STAATLICHE UNIVERSITÄT SANKT PETERSBURG
Philologische Fakultät
Lehrstuhl für deutsche Philologie
Tatiana Alexandrovna Osipenko
BEWERTUNGSFUNKTION IM BIOGRAPHISCHEN PORTRÄT
UND IHRE SPRACHLICHE PRÄSENTATION
ФУНКЦИЯ ОЦЕНКИ В БОГРАФИЧЕСКОМ ПОРТРЕТЕ
И ЕЕ ЯЗЫКОВАЯ ПРЕЗЕНТАЦИЯ
MASTERARBEIT
Fachrichtung: 45.04.02 LINGUISTIK
Programm: «Theorie und Praxis verbaler Kommunikation»
Wissenschaftliche Betreuerin:
Dr. Phil. Xenia Rostislavovna Novozhilova
Sankt Petersburg
2017
Inhaltsverzeichnis
Einleitung…………………………………………………………………………..
4
1. Kategorie der Bewertung im biographischen Porträt……………………… 8
1.1. Besonderheiten des Texttyps „biographischer Essay“..………………………. 8
1.2 Bewertungsbegriff und –struktur……………………………………………...11
1.3 Sprechakttypologische und satzsemantische Aspekte in den Werken deutscher
Wissenschaftler………………………………………………………………..…..15
1.4 Typologische Aspekte der Bewertungsmanifestation in den Werken russischer
Wissenschaftler……………………………………………………………………17
1.5 Rolle der Emotionalität bzw. Expressivität und intensivierende Funktion der
Syntax in der Bewertung…………………………………………………………..
23
1.6 Das analytische Verfahren für die Auswahl und Analyse der bewertenden
sprachlichen Mittel in Texten Casanova und Stendhal …………………………..
25
Fazit zum 1. Kapitel………………………………………………………….…..
26
2. Sprachliche Mittel der Bewertung von Casanova und ihre Funktionen im
Text des biographischen Porträts……………………………………………….27
2.2 Die Bewertung der Gestalt von Casanova und die Rolle des Kontextes…….…
27
2.2.1 Die sprachliche Darstellung der Bewertungsmittel im biographischen Porträt
von Casanova………………………………………………………………….…..
29
2.2.1.1 Bewertung auf der Ebene der Lexik…………………………...……….….
29
2.2.1.1.1 Benennung von Casanova durch die usuelle Nominierung und
Präzedenznamen ………………………………………………………………….29
3
2.2.1.1.2 Bewertende Attribute……………………………………………….…...31
2.2.1.1.3 Verben mit emotionaler Färbung…………………………………….….33
2.2.1.1.4 Bewertende Elemente der Wortbildung (explizite Ableitung,
Substantivierung, Zusammensetzung)…………………………………………….33
2.2.1.2 Bewertung auf der Ebene der Wortverbindung……………………….…..34
2.2.1.2.1 Vorangestellte Attribute und nachgestellte unkongruierte Genitivattribute
…………………………………………………………….……..34
2.2.1.2.2 Bildhafte sprachliche Mittel (Vergleiche und kontextuelle Synonyme)
………………………………………………………………………...35
2.2.1.3 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Satzes (Antiklimax,
Entfaltung des metaphorischen Sinnes, Aufzählung, Rhetorische Fragen)……….37
2.2.1.4 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Textes (Aufzählung im
Rahmen des Textes, Stichwörter, Gegenüberstellung, Zitierung)…………………
39
2.2.2 Funktionen der Bewertung bei der Beschreibung der Gestalt von
Casanova………………………………………………………………………..…
45
3. Sprachliche Mittel der Bewertung von Stendhal und ihre Funktionen im
Text des biographischen Porträts………………………………………………
…….48
3.1 Die Bewertung der Gestalt von Stendhal und die Rolle des Kontextes……….
48
3.1.1 Die sprachliche Darstellung der Bewertungsmittel im biographischen Porträt
von Stendhal… …………………………………………………………………....
50
3.1.1.1 Bewertung auf der Ebene der Lexik (Nominierung und Präzedenznamen)
………………………………………………………………….50
3.1.1.2 Bewertung auf der Ebene der Wortverbindung (vorangestellte Attribute,
kontextuelle antithetische Paare, Vergleiche)……………………………………...
52
3.1.1.3 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Satzes…………………..
4
54
3.1.1.3.1 Aufzählung der gleichartigen Satzglieder ……………………………....
54
3.1.1.3.2 Gegenüberstellungen, kontextuelle Synonyme/Antonyme, Chiasmus....55
3.1.1.3.3 Rhetorische Fragen, Parenthesen, Entfaltung der Metapher im Rahmen
des Satzes………………………………………………………………………….
…..56
3.1.1.4 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Textes………………….
58
3.1.1.4.1 Thematische Wörter und Wortgruppen……………………….…………
58
3.1.1.4.2 Die Komponenten „seele“ und „gefühl“; „zwie“/ „zwei“ und
„doppel“……………………………………………………………………….…..59
3.1.1.4.3 Man-Sätze…………………………………………………………….…60
3.1.2 Funktionen der Bewertung bei der Beschreibung der Gestalt von
Stendhal………………………………………………………………………..….61
Zusammenfassung …………………………………………………………...….64
Literaturverzeichnis……………………………………………………….…….66
5
Einleitung
Heutzutage gibt es ein vielfältiges Verständnis des Begriffs Bewertung bzw.
Wertung (in den wissenschaftlichen Werken trifft man beide Begriffe). Unter
Bewertung versteht man im vereinfachten Sinn eine positive, negative oder
neutrale Beziehung zum Objekt der Bewertung. Bewertung ist eine wichtige
linguistische Kategorie, die an der Organisation des sprachlichen Verkehrs Teil hat.
Es gibt eine beträchtliche Anzahl linguistischer Werke, die der Bewertung
gewidmet sind. Dabei ist zu bemerken, dass die Kategorie der Bewertung vor
allem von russischsprachigen Forschern untersucht wurde. So werden im Bereich
des logischen Aspekts der Bewertung die Arbeiten von N.D. Arutjunawa und A.A.
Ivanow oft zitiert, E.M. Wolf und N.A. Lukjanowa haben den semantischen Aspekt
der Bewertung erforscht, die Werke von W.N. Telija, W.I. Schachowkij, G.O.
Winokur sind dem funktional-stilistischen Aspekt gewidmet, T.W. Pisanowa
untersuchte den national-kulturellen Aspekt der Bewertung. Unter deutschen
Forschern sind die Arbeiten von K. Winko und W. Zillig vom Interesse.
Trotz des großen Interesses an dieser Problematik bleiben viele Fragen
unbeantwortet. Darunter sind beispielsweise die Fragen der Definition des
Begriffs, der Klassifikation der Bewertung und der Funktion der Bewertung in
verschiedenen Texttypen besonders aktuell. Mit dem Begriff Bewertung sind auch
solche Kategorien wie Subjektivität und Emotionalität verbunden, die auch viele
Streitfragen verursachen.
Einer der Texttypen, der von Subjektivität und Emotionalität geprägt ist, die
mithilfe der Bewertung geschafft sind, trägt den Namen biographischer Essay. Die
Texte des biographischen Porträts von Stefan Zweig unterscheiden sich durch eine
häufige Benutzung von expliziten sowie impliziten Bewertungen, deshalb sind
seine Texte für die Untersuchung der Bewertung und der Bewertungsfunktion von
Interesse.
Stefan Zweig war ein österreichischer Schriftsteller, der aufgrund seiner
philosophischen Ausbildung, literarischen Begabung und markanten Schreibweise
6
zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit wurde. Stefan Zweig ist
besonders durch seine zahlreichen Novellen und historischen Erzählungen
bekannt, außerdem hat er mit seinen biographischen Essays einen großen Beitrag
zur Entwicklung der Theorie des biographischen Porträts geleistet. Sein
ausgezeichneter Zyklus „Die Baumeister der Welt. Versuch einer Typologie des
Geistes“, der aus drei Büchern „Drei Meister: Balzac. Dickens. Dostojewski“, „Der
Kampf mit dem Dämon. Hölderlin. Kleist. Nietzsche“ und „Drei Dichter ihres
Lebens. Casanova. Stendhal. Tolstoi“ besteht, wird zu dem gelesenen
publizistischen Werk in den 20er und 30er Jahren des XX Jahrhunderts, Stefan
Zweig erntete den Ruhm eines Meisters der Biographie. Die von Stefan Zweig
geschaffenen biographischen Porträts zeichnen sich durch das große Interesse für
die Psyche der Dargestellten und ihrer tief wertenden Analyse.
Im gewählten Werk „Drei Dichter ihres Lebens. Casanova. Stendhal.
Tolstoi“ schreibt der Autor keine neue Biographie, sondern bewertet schon
geschriebene Autobiographien der Protagonisten und somit vergleicht er sie. In
diesem Zusammenhang werden diese drei Biographien doppelbewertet: Einerseits
durch die Selbstbewertung des Schreibenden, andererseits durch die Bewertung,
die der Autor vornimmt.
Je nach dem Aspekt der Forschung (z.B. psychologischen, semantischen,
funktional-stilistischen) der wissenschaftlichen Interessen gebraucht man
verschiedene Kriterien bei der Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel und
für die Bestimmung der Bewertungsfunktion. Von diesem Standpunkt aus besteht
das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit darin, sprachliche Formulierung der
Bewertung zu erforschen. Für die Bestimmung der Bewertungsfunktionen soll ein
Verfahren ausgearbeitet werden, das Bewertungskriterien sowie -ausdrucksform
der Aussage, stilistische und funktional-semantische Färbung berücksichtigt.
Beitrag der Arbeit besteht in der Analyse der Leistung der Bewertung im
Text des biographischen Porträts von Stefan Zweig und die Ermittlung der
Bewertungsarten und -mittel ihrer sprachlichen Präsentierung.
Objekt der Forschung ist die Kategorie der Bewertung, die sich durch
7
bewertende sprachliche Mittel realisiert und bestimmte Bewertungsfunktion im
Text hat.
Um eine ausreichende Vorstellung über die Bewertungsfunktionen im
biographischen Porträt zu bekommen, soll man folgende Forschungsfragen lösen:
−
Welche Typologie ist für die Analyse der bewertenden Funktion und
ihrer sprachlichen Präsentation relevant?
−
Welche Seiten der Person werden bewertet?
−
Auf welchen sprachlichen Textebenen ist die Bewertungsfunktion
sprachlich präsentiert?
−
Wie wird die Bewertung sprachlich formuliert?
−
Welche Funktionen hat die Bewertung im Text des biographischen
Porträts?
Ziel der Untersuchung ist die Ermittlung der Bewertungsmittel und die
Bestimmung ihrer Funktion im Text des biographischen Porträts (Casanova und
Stendhal).
Aus diesem Ziel ergeben sich folgende Aufgaben:
−
Analyse der theoretischen Grundlagen der Bewertungstypen;
−
Erarbeitung der Kriterien für die Auswahl und die Klassifikation der
bewertenden sprachlichen Mittel im Text des biographischen Porträts;
−
Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel nach den erarbeiteten
Kriterien;
−
Bestimmung der Funktionen von Bewertungsmitteln im Text des
biographischen Porträts;
Arbeitshypothese lautet: Bewertungsfunktion spielt im Text des
biographischen Porträts eine textbildende Rolle, da die Aufgabe bei solchen Texten
ist, die subjektive Darstellung des Autors zu den historischen Personen zu
präsentieren.
Als theoretische Grundlage dienen die Arbeiten von Klein, Etzemüller,
Winko, Zillig, Merten, Arutjunowa, Wolf, Pisanowa und Telija.
Als Quelle des empirischen Materials dient das Buch von St. Zweig “Drei
8
Meister ihres Lebens. Casanova. Stendhal. Tolstoi” in der Fassung von 1982. In
der Magisterarbeit werden zwei Teile dieses Werkes analysiert: Casanova und
Stendhal.
Für die Analyse der sprachlichen Mittel wurden beschreibende und formalstrukturelle Methoden und Methode der Semanalyse gewählt. Nach der
quantitativen Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel, die bei der
Beschreibung von beiden Protagonisten benutzt werden, wird auch eine
vergleichende Methode durchgeführt.
