.
146. Worüber er genau in den zehn Stücken der Platte singt, bleibt hinter kunstvoll verrätselten Songtiteln
wie "715 - CRKS", "666 " oder "10 d E A T h b R E a s T " und eher fragmentarischen, Stream-ofConsciousness-Versen verborgen.
147. Auf aktuellen Fotos versteckt Vernon sein Gesicht, das Albumcover ist eine obskure Anordnung von
Zeichen, Symbolen, Fantasie-Hieroglyphen, Ying und Yang.
148. Nicht minder verspult und verweht klingt nun auch die Musik: Elektronisches Klimpern Pochen und
Geistergewehe addiert sich mit behutsamen, vielfach versampelten Gitarren-, Synthesizer- und
Saxophonsounds zu einem Klangkaleidoskop - ein von Songstrukturen weitgehend freies Flirren
und Tupfen, in dem Vernons artifizierte Stimme zum verbindenden Element wird.
149. Im Innenhof des Michelberger Hotels bedürfen solche Fragen bald keiner werden zu einer Art
Kathedrale, kugelrunde Lampions lassen ihre langen Papierfransen im sachten Wind des warmen
Herbsttags flattern und rattern, als gehörte auch dieser Soundeffekt zum offenen Konzept des
Albums.
150. Justin Vernon und seine drei Bandmitglieder sind in Arbeitshosen, Hoodies und Sportkäppis
gekleidet.
151. Sie haben sich eine Bühnenanordnung gebaut, die eher an Technokonzerte im Berghain erinnert als
an ein Rockkonzert unter freiem Himmel.
152. Die vier Musiker stehen oder sitzen, einige mit Gitarre, hinter Pulten mit Effektgeräten, die im
Quadrat zueinanderstehen, sodass sie sich beim rhythmischen Erzeugen und der Kommunikation
ihrer Klänge und Geräusche untereinander verständigen können.
153. Dem Publikum bieten sie nur ihre Rückenansichten.
154. Schon kapiert: Es geht um die Musik, nicht um ihre scheuen Protagonisten.
155. Das Publikum ist mit dieser Abkehr von jeglicher Rockstarpose mehr als zufrieden und wiegt sich
alsbald glückselig im Takt, wann immer sich aus den Klangtupfen für wenige Momente eine
Melodie oder ein kohärenter Beat herauskristallisieren.
156. Dann wird klar: Vernons Musik klingt nur hypermodern, indem sie sich aus den Spektren der
schwarzen Musik, R&B, Soul und Gospel sowie dem experimentellen Elektronik-Genre speist.
157. In Wahrheit ruht sie aber, in den Westcoast-Sampeln von "10 d E A T h b R E a s T " oder im
Heartland-Pathos von "8 (circle)", sicher und solide in der traditionellen amerikanischen
Rockmusik.
158. Dessen Zurückzu-den-Wurzeln-Hymne "Are You Sure Hank Done It This Way" gehört zu Vernons
Lieblingssongs.
159. Es sind die klassischen Folk- und Country-Soul-Melodien, pures Americana, das die DNA von
Bon Ivers Musik bildet.
160. Kein Wunder, dass sie uns so spontan vertraut erscheint und warm umkuschelt, obwohl sie uns nicht
voll instrumental ausformuliert und analog vermittelt wird, sondern mit Geräuschfetzen aus dem
Computer.
161. Bon Iver ist also nicht als Pop-Innovator zu verstehen, auch wenn er sein Genre musikalisch weitet
und in die digitale Moderne rückt.
162. Vielmehr sucht er sein Seelenheil vor den Zumutungen der hyperbeschleunigten Zeit, der
ökonomischen Härte des Musikbiz und der Ruhmverwaltung in der sentimental-tröstlichen
Regression zum unschuldigen Radiosound seiner Kindheit.
163. Die Verweigerung - der Performance, des Interviews oder, wie angekündigt, auch der klassischen
Tournee - wird Programm.
164. Und die Musik zum retrograden Eskapismus-Angebot für uns alle: Statt mich von der Außenwelt
stressen zu lassen, spiele ich lieber mit mir Sehnsuchtstriggern.
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165. Das hat dann nichts mehr mit Rock'n'Roll und seinen tradierten Mechanismen zu tun, noch nicht mal
mehr mit der Dekonstruktion von Männlichkeitsgesten im Pop.
166. "It might be over soon", wiederholt Justin Vernon jubilierend im ersten Stück seines Albums.
167. Keine Sponsoren, keine Headliner, keine Egos, keine Show - nur ein paar Freunde, die zusammen
jammen: Eine Woche lang trafen sich rund 85 Indie-, Alternativ- und Avantgarde-Künstler,
darunter Mitglieder von Poliça, Mouse On Mars und dem Ensemble Stargaze von Dirigent Andre de
Ridder zum gemeinsamen Workshop in den Studios des alten Berliner Funkhaus in der
Nalepastraße.
168. Zu den Initiatoren zählen Bon Ivers Justin Vernon sowie Aaron und Bryce Dessner von der Band The
National und das befreundete Michelberger Hotel.
(11) Hello again122
169. Pop-Superstar Adele hat bei den Brit Awards abgeräumt.
170. Beim wichtigsten Musikpreis Großbritanniens wurde die 27-Jährige für "Hello" mit dem Preis für
die Single des Jahres gekürt und gewann zudem die Auszeichnung als beste britische Musikerin,
den Global Success Award und die Trophäe für das Album des Jahres.
171. Adele, deren Comeback-Album "25" weltweit Verkaufsrekorde gebrochen hat, stach mit dem Preis
als beste Musikerin Amy Winehouse aus, die posthum nominiert war.
172. In ihrer Dankesrede unterstützte Adele am Mittwoch in London ihre US-Kollegin Kesha (28), die
ihrem Produzenten vor Gericht unter anderem psychischen Missbrauch und sexuelle Gewalt
vorwirft.
173. Die Trophäe als bester Musiker gewann der Sänger James Bay. Der 25-jährige Bay ("Hold Back the
River"), dessen Markenzeichen ein schwarzer Hut ist, begleitete mit der Gitarre das kanadische
Teenager-Idol Justin Bieber bei seinem Auftritt mit der Single "Love Yourself".
174. Der Brit Award für die beste britische Band ging zum vierten Mal an Coldplay - die damit einen
Rekord aufstellten.
175. Bereits 2001, 2003 und 2012 ging der Award in dieser Kategorie an die Musiker um Frontmann
Chris Martin.
176. Insgesamt war es ihr neunter Brit, den ersten gewannen sie vor 15 Jahren.
177. Mit der Single "Hymn for the Weekend" hatte Coldplay die Show in London eröffnet.
178. Die Musiker freuten sich über den Preis immer noch wie zu Beginn ihrer Karriere, versicherten sie.
(12) Mutter beim Pole Dance, Vater im Ikea-Bett123
179. Zwei unterschiedliche Alben aus der Mitte des Lebens: Britney Spears jagt mit Sex und
Selbstoptimierung dem alten Popglanz hinterher, Die Höchste Eisenbahn feiern mit einer
Softpopparty die Widersprüche des Daseins.
180. "Glory", das neunte Studioalbum von Britney Spears, handelt von Sex.
181. Das machte schon die Vorabsingle "Make Me " klar, samt Video, in dem Britney und ihre
Freundinnen sich im Clip-im-Clip-Casting ein Boytoy ausgucken.
182. In der langen Form wird es dann fast schon ein Konzeptalbum.
183. Da verspricht die Sängerin also Pole Dance und Twerken in der "Private Show", dem Song zum
neuen Duft.
184. "Clumsy" schiebt die Clubsound-Regler hoch und spielt auf Oralsex an.
185. Bei der Musik hätte der hypereffiziente Produzent Max Martin, der Britney in den 19 Jahren ihrer
Karriere so gute Dienste geleistet hat, mutmaßlich das Budget überstiegen - dankenswerterweise
wurde aber auch auf Prollbeats der Marke Will.i.am verzichtet.
186. Zu hören sind unspektakulär zeitgemäße Beats und Sounds, die auch Selena Gomez oder Hailee
Steinfeld gestanden hätten - der nächsten Generation von Popsängerinnen, die mit Britney
aufgewachsen sind.
187. Wenn Britney Spears heute über Sex singt, fehlt dem der Hauch des Skandalösen, der früher oft
mitschwang.
122
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/brit-awards-adele-als-beste-musikerin-ausgezeichnet-a-1079153.html
123
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/britney-spears-die-hoechste-eisenbahn-neue-alben-a-1110059.html
!106
188. Und weil die Musik dazu ja eigentlich okay klingt, wirkt es so, als habe Spears nach all den
Turbulenzen ihres Lebens eine Art Basis gefunden, auf der sie in einem anderen Beruf
wahrscheinlich jahre-, ja jahrzehntelang weitermachen könnte.
189. Doch Pop ist nicht so, Pop fordert den immer neuen Reiz ein im Tausch gegen die umkämpfte
Aufmerksamkeit.
190. So was scheint auf "Glory" nur momentweise auf, im stolzen Ich-komm-schon-selbst-zurecht von
"Just Luv Me" oder in der Akustikgitarre von "Do You Wanna Come Over", die erinnert an "Like I
Love You" von - ausgerechnet! – Justin Timberlake.
191. Und so diskutiert die Klatschöffentlichkeit schon wieder Britneys Auftritt bei den MTV-Awards,
der doch auch grundsolide in Glitzergelb war, aber eben nicht so spektakulär, nicht so
zeichengeladen, einfach nicht so wichtig wie der von Beyoncé direkt davor.
192. Auch auf dem zweiten Album von Die Höchste Eisenbahn, einem relativ jungen Berliner Ensemble
aus für Popverhältnisse relativ alten Musikern (bekannt unter anderem durch Tele, Tomte, Kid
Kopphausen und Acadian Post), gibt es reichlich Funkmeldungen aus der Phase des Lebens, über die
sich hartnäckig das Gerücht hält, sie sei die ergiebigste und produktivste Zeit, die dem Menschen zur
Verfügung stünde. Doch in Wirklichkeit, seien wir ehrlich, werden nur die geilen Abende kürzer und
die Problemgespräche länger.
193. Hört sich für ein Popalbum ziemlich öde an.
194. Mit seiner wie hingeworfenen, verlümmelten Eleganz wirkt das Album wie die Antithese zur
angestrengten Selbstoptimierung, mit der Britney Spears momentan Selbstzweifel der mittleren
Lebensphase zu bewältigen versucht.
195. Man nehme nur das Höchste-Eisenbahn-Lied "Gierig": Am Anfang die gemeine Selbsterkenntnis
"Du verletzt mich nicht, ich verletz mich mit dir", am Ende die versöhnliche Aussicht "Sei nicht so
traurig, du bist nirgendwo allein", dazwischen keine einzige Lüge.
196. Wie die das schaffen, obwohl ihre Songs so soft gespielt sind und so sweet gereimt klingen, dass ihr
nicht mehr richtig junges, noch nicht richtig altes Publikum glaubt, in Massen die eigenen Kinder
auf die Konzerte mitschleppen zu müssen?
197. Die Höchste Eisenbahn, so unaufgeregt bis schluffig die Künstler auch wirken, sind clevere Dichter
und Musiker, die aus der vielbeschworenen Uneigentlichkeit immer wieder zum Eigentlichen
zurückfinden.
198. Textlich haben sie bei den besten deutschen Songwritern der vergangenen Jahrzehnte gelernt,
musikalisch erinnern sie immer mal wieder an den Westcoast-Pop der Siebzigerjahre, bei dem
großer, anstrengender, irrer Aufwand betrieben wurde, um extrem lässig und ausgeruht zu klingen.
Tom Liwa trifft Steely Dan, Niels Frevert macht mit Fleetwood Mac rum.
199. Hier wird Pop zur Aufforderung, das Leben als Paradoxon zu leben, ohne daran zugrunde zu gehen.
200. Oder wie es im aktuellen Hit "Lisbeth" heißt, der möglicherweise und irgendwie so eine Art, nun ja,
Liebeslied ist: "Eins für die Hoffnung, zwei für die Angst, drei für die Dinge, die du mir nicht sagen
kannst."
(13) DEAD OR ALIVE: Sänger Pete Burns ist tot 124
201. Pete Burns von der 80er Jahre-Popband Dead Or Alive ("You Spin Me Round Like A Record") ist
im Alter von 57 Jahren gestorben.
202. Pete Burns, Gründer der 80er Jahre Popband Dead Or Alive, ist gestern im Alter von 57 Jahren an
einem Herzstillstand gestorben. Seine Popularität gründete auf dem 1985er Dancefloor-Hit "You
Spin Me Round (Like A Record)", der als Startschuss für den Erfolg des britischen
Produzententrios Stock Aitken Waterman gilt und noch Jahrzehnte später die Plattenkoffer von DJ
Hell oder Miss Kittin veredelt.
203. Pete Burns' Lebenspartner Michael Simpson, seine Ex-Frau Lynne Corlett und sein Manager und
früherer Bandkollege Steve Coy veröffentlichten folgendes Statement: "Seine Familie und Freunde
sind aufgrund des Verlusts dieses speziellen Stars am Boden zerstört. Er war eine visionäre,
talentierte Seele und wird von allen vermisst werden, die ihn so liebten, wie er war und aufgrund der
wundervollen Erinnerungen mit ihm."
204. Die Band um Diva Pete Burns gründet sich bereits Ende der Siebziger, spielt zunächst prä-gruftigen
Post-Punk-Wave, experimentiert ab 1982 mit Disco und flirtet auf dem Debütalbum
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URL: http://www.laut.de/News/Dead-Or-Alive-Saenger-Pete-Burns-ist-tot-24-10-2016-13055
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"Sophisticated Boom Boom" unverhohlen mit Hi-NRG. Auf dem Folgewerk "Youthquake" wartet
dann die Granate "You Spin Me Round (Like A Record)" auf die Zündung.
205. Es wird einer der größten Pop-Hits aller Zeiten.
206. Der Song trifft 1985 den Nerv der Zeit: Das Video mit dem unter einer Discokugel in einem violetten
Kimono herumwirbelnden Burns vereint alles, wofür sich eine Jugend in den Achtzigern lohnte und
sollte heutzutage in Schulen gezeigt werden.
207. Weitere Hits heißen "Lover Come Back To Me" oder "My Heart Goes Bang" und untermauern ihren
Status als Discokönige eindrücklich.
208. Musikalisch kann jedoch keines der Folgealben an die Klasse von "Youthquake" (1984) anknüpfen.
209. 1989 bricht die Band auseinander und Burns fällt nach dem Tod seiner Mutter und dem Verlust
zahlreicher Freunde durch AIDS in eine tiefe Depression.
210. Danach erregt der Sänger vor allem mit unzähligen Schönheits-OPs Aufsehen, die ihn bis zur
Unkenntlichkeit verändern.
211. Der frühe Förderer Pete Waterman lobte Burns im Gespräch mit laut.de kürzlich als einen der
wenigen, der in der Zusammenarbeit mit seinem Produzententrio eigene Ideen hervorbrachte.
212. Über die Dead Or Alive-Single "You Spin Me Round (Like A Record)" urteilte er: "Das Besondere
daran ist sicher, dass sie heute noch so frisch klingt wie 1985, als wir sie produziert haben. Das
kann man nicht von allen Platten sagen."
(14) Depeche Mode gehen 2017 auf Welttournee125
213. Fans fieberten seit einer Woche der Neuigkeit entgegen: Depeche Mode haben ein neues Album und
eine Welttournee im nächsten Jahr angekündigt.
214. In Deutschland sind sieben Konzerte geplant.
215. Nun ist das Geheimnis gelüftet: Auf einer Pressekonferenz in Mailand hat die britische Kultband
ein neues Album und eine Welttournee angekündigt.
216. "Wir könnten immer weitermachen", sagte Frontmann und Sänger Dave Gahan am Dienstag vor
Journalisten und etwa 500 Fans.
217. Einen Ausschnitt der neuen Produktionen zeigte die Band in einem kurzen VideoZusammenschnitt auf der Pressekonferenz, zu der auch Hunderte Fans eingeladen waren.
218. Die Band wolle aber nicht zu viel verraten, sagte Gitarrist und Songschreiber Martin Gore.
219. Der Vorverkauf für die neue "Global Spirit"-Tournee beginnt am Donnerstag.
220. Eröffnet werden soll sie mit einem Konzert am 5. Mai in Schweden, dann weiter durch Europa
führen.
221. Insgesamt 32 Open-Air-Konzerte in 22 Ländern sind geplant.
222. An dem 14. Studioalbum "Spirit" arbeite die Band seit einigen Jahren, so Sänger Dave Gahan.
223. Produziert werde es von dem britischen Musiker James Ford.
224. Die letzte Platte "Delta Machine" hatten Depeche Mode im Jahr 2013 veröffentlicht.
(15) Die Toten Hosen spielen wieder Wohnzimmerkonzerte 126
225. Die Toten Hosen gehören schon lange zu jenen Bands, weswegen man sie eigentlich nur noch auf
großen Festivals oder bei Stadionkonzerten erleben kann.
226. Aber die Gruppe um Sänger Campino hat ihre Punkwurzeln nicht vergessen und liebt genauso
auch die kleine Form.
227. In den letzten Jahren gingen die Hosen immer mal wieder auf „Magical Mystery Tour“, das heißt, sie
suchten sich in der Regel ein ungewöhnliches Wohnzimmer, um dort einen kleinen Gig zu geben.
228. Von einer Krankenstation in Ingolstadt bis zum Bootshaus in Duett mit Caterina Valente. Stralsund
war laut Meinung der Band schon jede Menge Wahnsinn dabei.
229. Nun gibt es Nachschlag: Die Toten Hosen fordern auf ihrer Website auf, sich für ein
Wohnzimmerkonzert zu bewerben.
230. Der Band geht es dabei vor allem um den privaten Rahmen – ein spießiges Wohnzimmer könnte so
auch innerhalb von Minuten für dieses edle, kleine Event umgestaltet werden. Bewerben kann man
sich per Brief, E-Mail oder Video.
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/depeche-mode-kuendigen-neues-album-und-welttournee-ana-1116126.html
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URL: https://www.rollingstone.de/die-toten-hosen-spielen-wieder-wohnzimmerkonzerte-1147199/
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(16) "Man wollte einen Pop-Star aus mir machen"127
231. Mit ihrem ersten Album unter eigenem Namen ("Information") tritt Eliot Sumner endgültig aus dem
Schatten ihres berühmten Vaters heraus.
232. Sie sei eine eigene Künstlerin.
233. Angesprochen auf ihren Dad reagiert die junge Sängerin neuerdings auffallend gelassen und
auskunftsfreudig.
234. Wir trafen Eliot im Zuge der Promoaktivitäten für ihr zweites, im Januar 2016 erscheinendes
Album "Information" in Berlin und fragten nach.
235. Im Gegensatz zu deinem neuen Album.
236. Das Album wurde sogar bereits im letzten Januar gemastert.
237. Seitdem habe ich die Songs auch nicht mehr gehört.
238. Ich glaube, ich würde verrückt werden, wenn ich vor dem Release noch einmal reinhören würde.
239. Es klingt sehr intensiv; ein Mix aus Industrial, New Wave und noisigem Pop.
240. Da waren Dutzende Leute um mich herum, die mich und meine Musik formen wollten.
241. Man wollte einen Pop-Star aus mir machen.
242. Aber schau mich an. Sehe ich aus wie ein Pop-Star?
243. Ich meine, ich bin nun mal die Tochter eines berühmten Musikers.
244. Sprich: Ich mache Musik, weil mein Vater Sting heißt. Punkt.
245. Nun, die Leute hören einfach, dass meine Musik so gut wie gar nichts mit der meines Vaters zu tun
hat.