9
1. Kategorie der Bewertung im biographischen Porträt
1.1. Besonderheiten des Texttyps „biographischer Essay“
Heutzutage gibt es eine Vielfalt der modernen biographischen
Schreibweisen, deshalb ist es praktisch unmöglich, eine gattungstypologische
Bestimmung der Biographie zu machen. Jede Definition bekommt eine zusätzliche
Färbung abhängig vom Stil des Schreibenden und abhängig von den Stichpunkten,
die der Autor der Biographie betonen wollte.
Eine allgemeine Definition gibt das Duden-Wörterbuch. Die Biographie
wird im Sinne „1. Beschreibung der Lebensgeschichte einer Person; 2. Lebenslauf,
Lebensgeschichte eines Menschen“ verstanden [DUDEN on-line]. Eine Biographie
existiert in verschiedenen Formen, von der biographischen Fragebogenangaben bis
zu der dokumentar-künstlerischen Biographie. Jede von diesen Untergattungen hat
einen eigenen Informationsumfang, strukturell-kompositionelle und lexikalischstilistische Besonderheiten.
Praktisch alle biographischen Texte haben einige Züge, die für die meisten
Texte dieses Genres relevant sind. Auf Basis dieser Züge wird in manchen
Theorien ein invariantes Modell konstruiert, auf dessen Grundlage ein
biographischer Text beliebigen Umfangs verfasst werden kann.
Zu solchen gemeinsamen Zügen gehören objektive Informationen über eine
Persönlichkeit. Zu diesen Informationen gehören Lebensjahre, Bildung,
Familienstand und Hauptetappen und/oder Resultate ihrer gesellschaftlichen,
politischen, literarischen oder wissenschaftlichen Tätigkeit. Die Informationen
werden in geraffter Form vermittelt und zeichnen sich durch eine traditionelle
sprachliche Gestaltung aus, die in den Gebrauch von komprimierten lexikalischgrammatischen sowie syntaktischen sprachlichen Mitteln liegt. Komprimierung
wird durch den Gebrauch der gekürzten Prädikatkonstruktionen, der Abwesenheit
des Hilfsverbs im Passiv, des Kopulaverbs, des Artikels, der entfalteten
Konstruktionen erreicht [vgl. Кузнецов 1990: 6].
In der Regel enthalten biographische Texte Daten, Toponyme, Namen der
Ämter, Behörden oder Organisationen. Eine pragmatische Einstellung solcher
10
Texte ist meistens die Übermittlung der ausreichenden Information über den
Protagonisten im geringen textlichen Umfang, was auf der lexikalischgrammatischen und strukturell-syntaktischen Ebenen den Ausdruck findet.
Hauptfunktion der biographischen Texte ist intellektuell-kommunikative, die in der
Übermittlung der inhaltlich-sachlichen Information besteht [Кузнецов 1990: 6-8].
Für uns ist der biographische Essay von Interesse, da im Folgenden ein
biographischer Essay Stefan Zweigs analysiert werden soll. Das Genre Essay
unterscheidet sich durch einen großen Grad der Subjektivität. Als textbestimmende
Komponente des Textes gelten die Bewertung, die Expressivität und die Varietät
der Einstellungen zum Objekt des Essays [vgl. Горделий 1991: 7].
Der biographische Essay nimmt Besonderheiten beider Genres auf. Der
biographische Essay ist eine skizzenhafte Darstellung des Lebens und der Arbeit
einer Persönlichkeit, in dem Hauptereignisse und Probleme des Lebenslaufs und
des Schaffensweges beschrieben, analysiert und kommentiert werden. Dabei
werden sozial-individuelle Charakterzüge aus der Sicht des Autors bestimmt. Eine
der formalen Besonderheiten des biographischen Porträts ist ihr geringer Umfang,
in der Regel bis zu etwa 30 Seiten. Als eine der inhaltlichen Besonderheiten gilt
ein Ungleichgewicht des Materials, d.h. eine der Lebensetappen des Protagonisten
oder ein Ereignis aus seinem Leben wird detaillier beschrieben, während andere
Ereignisse nur am Rande erwähnt werden.
Der biographische Essay ist ein Resultat der analytisch-synthetischen und
künstlerischen Bearbeitung der Fakten aus dem Leben des Protagonisten, die von
einem Grad an Subjektivität geprägt sein können [vgl. Кузнецов 1990: 5].
Thomas Etzemüller versteht Subjektivität als „Form der menschlichen
Selbstvergewisserung“, die in einer ständigen unabgeschlossenen Arbeit am
eigenen Ich vorgenommen wird [Etzemüller 2012:49]. „Als Verhältnis des
Menschen zu sich selbst, zur Welt, zum Menschen und zu seinem Platz in der
Gemeinschaft impliziert Subjektivität immer auch die Frage nach dem rechten
Leben – eine eminent ethische und politische Fragestellung also“, deshalb liegt der
Kern der Subjektivität in der Beziehung eines Menschen zu anderen Menschen, im
11
Verhältnis zur Welt und in der Wahrnehmung seiner selbst und der eigenen Welt.
Diese Kettenglieder treten in immer wieder neue Beziehungen. Dadurch bilden
sich innere Konflikte, die wegen der „Selbstentfremdung des Subjekts“ entstehen,
„wo immer aber das Ich behauptet, seiner Authentizität und Autonomie gewiss zu
sein, ist es in Gefahr, sich selbst zu entgleichen“ [vgl. Hagenbüchle 1998:10].
Als ein Konstrukt der Biographien gilt ein konstantes Ich, das über die
Zeiten betrachtet wird. Das Ich ist aber keine feste Größe, denn während des
Lebens wird sich das Ich verändern: „Die Identität des Subjekts von der Geburt bis
zum Tod ist nach Beate Böckem anderes als die fiktive Konstanz des Eigennamens
- zu sehr wandeln sich nicht nur die Umstände, sondern auch die Konstruktionen
vom Ich in einer einzigen Lebensspanne“ [Böckem 2016: 19].
Solche Ich-orientierte und teilweise psychologische Interpretation der
Subjektivität ist dadurch wichtig, dass sich der Text des biographischen Porträts
von Stefan Zweig gerade durch diese Komponente unterscheidet. Das Werk „Drei
Dichter ihres Lebens. <…>“ bekommt einen geisteswissenschaftlichen
Zusammenhang, denn unter der Biographie wird die Darstellung des
„Mikrokosmos des eigenen Ich zur Welt“ [Zweig 1982 : 9], „umfassendes Epos des
eigenen Ich“ [11] verstanden. Die Biographie heißt nicht das Gedächtnis
aufzublättern und die Lebensfakten abzuschreiben, sondern „das innere Seelenbild
aus sich selbst zu erschaffen“ [12]. Die Subjektivität wird im Text von Stefan
Zweig durch die Bewertung realisiert.
Solche Kategorien wie die Zeit, den Platz, die Anwesenheit oder die
Abwesenheit eines Faktes, einer Erscheinung, eines Ereignisses im Leben des
Helden werden nicht nur fixiert, sondern vom Autor beschrieben und bewertet.
Dadurch wird Auswirkungsfunktion realisiert und den Synkretismus der Elemente
des wissenschaftlichen, dokumentarischen und publizistischen Stils geschafft.
Diese strukturellen Besonderheiten des Textes des biographischen Essays
bedingen kompositionell-sprachliche Charakteristiken. In solchen Texten
verflechten sich die Erzählung, die Beschreibung und die Erörterung in
spezifischer Vereinbarkeit und Anordnung im Text. Die Erzählung übermittelt
12
Chronologie der Handlugen, die Beschreibung präsentiert eine vielseitige
Charakteristik des Objektes der Biographie, wo sich die Bewertung des Autors
realisiert. Die Erörterung umfasst Meinung, Kommentare und Erklärungen des
Autors und fügt ein publizistisches Element hinzu [Кузнецов 1990: 11].
Zitierung ist eine wichtige strukturell-sprachliche Einheit des
biographischen Essays, die die Funktion der Bestätigung und Auswirkung
realisiert. Der Hinweis auf Autorreferate übermittelt historisch-quellenmäßige
Information und fokussiert ein Konzept des Autors. Eine bedeutende strukturellinhaltliche Komponente des biographischen Porträts ist ein „Einführungskomplex“,
wo der Autor ein konkretes Thema des Essays und eine Amplifikation einer
bestimmten Lebenssituation bestimmt. Welches Lebensereignis “ausgebreitet”
wird, hängt vom Objekt der Biographie, vom Thema, von der pragmatischen
Einstellung und des individuellen Stils des Autors ab.
Im Text des biographischen Essays werden folgende textuelle Kategorien
realisiert: die Kohärenz, die Kohäsion, die Ganzheit, das Raum-Zeit-Kontinuum,
die Abgeschlossenheit, die Pro- und Retrospektion, eine pragmatische Einstellung
und die Konzeptualität. Der Hauptwortschatz des biographischen Essays macht
professionelle, gesellschaftspolitische, anthroponymische, temporelle und
expressiv-bewertende Lexik aus [Кузнецов 1990: 12].
1.2 Bewertungsbegriff und -struktur
Die Bewertung ist ein universelles Verfahren, das in verschiedenen
Disziplinen (Philosophie, Logik, Psychologie, Linguistik usw.) eine Rolle spielt.
Unter dem Begriff Bewertung wird folgendes in der Linguistik verstanden: ein
Resultat der bewertenden Tätigkeit des Individuums, die verbal geäußert wurde,
d.h. der in der Aussage oder in den Elementen des Sprachsystems fixierte
bewertende Bezug eines Subjektes auf ein Objekt [vgl. Дормидонтова 2009: 48].
13
L. A. Sergeewa merkt an, dass die Bewertung als ein besonderes Resultat des
Bezuges eines Subjektes zu einem Objekt zu verstehen ist. Die Besonderheit dieses
Bezuges liegt in der bewussten Zielorientierung, die in der bestimmten Position
des Subjektes besteht, die den Charakter dieses Bezuges determiniert. Daraus
entstehen verschiedene „Standpunkte“, die als Grundlage für eine Bewertung
dienen [vgl. Сергеева 2004: 13].
Der Begriff Bewertung wird vorwiegend in der russischen
Sprachwissenschaft erforscht. Eine umfassende Definition der Bewertung schlägt
W. I. Banaru vor. Unter Bewertung versteht er einen axiologischen Terminus, der
als Resultat des Prozesses der Beziehungsherstellung zwischen dem Subjekt der
Bewertung und dem Objekt angesehen werden kann. Dabei kommt es nicht nur zu
positiven, sondern auch negativen und neutralen Bewertungen [vgl. Банару
1987:14].
Die sprachliche Bewertungssituation fordert eine Auswahl und Anwendung
bestimmter sprachlicher Mittel für den Ausdruck der Bewertungsbedeutung. Für
die sprachliche Darstellung der Bewertung in der axiologischen Interpretation gilt
die Skala GUT – SCHLECHT und andere sprachliche Ausdrücke, die dazwischen
liegen, wie nicht besonders gut oder nicht so schlecht [vgl. Arutjunova 1999: 199;
Hunston, Thompson 1999: 25].
Eine andere Definition des Begriffs Bewertung geht von kognitiven
Prozessen aus, die im Bewusstsein eines Subjektes bei der Empfindung und der
Verarbeitung von Informationen über die Außenwelt geschehen. Somit ist jede Art
der Bewertung ein psychologischer Prozess und spiegelt eine Objekt-ObjektBeziehung und eine Subjekt-Objekt-Beziehung wieder, in der es zu einem
willkürlichen oder unwillkürlichen Vergleich des Objektes der Bewertung und der
Basis der Bewertung kommt. [vgl. Минина 1995: 3].
Strukturell besteht also die Bewertung aus einem die Bewertung
vornehmenden Subjekt und einem zu bewertenden Objekt. Zudem werden eine
Skala der Bewertung und ein Prädikat der Bewertung vorausgesetzt [Вольф 1985:
9; Hunston, Thompson 1999: 17]. Das bewertende Subjekt wird explizit oder
14
implizit beschrieben und wird durch eine Person bzw. die Gesellschaft verkörpert,
aus deren Standpunkt die Bewertung vorgenommen wird. Das zu bewertende
Objekt wird normalerweise explizit genannt. Es handelt sich dabei um eine Person,
einen Gegenstand oder einen Sachverhalt, auf die oder den sich die Bewertung
bezieht. Das Prädikat der Bewertung ist eine Komponente der Aussage, es drückt
den Kern bzw. das Resultat der Bewertung und den Bezug des Subjektes zum
bewertenden Objekt aus [Вольф 1985: 12].