246. Du trittst manchmal mit einem seiner Vintage-Bässe auf.
247. Das ist nicht sein Bass.
248. Aber es stimmt schon; der Bass hat schon große Ähnlichkeit mit dem Bass, den unser Vater lange
Zeit auf Tour dabeihatte.
249. ... und mitgenommen in eine einsame Lake District-Hütte, in der du dich ein knappes halbes Jahr zum
Songwriting zurückgezogen hast?
250. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht mehr, ob ich den Bass dabeihatte.
251. Da waren nur ich, der Hund und jede Menge Songideen.
252. Und die Phasen, in denen ich mich komplett auf die Songskizzen einlassen konnte, habe ich natürlich
sehr intensiv genutzt.
253. Du hast vorhin deine bisherigen Live-Aktivitäten erwähnt.
254. Du warst ja mit deiner Band bereits in Amerika auf einer siebenwöchigen Tour.
255. Aber egal, ich liebe das Touren.
256. Und das, obwohl ich eigentlich ein total nervöses Wrack bin, bevor ich auf die Bühne gehe.
257. Dann bin ich nur noch in der Musik drin.
258. Ich will Songs schreiben und damit auf Tour gehen.
(17) Gesammelte Elvis-Alben: Des Königs alte Scheiben128
259. Weil er damals knapp bei Kasse war und ihm der Knabe ohnehin zu anstrengend wurde, überließ Sam
Phillips, Chef des kleinen Labels Sun Records, seinen Klienten Elvis Aaron Presley der großen
Plattenfirma RCA.
260. Um ihre Investition so schnell wie möglich wieder einzuspielen drängte RCA ihr frisch erworbenes
Teenager-Idol umgehend, ein Album abzuliefern.
261. Mit dem am 23. März 1956, also vor ziemlich genau 60 Jahren veröffentlichten Debüt-Album "Elvis
Presley" begann eine der spektakulärsten Erfolgsgeschichten der Pop-Geschichte.
262. Die Bücher über diesen König des Rock'n'Roll, der in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre wie ein
Blitz in die verstaubte Branche einschlug, füllen Regalwände.
263. Der spannendste Weg, sich diesem Phänomen zu nähern, ist aber immer noch die Musik.
264. Den 60. Geburtstag seines Debüt-Albums feiert die inzwischen zu Sony gehörende Plattenfirma
nun mit der Box "Elvis Presley: The Album Collection", einem 60 CDs fassenden Kasten, der alle
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URL: http://www.laut.de/Eliot-Sumner/Interviews/Man-wollte-einen-Pop-Star-aus-mir-machen-27-01-2016-1318
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/elvis-presley-the-album-collection-des-koenigs-alte-scheibena-1082846.html
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zu Lebzeiten veröffentlichten Alben des "King" enthält sowie drei Alben mit Highlights aus dem
Archiv.
265. Die enthaltenen Platten, darunter "Elvis Presley", "Elvis Is Back" oder "That's The Way Is", wurden
so gut wie möglich den Originalen nachempfunden.
266. Es wurden Aufkleber beigepackt, Klappcover übernommen und auf die CDs die Original-Labels
der Vinyl-Vorlagen gedruckt.
267. Der Klang der Neuauflagen ist makellos und das dem Set beigepackte dicke Buch ist erstaunlich gut
gelungen.
268. Neben einem kurzweiligen Essay bietet es feine Bilder und detaillierte Informationen zu allen
enthaltenen Alben und den Aufnahmesessions.
269. John Jackson, der Autor des dem Buch vorangestellten Textes, hauptberuflich Mitglied der
Americana-Band The Jayhawks, wirft allerdings einige Fragen auf, die Elvis-Verehrer entsetzen
dürften, aber mehr als berechtigt sind: Warum, wundert sich Jackson, sind eigentlich unter diesen
zahlreichen Elvis-Platten so wenige Klassiker, also einzelne Alben, die als Meisterwerke gelten?
270. Warum produzierte Elvis so viele Live-Alben?
271. Warum so viele Soundtracks?
272. Und - besonders spannend - warum hat Elvis eigentlich nie mit den großen Produzenten seiner Zeit
gearbeitet?
273. Der Beginn von Elvis' Karriere fiel zufällig zusammen mit der Entdeckung der Langspielplatte als
Kunstform.
274. Damals, Mitte der Fünfzigerjahre, gehörte Frank Sinatra zu den ersten Künstlern, die diese neue
Möglichkeit, einen Satz Songs mit Dramaturgie und Thema zu versehen, voll ausnutzte.
275. Natürlich gibt es Elvis-Alben, die heute als Meilensteine gelten, so wie sein Debüt oder das "1968
NBC TV-Special", aber vor allem sah sich Elvis als Sänger, dem es reichte, eine Langspielplatte
mit den Songs zu füllen die er gerade eingespielt hatte.
276. Auch für die Gestaltung der Plattenhüllen schien sich in Elvis' Umfeld kaum einer zu interessieren.
277. Darüber, dass Elvis' Karriere als Musiker Höhen und Tiefen hatte, herrscht wohl Einigkeit.
278. Die Frage nach den Höhepunkten bietet jedoch allerlei Gesprächsstoff: Strenge Spezialisten
behaupten gerne, das der "King" nach dem elektrisierenden Rockabilly seiner frühen Sun-Sessions
bereits sein Pulver verschossen hatte.
279. Aber es gibt auch einige, die seine umstrittenen Hollywood-Soundtracks lieben, also Songs wie
"Yoga is as Yoga does".
280. Aber die Größe eines Künstlers besteht ja auch darin, sich wieder aufzurappeln, wenn er eigentlich
schon am Boden ist.
281. Diese Box gehört zum Weltkulturerbe.
282. Auch diese Geschichten illustriert die Box fabelhaft.
283. Was für ein sagenhafter Sänger Elvis war, machten himmlische Gospel-Alben wie "He Touched Me"
deutlich, die er immer mal wieder einspielte.
284. Dagegen müssen die beiden Platten, die er in den Stax-Studios einspielte, der Heimat von SoulGrößen wie Isaac Hayes, als verpasste Chancen gelten, weil ihm der Mut fehlte, auf die dort
ansässigen Session-Musiker zu setzen.
285. Als 1977, zur Hochzeit des Punk, Elvis' finales zu Lebzeiten veröffentlichtes Studio-Album "Moody
Blue" erschien, galt der King als Relikt einer vergangenen Ära.
286. Er habe es so satt, Elvis Presley zu sein, vertraute er kurz vor seinem Tod einem Produzenten an.
287. Dass er aber trotzdem noch auf der Höhe der Zeit war, belegt schon die Anekdote, dass er sich damals
David Bowie als Produzenten wünschte. Ein Jammer, dass daraus nichts wurde.
288. Aber diese Box mit all seinen Alben, mit allen Höhen und Tiefen dieser einzigartigen Karriere,
gehört zum Weltkulturerbe.
(18) Fleetwood Mac: Tusk – Remastered Album Review129
289. Der Rumours-Nachfolger Tusk in verschiedenen Neuformaten
290. Mit dem Vorgängeralbum „Rumours“ sprengten Fleetwood Mac sämtliche für sie bis dato geltenden
Grenzen.
129
URL: http://www.soundsandbooks.com/2015/12/06/fleetwood-mac-tusk-remastered-album-review/
!110
291. Nach wie vor gehört der Longplayer, der 1978 als bestes Album einen Grammy gewann und
dessen Erfolgsgeschichte mit der Auskopplung der Single „Go Your Own Way“ bereits Ende 1976
begann, zu den meistverkauftesten Platten aller Zeiten.
292. Ein Pop-Album wie aus einem Guss, ein Meilenstein der Pop-Geschichte, trotz der bandinternen
und privaten Querelen der Mitglieder Mick Fleetwood, Lindsay Buckingham, John McVie, Christine
McVie und Stevie Nicks.
293. Mit dem im Oktober 1979 veröffentlichten Nachfolger Tusk gingen Fleetwood Mac nicht unbedingt
auf die von der Plattenfirma erhoffte „Nummer sicher“.
294. Vielmehr überraschte das Quintett mit einem opulenten Doppel-Album, das vergleichsweise
wesentlich experimentierfreudiger und vielseitiger geriet als das herrlich im Mainstream
schwimmende Rumours.
295. Erstaunlicherweise war Tusk in Deutschland zunächst erfolgreicher als Rumours und kletterte bis auf
Platz 3 der Album-Charts, während Rumours es „nur“ bis Platz 6 schaffte.
296. Experimente hin oder her, natürlich glänzte auch Tusk mit einigen typischen Fleetwood Mac-PopRock-Perlen.
297. Allen voran natürlich „Sara“, diese filigrane, leidenschaftliche und überragende, von Stevie Nicks
gesungene Ballade, definitiv einer der schönsten Fleetwood Mac-Songs ever.
298. Aber auch „Over & Over“, „Think About Me“, „Save Me A Place“, „Storms“, „Not That Funny“,
„Sisters Of The Moon“, „Brown Eyes“, „I Know I’m Not Wrong“ oder der Titelsong „Tusk“ sind
große Momente des Albums und in der Karriere der 70er-Westcoast-Vorzeige-Rock-Pop-Band.
Tusk liegt nun in verschiedenen Remastered-Versionen vor.
299. Als einfache CD, als 3CD Expanded Edition sowie der Deluxe Edition mit fünf CDs, 2LPs und
einer DVD.
300. Ein remastered Original-Doppel-Album auf Vinyl ist ebenfalls erhältlich.
301. Die Expanded Edition enthält auf der zweiten CD Singles, Outtakes und Sessions, darunter gleich
sechs Versionen von „I Know I’m Not Wrong“ und fünf Varianten von „Tusk“.
302. Auf der dritten CD befinden sich alle Songs des Albums in alternativen Aufnahmen.
303. Die Deluxe Edition glänzt mit zwei zusätzlichen Live-CDs, 22 unveröffentlichte
Konzertmitschnitte aus dem Jahr 1979, die nicht nur Tracks von Tusk bieten, sondern BandKlassiker wie „Landslide“, „You Make Loving Fun“, „Rhiannon“, „Don’t Stop“ und „Go Your Own
Way“ beinhalten.
304. Die Neu-Ausgabe von Tusk ist ein exzellenter Beweis für den kreativen Output von Fleetwood Mac
Ende der 70er Jahre.
(19) Weltmeister in schlechter Laune 130
305. Nachdem Fleetwood Mac eine der erfolgreichsten Platten aller Zeiten abgeliefert hatten, stritten sie
sich nur noch mehr und legten mit "Tusk" ein exaltiertes Meisterwerk nach. Das erscheint nun als
luxuriöse Neuauflage.
306. Die 13 Monate, in denen Fleetwood Mac im Studio an ihrem Album "Tusk" arbeiteten, hat Stevie
Nicks mal mit einer "Geiselhaft im Iran" verglichen. Ihrem Kollegen Lindsey Buckingham ist in
Erinnerung geblieben, dass die Stimmung während der Sessions überwiegend feindselig gewesen
sei.
307. Schuld daran waren munterer Partnertausch innerhalb der Band, finsterere Eifersuchtsdramen,
Drogenexzesse, allerlei Krankheiten und schwere charakterliche Defizite.
308. Aber aus all den "Bad Vibrations" destillierten Fleetwood Mac eben auch umwerfende Songs und
große Bestseller.
309. Der Turbo-Hit "Rumours", der bis heute mehr als 40 Millionen Mal verkauft wurde und noch immer
auf Rang sechs der bestverkauften Alben aller Zeiten thront, war - was die Songtexte angeht - eine
Sammlung von Abrechnungen, Schuldzuweisungen und Liebesklagen. Bester Stoff für eine
Seifenoper.
310. Nach "Rumours" gingen sich die dafür verantwortlichen Musiker dann auch erst einmal aus dem
Weg und ließen sich Zeit mit der Fortsetzung, zu der die Plattenfirma sie drängte. Es gibt eine
unterhaltsame Fleetwood-Mac- Dokumentation aus jenen Jahren, in der Lindsey Buckingham zu
sehen ist, wie er die Baustelle seiner aktuellen Mega-Mansion begutachtet: Da stolziert er mit
130
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/fleetwood-mac-deluxe-edition-tusk-vinyl-lp-in-concert-a-1078241.html
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mürrischem Gesicht an halbfertigen Tennisplätzen und diversen Pools vorbei und zetert, wie
kostspielig das alles sei und dass er sich seine frisch gegründete Familie mit kleinen Kindern
eigentlich gar nicht leisten könne.
311. Und dass eben deshalb das nächste Fleetwood-Mac-Album "Tusk" ein Doppelalbum mit möglichst
vielen seiner Songs werden müsse, damit sich das alles überhaupt für ihn rechnet. Aber bei aller
Exzentrik und Egomanie war Buckingham auch immer der abenteuerlustigste Songwriter bei
Fleetwood Mac.
312. Nachdem Fleetwood Mac - 1967 in London von Mick Fleetwood als Bluesband gestartet - nach
ihrem frühen Hit "Albatros" in England so langsam die Luft ausging, verpflanzte Fleetwood die
Band 1975 nach Kalifornien und heuerte das junge Hippiepaar Stevie Nicks und Lindsey
Buckingham an, was sich als genialer Schachzug erwies, da die beiden den sagenhaft erfolgreichen
kalifornischen Softrock-Sound mitbrachten.
313. "Rumours" erschien dann 1977 zur Blütezeit des Punkrock.
314. Es verkaufte sich absurd gut, die dafür verantwortlichen Künstler wurden aber von Medienmenschen
als dauerberauschte Dinosaurier belächelt.
315. Studio auf der Toilette
316. Jedenfalls übernahm Buckingham dann die Regie bei "Tusk", aber nicht nur um Kasse zu machen,
sondern auch um den Sound der Band aufzufrischen.
317. In seinem neuen Palast hatte er sich ein Studio einbauen lassen, inklusive einer Toilette mit
Schlagzeug, und begann zu experimentieren.
318. Und auch wenn sich die Musiker untereinander nicht grün waren, wurde "Tusk" doch ein Triumph.
319. Das fängt schon mit dem herrlich seltsamen Cover an, auf dem ein Hund, warum auch immer, in eine
Jeans beißt.
320. Aber die darin verpackte Musik ist tatsächlich grandios; insbesondere die Beiträge von Lindsey
Buckingham.
321. Der von ihm verfasste Titelsong "Tusk" machte klar, dass Fleetwood Mac in der Gegenwart
angekommen waren.
322. Die sechseinhalb Minuten lange Stevie-Nicks-Nummer "Sara" erinnerte an bewährte Qualitäten der
Band.
323. Kommerziell betrachtet war "Tusk" für Fleetwood-Mac-Verhältnisse ein Flop, mit vier Millionen
verkauften Exemplaren, also zehn Prozent dessen, was der Vorgänger "Rumours" umsetzte.
324. Aber vielen Experten gilt "Tusk" längst als Meisterwerk der Band.
325. Der US-"Rolling Stone" führt das Album unter den "500 besten aller Zeiten".
326. Nachgewachsene Kollegen wie Tame Impala, R.E.M. oder Bonnie Prince Billy spielten Songs daraus
nach.
327. Und Camper Van Beethoven coverten "Tusk" gleich komplett.
328. Nun ist eine umfangreiche "Tusk"-Deluxe-Ausgabe erschienen.
329. Auf fünf CDs und zwei Vinylplatten werden ein frisch restaurierter Album-Mix geboten sowie
haufenweise Demos, Outtakes und Konzertaufnahmen. Grandios klingt auch ein 5.1 Mix des
Originals, der auf DVD beigepackt ist.
330. Nach "Tusk" begab sich die Band erstmal auf eine ausgiebige Konzertreise. Da sie keine Lust
hatten, so bald im Studio wieder zusammenzukommen, erschien danach das Album "In Concert",
das die Band in Bestform und mit überraschendem Repertoire zeigt und nun auch auf Vinyl wieder
aufgelegt wurde. Dass Lindsey Buckingham während der Shows mehrfach im Halbdunkel nach
Stevie Nicks getreten haben soll, ist eine andere Geschichte.
(20) Ein größeres Stück vom Nummereins-Kuchen131
331. Endlich Nummer eins: Mit seinem Album "Blonde" führt Frank Ocean die US-Charts an - und
verdient durch einen smarten Deal ein Vielfaches mehr als die übliche Gewinnbeteiligung.
332. Vier Jahre Zeit ließ sich Frank Ocean für die Nachfolge seines hochgelobten Albums "Channel
Orange" - und dann veröffentlichte der US-Sänger an einem Wochenende erst ein "visuelles
Album" namens "Endless" und dann 17 reguläre Songs für ein Album, bei dem vor allem unklar
blieb, ob es nun "Blond" oder "Blonde" heißen soll.
131
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/frank-ocean-blonde-auf-platz-eins-der-us-albumcharts-a-1109907.html
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333. "Blonde" - das ist der Titel, unter dem das Album bei Apple Music (als Stream) und iTunes (als
Download) gelistet ist - war im Gegensatz zu "Endless" qualifiziert für die Chart-Erhebung des USBranchenmagazins "Billboard" und brachte Frank Ocean nun dessen erste Nummer eins ein.
334. Wie "Billboard" berichtet, schafften 2016 nur zwei Alben einen stärkeren Verkaufsstart in den USA:
Drake mit "Views" und Beyoncé mit "Lemonade". "Channel Orange" kam 2012 nur auf Platz zwei
der Charts.
335. Frank Ocean kann sich dabei über einen größeren Anteil am erwirtschafteten Profit seines Albums
als bisher üblich freuen.
336. Denn der Hintergrund für den Doppelschlag aus "Endless" und "Blonde" war offenkundig, dass
Ocean mit dem eher experimentell gehaltenen Langvideo "Endless" seine vertraglichen
Verpflichtungen gegenüber seiner bisherigen Plattenfirma Def Jam, einer Tochter des
Marktführers Universal, erfüllte.
337. "Blonde" veröffentlichte Ocean dann bei seinem eigenen Label Boys Don't Cry und exklusiv über die
Apple-Dienste.
338. Um diesen Schachzug zu ermöglichen, hatte Frank Ocean "Billboard" zufolge die ausgelegten
Produktionskosten von rund zwei Millionen Dollar an Universal zurückgezahlt - möglicherweise
aus einem Apple-Vorschuss.
339. Die Veröffentlichung von "Blonde" auf seinem eigenen Label bedeutet nun nach Angaben des
Branchendienstes, dass Ocean 70 Prozent der Einnahmen behalten kann - statt 14 Prozent bei
einem herkömmlichen Label-Deal.
340. Und als souveräne künstlerische Geste wurde die Doppelveröffentlichung obendrein gefeiert.
(21) Frank Sinatra Jr. ist tot 132
341. "Ich bin da eher zufällig reingeschlittert", sagte Frank Sinatra Jr. vor rund einem Jahr auf die Frage,
wie man als Sohn eines der erfolgreichsten Sänger des vergangenen Jahrhunderts nur auf die Idee
kommen könne, selbst Sänger zu werden.
342. Mit "zufällig reingeschlittert" meinte Sinatra Jr. einen Auftritt seiner Band, bei dem der Sänger
kurzfristig ausgefallen war.
343. Jemand musste einspringen - und Pianist Sinatra tat es.
344. Am Mittwochabend hätte er in Daytona Beach, Florida auf der Bühne stehen und singen sollen, er
war in dem Bundesstaat auf Tournee.
345. Seine Managerin bestätigte dem Sender CNN die Berichte.
346. Sinatra Jr. wurde 1944 in New Jersey geboren, er ist das zweite von drei Kindern aus Frank Sinatras
Ehe mit Nancy Barbato (mehr zum legendären Musiker (1915 - 1998) lesen Sie hier).
347. Der Fall hatte für großes Aufsehen gesorgt, dem Teenager war damals vorgeworfen worden, die
Aktion selbst inszeniert zu haben, um seine Karriere als Sänger zu befördern.
348. Sinatra Jr. arbeitete auch als Pianist, Schauspieler und Entertainer.
(22) Der fünfte Beatle 133
349. Der 13. Februar 1962 ist ein schicksalhafter Tag der Popgeschichte.
350. Es war der Tag, an dem Brian Epstein, Manager einer jungen, ruppigen Band namens The Beatles,
bei dem eigentlich für Klassik- und Comedy-Alben bekannten EMI-Label Parlophone in London
vorstellig wurde.
351. Epstein war verzweifelt: Seine vier in Lederjacken gekleideten Protegés aus Liverpool waren schon
von allen großen und kleinen Plattenfirmen abgelehnt worden.
352. Es war die Zeit, in der orchestersatter Pop von Cliff Richard die britischen Charts dominierte,
niemand wollte eine räudige Rock'n'Roll-Gruppe unter Vertrag nehmen.
353. Auch Parlophone-Chef George Martin war nicht begeistert, nachdem ihm Epstein ein Demotape
vorgespielt hatte.
354. Aber der Plattenmanager brauchte dringend einen Erfolg. Zehn Jahre lang hatte sich der klassisch
ausgebildete Musiker bei EMI abgearbeitet und es zum Label-Boss gebracht, stand aber stets im
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/frank-sinatra-jr-ist-tot-musikers-erleidet-herzstillstand-a-1082745.html
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/george-martin-nachruf-auf-den-fuenften-beatle-a-1081425.html
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Schatten seines heute vergessenen Konkurrenten Norrie Paramor, der bei EMI das Imprint
Columbia leitete und einen Nummer-eins-Hit nach dem anderen feierte.
355. Martin beschloss, Epstein eine Chance zu geben und gewährte den vier Musikern John Lennon, Paul
McCartney, George Harrison und Pete Best eine Stunde im Studio.
356. Was dann folgte, war die Erfindung der modernen Popmusik.
357. Denn Martin, selbst leidenschaftlicher Musiker, beschränkte sich nicht darauf, die Platten seiner
neuen Band herauszubringen, er beteiligte sich auch aktiv am Entstehungsprozess.
358. George Martin war der erste Produzent moderner Prägung, er gilt als "fünfter Beatle".
359. Seine teils komplexen Arrangements für Beatles-Klassiker wie "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club
Band", "Lady Madonna", "Strawberry Fields Forever", "I Want To Hold Your Hand" und vor allem
"A Day In The Life" ließen den zunächst ungestümen Rocksound der Band zu etwas Erhabenem
werden.
360. Mit seinem Verständnis für orchestrale, klassische Musik und seinem Gehör für Melodien entwarf
Martin gemeinsam mit den Beatles etwas, das er ein "Klang-Gemälde" nannte - und sorgte durch
seine Anregungen dafür, dass sich John Lennon und Paul McCartney zwischen 1963 und 1967 zu
jenem selbstbewussten, visionären Songwriter-Team entwickeln konnten, das die populäre Musik
für Jahrzehnte prägen sollte.
361. Doch zunächst mussten der adrette Label-Manager und die Liverpooler Arbeiterklasse-Jungs einen
Weg der Zusammenarbeit finden.
362. Ein gemeinsames, sehr britisches Humorverständnis soll dabei geholfen haben. Gefragt, ob es am
Aufnahmestudio etwas zu bemängeln gebe, soll George Harrison zu Martin gesagt haben:
"Zunächst mal mag ich Ihre Krawatte nicht".
363. Pete Best ersetzte Martin alsbald durch Ringo Starr und ließ die in seinen Ohren lahmende, an Roy
Orbison erinnernde Beatles-Single "Please Please Me" zu einer bahnbrechenden Rock'n'RollHymne werden: Er schlug der Band vor, sie solle die Nummer doch einfach mal schneller spielen.
364. Nur wenig später hatten die Beatles den Spitzenplatz der britischen Charts dauerhaft erobert und
machten sich gegen Ende 1963 daran, Amerika und den Rest der Welt in die "Beatlemania" zu
versetzen.
365. 1965 ließ sich Martin von der EMI freistellen, um sich als Freelancer ausschließlich als BeatlesProduzent zu betätigen.
366. Wäre die Band ohne Martins Impulse nicht zu dem Phänomen geworden, das sie bis heute ist?
367. Je erfolgreicher die Beatles wurden, desto spannungsreicher wurde das Verhältnis nicht nur innerhalb
der Gruppe, sondern auch zu Martin.
368. Ausgerechnet durch den US-Hit-Produzenten Phil Spector, dessen raumgreifendes, orchestrales
"Wall of Sound"-Klangambiente Martin eigentlich vorweggenommen hatte, wurde er für die
Aufnahmen zum letzten Beatles-Album "Let It Be" ausgetauscht.
369. Für "Abbey Road", das vor "Let It Be" erschien, aber später aufgenommen wurde, kehrte die Band
jedoch reumütig zu ihm zurück.
370. Verärgert über ein Interview im "Melody Maker", in dem Martin von seinem großen Einfluss auf den
Beatles-Sound gesprochen hatte, schrieb John Lennon 1971 in einem Brief, der auch der Redaktion
des Musikblattes zuging: "Natürlich war George Martin eine große Hilfe dabei, unsere Musik
technisch umzusetzen, als wir es nötig hatten", schrieb Lennon, "aber dass der Kameramann sich
anmaßt, Regisseur gewesen zu sein, das ist ein bisschen viel."
371. Man müsse sich nur mal die weltweiten Charts ansehen, giftete Lennon weiter, andeutend, dass "Let
It Be" auch ohne Martin gut funktioniere.
372. Seatrain hieß die völlig erfolglose kalifornische Rockband, die Martin für Capitol Records nach
dem Ende seiner Zusammenarbeit mit den Beatles produziert hatte.
373. Tatsächlich beruht George Martins Erfolgsmythos bis heute auf den Jahren, in denen er zusammen
mit den Liverpoolern einflussreiche Alben wie "Revolver" und "Rubber Soul" und "Sgt. Pepper"
schuf.
374. In den Siebziger- und Achtzigerjahren arbeitete Martin, inzwischen Inhaber seiner eigenen Firma
Associated Independent Records, mit Paul McCartney an einigen Soloalben und produzierte
Rock-Größen wie Jeff Beck, America, Jimmy Webb, Kenny Rogersund Elton John.
375. Auch in den Büchern, die Martin schrieb, darunter die 1979 veröffentlichten Memoiren "All You
Need Is Ears", ging es um die Beatles, und Mitte der Neunziger war Martin als Verwalter ihrer
!114
musikalischen Hinterlassenschaft federführend beim Remastering der alten Aufnahmen für die
erfolgreiche "Anthology"-Reihe.
376. 1998 machte er sich selbst noch ein besonderes Abschiedsgeschenk von seiner aktiven Arbeit als
Produzent: Er trommelte Stars wie Phil Collins, Céline Dion, Robin Williams, Jim Carrey und
Sean Connery zusammen, die für das Tributalbum "In My Life" Beatles-Songs neu
interpretierten.
377. 2006 schließlich, als er bereits 80 Jahre alt war, remixte er gemeinsam mit seinem Sohn Giles noch
einmal zahlreiche Beatles-Songs für die Cirque-du-Soleil-Liveshow "Love".
378. "Als ich anfing, gab es nicht mehr als eine Handvoll Produzenten", sagte Martin vor Kurzem dem
"Guardian".
379. "Heutzutage denkt jeder, er sei Produzent.“
380. „Die Technologie ist so fortgeschritten, dass du jeden nicht so tollen Track wundervoll klingen lassen
kannst.“
381. „Ein Produzent muss ins Innere eines Künstlers eindringen."
382. 1996 wurde George Martin zum Ritter geschlagen, im Jahr darauf produzierte er gemeinsam mit
Elton John dessen modifizierte Version des Songs "Candle In The Wind" zu Ehren von Prinzessin
Diana.
383. Später Triumph: Es wurde die bestverkaufte Single aller Zeiten.
(23) "30STM sind mir fast zuwider"134
384. Herr Gropper nämlich fordert sich selbst gern heraus; das sollte spätestens seit der Zusammenarbeit
mit Rapper Casper klar sein.
385. Und so suchte er sich für sein neuestes Werk eines der am meisten - wenn nicht sogar das am
häufigsten besungene Thema heraus.
386. Doch damit nicht genug der Herausforderung: "Love" ist ein Popalbum geworden. Ganz bewusst hat
Gropper sich der Populärmusik hingegeben.
387. Dementsprechend wenig Sorgen muss sich das deutschen Feuilleton um seinen Liebling machen.
388. Gropper ist kein aalglatter Pop-Ken geworden.
389. Die Süddeutsche schreibt über dein neues Album: "Er wagt sich tief in den Pop hinein".
390. Sehr lange konnte ich mit Pop nichts anfangen, wie auch immer man das definiert.
391. Soundtracks, Folklore, Klassik – um eben daraus meinen eigenen Pop zu machen.
392. Die Referenzen, die da jetzt drauf sind, sind alle eher Pop.
393. Die eine Herausforderung war: ich versuche jetzt wirklich Pop.
394. Und die andere war, dass es das größte Popthema überhaupt ist.
395. Ging es dir eher um das Thema oder um die Musik?
396. Das Thema Pop kam über die Musik, das andere war Zufall.
397. Es passt ebenso gut, weil Liebe so ein großes Popthema ist und ich mich für eine eher poppige
Variante entschieden habe.
398. Ich wollte nicht – wie bisher – gleich alles mitproduzieren und das Arrangement im Hinterkopf
haben, sondern erst mal einfach mit Gitarre Songs schreiben.
399. Was macht für dich gute Musik aus?
400. Aber ich erkenne gute Songs immer auch daran, dass ich sie oft hören kann.
401. Hast du 'all time favourites'?
402. Naja, die 'all times favourites' der Welt, die Beatles und so, die sind schon unantastbar.
403. Das sind nicht zu unrecht Klassiker.
404. Ich bin einerseits mit Klassik aufgewachsen und bin dann direkt eher zu Punk gewechselt.
405. Pop hab ich als "die andere Seite" angesehen.
406. Gab es eine Band, die dich so beeindruckt hat, dass du dieses Popalbum aufnehmen wolltest?
407. Ich hab dann viel solche Musik gehört und auf einmal hat es mich total angesprochen.
408. Kannst du als Musiklehrerkind Musik besser auseinandernehmen?
409. Ich hab schon immer ganz viel Musik gehört und gemacht und bin dort sehr analytisch.
410. Wenn es um Musik geht, ist es mir schon wichtiger, dass sie mich emotional anspricht.
411. Es gibt ja so Guilty Pleasure-Songs, bei denen gar nicht viel dahinter ist, die einen aber trotzdem
kriegen.
134
URL: http://www.laut.de/Get-Well-Soon/Interviews/30STM-sind-mir-fast-zuwider-29-01-2016-1319
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412. Das kann ich natürlich auch rausfinden: Ich kann mir das schönreden, weiß aber eigentlich ganz
genau, dass alles an dem Song ganz schön wrong ist.
413. Es gab mal so einen 30 Seconds To Mars-Song...
414. Ich kenn, ehrlich gesagt, aber nur den einen Song, mehr will ich auch gar nicht wissen.
415. Du hast schon einige gute Alben produziert.
416. Das liegt so in der Natur dieses Themas – obwohl man weiß, dass es zu nichts führt, Liebe zu
erklären oder irgendwas darüber rauszufinden.
417. Wenn es eine Aussage zu diesem Album gibt, dann ist es diese: Man kann Liebe als Begriff nicht
fassen.
418. In deinem Promozettel heißt es, die deutsche Romantik sei tot.
419. Oder so Volksmusik.
420. Wie passt das Thema Liebe mit dem Album-Artwork zusammen?
421. Aber das Motiv ist nun nicht unbedingt lieblich.
422. Und ein bisschen sehe ich so auch meine Musik.
423. Das lässt sich auch ganz gut auf das Video mit Udo Kier zu "It's Love" beziehen.
424. Die Idee stammt nicht von mir, sie ist eine Interpretation meines Textes.
425. Als ich den Text geschrieben hab, hatte ich so ein Szenario überhaupt nicht im Sinn.
426. Ich war erstaunt, wie gut der Text zu diesem Video passt.
427. Ich kann mir das Video jetzt anschauen und meine Interpretation abgeben, dass das Video die
Aussage hat: Auch das ist Liebe.
428. In dem Video geht es gar nicht um eine moralische Ebene.
429. Das Video untermauert, wie weit der Begriff gefasst werden kann und von welcher völlig
abgründigen Perspektive dieses Wort benutzt werden kann.
430. Ja, die Dinge stehen schlecht, aber mehr denn je stellt dieses Album klar, dass man der Sache auch
positiv begegnen könnte – es zumindest versuchen sollte.
(24) Der Preis ist heiß, die Show ist heißer 135
431. Vor gut einer Woche, in der Halbzeit vom Super Bowl, lieferte Beyoncé einen großen politischen
Popmoment: In ihrem Song "Formation" rief sie Frauen zur Stärke auf, prangerte Polizeigewalt
gegen Schwarze an, und auf der Bühne trugen ihre Tänzerinnen schwarze Lederuniformen, die dem
ikonischen Dress der Black Panthers nachgebildet waren.
432. Nach den Grammys, die in der Nacht auf Dienstag in Los Angeles vergeben wurden, ist klar, dass
Beyoncés Auftritt in diesem Jahr vorerst der einzige politische Popkraftakt bleiben wird: Denn
Taylor Swift, die als unangefochtener Star des Abends für die Platte "1989" in der Hauptkategorie
"Album des Jahres" ausgezeichnet wurde, hatte zwar eine Botschaft.
433. "Als erste Frau, die bei den Grammys zum zweiten Mal für das Album des Jahres ausgezeichnet
wird, will ich all den jungen Frauen da draußen sagen, dass es auf eurem Weg Leute geben wird, die
euren Erfolg untergraben wollen", so etwa Swift.
434. Das Netz machte die Rede dann inhaltlich noch kleiner, weil es Swifts Worte sofort als persönliche
Abrechnung mit ihrem langjährigen Intimfeind Kanye West interpretierte, der in seinem neuen Song
"Famous" über Sexfantasien mit Swift singt.
435. Ob von Swift so intendiert oder nicht - mehr Haltung als das Maßregeln des notorisch
frauenverachtenden Pop-Irren West und mehr als ein Satz wie von einem lauen Motivationsposter
hätte an diesem Abend schon drin sein können.
436. Ja, die Grammys unterhielten in diesem Jahr durchaus: Lady Gaga verwaltete nicht mehr nur das
eigene Erbe, sondern zollte als leicht zerrupfte Ziggy-Stardust-Kopie mit einem durchweg
gelungenen Medley David Bowie Tribut; Stevie Wonder berührte mit Worten zum verstorbenen
Earth, Wind & Fire-Gründer Maurice White: "Maurice, mögest du in ewiger Seligkeit und Frieden
ruhen."
437. Die blinde Soullegende unterhielt aber auch, als er den Gewinner in der Kategorie "Bester Song"
verkünden sollte (der Preis ging an Ed Sheeran und Amy Wadge für "Thinking Out Loud").
438. In der Hand den Umschlag, in dem der Siegername in Blindenschrift stand, lachte Wonder über das
Publikum: "Ihr könnts nicht lesen, ihr könnt kein Braille."
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/grammy-awards-warum-kendrick-lamar-der-wahre-gewinner-ista-1077558.html
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439. Aber trotzdem blieb der Beigeschmack, dass vor allem Erfolg und Selbstverwaltung großer
Popgeschichten belohnt wurden, aber nicht die dringend benötigte Haltung: Kendrick Lamar, der
mit seinem Hip-Hop-Manifest "To Pimp A Butterfly" wütend und hochintelligent die Ereignisse
von Ferguson verarbeitete, war in diesem Jahr als unangefochtener Favorit in elf Kategorien
nominiert - und gewann in fünf, räumte also ziemlich ab.
440. Aber eben fast ausschließlich in den Rap-Kategorien: Der Künstler wurde ausgezeichnet für das
beste Rap-Album, den besten Rap-Song, die beste Rap- Performance, die beste RapKollaboration.
441. Das wird ihm im Poprahmen als Liebling des Feuilletons absolut gerecht, aber nicht seiner
Bedeutung als Stimme der "Black Lives Matter"-Bewegung.
442. Die Jury ließ hier zudem einmal mehr die Chance verstreichen, einen Rapper für die
genreübergreifende Hauptkategorie "Album des Jahres" auszuzeichnen – bislang gewannen in
der Geschichte der Grammys erst zwei Hip-Hop-Alben in dieser Sparte (Lauryn Hill 1999 für "The
Miseducation of Lauryn Hill" und Outkast 2004 für "Speakerboxxx/ The Love Below").
443. Die einzige Auszeichnung für Lamar außerhalb der Rap-Kategorien folgte dann bezeichnenderweise
für einen seiner blassesten Auftritte: In Zusammenarbeit mit Swift nahm Lamar "Bad Blood" auf.
444. Der zugehörige Clip, in dem sich Swift als Mischung aus Agentin und Ninja unter anderem mit Cara
Delevingne und Jessica Alba durch eine Großstadt kämpft, während Lamar vor allem aus dem
Hintergrund im Sitzen rappt, wurde als bestes Video ausgezeichnet.
445. Zumindest zeigte Lamar selbst mit seiner Performance eindrucksvoll, dass jeder Preis dann egal
wird, wenn die Show über die Unterhaltung hinausweist: Seinen Song "The Blacker the Berry"
performte der Rapper in Häftlingskleidung, vor Gefängniskulisse und mit Handschellen; am Ende
blieb seine Silhouette im Dunkeln vor dem Grundriss Afrikas, über den "Compton" geschrieben war;
der Name des sozial gebeutelten Stadtteils in Los Angeles also, aus dem Lamar und andere
Rapgrößen stammen.
446. Es folgten Standing Ovations.
447. Und am Ende bekam der Künstler sogar, als er sich mit seinem Auftritt so schon längst selbst zum
Sieger des Abends gekürt hatte, gar doch noch die Anerkennung, die ihn über den Poprahmen
hinaus würdigte: Auf Twitter gratulierte ihm das Weiße Haus. Verpackt waren die Worte in eine
Eigenwerbung für Obamas Mentorenprogramm, ja.
448. Die Grammy-Preisträger in den wichtigsten Kategorien:
449. Album des Jahres: Taylor Swift - "1989"
450. Song des Jahres: Ed Sheeran - "Thinking Out Loud"
451. Aufnahme des Jahres: Mark Ronson und Bruno Mars - "Uptown Funk"
452. Bester Newcomer: Meghan Trainor
453. Beste Pop-Solo-Performance: Ed Sheeran - "Thinking Out Loud"
454. Beste Pop-Duo-Performance: Mark Ronson und Bruno Mars - "Uptown Funk"
455. Bestes Pop-Gesangsalbum: Taylor Swift - "1989"
456. Bestes traditionelles Pop-Gesangsalbum: Tony Bennett und Bill Charlap - "The Silver Lining: The
Songs Of Jerome Kern"
457. Bestes Rock-Album: Muse - "Drones"
458. Bestes Rap-Album: Kendrick Lamar - "To Pimp A Butterfly"
459. Bester R&B-Song: D'Angelo und Kendra Foster - "Really Love"
460. Bestes zeitgenössisches Album: The Weeknd - "Beauty Behind The Madness"
(25) Das Album der Woche vom „Rolling Stone“136
„Post Pop Depression“ von Iggy Pop – das Album der Woche vom „Rolling Stone“
461. Es gab eine ziemliche Geheimniskrämerei um die Zusammenarbeit von Iggy Pop (68) und Josh
Homme (42).