Im allgemeinsprachlichen Sinn setzt die Bewertung einen wertenden Aspekt
der Bedeutung der sprachlichen Aussagen voraus und wird durch eine besondere
Struktur charakterisiert, und zwar durch einen Modalrahmen, der auf die Aussage
gelegt wird und der nicht der logisch-semantischen sowie syntaktischen Struktur
gleichzusetzen ist. Als Elemente des Modalrahmens dienen das Subjekt und das
Objekt. Außerdem gehören zum Modalrahmen die Skala der Bewertung und
bewertende Stereotypen, mit Hilfe derer sich die Bewertung an sozialen
Vorstellungen der Kommunikanten orientiert [Меликян 2013: 57].
Jede Skala der Bewertung hat eine objektive und eine subjektive Seite, die
auf die Basis der Bewertung installiert wird. Die subjektive Seite umfasst alles,
was von dem Bezug des Subjekts zum Objekt abhängt, die objektive Seite der
Bewertung kommt dort ins Spiel, wo die objektiven Eigenschaften des zu
bewertenden Objekts in der Bewertung zur Sprache kommen. Die Skala der
Bewertung kennt die Unterscheidungen von gut, sehr gut, unglaublich gut, nicht
sehr gut, ganz gut, die sich abhängig vom Grad der „Positivität“ oder „Negativität“
auf dieser Skala verteilen.
Als Basis der Bewertung dient die Gesamtheit der Vorstellungen über die
Beschaffenheit gleichartiger Objekte [vgl. Минина 1995: 3]. Die Basis der
Bewertung ist ein Standpunkt, von dem etwas bewertet wird. Eine solche Basis
kann nach A. A. Iwin aus in drei verschiedenen Situationen erwachsen und ist
demzufolge in drei Arten einzuteilen [vgl. Ивин 1970: 31]:
1.
Die emotionale (innere) Basis der Bewertung ergibt sich aus einem
Gefühl oder einer Empfindung (innere Bewertung wie ich mag es);
15
2.
Die ethische Basis der Bewertung wird von der Anwesenheit von
Mustern, Etalons oder Standards verursacht (ein guter Freund);
3.
Die utilitaristische (äußerliche) Basis der Bewertung.
Die Bewertung wird oft in der Verbindung mit der Modalität betrachtet, die
eine sprachliche Aussage begleitet. Bewertende Modalität versteht W. N. Telia als
eine Verbindung zwischen der Wertorientierung des Sprechenden bzw. des
Hörenden und der bezeichneten Realie (genauer irgendeine Eigenschaft oder
irgendein Aspekt dieser Realie), die abhängig von der Basis der Bewertung und
vom Weltbildes positiv oder negativ bewertet wird [Телия 1986: 22-23].
Eines der bedeutendsten Merkmale der Bewertung ist ihre Möglichkeit der
Intensifikation und der Deintensifikation. Die Intensifikation bedeutet die
Verstärkung der Eigenschaft schlecht/gut. Unter Deintensifikation versteht man die
Schwächung der Eigenschaft schlecht/gut [Шиловская 2007: 8].
Sprachliche Bewertung erfüllt einige Funktionen, die für die sprachlichen
Einheiten typisch sind. Unter diesen Funktionen ist die gnosiologische Funktion
(oder Erkenntnisfunktion) zu nennen, die erfüllt wird, da bei der Bestimmung eines
Wertes das Subjekt eine Beziehung zwischen dem Objekt der Bewertung und dem
„normalen“ Weltbild herstellt; des Weiteren hat die Bewertung eine kommunikative
Funktion, da die Bewertung vom Hörer als Information über einen Gegenstand
wahrgenommen wird; außerdem eine expressive Funktion, denn bei der Äußerung
der Meinung über ein Objekt will der Sprecher auf den Hörer einwirken; und
zuletzt auch eine kumulative Funktion, da die Bewertung, die in der Konnotation
eines Wortes liegt, eine ein Wertsystem überliefert, das in einer bestimmten Zeit
und Gesellschaft Geltung hat [vgl. Минина 1995: 3].
Viele Linguisten gehen von einer festen Beziehung zwischen Bewertung und
pragmatischer Funktion aus. In dieser Interpretation ist die Bewertung Prozess und
Resultat der Bestimmung der Wichtigkeit eines Objektes. Dabei wird
berücksichtigt, dass das Objekt imstande ist, Bedürfnisse des Subjektes zu erfüllen.
Eine pragmatische Bedeutung des Objektes für das Subjekt abgeleitet wird [vgl.
Кузнецова 2004: 71].
16
1.3 Sprechakttypologische und satzsemantische Aspekte in den Werken
deutscher Wissenschaftler
Die Untersuchung des Textmaterials beginnt man in den meisten Fällen mit
einer Deskription und endet mit einer Interpretation. Im Rahmen von Deskription
und Interpretation wird das Textmaterial konkretisiert und in Beschreibungs- und
Klassifikationskategorien eingeordnet. Bei der Deskription des Textmaterials bleibt
aber die Frage, auf welche Art und Weise Wertungen identifiziert und klassifiziert
werden können.
Wenn man Bewertungen aus sprechakttypologischer und der
satzsemantischer Sicht untersucht, werden sie aus Perspektive der
Bewertungshandlungen betrachtet. Sie werden nach ihrer äußeren
Manifestationsform in explizite und implizite Bewertungshandlungen untergliedert.
Explizite Bewertungshandlungen können von einem Analysierenden als
Bewertungen identifiziert werden, wenn „in ihnen das elementare Prädikatschema
evident ist oder durch geringe Umformulierungen hergestellt werden können“.
Über ihren propositionalen Gehalt werden sie auf der syntaktischen Ebene in
direkte, explizite und indirekte Bewertungen unterteilt [vgl. Winko 1991: 135].
Bei der direkten Bewertung dient der propositionale Gehalt der Bewertung
und wird mit Werturteilen gleichgesetzt, wie im Satz „Das Kleid ist
hervorstechend“.
Explizite Bewertungen lassen sich leicht im Text identifizieren. Sie haben ein
relevant elementares und evidentes Prädikatschema und brauchen nur geringe
Umformulierungen, um sie herstellen zu können. Der propositionale Gehalt besteht
dabei in einer ausdrücklich bewertenden Aussage. Der Grad der Explizitheit der
Bewertung spielt hier eine entscheidende Rolle. So gibt es Ausdrücke, die explizit
performativ sind, z.B. „Ich bewerte Das Kleid als hervorstechend“, oder die
„Subjektivitätsformeln“ enthalten wie in der Aussage „Ich halte das Kleid für
17
hervorstechend“.
Der propositionale Gehalt des Satzes zielt bei der indirekten Bewertung nicht
auf eine Bewertung ab. Der Satz enthält ein evaluatives Element, das noch
interpretiert und umformuliert werden muss, um eine direkte Bewertung zu
bekommen, z.B. der Satz „Das hervorstechende Kleid ist leider sehr teuer“ kann
nach einer logisch-semantische Sprachanalyse in zwei Sätze „Das Kleid ist
hervorstechend“ und „Das Kleid ist leider sehr teuer“ geteilt werden. Hier kann
ein Problem entstehen, denn alle Umformulierungen müssen denselben Sinn
ausdrücken wie die Ausgangssätze [vgl. Winko 1991: 135].
W. N. Telia (sie gehört nicht zu den deutschen Wissenschaftlern, aber ihre
Interpretation dieser Frage ist wichtig) setzt die Begriffe direkt und explizit gleich.
Dabei wird betont, dass solch eine Bewertung leicht erkannt und interpretiert
werden kann. Die Indirekte Bewertung dient zur Wechselwirkung von
Erkenntnisprozessen, empirischen Erfahrungen, dem kulturellen Erbe und
sprachlichen Kompetenzen der Gesellschaft, um die Objekte wiederzugeben, die
sprachlich nicht realisiert werden können, sondern durch bildliche Assoziationen
gebildet werden [vgl. Телия 1988 : 173].
Klaus Merten sieht den Unterschied zwischen der direkten und indirekten
Bewertung aus der kommunikativen Seite der Aussage: „Während die direkte
Bewertung kommunikativ, als Kommentar artikuliert sein muss und daher
unmittelbar inhaltlich zu erschließen ist, wird die indirekte Bewertung erst durch
die Analyse voll offenbar: Tendenziell einseitige Selektion und bevorzugte
Präsentation bestimmter Inhalte (durch entsprechende Plazierung, vergrößerten
Umfang, bessere Aufmachung) sind hier als wesentliche Variablenbündel zu
nennen: Je mehr deren Ausprägung gleichsinnig von der Norm abweicht, und je
mehr direkte und indirekte Bewertung synchron laufen, desto eher kann auf
strukturelle, also nicht zufällig erklärbare Verletzung der Objektivitätsnorm
geschlossen werden“ [Merten 1995 : 327].
Implizite Bewertungshandlungen bedürfen „eines interpretierenden
Vorgehens im Sinne einer Kotext- oder Kontextexplikation, um sie als Bewertungen
18
erkennbar zu machen“. Unter implizite Bewertungshandlungen unterscheidet man
verdeckte und implizite Bewertungen [vgl. Winko 1991: 135].
Verdeckte Bewertungen (nach K. Winko) sind in den deskriptiven Aussagen
zu treffen, ein evaluatives Moment kann nur durch einen Textzusammenhang
identifiziert und verdeutlicht werden. Die Interpretation des Textzusammenhangs
hängt von den mentalen Orientierungen des Interpreten ab, deshalb können
entsprechende Zusammenhänge sowohl eine positive, als auch eine negative
Bewertung ausdrücken, z.B. „Im neuen Roman des Autors X ziehen sich die
gefühlvollen Landschaftsschilderungen häufig über 12 Seiten hin“. Falls der
Interpret eine Vorliebe für die beschreibende Erscheinung hat, wird sie eher zu den
positiven Eigenschaften zugeschrieben. Im entgegengesetzten Fall wird die
Beschreibung als Abwertung der Erscheinung interpretiert. Es muss aus dem
Kontext das Bewertungsobjekt, der Aspekt der Bewertung und die bewertende
Prädikation erschlossen werden, um verdeckte Prädikation anschaulich zu machen.
Implizite Bewertungen werden sprachlich nur indirekt manifestiert, sie
schlagen sich in der Auswahl des Gegenstandes und der sprachlichen Gestaltung,
w i e S t i l , A u f b a u , B i l d e r w a h l n i e d e r. D a s K o n t e x t w i s s e n , d i e
Schwerpunktsetzungen, verschiedene stilistische Elemente, die Durchführung und
Entfaltung eines Themas machen die bewertende Struktur der impliziten
Bewertung aus [vgl. Winko 1991: 135].
1.4 Typologische Aspekte der Bewertungsmanifestation in den Werken
russischer Wissenschaftler
Dem Problem der Bewertungsfunktion sind viele wissenschaftliche Werke
gewidmet. Es gibt viele Diskussionsfragen auf diesem Gebiet, beispielsweise
Bestimmung der Grenzen von Bewertungssemantik und die Abwesenheit der
einheitlichen und allumfassenden Bewertungsklassifikation.
Je nach dem Forschungsfeld der wissenschaftlichen Interessen gebraucht
19
man verschiedene Kriterien bei der Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass jede Typologie auf der Basis eines Merkmals
gefasst ist, deshalb kann man Bewertung nur im gewählten Aspekt betrachten.
Die Bewertung wird vor allem aus der axiologischen Sicht betrachtet. Es
gibt zwei Kriterien, und zwar gut und schlecht, die einen passenden Bewertungstyp
bestimmen [vgl. Вольф 1985 : 8]:
- positive (meliorative) Bewertung;
- negative (pejorative, derogative) Bewertung.
Solche Sprachmittel wie Wörter schlecht und gut bedeuten nur positive oder
negative Bewertung mit einem oder anderem Grad der Bewertungsspannung oder verstärkung. Positiv bedeutet dabei etwas, was dem idealisierten Modell der
Makro- und Mikrowelt entspricht. Negativ weist auf etwas hin, was diesem Modell
nach einem ihm anhaftenden Parameter nicht entspricht [Арутюнова 1988: 59].
Diese Klassifikation hat eher einen allgemeinen Charakter, da sie nur auf die Frage
antworten lässt, ob sich der Autor positiv oder negativ zu einer Aussage verhält, ob
er einen Wert dieser Aussage anerkennt oder nicht.
Die Bewertung kann aus der Perspektive des Verhältnisses zwischen dem
Objektiven und Subjektiven betrachtet werden. Je nach dem Charakter des
Merkmals der Bewertung, der von der Wechselwirkung der objektiven und
subjektiven Faktoren abhängt, unterscheidet N. D. Arutjunowa zwei Klassen der
Bewertungen [Арутюнова 1988: 75; Арутюнова 1999: 198]:
- allgemein-wertende (ganzheitliche, holistische) Bewertung;
- speziell-wertende.
Speziell-wertende Bewertung betrifft nur eine Eigenschaft oder ein Merkmal
des Objekts. Die Zerlegung der allgemein-wertenden Bewertung auf speziellwertende Merkmale ist rechtfertigt, wenn es notwendig ist, die Vorstellung von
allen Merkmalen des Objekts zu haben. Dabei ist zu bemerken, dass der allgemeinwertende Typ nicht durch speziell-wertende ersetzt werden kann [Писанова 1997:
54].
20
N. D. Arutjunawa schlägt vor, folgende Typen der speziell-wertenden
Bewertungen zu unterscheiden [Арутюнова 1988: 76]:
1. Individualisierter Bewertungstyp:
a) Geschmack-sensorische oder hedonistische Bewertung (angenehm –
unangenehm, attraktiv – unattraktiv, duftend – stinkend);
b) Psychologische Bewertung:
b1) Intellektuelle Bewertung (interessant - uninteressant, spannend –
langweilig, tief – oberflächlich, klug - dumm);
b2) Emotionale Bewertung (fröhlich – traurig, erwünscht – unerwünscht,
angenehm – unangenehm);
2. Sublimierter Bewertungstyp:
a) Ästhetische Bewertung (schön – unschön, herrlich – abscheulich);
b) Ethische Bewertung (moralisch – unmoralisch, gutherzig –
unbarmherzig, tugendhaft – lasterhaft);
3. Rationalistischer Bewertungstyp:
a) Utilitaristische Bewertung (nützlich – nutzlos; günstig – ungünstig);
b) Normative Bewertung (richtig – falsch, korrekt – inkorrekt, normal –
normwidrig, gewöhnlich – ungewöhnlich, gesund – ungesund);
с) Teleologische Bewertung (effektiv – uneffektiv, zweckmäßig –
unzweckmäßig).
Individualisierter Bewertungstyp ist mit der Wahrnehmung, körperlichen
und sinnlichen Erfahrung verbunden. Solche Bewertungen helfen den Menschen,
sich in der natürlichen und sozialen Umwelt zu orientieren. Diese Kategorie der
speziell-wertenden Bewertungen ist gewöhnlich unmotiviert, sie entsteht aus der
Empfindung des Menschen, die sich unabhängig von dem Wunsch, Willen oder der
Selbstkontrolle herausbildet. Geschmack-sensorische und psychologische
Bewertung charakterisiert eher den Geschmack des Subjekts als das Objekt.
Zu dem sublimierten (humanisierten) Bewertungstyp gehören ästhetische
und ethische Bewertungen, die nach N.D. Arutjunowa den geistigen Anfang eines
Menschen bilden. Ästhetische Bewertung ist mit der Befriedigung des
21
Schönheitssinnes verbunden, ethische Bewertung mit der Befriedigung des
moralischen Gefühls [vgl. Арутюнова 1988: 76].
Zum rationalistischen Bewertungstyp gehören praktische Tätigkeiten,
praktische Interessen und Alltagserfahrung des Menschen. Seine Hauptkriterien
sind körperliche oder psychologische Nutzen, die Ausrichtung auf die Erreichung
des Ziels, die Erfüllung einer Funktion, die dem bestimmten Standard entspricht.
Solche Bewertungen sind mit den relativen Bewertungen verbunden. Die
Vorstellungen von diesen rationalistischen Bewertungen entwickeln sich auf der
Grundlage der praktischen Tätigkeit und orientieren sich auf die Regelung,
Erleichterung und das Ordnen dieser Tätigkeit [vgl. Писанова 1997: 43-45].
Bewertungsklassifikation von N. D. Arutjunawa ist höchstdetailliert und
lässt, erstens reine Bewertungsmerkmale (gut bzw. schlecht) und deskriptive
Merkmale (z.B. intellektuelle, emotionale, ästhetische, ethische) abgrenzen;
zweitens den deskriptiven Charakter des Merkmals bestimmen (geschmacksensorisch, utilitaristisch usw.) und drittens den Grad des emotionalen bzw.
rationalen Elementes in den speziell-wertenden Bewertungen feststellen (in der
sensorischen Bewertung ist der emotionalen Grad höher als in der rationalistischen
Bewertung).
Bewertungen können sich nach der Bewertungsweise unterscheiden. Je nach
der Formulierung der Bewertungsaussage unterscheidet man zwei
Bewertungstypen [vgl. Вольф 1985: 15]:
- absolute Bewertung;
- vergleichende Bewertung.
In den Aussagen des absoluten Bewertungstyps benutzt man solche
Formulierungen wie gut bzw. schlecht, in den Aussagen der vergleichenden
Bewertungen besser bzw. schlechter. Bei der absoluten Bewertung ist die Rede
gewöhnlich von einem Bewertungsobjekt, bei der vergleichenden Bewertung
braucht man mindestens zwei Zustände von einem und demselben Objekts. Diese
Klassifikation lässt von zwei konstruktiv-unterschiedlichen
22
Bewertungsäußerungen sprechen, da man für die Äußerung der vergleichenden
Bewertung komplexere Sprachkonstruktionen braucht.
Eine wichtige Rolle bei der Bewertung spielt der Kontexteinfluss.
Wortverbindungen unterscheiden sich noch darin, dass einige von denen einen
häufig verwendeten, also usuellen Charakter haben können und die anderen erst im
Text spontan gebildet werden. Je nach der Auswirkung des Kontextes auf die
semantische Realisierung der Bewertungseinheit, unterscheidet man zwei Typen
der Bewertung [Якушина 2003: 11-17]:
- inhärente (usuelle) Bewertung;
- adhärente (okkasionelle) Bewertung.
Die Bedeutung der usuellen Einheiten ist schon in der Sprache festgestellt,
okkasionelle Einheiten erhalten ihre Bedeutung erst aus dem Textzusammenhang.
Solche okkasionellen Wortbildungen werden auch Ad-hoc-Bildungen genannt, so
Kessel [vgl. Kessel 2005: 99].
Einige Philologen verstehen unter dem Terminus „okkasionell“ Strukturen,
die nach den „wenig produktiven“ Modellen gebildet sind und die den
allgemeingültigen sprachlichen Normen entgegenlaufen [Земская 2008, Ханпира
1972, Шеляховская 1983, Schippan 2002]. Okkasionalismen sind mit dem Bruch
der Strukturen- und der Wortbildung verbunden, die in der Sprache gelten. Sie
setzen eine „Deautomatisierung“ dieser struktur- und wortbildenden Prozesse
voraus. Darin ist die besondere Expressivitätsfunktion zu sehen. [vgl. Диброва
2002: 516].
Okkasionalismen gehören nicht zum allgemeinen Wortschatz, sie werden
einmalig gebildet. Trotzt des Folgens den Regeln der deutschen Grammatik, sind
sie keine Wortschatzelemente der Sprache: „Im Text begegnen uns sprachliche
Gebilde, die wir als Wörter identifizieren, obwohl sie nicht Bestandteile des
Wortschatzes der deutschen Sprache sind, sondern einmalig in diesem Text
existieren, okkasionell sind <…>“ [Schippan 2002: 95].
23
Bewertungen können sich noch abhängig von der Anwesenheit oder
Abwesenheit der emotiven Komponente unterscheiden [vgl. Вольф 1996: 40-42]:
- rationale (intellektuell-logische) Bewertung;
- emotionale (emotive) Bewertung.
Das Hauptziel der rationalen Bewertung ist der Hinweis darauf, dass das
Objekt den Vorstellungen des Subjekts über das Vorbild oder die Norm entspricht.
Diese Charakteristiken können durch „die rationale Gegenüberstellung einer
Klasse“ festgestellt werden, da rationale Bewertung einen „Bewertungsgedanke“
darstellt [vgl. Матвеева 1986: 27].
Die emotionale Bewertung ist im Grunde genommen ein emotionaler
Eindruck vom Objekt, der das Subjekt der Rede im Prozess der Gemütsbewegung
in Bezug auf das Objekt empfindet. Emotionale Bewertung ist nicht nur mit der
Feststellung der objektiven Bewertungen verbunden, sondern auch mit der
subjektiv-persönlichen Wahrnehmung des Objektes.
Das Verhältnis zwischen der emotionalen und rationalen Bewertung bleibt
offen. Es gibt eine Meinung, dass die emotionale Bewertung alle psychologischen
Zustände des Subjektes enthält, deshalb wird die emotionale Seite der Sprache als
primär und die rationale als sekundär betrachtet [vgl. Hare 1949: 87, Hudson 1980:
43, Stevenson 1858: 10]. Die andere Meinung besteht darin, dass rationale
Bewertung vorwiegt, deshalb wird die emotionale Bewertung im Rahmen der
psychologischen Bewertung betrachtet [vgl. Арутюнова 1988: 23; Вольф 1996:
56], oder als eines der Merkmale der rationalen Bewertung [vgl. Баранов 1989:
87]. Der dritten Meinung nach sind diese zwei Typen der Bewertung nur in der
Ontologie verbunden. In der sprachlichen Gestaltung ist rationale Bewertung durch
den deskriptiven Aspekt darzugestellen; emotionale Bewertung orientiert sich an
der inneren oder äußeren Form des Subjektes, die verschiedene „Anreize“
hervorruft [vgl. Телия 1986: 32].
24
1.5 Rolle der Emotionalität bzw. Expressivität und intensivierende
Funktion der Syntax in der Bewertung
Die Kategorie der Bewertung ist mit anderen linguistischen Kategorien wie
Emotionalität und Expressivität verbunden, die von der Subjektivität stark geprägt
sind. Für die Äußerung dieser Kategorien dienen oft expressive syntaktische
Konstruktionen.
J. Silke versteht Emotion sogar als eine spezifische Form der Bewertung. In
dieser Arbeit muss deshalb auch analysiert werden, inwieweit sich mit der
Wiedergabe von Emotionen eines Subjektes auch Bewertungen verbinden. „Der
entscheidende Faktor für emotionale Bewertung ist das Maß der Ich-Beteiligung
bzw. der Selbstbetroffenheit (als interner Zustand), da dieser Faktor von den
Emotionspsychologen als konstitutiv für das Auftreten von Emotionen eigeschätzt
wird. Je höher das Ausmaß an persönlicher Involviertheit bezüglich jeweils
thematischer Sachverhalte, um so intensiver sind die damit einhergehenden
Emotionen“ [Silke 2000: 77].
Emotionale Färbung ist bereits auf der Ebene der lexikalischen Bedeutung
vieler Wörter angelegt. Zur denotativen Bedeutung kommt bei diesen Wörtern eine
starke konnotative Bedeutung, deshalb gehören diese Wörter zur emotionalbewertende Lexik. In diesem Sinn wird Emotionalität als eine linguistische
Kategorie betrachtet, die für die Äußerung der Bewertung dient [vgl. Стаценко
2010: 22; Глазкова 2010: 9].
Unter Expressivität werden alle semantisch-stilistischen Eigenschaften einer
sprachlichen Einheit gefasst, die als Mittel für die Äußerung des subjektiven
Bezuges des Sprechenden zum Inhalt oder zum Adressaten der
Kommunikationsakt dient. Expressive Lexik kann auch als ein Mittel der
Bewertung betrachtet werden [vgl. Стаценко 2010: 22].