462. Seit Januar 2015 will man an dem Album gearbeitet haben.
463. „This job is a masquerade of recreation“, singt Iggy in „Sunday“, einer kuriosen, mit ihrem
discohaften Drum-Track und dem Erkennungsriff beinahe an „I Was Made For Lovin’ You“
erinnernden Beschwörung seines Lebens sonntags.
136
URL: http://www.bild.de/unterhaltung/musik/iggy-pop/post-pop-depression-album-der-woche-vom-rollingstone-44984924.bild.html
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464. Der Tod selbstredend, den der Song dann schon mal vorwegnimmt mit seinem schmalzigen StringAppendix: Iggys ironische Himmelfahrt.
465. Mehrfach geht es in diesem Alterswerk um den Status des Künstlers, der alles gesagt hat und nur
noch seinen Ruhm verwaltet, am unerbittlichsten in „American Valhalla“.
466. In diesem mit Vibrafon und Steel-Drum etwas eigenwillig instrumentierten Stück arbeitet er sich
am eigenen Legendenstatus ab. Sein Fazit ist wenig optimistisch: „I’ve nothing but my name.“
467. Zu diesen melancholischen Alterskontemplationen passt seine Gesangsdarbietung, diese schon bei
den letzten Soloalben erprobte Kombination von rudimentärstem Crooning und jenem
kurzatmigen Sprechgesang, der auch Johnny Cash die altersweise Gravität bescherte.
468. Partiell trifft er den coolen Bariton der „American Recordings“ ziemlich genau.
469. Und wo Rick Rubin den passenden Americana-Kontext schuf, sorgt Homme für etwas DesertAmbiente.
470. Natürlich gibt es auch wieder die eine oder andere Hommage an den verstorbenen Freund, Mentor
und Konkurrenten, am offensichtlichsten in „Gardenia“.
471. Dieser leicht angefunkte Bass, die New-Wave-Schrabbelgitarre und die geziertunterkühlten
Gesangslinien – nur beschwört hier keiner mehr sein „China Girl“, sondern eine „black goddess in a
shabby raincoat“.
472. „Post Pop Depression“ ist kein schlechtes Album, aber es war vielleicht ganz gut, dass man nicht so
früh davon wusste: Man hätte zu viel erwartet.
(26) Planen Oasis bereits eine Reunion-Tour?137
473. Die Gerüchte über eine Wiedervereinigung von Oasis gehen (mal wieder) in eine neue Runde:
Angeblich hat das australische Musik-Newsportal Noise11 Insider-Informationen von „einer
britischen Rockband aus den 90ern mit einer sehr engen Verbindung zu Liam Gallagher“, dass diese
als Vorband für Reunion-Konzerte angefragt wurde.
474. Es könnte sich um die Gruppe Ride handeln, vermutete der Autor, da Andy Bell der Shoegaze-Band
aus Oxford bei Oasis spielte und später bei Beady Eye.
475. Seit der Trennung der Band im Jahr 2009 ist die Beziehung zwischen den Gallagher-Brüdern
angespannt.
476. Liam habe laut eigenen Angaben nichts gegen eine Wiedervereinigung, twittert dann wiederum gerne
mal „FUCK OASIS“, während Noel in einem Interview augenzwinkernd sagte, er könne sich
durchaus eine Zukunft der Band vorstellen – wenn man ihm die stolze Summe von 20 Millionen
Dollar zahlen würde.
477. Der Filmemacher Mat Whitecross, der bei der Oasis-Dokumentation „Supersonic“ Regie geführt
hat, glaubt an eine Wiedervereinigung der Britpopper: Über kurz oder lang würden sie es für ihre
Fans tun.
(27) Lieder von Liebe und Hass138
478. Beim Erscheinen trieb sich die LP in den USA ein paar Wochen lang in den unteren Regionen der
Top 100 herum und das war es dann.
479. In Europa aber entwickelte die Platte des kanadischen Songpoeten ein Eigenleben jenseits der
Charts.
480. Und seine brummelige Verführerstimme erklang plötzlich aus vielen Lautsprechern zwischen
London, Paris, Rom und München.
481. Später waren es dann Lieder wie „First We Take Manhattan“ (in der Version von Jennifer Warnes)
und das unvermeidliche „Hallelujah“ (mit Jeff Buckley), die sich komplett loslösten von seiner
enigmatischen Persona.
482. Einer seiner stimmungsvollsten Songs von seiner Debütplatte durchzieht sogar einen der schönsten
Filme aus der New-Hollywood-Zeit um 1970: „Winter Lady“.
483. Mit diesem Lied klingt dann auch Robert Altmans Neo-Western „McCabe & Mrs. Miller“ mit
Warren Beatty und Julie Christie ganz melancholisch im Schnee aus.
137
URL: https://www.rollingstone.de/oasis-reunion-tour-1148675/
138
URL: https://www.nmz.de/artikel/lieder-von-liebe-und-hass
!118
484. Bis Mitte der siebziger Jahre hat sich der Songwriter, der eigentlich anfangs nur Schriftsteller
werden wollte, auf seinen Platten meistens nur auf der Gitarre begleitet.
485. Seine Arrangeure haben dazu dann nur noch einige kongeniale musikalische Farbtupfer
beigesteuert.
486. 1977 hat dann der geniale und größenwahnsinnige „Wall of Sound“-Erfinder Phil Spector Cohens
Songs für „Death Of A Ladies’ Man“ bombastisch aufgeblasen und dafür viel Tadel erhalten.
Manche allerdings halten die Platte auch für Cohens musikalisches „Meisterwerk“.
487. Spector hat Cohens Pathos in den Soundkosmos der Schlagerfabrik im New Yorker Brill Building
integriert.
488. Und damit Cohen auf die Pop-„Spitze“ getrieben.
489. Danach hat Cohen weiterhin großartige Songs geschrieben, aber manche der „billigen“
Arrangements aus der Spätphase waren gewöhnungsbedürftig. Eine Zeitlang hat sich der „ladies’
man“ danach in ein Zen-Kloster zurückgezogen.
490. Wie David Bowie, hat er seinen Abschied auf seiner letzten Platte „You Want It Darker“ inszeniert.
491. Die Platte ist wenige Tage vor seinem Tod am 7. November erschienen.
(28) Lollapalooza findet auch 2016 wieder in Berlin statt139
492. Das Lollapalooza Festival fand in diesem Jahr zum ersten Mal in Berlin statt – und darf 2016 gleich
in die nächste Runde gehen. Mit 45.000 Besuchern täglich und einem Line-Up mit vielen großen
Acts dürfte das Festival mit seiner Premiere die Hauptstadt überzeugt haben – es war auch schon
bereits zwei Wochen vor Beginn ausverkauft.
493. Mit den Shows von The Libertines, Muse, Seeed und einigen anderen ging am vergangenen
Wochenende die erste Ausgabe des Lollapalooza-Festivals zu Ende, das auf dem Berliner
Flughafen Tempelhof stattfand. An beiden Tagen dürften ungefähr 90.000 Menschen zu der Musik
der Rock-und-Pop-Acts auf der Rollbahn des Tempelhofer Flughafens gefeiert haben.
494. Das Festival reiht sich damit gleich beim ersten Mal in die Riege der größten deutschen Festivals
ein.
495. Nach Chile, Brasilien und Argentinien ist die Berlin-Version die erste europäische Ausgabe des
Festivals, das von Perry Farrell 1991 ins Leben gerufen wurde.
496. Bisher wurden noch keine Acts bekanntgegeben.
(29) Das Pop-Chamäleon 140
497. Trifft man Max Mutzke persönlich, dann wirkt er so unangestrengt sympathisch wie bei seinen TVAuftritten - und er trägt natürlich immer seine Markenzeichenmütze, dazu gerne einen dreiteiligen
Anzug.
498. Er hat auch allen Grund glücklich zu sein: Mutzke hat ein Album namens "Experience" mit der NDR
Radiophilharmonie aufgenommen - mit 80 klassischen Musikern im Rücken.
499. Von so einer Erfahrung träumen viele Musiker, vom Schlagersternchen bis zum Saxofongiganten.
Allerdings birgt so ein Ausflug in die Klassik auch Gefahren.
500. Als Charlie Parker einmal eine Platte mit Streichern aufgenommen hatte, warfen ihm Puristen
"Verrat am Jazz" vor.
501. Vielfältigkeit ist sein Ding, der Mann mit der Soulstimme lässt sich nicht in eine musikalische
Schublade einordnen.
502. Er tritt mit der Poptruppe Luxuslärm und der SWR Bigband auf und hat Anhänger von
Schlagerfans bis zu Jazzsnobs.
503. Manche finden seinen Jazztitel "Piano Man" im Trio mit dem Drummer Wolfgang Haffner
großartig; viel mehr Menschen kennen sein "Can't Wait until Tonight", mit dem er Deutschland 2004
beim Eurovision Song Contest in Istanbul vertrat.
504. Dorthin schaffte es der Sänger über Stefan Raabs Pro-Sieben-Show "TV Total". Ein ungewöhnlicher
Karrierebeginn.
505. Die meisten Gewinner von Casting-Wettbewerben verschwinden nach kurzer Zeit wieder in der
Versenkung; Mutzke aber etablierte sich anhaltend in der Popszene.
139
URL: https://www.rollingstone.de/lollapalooza-berlin-findet-2016-wieder-statt-843437/
140
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/max-mutzke-neues-album-experience-a-1118704.html
!119
506. Casting-Stars wollen normalerweise den Kurzzeitruhm maximal nutzen, überfordern sich und
verbrennen.
507. Mutzke hingegen hatte - anders als die meisten Bewerber bei Talentshows - eine Ausbildung als
Schlagzeuger und Erfahrung mit einer Funkband hinter sich, als er zum TV Total-Wettbewerb
antrat und überlegen siegte.
508. Der Junge aus der Schwarzwaldkleinstadt Waldshut-Tiengen wurde zum Pop-Chamäleon, weil er
und seine fünf Geschwister allen Arten von Musik ausgesetzt waren.
509. Die Eltern hatten Platten von Klassik bis Rock.
510. In der Casa Mutzke gab es Übungsräume mit etlichen Instrumenten.
511. Der Vater spielte in seiner Freizeit in einer Band Schlagzeug.
512. Rückblickend sagt Max, dass er am nachhaltigsten von den Soul-Sängern Donny Hathaway und
Marvin Gaye beeinflusst wurde.
513. Platin-Award für Jazz-Platte
514. Souliger Pop in englischer und deutscher Sprache wurde denn auch die Hauptschiene in Mutzkes
Karriere.
515. Eine Jazz-Platte produzierte er, obwohl ihm klar war, dass "Jazz ein Unwort in der deutschen
Musikindustrie" ist und als "Kassengift" gilt.
516. "Jetzt backt er kleine Brötchen", schrieb denn auch die "Berliner Zeitung", als der Sänger sein
Album "Durch Einander" ankündigte.
517. Die Platte mit Gästen wie dem Saxofonisten Klaus Doldinger und dem Posaunisten Nils Landgren
gewann 2013 den Platin-Jazz-Award.
518. Aber den gibt es in dem Minderheiten-Genre schon für 20 000 verkaufte Einheiten.
519. Mutzke nennt die Jazz-Platte seinen "musikalischen Meilenstein" und schwärmt von 130 Konzerten
in Klubs wie der Münchner "Unterfahrt" und dem Berliner "A Trane".
520. Das sind keine Spielorte für Stars wie Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer.
521. Die füllen Arenen - auch weil sie einen erkennbaren Stil pflegen.
522. Mutzke dagegen sagt, "Ich bleibe mir selbst treu, indem ich stilistisch untreu bin" und nimmt dafür in
Kauf, dass er eher vor Hunderten von Fans auftritt als vor Tausenden.
523. Nach der Jazz-Platte und dem wieder soulig-poppigen Studio-Album "Max" macht Mutzke nun
eine neue Erfahrung: Die Zusammenarbeit mit der NDR Radiophilharmonie auf "Experience".
524. Für das große Orchester arrangierte Dirigent Enrique Ugarte Mutzkes bekannteste Songs und
Coverversionen wie den Billy-Paul-Hit "Me and Mrs. Jones".
525. Nach Erfolgen in Pop und Jazz nähert sich Max Mutzke nun der Klassik.
526. "Die aufwendige Zusammenarbeit mit dem grandiosen Orchester", sagt Mutzke, "war ein
wunderbares Erlebnis und meine bislang größte Herausforderung."
(30) Medien : 18-Jährige gewinnt Kika-Castingshow "Dein Song" 141
527. Erfurt (dpa) - Victoria Conrady aus Dortmund hat die 7. Staffel der Kika-Castingshow "Dein Song"
gewonnen.
528. Die 18-Jährige überzeugte mit ihrem selbst komponierten Lied "Maniac" beim Finale am
Freitagabend die Jury und die Zuschauer, wie der Kinderkanal am Samstag in Erfurt mitteilte.
529. Victoria kann sich "Songwriterin des Jahres" nennen und gewann 5000 Euro.
530. Die Dortmunderin sang ihr Liebeslied mit deutschen Strophen und englischem Refrain zusammen
mit ihrem prominenten Paten Mark Forster.
531. Ihr Song sei ein echter Ohrwurm.
532. Acht junge Liederschreiber im Alter von zehn bis 18 Jahren hatten es ins Finale geschafft.
(31) Im Land der letzten Dinge142
533. Ist es sein letztes Album
534. Außerdem: Glam-Pop aus New York und Retro-Beats von NxWorries.
535. "Hineni, hineni - I'm ready my Lord", singt Leonard Cohen im Titelsong seines neuen Albums.
"Hineni" ist Hebräisch und bedeutet "Hier bin ich", es ist das Wort, das Religions-Urvater Abraham
141
URL: http://www.zeit.de/news/2015-03/07/medien-18-jaehrige-gewinnt-kika-castingshow-dein-song-0714540
142
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/neue-alben-von-leonard-cohen-the-lemon-twigs-und-nxworriesa-1117104.html
!120
einst zu Gott sagte, als dieser ihn zu sich zitierte und von ihm verlangte, seinen Sohn Isaak zu
opfern.
536. Nicht nur das: "I'm ready to die" hatte Cohen, der in Los Angeles lebt und seinen maladen Rücken
gerne in einem speziellen medizinisch geformten Stuhl ausruht, dem "New Yorker"Chefredakteur David Remnick gesagt, der das Zitat in seinem großen Porträt in der aktuellen
Ausgabe des Magazins brachte.
537. "Das war übertrieben", sagte er vor einigen Tagen gutgelaunt bei einer Listening-Session des
Albums, ebenfalls in L.A., "ich neige ja schon immer zur Selbstdramatisierung."
538. 120 wolle er werden, mindestens. "You Want It Darker" ist also vielleicht nicht das letzte Album, das
Leonard Cohen veröffentlicht, vielleicht hat er noch Zeit für ein weiteres.
539. Aber wann handelten Leonard Cohens Song einmal nicht von den letzten Dingen
540. Das Titelstück, mit dem das Album beginnt, nimmt die pümpelnde Bassfigur von "Nevermind"
wieder auf, dem sinisteren Höhepunkt des letzten Albums "Popular Problems".
541. T-Bone Burnett, der es als Titelthema für die zweite Staffel der Noir-Serie "True Detective"
verwendete, bezeichnete es unlängst als "Song dieses Jahrhunderts".
542. Hinzu kommt bei "You Want It Darker" ein dramatischer Rabbinerchor live aus der Synagoge.
543. Nein, das Ringen mit Gottes Glorie sowie der eigenen Scham und Sünde ist noch lange nicht vorbei,
allerdings nimmt "Treaty", der stärkste Song des Albums, ein altes Cohen-Motiv wieder auf.
544. Versöhnlich gibt sich Cohen auch im nächsten Song, dem Gospel "On The Level", in dem er sich
vorstellt, wie sein Herz eine Medaille verliehen bekommt, weil es sich vom Teufel losgesagt hat, der
zugleich ein Engel war - so kompliziert sind diese verflixten Liebesdinge, immer noch.
545. "You Want It Darker", erneut von Langzeitkomponist Pat Leonard betreut, stellt zu einer auf wenige
Basis-Elemente reduzierten Musik die gleichen Lebensfragen, erhält durch die Produktion von
Cohen-Sohn Adam diesmal aber noch mehr Wärme.
546. Country-Gitarren und sanfte Streicher betten Cohens sonor-süffisanten Gesang und seine wie
immer kurzen, spartanischen Verse in weiche organische Klänge ein.
547. "If I Didn't Have Your Love" beginnt mit einer andächtigen Orgel-Exposition fast wie eine
Kirchenhymne.
548. All das verstärkt vielleicht den Eindruck, dass es sich letztlich doch um ein elegisches
Abschiedsalbum handeln könnte - das auch noch mit einer schmalzigen Streicher-Reprise endet.
549. Keine Frage: The Lemon Twigs, die ihr charmant verrumpeltes Deutschland-Debüt vor einigen
Wochen beim Reeperbahn-Festival in Hamburg absolvierten, sind eine der liebenswertesten neuen
Bands.
550. Live haben die beiden Brüder Brian und Michael D'Addario, 17 und 19 Jahre alt, noch eine
entzückend backfischige Bassistin und einen scheinbar geradewegs aus "Fame" (dem Originalfilm)
entsprungenen Keyboarder mit Afro und Herbie-Hancock-Riesenbrille dabei.
551. Ihr Debütalbum schrieben die beiden Hänflinge aus Long Island jedoch ganz allein, produziert
wurde das Ganze dann von Foxygens Jonathan Rado, einem ausgewiesenen Retro-Spezialisten.
552. Und eine Retro-Show ist es allemal, was die Lemon Twigs auf "Do Hollywood" abseits jeder
Trendyness und Aktualität fabriziert haben: So mancher Kritikerkollege bekam beim Auftritt der
Band im Hamburger Molotow leuchtende Augen und fühlte sich an Todd Rundgrens barocken
Pomp-Pop erinnert. Aber auch Bolan, Bowie, Beatles und Beach Boys ("How Lucky I Am")
schwirren in den ausladenden, burlesken Zirkusmanegensongs herum. Das Faible für zuckrige
Pianomelodien, Harmoniegesänge, Glamrock-Pathos und Siebzigerjahre-SeifenoperTheatralik bekamen die Brüder bereits in die Wiege gelegt, denn Daddy Ronnie D'Addario
versuchte sich einst mit exakt demselben Sound als Singer-Songwriter, blieb allerdings erfolglos.
553. Seinem Nachwuchs könnte es nun durchaus besser ergehen, denn trotz ihres zarten Alters verfügen
die beiden bereits über so viel sprudelndes Talent, dass Songs wie "Haroomata", "Hi Lo" oder das
siebenminütige "The Great Snake" schlicht auseinanderzuplatzen drohen, während mehrfach Tempo
und Stilistik gewechselt werden und wildeste Ideen - Fanfaren, Chöre, Phantom-der-OperMotive - nur so übereinderstolpern.
554. Höhepunkt ist "These Words", ein Track, der ein kleines bisschen weniger vollgestopft wirkt und
einen Refrain enthält, für den Ben Folds morden würde.
555. Vor 40 Jahren wäre das ein sicherer AOR-Radiohit gewesen.
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556. Seit der kalifornische Sänger Anderson .Paak nicht nur in seinem Namen einen Punkt gemacht hat,
sondern, Pardon, auch mit seinem hervorragenden Debütalbum, wartet die dem R&B und Soul
zugeneigte Welt gespannt auf seinen nächsten Schritt.