Auch auf syntaktischer Ebene kann Expressivität realisiert werden und einen
bewertenden Zug annehmen. Satzstrukturen innerhalb dies geschieht, nennt man
expressive syntaktische Konstruktionen; sie können im Text eine expressiv25
intensivierende und kompositionelle Funktion haben. Expressive syntaktische
Konstruktionen finden sich vor allem in Texten, in denen der Autor seine Meinung
und die Auswirkung auf den Adressaten in den Vordergrund stellt (z.B.
verschiedene Arten der Essay, publizistische Texte) [vgl. Глазкова 2010: 9].
Zu den expressiven syntaktischen Konstruktionen, die die Bewertung
bestätigen und intensivieren, gehört beispielsweise die Inversion und rhetorische
Fragen. Die Inversion dient zur emphatischen oder logischen Betonung der
invertierten Elemente der Äußerung und gilt als ein effektives Mittel der
inhaltlichen sowie intonatorischen Akzentuierung. Rhetorische Fragen haben das
Ziel, den Denkprozess des Publikums durch die Sinnaktualisierung einiger Teile
der Aussage zu stimulieren. Sie lassen den emotionalen Grad der Aussage für die
Verstärkung des pragmatischen Effekts hervorheben [vgl. Глазкова 2010: 9, 12].
Aus dem Vorangehenden kann man schließen, dass die Syntax allein keine
bewertende Funktion trägt, sondern verstärkt bewertende Äußerungen und dient
zur ihrer Expressivität. Die Syntax beinhaltet einen funktional-kreativen Aspekt, so
Kostrova. In diesem Sinne wird Expressivität als ein Resultat der sprachlichen
Prozesse betrachtet und wird oft in der Verbindung z.B. mit Metaphern,
Metonymien, Implikaturen verwirklicht. Ein syntaktisches Zeichen verändert sich
und gewinnt neue Eigenschaften, die einen derivativen funktional-kreativen
Charakter haben. Diese Eigenschaften werden im Sprachgebrauch, also im Diskurs
geschaffen [vgl. Кострова 2004: 29].
In diesem Zusammenhang ist die Bewertung eine universelle sprachliche
Kategorie, die durch Emotionalität sowie Expressivität der Wortbedeutung, die das
Wort erst im Kontext bekommt, bestätigt werden kann. Expressive Syntax dient für
Verstärkung der bewertenden Äußerungen und für den Einfluss auf das
Zielauditorium. Jede expressive syntaktische Konstruktion hat noch einige
einzelne Funktionen, die die Intention des Autors zu realisieren helfen. Das
bedeutet eine Polifunktionalität dieser Konstruktionen.
26
1.6 Das analytische Verfahren für die Auswahl und Analyse der
bewertenden sprachlichen Mittel in Texten Casanova und Stendhal
Um zur Forschungsfrage näherzukommen, wurde ein Schema für die
Auswahl und die Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel ausgearbeitet. Sie
unterscheidet sich von den anderen Methoden dadurch, dass sie auf fünf Typen der
Bewertung fußt (diese Typen wurden im Teil 1.4 ausführlich dargestellt), die ein
bewertendes sprachliches Mittel von verschiedenen Seiten analysiert, sie hilft also
eine komplexe Analyse der Charakteristiken der Protagonisten, die als Objekte der
Bewertung gelten, durchführen.
Der praktische Teil der Arbeit enthält zwei Aspekte der Stoffanalyse: einen
strukturellen und einen semantischen. Als Ausgangspunkt für die Klassifikation
der Beispiele gilt die Ausdrucksseite der Aussage (ein struktureller Aspekt).
Identifiziert werden soll die bewertende Funktion auf der Ebene des Worts, der
Wortverbindung, des Satzes und des Textes. Relevante bewertende sprachliche
Mittel werden aus der axiologischen Seite betrachtet (positive vs. negative
Bewertung). Zur Bestimmung der Bewertungsweise der einzelnen sprachlichen
Mittel wird auf eine Unterscheidung in absolute und vergleichende Bewertungen
zurückgegriffen. Um die Anwesenheit einer emotiven Komponente zu bestimmen,
wird eine Unterscheidung in rationale und emotionale Bewertungen verwendet.
Der Kontexteinfluss lässt usuelle und okkasionelle Bewertungen unterscheiden.
Die Klassifikation von N. D. Arutjunowa (allgemein- und speziell-wertende
Bewertung) hilft, die Bewertungsfunktion genauer zu bestimmen.
Der semantische Aspekt besteht in der Bestimmung von folgenden
thematischen Gruppen der Charakteristiken, die bewertet sind und die als Objekte
der Bewertung gelten: 1. das Werk von Casanova bzw. Stendhal, 2. äußere
Erscheinung, 3. Lebenswandel, 4. Casanovas bzw. Stendhals Einstellung zur
Frauen (und umgekehrt: Bewertung der Fraueneinstellung zu Casanova bzw.
Stendhal); 5. Casanovas bzw. Stendhals Bildung und Begabung. Diese Gruppen
wurden wegen ihrer Frequenz gewählt. Außerdem tauchen sie bei der
27
Beschreibung von beiden Protagonisten, Casanova sowie Stendhal, auf. Die
Begrenzung auf ähnlichen semantischen Gruppen hilft, die Bewertungsmittel und
ihre Funktion bei der Beschreibung von beiden Protagonisten zu vergleichen.
Fazit zum 1. Kapitel
Das für die Analyse gewählte Werk von Stefan Zweig gehört zum Texttyp
biographischer Essay, der sich von der Biographie durch den Grad an Subjektivität
unterscheidet. Im analysierten Werk von Stefan Zweig wird unter biographisch
nicht nur die Schilderung des Lebenslaufs verstanden, sondern auch eine
Beschreibung des seelischen bzw. psychologischen Zustandes der Protagonisten.
Die Beschreibung der Lebensetappen und des inneren Zustandes wird im Text des
biographischen Porträts oft mithilfe einer Bewertung bzw. Wertung realisiert. Die
Bewertungen übernehmen dabei verschiedene Funktionen bekommt.
Der Begriff Bewertung wird im Rahmen dieser Magisterarbeit
folgenderweise definiert: Wertung bzw. Bewertung ist die implizite/ explizite bzw.
direkte/ indirekte sowie subjektive/ objektive Beschreibung einiger
Charakteristiken der Protagonisten aus der Perspektive des Autors bzw. des
Protagonisten selbst.
Für die Bestimmung der Bewertung können solche linguistische Kategorien
wie Emotionalität bzw. Expressivität gelten. Zusätzliche konnotative und/oder
kontextuelle Bedeutungen des Wortes beeinflussen in manchen Fällen den Grad
der Emotionalität bzw. Expressivität, was zur Subjektivitätssteigerung führen kann.
Expressivität drückt sich auch durch die expressive Syntax, die zur Intensivierung
der Bewertung dient.
Neben der Definition des Begriffs Bewertung spielen auch die im
theoretischen Teil beschriebenen Bewertungstypen, vor allem die Unterscheidung
in positive und negative, objektive und subjektive, absolute und vergleichende,
usuelle und okkasionelle, rationale und emotionale Bewertung, eine Rolle für die
die Analyse der bewertenden sprachlichen Mittel und für die Bestimmung ihrer
28
Funktion im Text des biographischen Porträts.
29
2. Sprachliche Mittel der Bewertung von Casanova und ihre Funktionen
im Text des biographischen Porträts
2.2 Die Bewertung der Gestalt von Casanova und die Rolle des
Kontextes
Insgesamt wurden 584 Beispiele gefunden, die Casanova bewerten. Es ist zu
bemerken, dass 287 von denen positive Färbungen haben. Bemerkenswert ist, dass
Casanova oft positiv bewertet wird, aber die als positiv scheinende Bewertungen
erscheinen letztlich als ironisch gemeint. Das heißt, dass sowohl positive, als auch
negative Bewertungen zur Entlarvung der Figur und Aufdeckung seiner
Eigenschaften dienen. Die Bewertungen verändern sich während der Entfaltung
des Themas. Die rein positive Bewertung wechselt sich mit der negativen ab und
bekommt ironische, manchmal auch sarkastische Färbung. Die positive Bewertung
wird für die Verstärkung der negativen benutzt.
Eine besondere Rolle spielt die Verwendung der sprachlichen Mittel im
Kontext, da ein und dasselbe sprachliche Mittel im Kontext verschiedene
Bewertungstypen bezeichnen kann. Für die Illustration der Rolle des Kontextes
und für die Entfaltung des Themas im Textrahmen kann das Bewertungsobjekt
„das Werk von Casanova“ dienen. Dieses Beispiel weist darauf hin, dass die
Entfaltung des Themas mit der positiven Bewertung beginnt und mit der
Desavouierung der Gestalt des Helden endet. Solche Tendenz ist auf allen
semantischen Ebenen zu sehen: Zuerst werden alle Begabungen von Casanova
hoch bewertet, dann bekommt diese positive Bewertung eine negative Tönung.
Die Desavouierung der zu charakterisierenden Person kann man vor allem
auf der Ebene des Satzes beobachten. Beispielsweise ist die Aussage „Casanova
figuriert als Sonderfall, als einmaliger Glücksfall innerhalb der
Weltliteratur“ [27] dank schon in der Sprache positiv gefärbten kontextuellen
Synonymen auch als eine positive zu bezeichnen. Die Fortsetzung des Satzes
öffnet aber dem Leser die wirkliche Bedeutung dieser Aussage: „weil dieser
famose Scharlatan eigentlich genauso unberechtigt in das Pantheon des
schöpferischen Geistes geraten ist wie Pontius ins Credo“ [27]. Die
30
Wortverbindung “dieser famose Scharlatan“ gilt als die Fortsetzung der
kontextuellen Synonymenreihe, hat aber eher eine negative Färbung. Dazu entsteht
ein Überraschungseffekt durch den Vergleich „wie Pontius ins Credo“ und das
Adjektiv „unberechtigt [geraten ist]“ mit dem Präfix, das eine Negation mitbringt.
Die Entlarvung der Figur durch ihr Werk endet auf der Ebene des Satzes
nicht, sondern hat eine Fortsetzung im Rahmen des ganzen Textes. Der Autor
desavouiert die Gestalt seines Helden Satz für Satz: „Casanovas Memoiren [sind]
mehr ein statistisches Referat als Roman, mehr Feldzugserlebnis als Dichtung,
eine Odyssee der Wanderung im Fleische, eine Ilias der ewigen Mannesbrust
nach der ewigen Helena“ [73]. In dieser Reihe der Vergleiche ist die Tatsache
besonders bemerkenswert, dass eine leichte, einfache, sogar primitive Form des
Schreibens mit der höheren Form der Dichtung verglichen wird. Dazu werden die
Namen der bekanntesten Bücher Odyssee und Ilias genannt, die mit der
okkasional-metaphorisch gebrauchten Aussagen “eine Odyssee der Wanderung im
Fleische“ und „eine Ilias der ewigen Mannesbrust nach der ewigen Helena“
verwendet werden.
Der Kontext lässt die Ironie in folgenden Sätzen entdecken: „der
amüsanteste Roman der Welt“ [101], „[Casanova ist] aller Dichter Meister“ [31].
Superlativische Formen dienen für die Verstärkung des ironischen Effekts. In den
dargestellten Beispielen findet man sowohl absolute Bewertungen [sein Buch
wurde] „eins der nacktesten und natürlichsten der Weltgeschichte“ [97] als auch
vergleichende „[es gibt] keinen romantischeren Roman als sein Leben“ [32].
Sprachlich sind diese Bewertungen durch Superlative und komparative Formen der
Adjektive ausgedrückt. Ihre semantische Bedeutung besteht darin, das Werk von
Casanova zu loben.
Die Entfaltung des Kontextes lässt den Leser in das Porträt von Casanova
vertiefen: [das Buch ist eine] „antikische Offenheit im Amoralischen“ [97],
„Casanovas Memoiren sind intellektuell nicht viel mehr als die Notizen eines
klugen Durchschnittsreisenden“ [100]. Die Entlarvung der Person entsteht durch
die Gegenüberstellung der in einer Aussage gebrauchten Wörter, so sind die
31
Wörter antikisch und amoralisch antithetisch verwendet. Im zweiten Beispiel sind
die Wörter intellektuell und klug sind dem Wort Durchschnittsreisende
gegenübergestellt, dabei ist selbst das Wort Durchschnittsreisende eine negative
Komponente „durchschnitt-“ enthält.