557. Als Sidestep könnte man "Yes Lawd!" bezeichnen, das erste Album, das Anderson nun zusammen
mit seinem Partner Knxwledge unter dem ebenso unaussprechlichen Namen NxWorries
veröffentlicht.
558. Knxwledge, der mit bürgerlichem Namen Glen Earle Boothe heißt, kann auf seiner Bandcamp-Seite
mehr als 60 selbstproduzierte Alben vorweisen.
559. Seine Beats gefielen Kendrick Lamar so gut, dass er Boothe als Produzenten für den Track
"Momma" auf seinem Blockbuster-Album "To Pimp A Butterfly" anheuerte.
560. Anderson wiederum kann bereits acht Features auf Dr. Dres "Compton"-Album vorweisen und
wird nicht zuletzt wegen seiner sanft raspelnden Soulstimme immer wieder gerne als Gastsänger
gebucht, zuletzt von Kendrick-Kumpel Schoolboy Q auf "Blank Face".
561. "Yes Lawd!" ist eine kunstvoll futurisierte Hommage an die großen Blaxploitation-Soundtracks und
den Schlafzimmer-Soul der Siebziger.
562. Anderson fällt es nicht schwer, auf Tracks wie "Livvin" oder "Kutless" wie ein Curtis Mayfield auf
"Superfly" zu klingen, Boothe liefert dazu die plüschigen Retro-Samples, prall mit Orgel,
Glockenspiel und Streicher-Opulenz gefüllt - und erzeugt mittels cleverer Looping-Technik einen
zerhackten, modern verstoppten Groove.
563. Das macht großen Spaß, vor allem beim zwingenden Swingbeat von "Lyk Dis" oder im Yacht-RockAmbiente von "Best Love".
564. Auf Albumlänge wird die Masche dann jedoch schnell langweilig, zumal sich Anderson auch in den
Texten den Machos von einst anpasst und lustvoll-sexistisch den Pimp gibt, der über big butts
("WNGS"), big tits und seine bitches ("Suede") rappt.
565. Gehört alles zum Genre, aber puh.
(32) Kanye hat's kapiert143
566. Jesus war gestern: Kanye West erzählt auf seinem neuen Album "The Life Of Pablo" aus seinem
Leben als Gott.
567. "I feel like Pablo when I'm working on my shoes/ I feel like Pablo, when I see me on the news",
rappt Kanye West gegen Ende seines siebten Albums in "No More Parties In L.A.", und zwar im
seltsam vom Rest abgesetzten Teil des Tracks, der nur noch West gehört, nicht mehr seinem
Feature Kendrick Lamar.
568. Aber wer ist dieser Pablo, nach dem nun das Album benannt wurde, das während seines absurden, in
der Öffentlichkeit und via Social Media live begleiteten Entstehungs-Prozesses auch mal "Swish"
oder "Waves" hieß: Pablo Picasso? Pablo Escobar? Oder doch der Apostel Paulus, wie West neulich
twitterte? Pablo ist der spanische Name für Paul.
569. Aufmerksamkeit und Respekt hat West allemal verdient, noch jedes seiner bisherigen Alben taugte
dazu, das HipHop-Genre neu zu definieren.
570. Zuletzt veröffentlichte er mit den Konzeptalben "808 And Heartbreak", "My Beautiful Dark Twisted
Fantasy" und "Yeezus" drei der wichtigsten Rap- und Pop-Alben der vergangenen zehn Jahre.
571. Man kann es also unangemessen finden, dass West sein neues Werk vergangene Woche mit einem
160-Dollar-pro-Ticket-Spektakel im New Yorker Madison Square Garden präsentierte, und das
Ganze, samt Fashionshow seines eigenen Labels und Performance von Künstlerin Vanessa
Beecroft, dann auch noch in alle Welt streamen ließ.
572. Angesichts einer Musik-Industrie, die ratlos in den letzten Zügen liegt, ist so ein Aufriss, den WestKolleginnen wie Beyoncé und Rihanna (ebenfalls bei Jay-Zs Roc-A-Fella-Label unter Vertrag)
ganz ähnlich geprobt haben, aber vielleicht auch die zeitgemäße Art, Musik unters Volk zu bringen.
573. Bezeichnend auch, dass der nach eigenen Angaben hoch verschuldete West sein neues Album
zunächst nur über Jay-Zs Tidal-Dienst streamen lässt, statt es zum Kauf anzubieten.
574. Eine Download-Option zog er wenige Stunden nach Veröffentlichung der Platte wieder zurück: An
einigen Tracks müsse er dann doch noch mal feilen, twitterte er.
575. Dazu passt, dass "The Life Of Pablo" über weite Teile seiner 18 Tracks wie ein unfertiges, in letzter
Minute zwischen Tür und Angel eingetütetes Work in Progress wirkt. Nichts ist mehr übrig von der
143
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/neue-cds-kanye-west-animal-collective-motorpsycho-a-1077593.html
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ästhetisch geschlossenen Brutalität und dem politischen Impetus von "Yeezus". Kanye West, soeben
zum zweiten Mal Vater geworden, überlässt die Gesellschaftskommentare, den Jazz und all das
jüngeren Kollegen wie Kendrick Lamar.
576. Er selbst, der sich im Social Web schon mal mit allem anlegt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist,
ist musikalisch zunächst wieder zurück im Selbstbespiegelungsmodus von "The College Dropout"
und "Late Registration", auch musikalisch, wenn man die ungeordnete, aber brillante und erlesene
Variation verwerteter Stile und Samples betrachtet (u.a. Nina Simone, Rare Earth, Fingers Inc. und
Post-Punk-Legende Larry Cassidy).
577. Aber das Entwaffnende an West ist ja auch, dass er selbst unkonzentriert noch durchweg großartige,
dringlich groovende Tracks hinkriegt (auch wenn die meisten über den Zeitraum von vier oder fünf
Jahren entstanden sind).
578. "Your love is fadin'", schließt er das Album mit dem tollen Chicago-House-Derivat "Fade".
579. "I've been outta my mind for a long time", gibt West in "Feedback" zu und erwähnt das
Antidepressivum "Lexapro" in "FML": Ringt der Künstler etwa mit seiner geistigen Gesundheit?
580. Wenn "The Life Of Pablo" also tatsächlich ein Gospel-Album ist, wie West andeutet, dann möge der
Himmel mit ihm sein.
581. "Floridada" heißt nun wiederum das Eröffnungslied von "Painting With", dem neuen Album von
Animal Collective.
582. Darin wendet sich das wieder zum Terzett geschrumpfte Kollektiv hyperaktiver Nordostamerikaner
gegen den unter geschmacksbegabten Menschen generell verbreiteten Floridahass.
583. In dem dazugehörigen Video sieht man ein unbehaartes, heterosexuelles Avatarpaar bei der
Kopulation und der anschließenden Geburt eines messianisch wirkenden Avatarbabys; wodurch
Florida in allerdings überaus scheußlichen Farben in den Mittelpunkt des Universums gerückt wird.
584. Die verbreitete Häme über den Staat sei ihnen schon deswegen unerträglich - erläutern die KollektivMitglieder Avey Tare, Panda Bear und Geologist die unter dieser Ästhetik waltende Motivation -,
weil sie als Kinder mit ihren Eltern dorthin oft und gerne in Urlaub gefahren seien.
585. Dass sie den floridatypischen "state of mind" nun in rasend sich umrankenden Chören beschwören,
kann man ebenfalls als provokante Entscheidung betrachten, geriet männliches Chorsingen in den
vergangenen Jahren doch durch folkbiedermeierliche Schrottvogelgruppen wie Mumford and Sons
in starken Verruf.
586. Allerdings kombinieren diese ihren Gesang auch nicht mit tribalistischem Getrommel und
ochsenfroschartig quakenden Modularsynthesizern.
587. Anders als Animal Collective, die in sämtlichen zwölf neuen Liedern auf "Painting With" eine gute
Balance zwischen schrulligen Tönen und doppelhelixhaften Vokalharmonien, zwischen klanglicher
Krispheit und lyrisch verpeiltem Symbolgewuschel zu erringen verstehen. Auf die sämigen Hallund Echo-Effekte, die lange Zeit zum Klangkern der Gruppe zählten, haben sie dabei vollständig
verzichtet. Mit "Painting With" sind Animal Collective vielmehr in die Phase eines flexibelprovokanten Post-Halls getreten.
588. Motorpsycho, "Here be monsters": Ich schiebe die CD rein und vergesse Raum und Zeit.
589. "Sleepwalking", eine minimale Klaviermelodie, Schneeflocken fallen langsam auf die
Windschutzscheibe.
590. Die Gitarren von "Lacuna/Sunrise" wimmern leise, und nach einigen Sekunden ist er wieder da, der
Motorpsycho-Bass, der mich seit 25 Jahren durch mein Leben treibt.
591. Die Lautsprecher im Auto wummern und verzerren, zuckersüße Gitarrenmelodien untermalt vom
Bass, der mehr Druck hat als das Gesamtwerk von Motörhead, dazu die Engelsstimmen von Hans
Magnus Ryan und Bent Saether: emotional, hypnotisierend, berührend.
592. Das Lied geht nahtlos in das Instrumentalstück "Running With Scissors" über.
593. Das verträumte Klavier aus "Sleepwalking" kehrt in einem aufgekratzten 7/8-Takt zurück und
verwandelt sich schon in den ersten Momenten in einen Blizzard, als hätte man eine Box mit
Dämonen geöffnet, die einem zurufen, dass man ihnen vertrauen kann – und zwischendrin bietet dir
die Klaviermelodie Kuchen an.
594. "Spin, Spin, Spin" ist ein Cover von Terry Callier und in alter Motorpsycho-Tradition besser als das
Original.
595. Danach folgt die Reprise "Sleepwalking Again", als ob einem kurz ein starkes Beruhigungsmittel
verabreicht wurde.
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596. Und dann ist er wieder da, unerwartet, dieser Motorpsycho Moment: Ein Lied erklingt und man
verliebt sich auch nach inzwischen 25 Jahren Bandgeschichte nochmal neu in diese Musik. Das 18minütige "Big Black Dog" beginnt mit akustischen Gitarren, Fender Rhodes, Mellotron sowie
Saethers und Ryans Beach-Boys-Gesängen - und lässt einen wie in einer riesigen Zuckerwatte
verpackt durch das Universum gleiten, bevor Bass und Gitarre mit einer monotonen,
hypnotisierenden Riffschleife ummanteln, einpacken und mitnehmen in die Leere: "Into the void we
have to travel".
597. Sieben Songs in 50 Minuten, die Welt ist aus den Fugen geraten, diese Platte kann helfen, sich für
einen Moment wieder zu fangen. Die letzten Sekunden von "Big Black Dog" laufen, nur noch
akustische Gitarren, Saether und Ryan singen: "Sunlight, please warm me, cold emptiness is out
there in the fog. Sunlight, please save me, please keep me safe and stay."
598. Dann ist das Lied verschwunden.
599. Eine neue Platte von Motorpsycho, ein neuer Lebensabschnitt.
(33) All-American Gaga 144
600. Auf ihrem neuen Album "Joanne" umgibt sich Lady Gaga mit vielen Gästen und Gitarren - und
inszeniert sich als Country-Muse mit Familiensinn.
601. "I'm a hugger, I hug everybody", sagt Lady Gaga, während der Reporter noch mit seiner Contenance
ringt: Wurde man wirklich gerade von einem Pop-Superstar geherzt?
602. Für jeden neuen Journalisten gibt es ein neues Outfit, das dauert natürlich - und sorgt für den völligen
Zusammenbruch des Promo-Plans der Plattenfirma.
603. Geändert hat sie zur Veröffentlichung ihres neuen Albums "Joanne" jedoch ihr Image.
604. Exakt drei Jahre nach ihrem letzten Studioalbum "Artpop", das weder künstlerisch noch
kommerziell an die Gagamania von einst anknüpfen konnte, gibt sich Germanotta im luftigen
Leoprint-Blüschen und Denim-Hotpants als immer noch flippiges, aber auch demonstrativ
naturalistisches All-American Girl: halb Cowgirl, halb Bikerbraut.
605. Hoffen auf Madonnas "Music"-Effekt
606. Wenn nichts mehr geht, geht immer Back-to-the-Roots, lautet ein ungeschriebenes Pop-Gesetz.
607. Vielleicht hofft auch Lady Gaga mit "Joanne" nun, da es zuletzt nicht mehr so gut lief und länger still
um sie war, auf den "Music"-Effekt.
608. Daran ist nichts verwerflich, es ist nur schade: Denn gerade Gaga stand bisher für größtmögliche
Dissidenz im Pop-Betrieb.
609. Ein Show-Profi war die ausgebildete Musikerin und Schauspielerin, die sich vor ihrem MainstreamDurchbruch im Jahre 2008 jahrelang in der New Yorker Off-Szene ausprobierte, schon immer, aber
mehr noch als in ihrer entweder zu generischen oder überpompösen Musik bestand ihr Charme
darin, ästhetisch und künstlerisch nach eigenen Regeln zu spielen.
610. Jetzt auf das oft erprobte Pop-Programm der Besinnung aufs Wesentliche zurückzugreifen wirkt,
nun ja, ein bisschen langweilig. Wobei "Joanne", Gagas viertes Album, gar nicht langweilig ist,
sondern einige der besten Songs ihrer Karriere enthält.
611. Das allerdings ist nicht mehr nur Germanottas eigener Verdienst, sondern noch eindeutiger als früher
das Ergebnis einer kollaborativen Anstrengung, wie sie heutzutage üblich ist.
612. Fast schon wichtiger als der Künstler selbst erscheint im modernen Pop-Geschäft der Produzent.
613. Gaga engagierte für "Joanne" den Briten Mark Ronson, einen Experten für schmissignostalgische
Sounds, der einst Amy Winehouse mit "Back To Black" zur Retro-Soul-Ikone stilisierte.
614. Zusammen mit seiner langjährigen Freundin Gaga sowie vorrangig handarbeitenden Gästen wie Josh
Homme, Father John Misty oder Kevin Parker (Tame Impala) erschuf er ein interessantes Hybrid
aus zeitgemäßem Power-Elektro-Pop und uramerikanischem Heartland-Rock.
615. Viele Songs basieren auf kernigen Gitarrenriffs oder wiegen sich in weicher CountryBehaglichkeit.
616. Manches wirkt enervierend bis bemüht, wie die hyperaktive Hauruck-Single "Perfect Illusion" oder
der Album-Opener "Diamond Heart", die auch wegen Gagas gröhlender Rockröhrigkeit ganz
eigentümliche Assoziationen wecken: Heart, Bonnie Tyler, Meat Loaf. Manches, das breitbeinig
schunkelnde "John Wayne" etwa, erinnert auch an den Country-Pop von Shania Twain oder, in
"Dancing In Circles", an Madonnas naiven Ringelpietz-Hit "La Isla Bonita".
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/lady-gaga-neues-album-joanne-all-american-gaga-a-1117377.html
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617. Die Country-Folk-Balladen "Joanne", "Million Reasons" (mit Nashville-Songwriterin Hillary
Lindsey) oder "Hey Girl" (mit Florence Welch) sind jedoch grandios in ihrer erdigen
Authentizitätsbehauptung und berühren den Hörer, wie es nur wenigen Gaga-Hymnen bisher
gelungen ist.
618. Und um Berührungen, um "Connections", geht es Gaga auch mit ihrem Album, das sie - natürlich als ein sehr persönliches bezeichnet.
619. Durch die Rückkehr zu ihrer Herkunft, zu ihren Wurzeln, habe sie erkannt, was sie im Kern
ausmache und zu dem gemacht habe, was sie heute ist. Esoteriker würden wohl sagen, sie habe ihre
Mitte gefunden, und ein wenig küchenspirituell erleuchtet klingt Gaga auch, wenn sie sagt: "Auf
diesem Album bin ich meines Vaters Tochter, ich bin meiner Mutter Tochter und meiner Schwester
Schwester. Ich bin die Schwester meiner Fans, ihre Familie."
620. Das zarte Titelstück "Joanne" bezeichnet sie als Liebesbrief an ihren Vater: "Ich malte mir die Worte
aus, die er seiner Schwester zum Abschied gesagt haben könnte, wenn er die Gelegenheit gehabt
hätte."
621. Mit Intimitäten wie diesen möchte das ehemalige Social-Media-Monster Gaga ganz direkt und
ungefiltert Kontakt zu ihren Fans und Zuhörern aufbauen, im Sentiment vereint: "Es gibt bestimmt
viele Leute da draußen, die glauben, es wäre unmöglich, dass Lady Gaga etwas mit ihnen
gemeinsam haben könnte", sagt sie, ein Umstand, dem nun mit gefühligen FamilientherapieLiedern Abhilfe geschaffen werden soll.
622. „Es gab noch nie einen Unterschied zwischen meiner privaten und meiner Bühnen-Persönlichkeit.“
623. „Es gibt keinen Marketing-Plan. Ich bin keine Marke."
624. Denn es gilt ja vor allem in ihrer Heimat USA, eine in den letzten Jahren tiefer gewordene Kluft
zwischen den libertären Küstenmetropolen und dem konservativen Binnenland zu überwinden nicht nur, um wieder mehr Alben zu verkaufen, sondern auch, um mit einer indirekt politischen
Botschaft auch die zu erreichen, die ein Album von Lady Gaga bisher eher auf den Scheiterhaufen
werfen würden, als es anzuhören.
625. Nicht zuletzt wird Gaga im kommenden Februar in der Halbzeitpause des Superbowl-Spektakels
auftreten.
626. Höchste Zeit, zur Volkssängerin zu werden.
627. Davon, sagt die Unterstützerin von Hillary Clintons Präsidentschaftskampagne, handele auch ihr
Song "Perfect Illusion“
628. Mit Begriffen wie Wahrheit und Authentizität tat sich der Pop immer schon schwer.
629. Ob die countryfizierte "Joanne" nun die echteste LadyGaga ist, die es bisher gab, oder auch nur eine
perfekte Illusion, das muss wohl jeder für sich entscheiden.
(34) Oasis: Aus diesem bescheuerten Grund haben sie den „Trainspotting“-Soundtrack abgelehnt145
630. Ebenso legendär ist der Soundtrack zum Film: Iggy Pop, New Order, Blur Pulp Brian Eno und viele
weitere Bands sind vertreten.
631. Nur eine wichtige Gruppe aus dieser Musik-Epoche fehlt: Oasis.
632. Während einer Fragerunde mit Andrew Macdonald (Produzent des Films) und Rachael Fleming
(Kostümdesignerin) stellte sich nun heraus, warum gerade Oasis nicht auf dem Soundtrack
vertreten sind: So habe Regisseur Danny Boyle schon länger mit der Band geliebäugelt und wollte
sie auch für die Musik zum Film gewinnen.
633. Noel Gallagher lehnte aus einem trivialen und ignoranten Grund nämlich dankend ab und verzichtete
auf eine Beteiligung am Soundtrack: Er dachte allen Ernstes, der Film würde von Zügen handeln,
wie Rachael Fleming nun verriet: „Ich traf Noel wegen einer Sache in der vergangenen Woche und
er sagte zu mir: ‚Ich hätte was für den Soundtrack beigesteuert, aber ich dachte wirklich, der Film
handelt von Eisenbahnfans. Ich wusste es nicht.‘ Das ist wirklich das, was Noel zu mir gesagt hat.“
634. Noel Gallagher über Spotify: „Ich brauche keinen Zugang zu drei Milliarden beschissener Songs“
635. Auf dem Soundtrack zum zweiten Teil wird ein Song von Oasis vorhanden sein.
(35) Paul McCartney will sich nicht mit Phil Collins streiten146
145
URL: https://www.rollingstone.de/oasis-aus-diesem-bescheuerten-…haben-sie-den-trainspotting-soundtrackabgelehnt-1142893/
146
URL: https://www.rollingstone.de/paul-mccartney-reagiert-auf-phil-collins-kritik-an-ihm-1145763/
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636. Der „Sunday Times“ sagte der Sänger, dass er von Paul McCartney bei einer Begegnung in der
Vergangenheit herablassend behandelt wurde.
637. „Hey, unser kleiner Phil ist ein Beatles-Fan!“, so soll sich Paul McCartney bei einem Treffen im
Buckingham Palace 2002 geäußert haben, als Collins einen Signierwunsch äußerte.
638. „Das habe ich bis heute nicht vergessen“, sagte der Musiker verbittert.
639. McCartney hat derweil versucht, Frieden mit Collins zu schließen, wie „Billboard“ berichtet. In
einem Gespräch mit der Musikseite erzählte der 65-Jährige, dass er eine Mail von Macca erhalten
habe.
640. In der vergangenen Woche hatte Phil Collins angekündigt, im nächsten Jahr auf Comeback-Tour zu
gehen.
641. Der Musiker wird unter anderem im Juni 2017 fünfmal in Köln auftreten.
642. Auch eine Reunion mit Genesis brachte er schon ins Spiel.
(36) Phil Collins könnte bald auch wieder live mit Genesis auftreten147
643. Phil Collins hat in einem Interview über die Möglichkeit gesprochen, bald wieder mit Genesis
aufzutreten.
644. Gerüchte über eine Reunion halten sich zwar seit Jahren, doch der Rückzug des Sängers ins Private
im Jahr 2011 hatte das Unterfangen erst einmal unmöglich gemacht.
645. Nachdem Collins vor wenigen Tagen angekündigt hat, 2017 mehrere Comeback-Shows zu geben
(darunter fünf Gigs in Köln im kommenden Juni), rückt nun auch eine Rückkehr mit Genesis in den
Fokus.
646. Der Musiker hatte gemeinsam mit Tony Banks und Mike Rutherford bereits 2007 auf „Turn It On
Again“ das große Erbe der Gruppe noch einmal auf der Bühne zelebriert.
647. Collins könnte sich laut eigenen Angaben auch vorstellen, mit einem Line-up von Genesis
aufzutreten, dem auch Peter Gabriel angehört.
648. „Wenn das mit mir am Schlagzeug hinhaut, dann trommel‘ ich auch für Pete“, so Collins – wohl mit
einem Lachen. „Aber die Leute sollten vorher wissen, worauf sie sich da einlassen.“
649. Auf seiner Pressekonferenz in London, wo Collins bekannt gab, wieder live aufzutreten, kündigte
der 65-Jährige an, wegen seiner gesundheitlichen Probleme für ein Lied am Drumkit zu sitzen.
650. Allerdings nur für seinen Hit „In The Air Tonight“. Die anderen Songs soll Sohn Nicolas (15) als
Schlagzeuger übernehmen.
(37) PHIL COLLINS: "McCartney, du kleiner Wichser"148
651. Der frühere Genesis-Chef geht wieder auf Europatour - und hasst Paul McCartney seit einem
persönlichen Treffen.
652. Dass Fans nach einem Treffen mit dem von ihnen bewunderten Star manchmal enttäuscht sind, soll
vorkommen.
653. Und zwar sogar dann, wenn der Star Paul McCartney und der Fan Phil Collins heißt.
654. Da habe McCartney zu seiner damaligen Frau Heather Mills gesagt: "Oh, Heather, unser kleiner Phil
ist offenbar ein Beatles-Fan".
655. Mit Anekdoten wie dieser trommelt Collins derzeit für seine "Not Dead Yet Tour", die ihn am 11.
und 12. Juni 2017 auch nach Köln in die Lanxess-Arena führt.
656. In der Londoner Royal Albert Hall tritt Collins gleich fünfmal hintereinander auf.
657. Sein 15-jähriger Sohn Nicholas soll die Drums übernehmen.
658. Vor Jahren hatte der heute 65-Jährige eigentlich seinen Abschied aus dem Musikbiz angekündigt, im
vergangenen Jahr aber die Freude an der Musik wiedergefunden und auch sein Alkoholproblem in
den Griff bekommen.
659. Darauf angesprochen, meinte Collins in der Pressekonferenz, die Arbeit an dem Buch habe ihn auch
daran erinnert, wie gut er mit den anderen Genesis-Bandmitgliedern auskomme. Eine erneute
Zusammenarbeit sei jedenfalls nicht ausgeschlossen.
147
URL: https://www.rollingstone.de/phil-collins-koennte-bald-auch-wieder-live-mit-genesis-auftreten-1145747/
148
URL: http://www.laut.de/News/Phil-Collins-McCartney,-du-kleiner-Wichser-18-10-2016-13033
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(38) Die hohle Entertainment-Show149
660. Robbie Williams will mit seinem neuen Album zurück auf den Pop-Thron - warum nur verzeiht
man dem "Heavy Entertainer" auch gröbsten Unfug?
661. Außerdem: Elektro-Country von Lambchop und Frankfurter Techno-Schule.
662. Über diese Piano-Melodie muss man schon ein bisschen nachdenken, bis man drauf kommt, dass das
Intro zu "Heavy Entertainment Show" an "Feel" erinnert, einen der größten Hits von Robbie
Williams.
663. EMI hatte ihm die damalige Rekordsumme von 80 Millionen Pfund für die Erneuerung seines
Plattenvertrags auf den Tisch gelegt, der Boyband-Aussteiger füllte Stadien, hatte mit einem
Swing-Album auch das ältere Publikum für sich begeistert - alles, was Robbie anfasste,
verwandelte sich in Gold.
664. Und das blieb - überraschenderweise - auch so, als Songwriter-Partner Guy Chambers im Streit
ging und die Musik immer egaler, wenn nicht ungenießbar wurde - von "Intensive Care" (2005) bis
"Take The Crown" (2012): alles verschnulzter, zu Pomp und Popanz aufgeblasener Mist, der sich
immer weniger im Glanz vergangener Williams/Chambers-Hits verstecken konnte.
665. Die ganz große Kohle floss nicht mehr, die Stadien wurden auch mal Hallen - und der Pop-Zeitgeist
begann sich vom Superstar des beginnenden Millenniums abzuwenden, fair enough.
666. Trotzdem: Auch ein missratenes Experimental-Album wie "Rudebox" verkaufte sich allein in
England noch über zwei Millionen Mal.
667. Robbie Williams hat so viele Charts-, Tour- und sonstige Pop-Rekorde gebrochen, dass einem
schwindelig werden könnte.
668. "The Heavy Entertainment Show", so hieß auch schon mal ein recht bitterer und düsterer Song, den
Williams vor zwei Jahren auf der BSeiten und Outtakes-Compilation "Under The Radar Vol. 1"
veröffentlichte, eine Platte, die nie offiziell in den Handel kam.
669. Inzwischen hat er Universal Music für einen hohen Millionenbetrag für Sony verlassen und sich mit
Guy Chambers ausgesöhnt.
670. Wie er selbst sagt, tritt er an, um den Menschen ein Gemeinschaftserlebnis zurückzugeben, das er
selbst aus seiner Kindheit erinnert, als große Musik-Shows im Fernsehen noch "30 Millionen
Zuschauer" fesselten.
671. Und genau so kraftmeiernd (und ungelenk plump) wirft er sich mit der nun gar nicht mehr düsteres
"Heavy Entertainment Show" in sein elftes Album: "Good evening, children of cultural abandon/
You searched for a saviour, well here I am", singt er über dem Pling-pling-plong des Pianos, bevor
eine James-Bond-Hymnen-Bläserhysterie losbricht, die, so Williams, künftig vielleicht sogar den
Evergreen "Let Me Entertain You" als Show-Opener ablösen soll.
672. Das erinnert ein wenig an die dünnen Ölkrisen-Schallplatten-Nachpressungen aus den Siebzigern und
Achtzigern, auf denen immer das Verramsch-Label "Nice Price" pappte: "I'm about to strip and
you're my pole", singt Williams, immer noch kein Schwergewicht des Songwritings.
673. Danach folgt das ebenso klumpige, mit Ivan Rebroff-Chören und Prokofieff-Sample verhunzte
"Party Like A Russian", eine höchst alberne PR-Stunt-Nummer voller Klischees, mit der sich
Williams schon wie geplant bei den Russen unbeliebt gemacht hat. Eigentlich schade, dass es
Williams nötig hat, mit solchen Grausamkeiten Schlagzeilen zu provozieren - offenbar aus reiner
Panik, es nicht mehr auf den Pop-Thron zu schaffen.
674. Denn hat man es erst einmal durch einige weitere, sehr schlimme Songs wie die Killers-Kollabo
"Mixed Signals", das seichte Radiogedudel "Love Of My Life", den miesen R&B-Versuch
"Sensitive" oder das ebenfalls von Stuart Price produzierte ELO-Gedächtnis-Gehampel "Bruce
Lee" geschafft, funkeln gegen Ende des Albums aber doch noch ein paar Williams/ChambersBrillanten.
675. Darunter die ausnahmsweise mal angenehm nostalgisch stimmenden "David's Song", "Sensational"
und die schmachtende Schlussnummer "Marry Me".
676. Auch die Zusammenarbeit mit Rufus Wainwright (u.a. "Hotel Crazy") und John Grant ("I Don't
Want To Hurt You") erweist sich als überraschend fruchtbar.
677. Die Songs des Albums sind nur generische Sound-Tools und Emotions-Trigger, die sich auf der
folgenden Mega-Tournee ohne große Brüche ins Best-of-Programm einpflegen lassen.
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URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/abgehoert-neue-musik-robbie-williams-lambchop-roman-fluegela-1119054.html
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678. Das "Heavy Entertainment" aber, die Show, das ist Williams ganz allein.
679. Wer diese Persönlichkeit fühlen will, dem nützt auch diese Platte nichts, der muss ins Konzert
gehen.
680. Mal im Ernst: Wer hat von einer Lambchop-Platte noch wirklich Neues erwartet?
681. Elegantes Songwriting, klar.
682. Dass sie mal angejazzte Klavierparts, mal soulige Harmonien eingemeinden, das auch.
683. Ansonsten hat die Band um den warmherzig grummelnden Kurt Wagner ihren Sound gefunden.
684. Seit "Nixon" (2000) und "Is A Woman" (2002) verwalten sie ihren Status als Säulenheilige des
Alternative Country.
685. Wenn man es wie kein anderer versteht, dem schnapsgesalbten Country seiner Heimatstadt Nashville
den Kitsch zu nehmen und so eigen- wie feinsinnige Songs daraus zu machen.
686. Mit "Flotus", ihrem elften Album, legen sich Lambchop eine völlig neue Klangsignatur zu, die
mehr mit Wagners elektronischem Neben-Projekt HeCTA (2015) zu tun hat als mit der süffigen
Opulenz Lambchops.
687. Kurt Wagner war bei einem Konzert des Hip-Hop-Duos Shabazz Palaces so begeistert von deren
Autotune-Effekt, dass er ihn sich im nächsten Musikladen gleich selbst besorgt hat.
688. Um seine Stimme zu sampeln, durch allerlei Filter zu jagen und daraus Beats und ganze
Songgerüste zu zimmern, hat er sich außerdem in die Aufnahmesoftware "Ableton Live" generdet.
689. In Stücken wie "NIV" schwirren nun Wagners Gesangsschnipsel durch den Raum, als würde Siri
alte Lambchop-Songs singen, dazu analoge Klicks und Klacks aus der Beatbox.
690. Wagners Stimme, die ohnehin klingt, als würden ihm die Silben über die Lippen kullern, wirkt damit
noch fragiler.
691. Autotune hin oder her, Lambchop drehen sich nach wie vor gerne auf links. In "Writer" etwa torkelt
die Bassdrum vor sich hin, der Gesang liegt hübsch neben der Spur und ein Saxofon grantelt in den
tieferen Oktaven.
692. Die Drums kicken das Stück auf die Tanzfläche, wo Klavier und Gitarre ihre Kreise ziehen.
693. Willkommen in der Existenzialisten-Disco.
694. Lambchop sind nicht die einzigen, die mit einem großartigen Spätwerk überraschen.
695. Im Frühjahr erst klangen die Tindersticks auf "The Waiting Room" so aktuell wie lange nicht.
696. Noch deutlicher haben Low mit "Ones and Sixes" (2015) ihren Sound renoviert.
697. Allesamt finden sie auf ihren neuen Alben Anschluss an die Soundästhetik dieser Tage.
698. Als wollten sie ihren Namen in den Pop-Annalen noch mal unterstreichen.
699. Ein Va-Banque-Spiel, das Lambchop mit dem 18-minütigen Schlusstrack "The Hustle" nachhaltig
für sich entscheiden: Über fünf Minuten bautsich ein kleinteiliges Geflecht aus elektronischen
Stakkatos und hart angeschnittenen Flötentönen auf, ehe der Bass-Synthesizer in die
Magengegend drückt und alles in eine samtene Kakophonie zerfließt.
700. Roman Flügel, 46, dürfte einer der vielseitigsten und begabtesten Produzenten in der elektronischen
Clubmusik sein.
701. Er hat bratzigen und knarzigen Techno gemacht, als Teil des Duos Alter Ego.
702. Er hat als Soylent Green feinsinnige und minimalistische House Music produziert als Ro70
Electronica.
703. Unter dem Namen Eight Miles High kamen alle möglichen, stilistisch ziemlich diverse Platten
heraus.
704. Zusammen mit dem Vibraphonisten Christopher Dell hat er auch abstrakten Jazz veröffentlicht.
705. Alles in allem sind es hunderte von Tracks, die über die Jahre zusammengekommen sind.
706. "All The Right Noises" ist Flügels drittes Album unter seinem eigenen Namen, und zusammen
erzählen diese drei wunderbaren Platten einen
707. möglichen Bildungsroman des Roman Flügel.
708. "Fatty Folders" (2011) war ein sorgloses House-Album, eine Handvoll bunt hingetupfter Stücke,
Musik, die das Glück eines Sommers zu atmen schien, von der Freude eines Anfangs handelte.
709. "Happiness Is Happening" (2014) war dunkler, voll kühler Synthieklänge und motorischer Grooves,
nachdenklich und ausgefeilt.
710. Da plockert eine alte Drum Machine und gibt einen Rhythmus vor, kleine Melodien kommen und
gehen wieder. Man meint ein paar Mal Anklänge an Kraftwerk zu hören, oder an alte
minimalistische House-Entwürfe.
!128
711. Diese Platte handelt von Gelassenheit. Gelassenheit als künstlerischer Tugend. Als Haltung, die sich
aus dem Wissen ergeben kann, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen.
712. "Life Tends to Come and Go" heißt das letzte Stück, das in einem langen Bassgebrummel endet ruhig und lakonisch.
713. Die Musikgeschichte der vergangenen Jahrzehnte ist voll mit langweiligen Electronica-Alben, mit
Musik, die sich als experimentell ausgab und tatsächlich schlicht willkürlich war.
714. Das hatte viel damit zu tun, dass House und Techno einfachen Regeln folgen.
715. Doch diese Routine ermüdet viele Künstler nach einer Weile.
716. Sie wollen dann alles anders machen, ihre eigene Signatur in die Musik pressen.
717. Mit buddhistischer Ruhe lässt Flügel die Sounds fließen. Er weiß, dass es die richtigen Klänge sind.
(39) Roll over Beethoven150
718. Geboren 1926 in St. Louis, Missouri, gestorben 2017 in St. Charles, Missouri: Chuck Berry war
durch und durch ein Musiker des amerikanischen Südens.
719. Wie kein zweiter verschmolz er den Hillbilly-Groove mit Rhythm’n’Blues.
720. 1955 ist er dort in den Studios der legendären jüdischen Chess-Brüder aufgekreuzt, dem
musikalischen Biotop von Blues-Musikern wie Muddy Waters oder Howlin’ Wolf.
721. Eine alte Country-Swing-Nummer von Bob Wills, „Ida Red“, hat er sofort in einen klassischen
Chuck-Berry-Song verwandelt: „Maybellene“. Ein Blueprint für all das, was da noch kommen
würde. Im hämmernden Gitarrenrhythmus erzählt er von Liebe und Eifersucht, schnellen Autos
und Verfolgungsjagden.
722. Pure Teenagermusik, die wirklich an das große enigmatische Motto von Walt Whitman erinnert, „I
sing the body electric“.
723. Chuck Berry eroberte damit jedenfalls 1955 die Rhythm’n’Blues-Charts.
724. 1972 schließlich schaffte er es auch zugleich, die Topposition der US-Pop-Hitparade und der
britischen Charts zu besetzen, mit einem schmutzigen Liedchen namens „My Dinga-Ling“.
725. Und er war zum Idol geworden für Teenager und Musiker wie Bob Dylan, Keith Richards oder Paul
McCartney, die in ihm alle den größten amerikanischen Dichter sahen.
726. Die ersten Langspielplatten der Beatles und der Rolling Stones waren gespickt mit seinen Liedern:
„Roll Over Beethoven“, „Rock And Roll Music“ oder „Carol“, „Around And Around“, „You Can’t
Catch Me“.
727. John Lennon hat später gesagt, wenn man Rock’n’Roll einen anderen Namen geben müsste, sollte
man ihn Chuck Berry nennen.
728. Im Interview mit dem „Rolling Stone“ hat der wahre „King of Rock’n’Roll“ an seine Wurzeln
erinnert, an den famosen Louis Jordan, den bouncenden Bandleader Count Basie, an den Crooner
Nat ‚King‘ Cole, den Bluesman Muddy Waters oder an Frank Sinatra, von denen er seine
„Inspiration“ bekommen habe. Im großen Film über das Chess-Label, „Cadillac Records“ wurde
Chuck Berry zuletzt von dem Rapper Mos Def verkörpert.
729. Von der einstigen „race music“ zum HipHop – Chuck Berry hat diesen langen Weg der „black
music“ als Inspirator entscheidend geprägt.
(40) Clubsounds für die Mos-Eisley-Cantina 151
730. Wussten Sie, dass Rock-Reduzierer Rick Rubin auch "Star Wars"-Fan ist?
731. Auf einem irren Elektro-Album lässt der Produzent Szenestars wie Flying Lotus mit FilmSamples experimentieren.
732. Plus: Noch mehr wichtige Pop-Neuerscheinungen.
733. Aber immer nur den John-Williams-Soundtrack hören?
734. Zum Glück ist Rick Rubin, langbärtiger, zu totaler Reduktion neigender Rock-Produzent, auch ein
"Star Wars"-Fan.
735. Und hat jetzt gleichgesinnte Elektronik-Musiker für ein Album versammelt, das verschroben zu
nennen sehr untertrieben wäre. Das Ganze ist weniger camp, als man glaubt, denn nicht nur
signalisiert das offizielle "Star Wars"-Logo auf dem Cover den Segen von höchster Disney-Instanz,
150
URL: https://www.nmz.de/artikel/roll-over-beethoven
151
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/star-wars-headspace-quilt-essaie-pas-sarah-neufeld-neue-albena-1078650.html
!129
die Künstler durften sogar aus dem reichhaltigen Fundus lieb gewonnener Sounds und Samples aus
den Filmen schöpfen.
736. Dabei kam herrlicher Blödsinn heraus, wie die hirnsprengend vertrackte Droidenballade "R2
Where R U?" von Jazz-Jedi-Ritter Flying Lotus, Shlomos ebenfalls mit R2-D2s Wimmer- und
Fieplauten spielende John-Carpenter-Reminiszenz "Druid Caravan Of Smoke" oder der straighte
House-Track "R2 Knows" von Claude VonStroke.