2.2.1 Die sprachliche Darstellung der Bewertungsmittel im biographischen
Porträt von Casanova
2.2.1.1 Bewertung auf der Ebene der Lexik
2.2.1.1.1 Benennung von Casanova durch die usuelle Nominierung und
Präzedenznamen
Lexikalische Mittel der Bewertung werden meistens durch ein Wort
dargestellt. Die Charakteristik von Casanova wird vor allem durch die wertenden
Bezeichnungen gegeben, die vor allem intellektuelle, emotionale, ethische sowie
ästhetische Komponenten der Bewertung enthalten.
Diese Gruppe von usuellen Nominierungen zählt 136 Beispiele auf.
Nominierungswörter sind am meisten sprachlich durch negative lexikalische
Bedeutung des Wortes markiert. Zu dieser Gruppe gehören (metaphorische)
Substantive wie Genießer [82], Schwindler [37, 41, 47], Aufschneider [37], Lump
[37], Lügenpeter [99], Scharlatan [27], Mumie [87], Jupiter [68, 69]. Diese
Substantive beschreiben die Vielfältigkeit des Charakters von Casanova, der aber
nur eine „dunkle“ Seite hat. Die trägt zur Abwertung der Charakteristik bei.
Im Text sind 40 positive bzw. neutrale Bewertung zu finden, wie der
Glückliche [28, 51], das Genie [29], der Dichter [29, 101], der Kalenderreformer
[47], der Universalphilosoph [48]. Solche Nominierungen werden während der
Entfaltung des Themas entlarvt, und nur ironisch im Text präsentiert.
Einige auf den ersten Blick neutral wirkende Nominierungen bekommen
eine ironische Färbung durch den Kontext oder durch vorangestellte Substantive
wie „der Herr“. Beispielsweise schreibt Casanova im Alter seine Biographie und
arbeitet als Bibliothekar in Dux, deshalb schildern und bewerten die Wörter
32
Bibliothekarius bzw. Bibliothekar, Historiograph und Philosoph: „man sei bloß
Philosoph für sich selbst“ [54], „Eilfertig klappert der Herr Bibliothekarius
hinauf in sein Zimmer“ [90] oder „der Historiograph dieser Gilde“ [42] seine
Tätigkeit und seinen inneren Zustand: Einsamkeit, Stille, Nachdenklichkeit. Durch
solche Nominalisierungen wird emotionale Bewertung gegeben.
Bei dem Personennamen Casanova benutzt man oft einen unbestimmten
Artikel. Der Eigenname „Casanova“ ist zur Antonomasie geworden und bedeutet
jemanden, “der es versteht, auf verführerische Weise die Zuneigung der Frauen zu
gewinnen“ [DUDEN on-line]: „Ein Casanova, das heißt heute zu deutsch und in
allen europäischen Sprachen: Ritter Unwiderstehlich, Frauenvielfraß,
Meisterverführer“ [43], „Ein Casanova, obwohl er bezahlt und überbezahlt,
verächtlich zurückgewiesen, ein Casanova verschmäht und mitanschauen
müssend“ [43]. Der unbestimmte Artikel bei dem Eigennamen Casanova
bezeichnet einen lockeren, freien, leichtsinnigen Bezug zum Leben. Solche
Interpretation lässt uns diese Erscheinung zur ethischen Bewertung zuschreiben.
So ein Lebensbezug scheint dem Autor eher unmoralisch, deshalb ist hier eine
negative Bewertung gemeint.
Bei der Nominierung werden im Text Präzedenznamen benutzt, denen ein
mehr oder weniger bekannter Kulturgehalt innerwohnt. Sie erweitern das
Instrumentarium der wertenden Charakteristik und tragen der semantischen Tiefe
der Äußerung bei. Hier ist ein Beispiel der Verwendung der Präzedenznamen, mit
deren Hilfe die Wirkung Casanovas auf die Frauen beschrieben wird. „[Casanova]
repräsentiert im männlichen Mythos genau was Helena, Phryne, Ninon de
Lenclos im weiblichen“ [73]. Diese Namen äußern die Bewunderung und den
Einfluss, der Casanova auf die Frauen ausübt. Für die Interpretation dieser
Bewertungstyp ist das Hintergrundwissen erforderlich: Helena galt als die
schönste Frau ihrer Zeit, Phryne wird mit Schönheit und Schamlosigkeit
assoziiert; Ninon de Lenclos war eine französische Kurtisane, in Frankreich gilt
sie als eine der bekanntesten Frauen des 17. Jahrhunderts. Dabei ist zu betonen,
dass die Präzedenznamen es ermöglichen, das Äußere bildlich aber dadurch auch
33
knapp zu beschreiben.
2.2.1.1.2 Bewertende Attribute
Hier soll erwähnt werden, dass bewertende Attribute normalerweise mit dem
Hauptwort benutzt werden, deshalb scheint es auf den ersten Blick, dass sie im
Rahmen der Wortverbindung betrachtet werden sollen. Trotzdem bilden die
Adjektive, die zu dieser Kategorie gehören, ein Zentrum der ästhetischen
Bewertung trotz ihrer neutrale Bedeutung, z.B. rot, sinnlich, weich und feucht (die
Lippe), weiß (die Zähne), südländisch (der Mund) [34].
Für diese Gruppe der Lexik ist wichtig, welches Wort eine semantische
„Belastung“ trägt. Beispielsweise sind in den Wortverbindungen der ehemalige
Stolze [83], der rheumatische Eremit [94], der alte Zauberer [95] (insgesamt 72
Beispiele) die Substantive bildhafter, wobei Adjektive primäre Bedeutung für die
Bewertung haben. Bei diesen vorangestellten Attributen spielt der kontrastive
Kontext eine große Rolle, in dem sie einen abwertenden Sinn bekommen und wo
das Greisenalter des Helden der Jugend als seine Degradation gegenübergestellt
wird.
Der größte Teil der Adjektive lässt sich in zwei semantische Gruppen
gliedern, die zum sublimierten Bewertungstyp gehören und innere Charakteristiken
beschreiben. Die erste Gruppe der Adjektive dient zur Charakterisierung der
Nominationswörter, die Casanova bezeichnen: ausgesungener Sänger [83], der
hübsche, flinke Bursche [46], wahrhafter und urtümlicher Spieler [60], frechaufrichtiger, herrlich-schamloser Kerl Casanova [98], dumpfer braver Bursche
[70].
Die zweite Gruppe der Adjektive beschreibt äußere Besonderheiten des
Helden: „Mächtig von Wuchs, breit gequadert die Schultern, griffig die
durchmuskelten fleischigen Hände, keine weichliche Linie in dem angespannten,
stählern-männischen Leib“ [33] und „Pergamenten die Haut, ein Hakenschnabel
die Nase über dem zittrigen, speichelnden Mund, die buschigen Brauen struppig
und weiß;<…>“ [86]. Bemerkenswert ist dabei, dass solche Adjektive durch die
34
Aufzählung im Text präsentiert sind. Adjektive geben doppelte Färbung des
Äußeren von Casanova: Einerseits werden einige seine Züge positiv dargestellt,
anderseits negativ, daraus wird auch ein antithetischer Effekt geschaffen. Für die
Bewertung ist noch wichtig, dass diese Attribute eine Gegenüberstellung der
Gestalt „jung vs. alt“ bzw. „positiv vs. negativ“ präsentieren (genauere
Informationen sind auf der Seite 44 zu finden).
Für die Beschreibung der Gestalt von Casanova sind auch bewertende
Adjektive im Superlativ benutzt, z.B. „Herz, Lunge, Leber, Blut, Gehirn, Muskeln
<…> all das ist bei Casanova auf das kräftigste und normalste entwickelt“ [50],
„Er streift hart bis an die höchste geistige Sphäre“ [46], „Als der vollendetste und
universalste Dilettant weiß er viel von allen Künsten“[46]. Sie weisen auf
Casanovas unübertreffliche Gesundheit, physische Überlegenheit und das
Geistespotenzial hin, das nicht realisiert wird.
Manchmal wird der Superlativ nach dem Modell [Adj./Sub. + aller + Sub.]
gebildet, diese Konstruktion kommt im Text 18 Mal vor, dabei werden Adjektive
oft im Superlativ gebraucht, was die Bedeutung der Aussage verstärkt: „seine
Philosophie der Oberflächlichkeit für die klügste und bezauberndste aller Lehren
zu halten“ [79], „Meister aller Abenteuer“ [82], „Lebendigste aller
Lebendigen“ [93]. Diese Konstruktion stellt eine übertriebene (hyperbolische)
Vorstellung von Casanova dar und kann zweideutige Interpretation haben.
Einerseits wird Casanova über seine Umgebung erhoben, lässt ihn zum
Exponenten der Gruppe seiner Zeit werden. Andererseits haben die nach diesem
Modell gebildeten Ausdrücke negative und zum Teil eine sarkastische Bewertung,
denn Casanova wurde „alles Beste“ von der Natur gegeben und er könnte der
Beste seiner Zeit sein, aber er wird zum Diener seiner Bedürfnisse und
Befriedigung seiner fleischlichen Begierde.
Ein grammatisches Sprachmittel, das die Begabungen von Casanova als
nicht entfaltet zeigt, ist der Komparativ, der mit Konjunktiv II begleitet wird und
eine vergleichende Funktion hat. In diesen Sätzen wird gezeigt, dass Casanova
begabt ist, aber im Endeffekt hat er nichts erreicht: „Ein Jahr hinter den Büchern,
35
und man fände keinen bessern Juristen, keinen geistreicheren
Geschichtsschreiber, er könnte Professor werden jeder Wissenschaft„ [46]. Hier
wird die intellektuelle Seite von Casanova bewertet.
2.2.1.1.3 Verben mit emotionaler Färbung
Als Hauptbewertungsmittel sind emotional gefärbte Verben zu nennen, wie
z.B. exzellieren, brillieren, pamphletieren mit positiver Bewertung: „in Bologna
pamphletiert er über Medizin“ [48], „Aber als Magier und Meister exzelliert
Casanova einzig im Liebesspiel“ [62], „Dazu brilliert der hübsche, flinke Bursche
noch in allen höfischen und körperlichen Künsten, in Tanzen, Fechten, Reiten,
Kartenspielen <…>“ [46] und Verben wie dilettieren, kratzen mit negativer
Bewertung: „Er dilettiert recht und meist schlecht in allen Künsten,<…>, er kratzt
mittelmäßig die Geige“[62]. Diese Verben dienen hauptsächlich für eine
ästhetische und intellektuelle Bewertung.
2.2.1.1.4 Bewertende Elemente der Wortbildung (explizite Ableitung,
Substantivierung, Zusammensetzung)
Zur Charakterisierung der Figur tragen auch wortbildende Mittel bei.
Besonders oft ist eine Derivation (explizite und affixlose Ableitung) und eine
Zusammensetzung im Text zu treffen.
Die wortbildende Ebene enthält sehr wenig inhärente sprachliche Mittel, die
für die Bewertung des Helden relevant sind. Ein prägnantes Mittel auf dieser
Ebene ist das Suffix „-chen“, z.B. Casanova wird oft im Text als „ein uraltes
Männchen“ [86], „possierliches Männchen“ [85], „ein farbiges Vogelmännchen
mit Samtweste“ [85] bezeichnet. Die Funktion des Suffixes ist da, um die Gestalt
von Casanova zu erniedrigen und seinen sozialen Status zu unterstreichen.
Wörter mit dem Suffix „-erei“ gehören meistens zu den adhärenten
sprachlichen Mitteln und realisieren eine ethische Bewertung. Dieses Suffix dient
für die Darstellung der negativen Bedeutung: „seine Gaunereien“ [52], „banaler
Beischläferei“ [69], „seine Messerstechereien“ [97], „seine philosophischen
36
Läppereien“ [Zweig 101], „dogmatische Prahlerei“ [31], „mystischen
Schauspielerei in Europa“ [42], „für die Abenteurerei“ [44]. Das Suffix „erei“ ist
17 Mal im Text zu finden, es führt einen Grad der Vernachlässigung und
Geringschätzung von Casanova vor, aber gleichzeitig auch Casanovas Freude am
Leben.