737. Natürlich darf auch eine Hommage an die swingende Cantina-Band von Mos Eisley nicht fehlen,
angemessen hibbelig umgesetzt vom amerikanischen Bassmusic-Produzent Baauer.
738. Auch Rick Rubin selbst ist mit einem Track auf "Headspace" vertreten, der sich allerdings in eher
bodenständigem EDM verliert.
739. Schöner ist da schon der minimalistische, von Rubin remixte "Jabba Flow" von Shag Kava, dem
Pseudonym von Musiker Lin-Manuel Miranda und "Star Wars"-Regisseur Abrams
höchstpersönlich.
740. Weniger Spaß machen allzu flächige oder statische Tracks von Galantis, Bonobo und Röyksopp oder
der scheußliche Pop-Orchester-Funk des Schlussstücks "Star Tripper" von Breakbot.
741. Und auch das mit modischen Gesangspitches und Droiden-Samples aufgemotzte "C-3PO's Plight"
ist eher eine uninspirierte Pleite.
742. Wenigstens gibt's danach gleich Erlösung mit den irren Trap-Sounds von GTA auf dem LeiaSample "Help Me, Obi Wan" und der hübsch ins Techno-Stakkato verzerrten "Imperial March"Fanfare.
743. Damit wird man als DJ vielleicht eher nicht im Berghain, aber mindestens auf der nächsten
Convention-Clubnacht punkten können.
744. Gute Neo-Psychedelia-Alben werden nur in der Bay Area und in L.A. gemacht?
745. Um das demonstrativ zu widerlegen, fuhr ich vor zwei Jahren einmal die ganze Westküste hoch, im
Cabrio, und ließ sehr laut das hervorragende zweite Album der Band Quilt laufen, "Held In
Splendor", auf dem sich magische Songs wie "Arctic Shark" oder "Mary Mountain" befanden.
746. Aber Quilt, die aus New York mit Umweg über Boston stammen, haben sich zumindest in meinem
Herzen einen Platz erspielt, auch wenn ihre Musik so gar nichts mit den hier vordringlich
verhandelten Versuchen von Pop-Innovationen zu tun hat, sondern mit Anklängen an Kinks,
Byrds, Jefferson Airplane und Strawberry Alarm Clock kompetent in die Sixties verweist.
747. Auf "Plaza" erfindet sich die Band um Anna Fox Rochinski (toller Name!) und Shane Butler, beide
Gesang und Gitarre, zum Glück nicht neu.
748. Vielleicht sitzt alles ein bisschen besser, will sogar moderner, popgerechter klingen, als es muss, wie
in "Hissing My Plea" oder "Roller".
749. Ansonsten dominiert die aus altem und neuem Material zusammengesetzten Stücke jedoch jener
süße, mehrstimmige Harmoniegesang und die bedröhnt jinglejanglenden Melodien, die schon die
ersten beiden Alben so verführerisch machten.
750. Prototypischer Quilt-Song ist "Passersby": Ein mäandernder Fluss aus mal süßen, mal schrägen
Gitarrenakkorden, Flöten und in die Ewigkeit trommelnden Drums, der von nichts weiter handelt
als vom großen, befriedigenden Luxus, Leuten auf der Straße beim Vorbeigehen zuzusehen. Musik,
die "Wanderlust" auslöst, nennen das die Amerikaner, weil sie kein eigenes Wort für Fernweh haben.
751. Da waren sie wieder, die synthetischen Drums aus Jan Hammers "Miami Vice"-Thema, auch
schon über 30 Jahre alt.
752. Wie ein Echo aus unschuldigeren Zeiten klöppeln sie plötzlich mitten hinein in den sphärischen
Sequenzersound von "Dépassée par le fantasme", dem zweiten Track auf dem neuen Album des
Duos Essaie pas aus Montreal.
753. "Versuch's nicht", heißt der Bandname übersetzt, und vielleicht ist das selbstironisch gemeint, denn
mit dem gerade total schicken Synthie-Pop und frühen Elektro der Achtzigerjahre wurde zuletzt ja
schon viel zu viel angestellt, von Techno-Künstlern sowieso, aber auch von Pop-Acts wie
Chromatics, Kavinsky oder Lonelady.
754. Wie letztere erinnert auch der unterkühlte, Ich-stehe-alleine-mit-meinem-Keyboard-in-kargenBetonlandschaften-Gesang von Sängerin Marie Davidson an die ewige Genre-Pionierin Anne
Clark, sie singt ihre traurig-lakonischen Abgesänge auf die Moderne allerdings auf Französisch.
755. Dazu programmiert ihr (auch manchmal sprechsingender) Partner Pierre Guerineau pulsierende
Science-Fiction-Soundtracks (natürlich: "Blade Runner"), die durchgängig nachtfeucht und
dystopisch klingen.
!130
756. Manchmal klingt das wie eine unwahrscheinliche, aber charmante Negativ-Version der fröhlichfrivolen Frenchpop-Hits von Stéphanie von Monaco oder Alain Delon ("Carcajou 3"), richtig
interessant wird's aber, wenn Essaie pas ihren Retro-Sound in Richtung Minimal-Techno und
skelettierten Chicago-House driften lassen ("Facing The Music", "Lights Out") und sich damit ihren
DFALabel-Kollegen Factory Floor annähern. Dazu Neo-Noir-Klassiker wie "Subway"oder "La
Femme Nikita" ohne Ton laufen lassen und den Trenchcoat-Kragen hochschlagen. So werden bald
noch viele Platten klingen.
757. Wir bleiben in Montreal und bei einer Band, der neulich gerade ein schönes, weil niederträchtiges
Denkmal mit einem Song auf dem leider nicht genügend gewürdigten Album "Weird Little
Birthday" der Londoner Band mit dem einfallsreichen Namen Happyness gesetzt wurde: "I'm
wearing Win Butler's hair, there's a scalpless singer with a Montreal rock band somewhere", leiert
der Sänger da mit hinreißend suizidaler Stimme.
758. Gemeint sind natürlich Arcade Fire und ihr zu exzentrischer Haarmode neigender Frontmann.
759. Andere feste Mitglieder der vielköpfigen Truppe haben es immer etwas schwer, aus Butlers
Schatten herauszutreten, weil der nicht nur komische Haare hat, sondern auch noch ein Hüne ist.
760. Sein Bruder Will veröffentlichte letztes Jahr ein eher ödes Pop-Album, die Violinistin Sarah
Neufeld ist schon umtriebiger und bringt jetzt bereits ihre vierte Solo-Platte heraus.
761. Das Gute daran: Auch wenn Arcade-Fire-Kollege Jeremy Gara an den Drums sitzt, findet man bis
auf gelegentlich überbetontes Melodrama nicht viele Anknüpfpunkte zum Stammkollektiv.
762. Stattdessen tupft Neufeld ihren entrückten Enya-Gesang über wirbelnde, stürmische Folkweisen wie
"A Long Awaited Scar" und "From Our Animal" odererzeugt elegisch fiedelnd eine entzückend
garstige Sinnlichkeit ("Where The Light Comes In", "They All Came Down") - eine Art kanadische
Gotik also, die Bilder einer an umtoster Klippe stehenden Frau im hochgeschlossenen, streng
verschnürten Quäkerkleid heraufbeschwört.
763. Ja, wirklich, so eine brutal schöne Platte ist das!
(41) Sting eröffnet das "Bataclan" neu 152
764. Beim ersten Konzert nach dem Terror erobert das Publikum sich den Konzertsaal singend,
klatschend und jubelnd zurück.
765. Dem britischen Musiker Sting gelingt bei seinem symbolträchtigen Auftritt am Samstagabend der
Balanceakt zwischen Erinnern und Bekenntnis zum Leben.
766. Der 34-Jährige stammt aus Portugal und wohnt nun in Brüssel, er ist extra für das Konzert nach Paris
gekommen.
767. Nun entdeckt das Publikum des ausverkauften Konzerts auch das komplett renovierte Innere.
768. Der gut gefüllte Saal wird mucksmäuschenstill, dann stimmt der 65-Jährige seine Ballade «Fragile»
an. Auf den nachdenklichen Einstieg folgt ein Mix aus bekannten Hits wie «Englishman in New
York», «Every Breath You Take» und «Message In A Bottle» und Songs von seinem gerade erst
veröffentlichten Album «57th and 9th».
769. «Ich war von der Wahl mancher Lieder ein wenig überrascht», sagt Besucherin Fatima später - etwa
dem Song «Inshallah», der sich mit der Flüchtlingskrise beschäftigt.
770. Nach mehreren Zugaben setzt sich Sting am Ende allein mit einer Akustikgitarre auf die Bühne.
771. «Dieses Lied ist für ihn, seine Familie und alle Familien die an jenem Abend einen geliebten
Menschen verloren haben», sagt der Sänger, und singt den Song «The Empty Chair».
772. Im Publikum ist es ganz still, dann bricht donnernder Applaus aus.
(42) Pop-Ironiker Neil Hannon - Wenn Napoleon schmollt 153
773. Während seine Freundin Tiere schützte, rettete er vor lauter Einsamkeit den Pop: Der irische Musiker
Neil Hannon alias The Divine Comedy überhöht sein Selbstmitleid auf einem neuen Album zu
historischer Größe.
774. Eigentlich wollte Neil Hannon endlich sein lange geplantes Synthiepop-Album aufnehmen.
775. Die Achtzigerjahreklänge erleben gerade ein Revival, aber Hannon findet die moderne Variante
dieses lange geschmähten Genres "zu clever, zu smart, die machen ja alles am Computer".
152
URL: https://www.welt.de/159455756
153
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/the-divine-comedy-foreverland-neil-hannon-mit-neuem-albuma-1112494.html
!131
776. Schön analog müsse man so ein Album sein, das nach den frühen Human League klingt, denn was
die Platten aus den Achtzigern so toll mache, sei ja gerade, dass "das einzig Synthetische daran die
Keyboards Höhepunkt des Albums ist das eindeutig betitelte "How Can You Leave Me on My
Own", in dem der alleingelassene Hannon erzählt, wie er sich aus Protest so richtig gehen lässt:
"When you leave I become a dickhead/ A bad smelling, couch dwelling dickhead."
777. Garniert ist das Stück mit dem I-Ah-Geschrei des Nachbaresels Wayne - mit dem sich Hannon
anscheinend prächtig identifizieren konnte.
778. Andere Songs des Album sind weniger brachial, dafür aber umso schöner und romantischer: das
traurige "I Joined the Foreign Legion (to Forget)" zum Beispiel, "My Happy Place" oder "To the
Rescue".
779. Auch ein veritabler Broadway-Gassenhauer ist mit "Funny Peculiar" dabei, ebenso wie Hannons
Versuch eines Chansons - alles melodische, fein gearbeitete Instant-Hits, mit denen Hannon sehr
altmodisch und sehr schrullig die Tradition britischen Songwritings verteidigt - von Beatles bis
Bevis Frond.
780. Das allein wäre ausreichend, um "Foreverland" zu einem sympathisch unauffälligen Triumph zu
machen, doch auch Hannons Faible für Pomp und große Gesten brach sich erneut Bahn.
781. In Songs wie "Catherine the Great", "The Pact" und "Napoleon Complex" stülpte er dem eigentlich
banalen Thema seines beleidigten Bardengesangs eine historische Dimension über: "Catherine, das
ist halb Katharina die Große und halb Cathy, und dazu Napoleon, da dachte ich: Das sind doch
eigentlich wir! Ein Beziehungsdrama mit internationaler Diplomatie zu vergleichen, das drängt sich
doch förmlich auf, oder?"
782. Historie ist ohnehin ein weiteres Steckenpferd von Hannon, der seit seinem letzten Album, das 2010
erschien, unter anderem ein Musical auf die Bühne brachte, ein Kirchenkonzert für Chor und
Orgel über Alzheimer schrieb, das er seinem daran erkrankten Vater widmete – und zusammen mit
seinem Kumpel Thomas Walsh die Retro-Rockband The Duckworth Lewis Method gründete.
"Geschichte ist toll, ich beute sie gnadenlos aus."
783. Werden die shakespearesken Follies um Boris Johnson, Theresa May und David Cameron
irgendwann in neue Songs von The Divine Comedy einfließen?
(43) Neues Album erscheint Anfang Dezember154
784. Die Rolling Stones bringen am 2. Dezember ein neues Album heraus.
785. Das gibt die Band auf ihrer Internetseite und über Twitter bekannt.
786. Es wird "Blue & Lonesome" heißen und ist das erste Studioalbum der Stones seit "A Bigger Bang"
von 2005.
787. Das neue Album enthält Songs klassischer Bluesmusiker wie Howlin' Wolf, Willie Dixon und
Jimmy Reed.
788. In einem Statement schreibt die Band: "Die Leidenschaft für Bluesmusik war immer das Herz und
die Seele der Rolling Stones."
789. "Blue & Lonesome" soll laut übereinstimmender Berichte von Nachrichtenagenturen aus zwölf
Songs bestehen.
790. Bei zweien ist auch Star-Gitarrist Eric Clapton zu hören.
791. Auch im aktuellen Twitter-Post der Band heißt es, die Rolling Stones würden zum Blues
zurückkehren: Die Band-Gitarristen Keith Richards und Ron Wood hatten bereits im Frühjahr
2015 der britischen Tageszeitung "The Sun" von der Platte erzählt.
792. Ende September berichtete dann der US-Produzent Don Was, der viele Jahre lang mit den Rolling
Stones zusammenarbeitete, die Stones hätten eine Reihe von Klassikern des Chicago Blues
aufgenommen.
793. Der französischen Zeitung "Le Figaro" hatte Was gesagt, die Stones hätten die Lieder an nur drei
Tagen eingespielt.
794. Mittels einer einfachen Studioausstattung hätten sie versucht, einen authentischen Sound zu
erzeugen.
795. Am Freitag bestreiten die Stones den Auftakt des neuen Festivals "Desert Trip" in Kalifornien, bei
dem Legenden der Rockmusik zusammenkommen.
154
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/the-rolling-stones-neues-album-anfang-dezember-a-1115252.html
!132
796. Während des dreitägigen Festivals treten auch Paul McCartney, Bob Dylan, Roger Waters, The Who
und Neil Young auf.
797. Die Rolling Stones haben in den vergangenen Jahren mehrere Konzertmitschnitte veröffentlicht,
aber kein Studioalbum.
798. Der 72-jährige Keith Richards hat wiederholt seine Liebe zum Chicago Blues bekundet und diesen
als wichtigen musikalischen Einfluss seiner Jugend in England bezeichnet.
799. Der Chicago Blues entstand, als Afroamerikaner aus den US-Südstaaten im Zuge der "Großen
Migration" im 20. Jahrhundert in die Industriestädte des Nordens abwanderten.
800. Ihre Musik, der Blues, mischte sich dort mit Rockelementen.
(44) THE VOICE OF GERMANY: Bourani macht sich lächerlich155
801. Es ist anzunehmen, dass Andreas Bourani sicher keinerlei Probleme damit hätte, zwei Mal
wöchentlich die zwei Sendestunden mit einem Bourani-Konzert voller Bourani-Hits zu füllen, die
auf seinen beiden Kaufhaus-Pop-Klassikern "Staub Und Fantasie" (2011) und "Hey" (2014)
käuflich zu erwerben sind.
802. Getroffen hat es den 22-jährigen Robin aus Graz mit seinem unspektakulären Singer/SongwriterVortrag von Jamie Lawsons "Wasn't Expecting That", zu dem Bourani auf die Bühne hastete und
ihm den Echo in die Hand drückte.
803. Nirvana-Fan Julien Alexander Blank, Jahrgang 1997, dokumentiert im Einspieler sein Fachwissen,
indem er im Plattenladen Alben wie "From The Muddy Banks Of The Wishkah" fachmännisch
beurteilt.
804. Entsprechend wenig rückt er bei seinem "Heart-Shaped Box"-Cover von der Originalversion ab,
überzeugt aber vor allem in den Strophen, doch im Refrain ist ein Battle gegen Cobain wohl für
jeden ein aussichtsloses Unterfangen.
805. Vielleicht hätte er sich doch besser mit austauschbaren Singer/Songwritern gemessen.
806. Auf Twitter gab es zur Sendung jedoch nur ein Thema: Bourani. Dessen Open Air-Tournee 2017
heißt passenderweise "Die Welt von oben".
(45) Unglaublich: U2-Sänger Bono zur Frau des Jahres gewählt 156
807. U2-Frontmann Bono hat schon allerlei Preise einheimsen können.
808. Mit seiner Band gewann er unzählige Grammys und auch ein paar Organisationen verliehen ihm für
sein Charisma und seine politische Arbeit bereits die eine oder andere Trophäe.
809. Cindi Leive, die Chefredakteurin des Magazins, erklärte, dass die Redaktion schon seit langem
plante, einen Mann auf die Liste zu bekommen.
810. Möglicherweise erhält der irische Sänger die Auszeichnung vor allem für die Kampagne „Armut ist
sexistisch“.
811. Der Musiker plädiert damit für Geschlechtergleichstellung und ruft alle Männer dazu auf, sich in den
nächsten Jahren der Bewegung anzuschließen.
(46) Prince-Protegé: Sängerin Vanity mit 57 Jahren gestorben157
812. Die moralische Aufregung über den angeblich verderbenden Einfluss von Rock-, Pop- und RapTexten auf die Jugend der USA war auf ihrem Höhepunkt.
813. Angefeuert wurde sie von der Eltern-Lobbygruppe PMRC, auf deren Initiative später die
legendären "Parental Advisory"-Aufkleber entstanden.
814. 1985 aber veröffentlichte das PMRC die Liste der "Filthy Fifteen", der 15 anstößigsten Lieder.
815. Die Sängerin, die sich Vanity nannte, war darauf vertreten, mit ihrem Song "Strap on Robbie Baby",
aber auch ihr früherer Liebhaber Prince ("Darling Nikki") und ihr zukünftiger Verlobter Nikki Sixx
mit Mötley Crüe ("Bastard").
816. Prince wählte Matthews als Hauptsängerin aus für eine Girlgroup, die er zu jener Zeit plante.
155
URL: http://www.laut.de/News/The-Voice-Of-Germany-Bourani-macht-sich-laecherlich-28-10-2016-13067
156
URL: https://www.rollingstone.de/unglaublich-u2-saenger-bono-zur-frau-des-jahres-gewaehlt-1148827/
157
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/vanity-ist-tot-prince-entde…saengerin-denise-matthews-in-den-achtzigerna-1077576.html
!133
817. Den vom Popstar ursprünglich vorgeschlagenen Künstlernamen "Vagina" lehnte sie ab - so wurde
aus Denise Matthews eben Vanity.
818. Das Trio Vanity 6 veröffentlichte sein Debütalbum im Jahre 1982, die meisten Songs stammten von
Prince, darunter auch die erfolgreichste Singleauskopplung "Nasty Girl".
819. Vanity verließ die Band und wurde durch Patricia Kotero ersetzt, genannt Apollonia, die auch die
weibliche Hauptrolle in Prince' erfolgreichem Musikfilm "Purple Rain" übernahm.
820. Aus Vanity 6 wurde also Apollonia 6, aber Vanity startete eine Solokarriere, veröffentlichte zwei
Alben auf dem Motown-Label.
821. Mitte der Neunzigerjahre erfand sie sich als wiedergeborene Christin neu, nahm wieder ihren
Geburtsnamen an, schrieb über ihre Erfahrungen in einer Autobiografie namens "Blame it on
Vanity" und entschuldige sich für ihre offenherzigen Songs aus den Achtzigern.
(47) Blink-182 nehmen Clip von "What's My Age Again?" für "She's Out Of Her Mind" neu auf158
822. Für das Video zu ihrem Song "She's Out Of Her Mind" haben sich Blink-182 mit Spotify
zusammengetan, um Szenen aus ihrem alten Clip zu "What's My Age Again?" neu zu inszenieren.
823. Die Hauptrollen hat das Trio dafür an jemand anderen vergeben.
824. Für das Remake zum 1999 erschienen Video ihres Songs "What's My Age Again?" hat das PopPunk-Aushängeschild aus Kalifornien ein paar hübsche Änderungen vorgenommen: Statt des Trios
flitzen in dem Clip zu ihrer aktuellen Single "She's Out Of Her Mind" die aufreizenden SocialMedia-Stars Lele Pons, Hannah Stocking und Vale Genta nackt und an den entscheidenden Stellen
verpixelt umher.
825. Während das Video immer mal wieder in einen ausverkauften Club schwenkt, in dem Blink-182 vor
tanzendem Publikum spielen, legt auch der Komiker Adam Devine einen Cameo-Auftritt als
provokant attraktiver Krankenpfleger hin.
826. Das Video haben Blink-182 in Zusammenarbeit mit dem Streaming-Dienst Spotify veröffentlicht.
827. Auf dem Kanal "Flash Frame", der am Donnerstag gestartet ist, werden künftig auch Interviews mit
Bands und Auftritte zu sehen sein.
828. "She's Out Of Her Mind" ist auf dem aktuellen Album "California" enthalten, das am 1. Juli via
BMG erschienen war.
829. Bereits vor der Veröffentlichung hatten Blink-182 zahlreiche Songs mit Videos flankiert.
830. Ende Juni hatte das Trio etwa ein Lyric-Video zu "No Future" präsentiert.
831. Derweil hatte Ex-Mitglied Tom DeLonge zuletzt Verbündete für seine Alientheorien gesucht - und
offenbar auch gefunden.
(48) Eminem attackiert Trump mit Acht-Minuten-Track "Campaign Speech" 159
832. Eminem ist nicht zu allererst als politischer Rapper bekannt.
833. Aber im derzeit tobenden USPräsidentschaftswahlkampf Bezieht auch er erneut Stellung - mit dem
acht Minuten langen Track "Campaign Speech".
834. Zugleich kündigte er an, an einem neuen Album zu arbeiten.
835. Das macht er in "Campaign Speech" mehr als deutlich, wo er rappt: (…)
836. Trump ist nicht die einzige Zielscheibe Eminems in dem fast komplett auf einen Beat oder einen
Refrain verzichtenden Freestyle, in dem Eminem in acht Minuten Zeile an Zeile fügt und dabei
auch Themen wie die Opfer von Polizeigewalt in den USA und die öffentlichen Reaktionen darauf
anschneidet.
837. Auf Twitter kündigte Eminem zeitgleich mit dem Song an, dass er derzeit am Nachfolger zur
"Marshall Mathers LP 2" arbeiten würde.
838. Sein aktuelles Album war 2013 erschienen.
(49) Jimmy Eat World sprechen in VISIONS 284 über den Ausbruch aus dem Albumzyklus160
158
URL: http://www.visions.de/news/25778/Blink-182-nehmen-Clip-von-What-s-My-Age-Again-fuer-She-s-Out-OfHer-Mind-neu-auf
159
URL: http://www.visions.de/news/25772/Eminem-attackiert-Trump-mit-Acht-Minuten-Track-Campaign-Speech
160
URL: http://www.visions.de/news/25811/Jimmy-Eat-World-sprechen-in-VISIONS-284-ueber-den-Ausbruch-ausdem-Albumzyklus
!134
839. Hinter den Kulissen ließen es die Alternative Rocker im Vorfeld von "Integrity Blues" allerdings
etwas ruhiger angehen - und haben aus der Bandauszeit ihre ganz eigenen Lehren gezogen.
840. "Normalerweise beenden wir eine Tour, nehmen uns etwas Zeit für unsere Familien und dann geht es
zurück ins Studio, um an Songs zu arbeiten", erklärt Bassist Rick Burch in VISIONS 284.
841. "Dieses Mal standen wir im Studio und fragten uns: Warum müssen wir jetzt schon wieder mit dem
Schreiben einer neuen Platte anfangen? Wir fanden keine Erklärung dafür, die uns genügt hätte."
842. Das Ergebnis: Jimmy Eat World legen ein Jahr Pause ein, in dem beispielsweise Frontmann Jim
Adkins mit "I Will Go" eine Soloplatte veröffentlicht und diese betourt und Burch sich ein zweites
Standbein als Schnapsbrenner aufbaut.
843. Die kreative Pause kommt "Integrity Blues" zu Gute, auf der die Band orchestralen Momenten und
Pop-Anleihen die Tür öffnet, aber auch wieder ein Stück weit in Richtung ihrer Erfolgsalben
"Clarity" und "Bleed American" schielt.
844. Dass viele Fans sie immer noch nach diesen Platten beurteilen, stört die Band dabei nicht.
845. "Es ist schwierig, gegen die Platte anzukämpfen, mit der jemand eine Band kennengelernt hat", sagt
Adkins im Gespräch.
846. "Man könnte dir zum Beispiel "Sergeant Pepper's" vorsetzen, und dir würde es trotzdem nicht so gut
gefallen wie das Album, das dich zur Band gebracht hat."
847. Was Schlagzeuger Zack Lind und Gitarrist Tom Linton in der Bandpause getrieben haben, warum
Jimmy Eat World als eine der wenigen Bands den Emo-Boom der 90er überlebt haben, und
welchen Einfluss Produzent Justin Meldal-Johnsen auf "Integrity Blues" hatte, lest ihr in VISIONS
284 - ab jetzt am Kiosk.
848. In knapp drei Wochen kommt die Band nach ihrer Clubtour für eine Handvoll größere Shows
zurück. Karten für die von VISIONS präsentierten Konzerte gibt es bei Eventim.
(50) Newsflash (Thursday, Radiohead, Dave Grohl u.a.) 161
849. Indizien dafür sind eine Reihe von Aktitiväten auf verschiedenen Social-Media-Kanälen der Band.
850. So wurden die Profilbilder der Band zu schwarzen Bildern geändert, auf denen die ehemaligen
Mitglieder Geoff Rickly, Andrew Everding und Tom Keeley verlinkt sind.
851. Auf Facebook wurde zudem ein weiteres Bild gepostet, dass die Band bei einem Live-Auftritt zeigt.
852. Das interessanteste Detail lieferte jedoch Frontmann Rickly, der die Beschreibung seines TwitterAccounts änderte - dieser weist ihn nun als "derzeitigen Sänger von Thursday" aus.
853. Im vergangenen Jahr hatte sich die Band nach längerer Zeit wieder getroffen und verkündet, wieder
mehr Zeit miteinander verbringen zu wollen.
854. Ob es Pläne zu einer Reunion-Tour oder gar neuem Material gibt, ist allerdings noch nicht bekannt.
855. Die Hinweise auf ein bald erscheinendes Radiohead-Album haben sich weiter verdichtet.
856. Vor kurzem war bekannt geworden, dass die Briten eine Firma mit dem Namen "Dawn Chorus LLP"
eingetragen hatten.
857. Bei den beiden vergangenen Alben "The King Of Limbs" und "In Rainbows" hatten Radiohead
ebenfalls mysteriöse Firmen gegründet, über die dann die Platten erschienen waren.
858. Die Aussagen Stanley Donwoods, dem Art Director der Band, wurden indes konkreter.
859. In einem Interview hatte er angegeben, dass er das neue Album gehört habe.
860. Auch das Artwork des neuen Albums sei noch nicht vollendet.
861. Zwar hatte die Band vor kurzem ein entsprechendes Bild gepostet, Donwood sagte jedoch, dass er
noch eine Menge zu tun habe.
862. Auf die Frage, welches Artwork sein Favorit wäre, antwortete er: "Ich habe mir darüber gedanken
gemacht und ich glaube es ist das, was bis jetzt noch niemand gesehen hat. Es ist durch die starken,
warmen Winde Südfrankreichs entstanden."
863. Ob das Album samt Artwork bereits zur Welttournee fertig ist, ist nicht bekannt.
864. Die Tour führt die Art-Rock-Band unter anderem für einen Termin auf das Lollapalooza-Festival
in Berlin.
865. Metallica haben eine remasterte Version von "The Four Horsemen" gestreamt.
866. Der Song ist auf dem Debütalbum "Kill 'Em All" enthalten, das zusammen mit dem Zweitling "Ride
The Lightning" zum Record Store Day am 16. April in einem Delux-Box-Set neu aufgelegt wird.
867. Die Heavy-Metal-Legenden sind auch weltweite Botschafter des Record Store Days 2016.
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URL: http://www.visions.de/news/24686/Newsflash-Thursday-Radiohead-Dave-Grohl-u-a
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868. Crosses (†††) haben sich erneut aus dem Studio gemeldet.
869. Die Elektro-Postrocker zeigten auf Twitter ein Foto, das offenbar eine Studio-Session darstellt und
wiesen mit dem Kommentar "Acoustic †oo" ("Auch Akustik") auch gleich in die Richtung des
neuen Materials.
870. Da der Frontmann des Projekts, Chino Moreno, jedoch momentan mit den Deftones kurz vor der
Veröffentlichung des neuen Albums "Gore" steht, ist ungewiss, wie lange es dauern wird, bis neue
Songs der Band zu hören sind.
871. US-Künstlerin Jules Muck hatte in Los Angeles ein zwölf Meter hohes Wandporträt des im
vergangenen Jahr verstorbenen Motörhead-Frontmanns gemalt.
872. Tatkräftige Unterstützung erhielt sie dabei nicht nur von Foo Fighters-Leader Grohl, sondern auch
von Pixies-Bassisten Paz Lenchantin. Auf Instagram postete die Künstlerin ein Bild der beiden
Musiker Arm in Arm vor dem fertigen Kunstwerk.
873. Unter dem Post merkte sie an: "Malen mit meinen Rock N' Roll Helden Dave Grohl und Paz
Lenchantin."
874. Ex-Guns N' Roses-Schlagzeuger Steven Adler hat ein Konzert in Los Angeles abgesagt.
875. Die Show sollte ein paar Tage vor den Reunion-Konzerten von Axl Rose, Slash und Duff McKagan
stattfinden.
876. Inwiefern Adler Teil der Reunion ist, ist nicht bekannt.
877. Der Drummer wurde 1990 Aufgrund von Alkohol- und Drogenproblem aus der Band geworfen.
878. Gitarrist Izzy Stradlin hingegen hatte der Reunion Anfang des Monats eine Absage erteilt.
879. Axl Rose erwähnte währenddessen gegenüber einem Fan, dass es nicht nur bei den sechs bestätigen
US-Shows bleibt.
880. Mark Gugliemo hatte dem Musiker bei einem Treffen in Atlanta alles Gute für die Konzerte
gewünscht.
881. Rose entgegnete "Danke, Mann - aber wir werden eine ganze Tour machen."
882. Weitere Details über die Tour sind nicht bekannt, ebensowenig, ob sie die Rocklegenden auch nach
Europa beziehungsweise Deutschland führt.
883. Tweedy haben David Bowie gecovert. Die Band von Wilcos Jeff Tweedy mit seinem Sohn Spencer
am Schlagzeug spielte "Queen Bitch" als Zugabe bei ihrem Konzert im australischen Melbourne.
Unterstützt wurden sie dabei von Courtney Barnett.
884. Diesmal wurden sie beim Covern aber nicht von den Show-Basketballern der Harlem Globetrotters
unterbrochen. bestritten.
885. Beim "Any Given Sunday 4"-Event kämpfte der Gitarrist der Metalcore-Band gegen den
professionelle Wrestler Tarik - und verlor.
886. Als Einlaufmusik hatte Williams "Systems Overload" von Integrity gewählt.
887. Seine Band befindet sich derweil im Studio und ist dabei ihr achtes Studioalbum aufzunehmen gut, dass Williams sich nicht an Händen und Fingern verletzt hat.
888. Am Wochenende hatten Every Time I Die ein kurzes Video aus dem Studio gepostet.
889. Nachdem das Flugzeug der Heavy-Metal-Giganten bei einem Tankmanöver in Chile vor zwei
Wochen einen schweren Schaden erlitten hatte, ist die Boeing 747 nun wieder voll einsatzfähig.
890. Vier Millionen US-Dollar kostete jeder der beiden Motoren, die in einem gecharterten Flugzeug
12.000 Kilometer aus Europa nach Südamerika zurücklegten, wo sich die Band momentan befindet.
891. Die Ed Force One soll am heutigen Dienstag in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia wieder zu der
Band stoßen.
892. Frontmann Bruce Dickinson, der zugleich auch Pilot des bandeigenen Flugzeugs ist, zeigte sich sehr
erfreut über die Rückkehr der Boeing und bedankte sich bei dem gesamten Team und der TourCrew.
893. Im Mai machen Iron Maiden auf ihrer Welttour auch in Deutschland halt.
(51) Nick Cave und Warren Ellis veröffentlichen Soundtrack zur Dokufiction "Mars"162
894. Nick Cave und sein musikalischer Partner Warren Ellis haben erneut einen Soundtrack geschrieben.
895. Der Score für "Mars", eine Serie des TVSenders National Geographic, erscheint am 11.November.
896. Einen ersten Song daraus gibt es bereits im Stream.
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URL: http://www.visions.de/news/25803/Nick-Cave-und-Warren-Ellis-veroeffentlichen-Soundtrack-zur-DokufictionMars
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897. Mit dem Soundtrack zur sechsteiligen Serie "Mars", die auf dem Sender National Geographic Mitte
November startet, veröffentlicht Nick Cave bereits das dritte Album in diesem Jahr.
898. Zuvor hatte er - ebenfalls gemeinsam mit Warren Ellis - den Soundtrack zum Spielfilm "Hell Or
High Water" veröffentlicht und sein eigenes Album "Skeleton Tree" auf den Markt gebracht.
899. Mit dem "Mars Theme" gibt es einen ersten Song aus dem Soundtrack dazu im Stream.
900. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich dabei um einen atmosphärischen Track, in dem es
trotzdem Gesang von Cave gibt.
901. Weiter unten findet ihr die Tracklist und das Cover der Platte.
(52) Red Hot Chili Peppers arbeiten mit Radiohead-Produzent Nigel Godrich163
902. Gute Nachrichten von den Red Hot Chili Peppers: Nicht nur, dass offenbar das neue Album fertig
aufgenommen ist – für den Mix konnte die Band anscheinend den RadioheadStammproduzenten Nigel Godrich gewinnen, wie die Band mit einem Foto deutlich macht.
903. Schon im Dezember hieß es, das langerwartete elfte Studioalbum der Red Hot Chili Peppers sei fast
fertig.
904. Nun bestätigte Schlagzeuger Chad Smith nicht nur indirekt, dass alle Parts fertig eingespielt seien,
sondern gab auch noch ein neues Detail bekannt: Den Mix der Platte wird der RadioheadProduzent Nigel Godrich übernehmen.
905. "Wir haben heute angefangen, die neue Platte zu mixen. Nigel Godrich übernimmt das Steuer",
schrieb Smith auf Twitter unter ein Foto von sich und Godrich.
906. Die Verbindung zu Godrich könnte über Atoms For Peace entstanden sein: Bei dem von Thom Yorke
angeführten Projekt wirkten sowohl Godrich als auch Peppers-Bassist Flea mit.
907. Godrich ist damit schon der zweite prominente Name, der im Zusammenhang mit der neuen ChiliPeppers-Platte auftaucht: Bereits im vergangenen Jahr sickerte durch, dass Danger Mouse das
Album als Produzent betreuen wird.
908. Die neue Platte folgt auf "I'm With You", das bereits 2011 erschienen war.
909. Zuletzt hatten mehrere der Bandmitglieder knappe Updates zu den Arbeiten am neuen Album
gegeben.
(53) Ziemlich beste Songwriter164
910. Ein ganz großartiges Album ist „Engtanz“.
911. Überraschend ist das nicht. Schließlich liefert Bosse seit über 15 Jahren wunderbare, anrührende und
bezirzende Songs ab.
912. „Steine“ ist so ein Song.
913. Und dann Bosses Texte.
914. Selten hat ein Album so viel Spaß gemacht und so viele – auch unbequeme – Wahrheiten ans
Tageslicht gebracht.
915. Phil Vetter überrascht mit einem kreuzkomischen Album.
916. Da will die Musik nicht zur Stimme passen, der Text nicht zum Gesang und der nicht zum
Gesamteindruck.
917. Leider würde man einen Fehler machen, dem Album nicht eine zweite Chance zu geben.
918. Die Songs bieten eine hintergründige Leichtigkeit an, die es zu erklimmen gilt.
919. Vetters Gesang entpuppt sich als der einzig passende: lakonisch, direkt und nicht alltagstauglich.
Sondern für sich stehend.
920. Musikalisch packt Phil Vetter das ins selbst geschaffene Ambiente des „Urban Folk Pop Singers“.
Das kann man unterschreiben, zumal seine Texte dem Banalen (Kann denn Bügeln Sünde sein…)
eine angemessene Schwere verleihen.
921. Jochen Distelmeyer, früher Blumfeld, bleibt der ungriffigste Künstler dieses Landes.
922. Passiert ist das Album, weil Distelmeyer auf seinen Lesereisen zur Gitarre griff und seine
Lieblingslieder ziemlich unverschämt und arg rotzig präsentierte.
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URL: http://www.visions.de/news/24684/Red-Hot-Chili-Peppers-arbeiten-mit-Radiohead-Produzent-Nigel-Godrich
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URL: http://www.nmz.de/artikel/ziemlich-beste-songwriter
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923. Dazu gehören übrigens – und das mag man Distelmeyer fast wieder nicht zutrauen – Songs wie
Britney Spears’ „Toxic“, Richard Ashcrofts „Bitter Sweet Symphony“ oder Lana Del Reys „Video
Games“.
924. Alle Songs funktionieren in diesem entrümpelten, vom Poplack befreiten akustischen DistelmeyerStil.
925. Und sie funktionieren so großartig, dass man das Original tatsächlich vergisst und kaum mehr
wahrnimmt.
926. Nicht, dass er da jedem Ton eine irrsinnige Bedeutung einräumen würde und das Original als Ikone
erhöht.
927. Jochen Distelmeyer spielt schlicht und ergreifend seine Lieblingssongs. Und um die zu spielen,
benötigt man ohne Zweifel Hingabe, Vertrauen und große Liebe (Four Music).
928. Me and My Drummer aus Berlin gehen einen Schritt weiter.
929. Mit ihrem ersten Album „The Hawk, The Beak, The Prey“ zeigten Charlotte Brandi und Matze
Pröllochs nicht nur Potenzial, sondern beweisen mit jedem Song, welche Schönheit in unpomadiger
Schlichtheit schlummern kann.
930. Direkt, aber immer noch in bestmöglicher Reduktion, reihen sich Perlen an Perlen, werden Songs zu
Ewigkeiten und bedeuten ein Freischwimmen, das gar nicht nötig war.
931. Jeden Song gilt es, dreidimensional zu wenden und Wendungen zu suchen.
932. Beyond The Black gelingt mit „Lost In Forever“ eine konsequente und beachtenswerte Fortsetzung
des Erstlings „Songs Of Love And Death“.
933. Ob das nun Melodic Metal oder Symphonic Metal heißt, sollen die wahren Experten ausmachen.
934. Fakt ist, dass Beyond The Black in erster Linie von Sängerin Jennifer Habens Stimme leben, die
jeden Song der Band höher führt.
935. Nie sind die Gitarren zu vordergründig, nie das oft verpönte Keyboard.
936. Am Ende stehen mächtige Songs, die sich nie im Pompösen verlieren und dennoch kraftvoll zubeißen
können (We love Music).
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