Substantivierte Adjektive dienen zur Benennung von Casanova und fügen in
den meisten Fällen eine ironische Färbung hinzu: der Glückliche [28, 51], der
Freche [49], der Grobe [49]. Der Held wird von der emotionalen Seite bewertet,
durch diese Benennung wird nur die Seite der Person genannt, die in diesem
Moment des Textes am wichtigsten ist.
Die am meist verbreiteten Zusammensetzungen, die im Text zu treffen sind,
sind Wörter mit den Komponenten „spiel“ und „liebe“. Diese Zusammensetzungen
bezeichnen eine ethische sowie emotionale Bewertung des Helden und dienen
gleichzeitig in diesem Text eher als Textverknüpfende Mittel oder Rekurrenzmittel
(Beispiele sind auf der Seite 43 angeführt).
2.2.1.2 Bewertung auf der Ebene der Wortverbindung
2.2.1.2.1 Vorangestellte Attribute und nachgestellte unkongruierte
Genitivattribute
Die Bewertungstypen, die zur Ebene der Wortverbindung gehören, lassen
sich semantisch meistens zu ästhetischen Bewertungen zuschreiben, die oft durch
adhärente sprachliche Mittel präsentiert werden. Diese Bewertungstypen sind
dadurch geprägt, dass die Wörter der Wortgruppe emotional gefärbt sind, eine
bewertende Funktion haben und individuell geprägte Formen präsentieren.
Alle Wortverbindungen können in zwei Gruppen unterteilt werden:
1. Wortverbindungen mit vorangestellten Attributen;
2. Wortverbindungen, die mit dem nachgestellten unkongruierten Genitivattribut
1. Wortverbindungen mit vorangestellten Attributen:
37
Diese Gruppe der Lexik ist stark metaphorisiert. Besonders große Rolle bei
der Bewertung spielen Tiermetaphern (vom Modell “Tier – Mensch“), die eine
charakterisierende Funktion übernehmen und zuweilen negativ geprägt sind:
„dieser göttliche Stier“ [68] bzw. „ein tollwütiger Stier“ [57], “der alte zahnlose
Dachs” [53], „der kleine, dürre, böse Vogel“ [89], „der alte zornige
Habicht“ [92], „dieser ausgebälgte Hahn“ [83]. Tierbezeichnungen äußern die
Geringschätzung, den Hohn oder die Ironie des Autors.
Zu dieser Gruppe gehören auch Wortverbindungen, die Charakterzüge von
Casanova beschreiben und entlarven. Z.B. die Wortgruppe „ein lockeres
Weltkind“ [58] weist darauf hin, dass der Held keine Heimat hat und sich überall
wohl fühlt. „Professioneller, also wahlloser Erotiker“ [63] zeigt die Casanovas
Lüsternheit. Das Äußere drückt oft den inneren Zustand aus: „phallische Muskeln
mit der Eitelkeit eines selbstzufriedenen Athleten spielen lassen“ [97] weist auf
das Selbstbewusstsein hin.
2. Wortverbindungen, die mit dem nachgestellten unkongruierten
Genitivattribut:
Der Autor nennt Casanova „Sklave seiner Werkstatt“ [30], „Mensch der
Minute“ [56], „Fanatiker der Einzelwahrheit“ [99], „phantastischer Meister des
Lebens“ [58], „Gott einer Nacht“ [69]. Statt Casanova benutzt man beispielweise
Mensch der Minute um zu zeigen, dass er unstabil ist, ihn interessieren nur seine
Wünsche, ihm reicht eine Minute, um eine Entscheidung zu treffen. Durch solche
Wortverbindungen zeigt Stefan Zweig die Lage von Casanova in der Gesellschaft.
Er wird in hohem Alter nicht mehr respektiert, er wird ausgelacht und vergessen.
2.2.1.2.2 Bildhafte sprachliche Mittel (Vergleiche und kontextuelle Synonyme)
Die abwertenden Vergleiche verstärken die Bewertung und helfen, Objekte
oder Erscheinungen exakter zu beschreiben. Im Satz „Um flink und behend wie
Casanova auf allen Wassern tanzen zu können, muß man vor allem leicht sein wie
38
Kork“ [50] zeigt der Autor, wie leicht sich Casanova in der Gesellschaft orientiert
und sich mit anderen verständigt. Nächstes Beispiel unterstreicht Casanovas
„Machtlosigkeit“ und Hilflosigkeit: „aufgekratzt von Ärger wie ein zahnloser
Köter von der Räude“ [28], der Effekt wird durch das Attribut und die abwertende
lexikalische Bedeutung des Wortes selbst verstärkt. Einsamkeit betonen solche
Vergleiche wie „niemand will Casanova mehr, jeder schiebt und schüttelt ihn ab
wie eine Laus aus dem Pelz“ [80].
Mithilfe der Vergleiche wird noch ein Thema seiner Biographie beschrieben:
der Bezug auf die Frauen. Casanova ist so in Frauen verliebt, dass er sich am Ende
des Lebens in eine Frau verwandelt, die den Frauen ähnlich ist, mit denen er
während des Lebens zu tun hatte: [Casanova] „wie jene kleine Dirne“ [81], „wie
eine wehmütig alternde Kokotte“ [97], „als Mätresse des Allerchristlichsten
Königs“ [54]. Diese negativ bewertenden Vergleiche lassen die Geringschätzung
und Vernachlässigung des Autors sehen.
Das leitende Thema der Biographie von Casanova ist seine
Liebesverhältnisse. Es wird auch mithilfe von Vergleichen durchgeführt: [Frauen
sind wichtig für Casanova] „wie dem Musiker Musik, dem Dichter Gestaltung,
dem Geizigen Geld, dem Sportwütigen Rekord“ [63], [Casanova und seine Frauen]
„als Helden einer Komödie“ [58], „reitet er plötzlich als Soldat zur feindlichen
Armee“ [unter Armee sind Frauen zu verstehen] [58]. Der „Einheitseffekt“ wird
durch thematisch verbundene Wörter konstruiert, die meisten von denen eine
metonymische Beziehung aufweisen. Dabei wird ein emotionaler Aspekt für die
Schaffung des Heldenbildes verwendet.
Die meisten der oben genannten Beispiele weisen auf die thematische
Gruppe „Lebenswandel“ hin. „Lebenswandel“ enthält verschiedene Seiten des
Lebens wie die Taten, das Benehmen, die Gedanken, der Bezug der Umgebung
oder der Vergleich mit den anderen Leuten seiner Zeit, eigene Wahrnehmung des
Lebens. Welche Seite des Lebens wird durch den Vergleich beschrieben, bestimmt
der Leser selbst abhängig von seiner Lebenserfahrung. Z.B. im Satz „Seine Kinder
hat er als Kuckuckseier in fremde Nester gesteckt“ [96] weist der Vergleich auf die
39
gleichgültige Einstellung von Casanova zu seiner Kinder hin und zeigt, dass er
keine Verantwortung für seinen Taten hat.
Die Nominierung kommt zum Ausdruck sowohl durch stilistische, als auch
durch kontextuelle Synonyme, die zur emotionalen und ethischen Bewertung der
Person dienen, zeigen Casanova als einen Charmeur: „Ein Casanova, das heißt
heute zu deutsch und in allen europäischen Sprachen: Ritter Unwiderstehlich,
Frauenvielfraß, Meisterverführer“ [73], „Ja, aus dem schabrackenhaft
aufgeputzten Chevalier de Seingalt, dem Liebling der Frauen, aus Casanova, dem
funkelnden Verführer, ist Angelo Pratolini geworden, der nackte niedrige
Angeber und Schuft“ [84].
2.2.1.3 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Satzes
(Antiklimax, Entfaltung des metaphorischen Sinnes, Aufzählung, Rhetorische
Fragen)
Syntaktische Strukturen auf der Ebene des Satzes haben keine direkte
bewertende Funktion. Syntaktische Konstruktionen, die Marker der Bewertung
enthalten, dienen für die Verstärkung der primären Funktion dieser Marker und für
die Verstärkung der Expressivität der Bewertung. Auf der syntaktischen Ebene
wird individualisierter Bewertungstyp sowie ethische Bewertung widerspiegelt.
Ein der Mittel der Intensivierung der Bewertung ist die Antiklimax, bei der
ein Ausdruck stufenweise abgeschwächt wird und eine Aussage verstärkt: „Keinen
Monat, keine Woche, kaum einen Tag, nirgends und niemals kann er sich wohl
fühlen ohne Frauen“ [66]. Der Satz zeigt, dass Casanova von den Frauen abhängig
ist und von der emotionalen Seite bewertet wird. Dabei wird selbst die Antiklimax
durch Negationswörter nirgends und niemals verstärkt.
Die Antiklimax, die mit den okkasionell gebrauchten sprachlichen Mitteln
begleitet wird, hat oft eine hyperbolisierende Funktion. Der beschriebene
Charakterzug wird übertrieben dargestellt, was die Bewertung verstärkt: „<…>
40
überrascht einen bei Casanova ein vollkommenes Vakuum, ein luftleerer Raum,
Null, nichts“ [51]. Die Hyperbel weist auf die innere Leere auf, Unmenschlichkeit
und Gleichgültigkeit zu den anderen Lebewesenden.
Eine Intensivierung der Bewertung entsteht auch durch die Entfaltung des
metaphorischen Sinnes im Satz. Starke okkasionelle Färbung haben metaphorische
Verben: „Er schmückt, garniert, pfeffert und würzt sein aphrodisisches Ragout
mit allen Ingredienzien einer durch Entbehrung aufgepulverten Phantasie,
vielleicht sogar, ohne es immer selbst zu wissen“ [99]. Hier ist eine implizite
ironische Bewertung zu verzeichnen. Ironie entsteht durch den Kontrast des hohen
Begriffs „Liebe“ mit den alltäglichen Begriff „Küche“.
Die Bewertung wird auch durch die Aufzählung intensiviert. Bei der
Aufzählung der antithetisch gebauten Wortpaare verflechten sich die leitenden
Themen des Textes. Dabei bekommt jede Aufzählung zusätzliche Bedeutung, je
nach der Idee des Leitthemas, z.B. antithetische Aufzählung zeigt die
Doppelseitigkeit des Lebens und des Charakters von Casanova: „Jedes
vollkommene Gefühl vermag produktiv zu werden, Schamlosigkeit ebenso wie
Scham, Charakterlosigkeit wie Charakter, Bosheit wie Güte, Moral wie
Unmoral: entscheidend für Verewigung wird niemals die Seelenform, sondern die
Fülle eines Menschen“ [102]. Die Antithese macht das Geschriebene
„wirklichkeitsnah” und zeigt, dass das Leben immer zwei Seiten hat, und jede
Seite offenbart sich je nach den Verhältnissen.
Die Aufzählung der gleichartigen Satzglieder weist auf die Dynamik der
Handlung, die Stimmung in der Gesellschaft und den inneren Zustand von
Casanova hin: „Alle Verheißungen der Welt, Ehre, Amt und Würde, Zeit, bläst er
weg wie Pfeifenrauch für ein Abenteuer“ [64]; „Städte und Stände, Berufe, Welten
und Weiber wechselt [Casanova] wie Wäsche an immer gleichem Leib“ [29];
[Casanova] „lädt überschwenglich, gleich einem hochgeborenen Gönner, den
Fremdesten an seinen Tisch, schenkt ihm Dosen und Dukatenrollen, gewährt
ihm Kredit und umsprüht ihn mit einem Feuerwerk von Geist“ [57]. Die
Bewertung trägt hier einen psychologischen Aspekt.
41
Im Text werden oft rhetorische Fragen benutzt, die eine Perspektive der
Bewertung eröffnen und expressiv wirken: „Wie ist Casanova eigentlich, gut oder
böse? Ehrlich oder verlogen, ein Held oder ein Lump? Nun – ganz, wie es die
Stunde will: er färbt ab von den Umständen, er verwandelt sich mit den
Verwandlungen“ [57]. Rhetorische Frage enthält oft eine Gegenüberstellung, durch
die für die Bewertung wichtige Merkmale betont werden, so wird Perspektive für
implizite Bewertung gegeben.
Der Autor drückt durch die rhetorische Frage seine eigene Meinung aus. Er
antwortet manchmal auf seine Fragen und verstärkt damit die Wirkung seiner
Aussage: „Liebe zum Vaterland? – Er, der Weltbürger, der durch dreiundsiebzig
Jahre kein eigenes Bett besitzt und immer nur im Zufall wohnt, er bläst auf
Patriotismus“ [51], „Achtung vor Religion? – Er würde jede annehmen, sich
beschneiden oder einen Chinesenzopf wachsen lassen“ [51]. Rhetorische Fragen
schaffen einen Erwartungseffekt und realisieren sich durch parallele Konstruktion,
die in dieser Biographie eine Form „Frage- und Antworteinheiten“ hat.
2.2.1.4 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Textes
(Aufzählung im Rahmen des Textes, Stichwörter, Gegenüberstellung,
Zitierung)
Die sprachlichen Mittel, die auf der Ebene des Textes interpretiert werden,
haben außer der emotionalen Komponente noch eine textverflechtende Funktion.
Man kann z.B. die Wiederholung einer Komponente, eines Wortes oder einer
syntaktischen Konstruktion im ganzen Text mehrmalig beobachten, sodass diese
sich immer wiederholende sprachliche Konstruktion zur Expressivitätssteigerung
dient und sehr prägnant wird.
Besonders bemerkenswert ist die Aufzählung der Negativkonstruktionen im
Rahmen des Textes. Negativpronomen „kein“, „niemand“, „nichts“ haben
verstärkende Funktion, sie drücken die Unmöglichkeit aus, das Leben zu
42
verändern. Das Pronomen “niemand” ist die Verneinung von jemand, es bedeutet
„keine einzige Person, überhaupt keiner“: “Niemand kümmert sich um sein
Grabmal, niemand um seine Schriften, vergessen modert der Leib, vergessen
modern die Briefe, <...>, scheint niemand so tot wie dieser Lebendigste aller
Lebendigen“ [93]; „er hätte daselbst allerlei dringende Geschäfte, nimmt ihn
niemand mit“ [90]; „Seine Freunde sind gestorben, seine Abenteuer vergessen,
niemand erweist ihm mehr Achtung und Ehre, niemand hört ihm zu“ [95]. Durch
die Negation wird das Motiv „Langeweile“ implizit dargestellt. Bewertung entsteht
auf der semantischen Ebene, da hier der Bezug der Umgebung zu Casanova
dargestellt wird.
Das Pronomen „nichts“ trägt eine psychologische Bewertung und eine
abwertende Funktion, was in diesem Fall mit dem Verlust der Hoffnung verbunden
ist. [Casanova] „zieht vor, nichts zu sein, nichts – aber frei“ [48], „er will ja
nichts haben und behalten, nichts gelten und nichts besitzen“ [48], „Er weiß
nichts von Nächten, die durchwacht, von Tagen, die hingebracht werden müssen
im dumpfen <…>, nichts von der vielfältigen und doch unsichtbaren <…>
Werkarbeit des Dichters, nichts auch von seinem heroischen Verzicht auf Wärme
und Weite des Daseins“ [28]. Der Autor identifiziert Casanova durch dieses
Pronomen mit Nichts: Sein Leben, seine Gedanken, seine Wünsche verwandeln
sich ins Nichts. Der Autor beweist, dass Casanova nach nichts mehr streben will
und dass sein Leben ziellos zu Ende geht. Alles, was Casanova in seinem Leben
gemacht hat, scheint sinnlos.
Das Pronomen „kein“ führt parallele Konstruktionen und Aufzählungen
hinein: „Er, Casanova, hat, weiß Gott, das Leben sich immer nur leicht gemacht,
kein Gran seiner Freude, kein Quentchen seiner Genießerei, keine Stunde seines
Schlafes, keine Minute seiner Lust der strengen Göttin Unsterblichkeit
geopfert“ [28]; „aber keine einzige Begabung, keinen einzigen Beruf füllt er
völlig aus“ [46]; „Hier aber freilich kennt sein Furor keine Grenze, keine
Hemmung und keinen Halt“ [68]. Dieses Pronomen hebt die Bedeutung des Satzes
hervor und macht die Argumenten beweiskräftiger.
43
Der Autor schafft Kontraste, die die Vorstellungskraft erwecken, durch
Benutzung der Funktionswörter, die Verbindung der Ideen realisieren. Darunter
sind:
−
Die verneinende Partikel „nicht“ dient als Intensifikationsmittel: „er
weiß ja damals noch nicht, ob sie schön ist, denn er hat die unter der
Bettdecke Verborgene gar nicht gesehen“ [64], „jene deutsche
Bürgermeisterin, die ihm anscheinend nicht besonders wichtig ist und von
der er gar nicht weiß“ [65]. Mit dem verstärkenden Partikel „gar“ wird die
Unbesonnenheit Casanovas sowie seine Bereitschaft eine Dummheit zu
machen, sein Wunsch den Frauen zu folgen, sie zufrieden zu stellen und
seine Lüsternheit zu befriedigen geäußert.
−
Die disjunktive zweigliedrige Konjunktion „nicht..., sondern“ hat
antithetische eine Semantik: „er kommt durchaus nicht aus der Gosse, unser
Casanova, sondern aus der gleichen künstlerisch angefärbten Bürgerschicht
wie Mozart und Beethoven“ [45]. Diese Konjunktion macht die
Beschreibung genauer und bringt einen besonderen Rhythmus in den Satz
hinein.
−
Die Präposition „ohne“ verbindet gleichartige Satzglieder bzw.
Aufzählungen, schafft die Laune und führt einen besonderen Rhythmus ein:
„Casanova hat bewiesen, daß man den amüsantesten Roman der Welt
schreiben kann, ohne Dichter, das vollendetste Zeitbild, ohne Historiker zu
sein“ [101], „ein Vogel ohne Flügel, ein Mann ohne Männlichkeit, ein
Liebhaber ohne Glück, ein Spieler ohne Kapital, ein trister gelangweilter
Körper ohne Spannkraft und Schönheit“ [82].
Das Adverb beinahe zeigt explizit keine Negation, trotzdem weist es darauf
hin, dass Casanova kaum eine seine Begabung bis zum Ende entwickelt hat. Das
Adverb beinahe bedeutet fast, nahezu, annähernd, aber im Kontext bedeutet
gerade Haltlosigkeit und Unerfülltheit, also „nichts“ Gutes, nicht Wertendes: „so
gibt das alles zusammen schon eine Qualität besonderen Ranges: beinahe einen
Gelehrten, beinahe einen Dichter, beinahe einen Philosophen, beinahe einen
44
Kavalier“ [46].
Zu dem Hauptwortschatz gehören Wörter, die im Text am häufigsten zu
treffen sind. Dazu gehören Wörter mit der Komponente „Erotik“ und „Abenteuer“.
Insgesamt wird die Komponente „Erotik“ 21 Mal und „Abenteuer“ 27 Mal
gebraucht. Diese zwei Komponenten spiegeln die wichtigsten Charakterzüge von
Casanova wieder, denn z.B. die Komponente „Abenteuer“ enthält zusätzliche
implizite Seme und Eigenschaften wie gefährlich, außergewöhnlich, erregend,
riskant, empfindlich, erstaunlich etc.
Der Autor nennt Casanova Erotiker, um seine Leidenschaft zu den Frauen zu
zeigen, dabei verstärken nebenstehende Attribute die Bedeutung des Wortes: „daß
er als echter Erotiker niemals vollkommen verliebt war“ [71], „Hier binden sich
<...> stückhaften Talente zum reinen Element des vollkommenen Erotikers“ [62],
„wie immer bei dem professionellen, also wahllosen Erotiker„[66]. Diese
Wiederholung äußert den emotionalen Zustand des ewigen Liebhabers, der immer
die Vergnügung und Wonne sucht. Andere Seite von Casanova fordert Unruhe,
Lärm, Bewegung, Reisen und Karnevals: “und in manchen ungeduldig
unbefriedigten Augenblicken dünkt uns dieses Abenteurers tolle Existenz“ [78],
„daß er nicht bloß aus Geldnot und Arbeitsfaulheit Abenteurer geworden
ist“ [45], „er ist (wie unzählig viele) Abenteurer aus Armut an produktiver
Kraft“ [60]. Es ist zu bemerken, dass ein und dieselbe Benennung von Casanova in
verschiedenen Teilen des Textes benutzt wird und praktisch niemals in ein und
demselben Abschnitt.
Noch ein thematisches Wort, das bei der Entfaltung des Textes stärkere
Bedeutung für die Bewertung des Charakters von Casanova hat, ist „Langeweile“,
das 20 Mal im Text zu treffen ist. Die Langeweile ist das einzige, wovor sich
Casanova fürchtet: „der einzige Dämon, der Casanova treibt, hat einen sehr
bürgerlichen Namen und ein dickes, schwammiges Gesicht, er heißt höchst
simpel: Langeweile“ [59]. Das Wort Langeweile wird im Kontext personalisiert
z.B. [Langeweile] „hat ein dickes, schwammiges Gesicht“ [59], mit einem Dämon
implizit verglichen und der ganzen Gesellschaft als einen negativen Charakterzug
45
zugeschrieben „hat einen sehr bürgerlichen Namen“ [59]. So dient das Wort
Langeweile für die Bewertung der ganzen Gesellschaft. In dieser Interpretation
fungiert Casanova als ein Teil der Gesellschaft, der aber noch „Wiederstand“
leisten versucht, denn die Langeweile ist gleichzeitig seine einzige bewegende
Kraft (im Vergleich zur Gesellschaft): „Alle seine Entschlüsse kommen wie
ungewollt losgeknallte Pistolenschüsse aus den Nerven, aus der Laune, aus einer
angespannten Langeweile“ [58]. Hier entsteht ein psychologischer impliziter
Vergleich, der sprachlich durch den metaphorischen Vergleich entsteht. Ständige
Wiederholung des Wortes im Laufe des Textes zeigt, dass Casanova das ganze
Leben versucht, von der Langeweile wegzulaufen und frei zu sein, aber am Ende
seines Lebens wird er trotzdem Unfrei und stirbt langsam an der Langeweile.
Die verbreitesten sprachlichen Mittel, die den Bezug von Casanova auf sein
Leben zeigen, sind die variierten Wiederholungen, die durch Zusammensetzungen
dargestellt werden. Besonders merkwürdig sind Kompositionen mit folgenden
Komponenten:
−
die Komponente „spiel“ kommt bei den Benennungen und
Beschreibung von Casanova 89 Mal vor, z. B. „erotische Spielmensch“ [64],
„dieser venezianische Schauspielersohn“ [73], „Falschspieler“ [83] und bei
den Substantiven, die Casanova charakterisieren: „sein neues Lustspiel für
die Liebhaberbühne“ [89], „Flammenspiel der Leidenschaft“ [69],
„Liebesspiel zwischen Bett und Spieltisch“ [27]. Diese Zusammensetzungen
beweisen, dass das Leben für Casanova ein Spiel war, und er zählte sich zu
den großen Spielern seiner Zeit, aber das Spiel garantiert für alle Spieler
keinen Sieg.
−
die Komponente „liebe“ charakterisiert den Sinn seines Lebens,
Innenwelt und Stimme: „als Inkarnation des Liebeshelden“ [73], „der alte
Held unzähliger Liebesschlachten“ [82], „Lustspiel für die
Liebhaberbühne“ [89], „Liebesstunden“ [97]. Die Komponente „liebe“
kommt im Text 44 Mal vor und weist auf die Wörter hin, die man mit
Casanova verbindet. Das beweist, dass alles in seinem Leben zu der
46
„Genießerei“, Befriedigung und Freiheit gehörte, deshalb verliert das Wort
Liebe an Wert.
Die Beschreibung des Äußeren von Casanova bildet einen „Rahmen“ in der
Textstruktur: Seine Gestalt wird zwei Mal im Text beschrieben, einmal am Anfang
und einmal am Ende. Dabei werden diese zwei Beschreibungen gegenübergestellt:
eines jungen und eines alten Casanova, dabei werden „der Augenblick“, „die
Figur“, „der Mund“ und „die Sprache“ verglichen.
Bei der Beschreibung des Augenblicks im jungen Alter wird der
Beschreibung des Augenblicks am Ende des Lebens gegenübergestellt: „Unter den
ebenmäßigen, sehr rund geschwungenen, buschigen Brauen flackert aus
schwarzen Pupillen ein ungeduldiger Unruheblick, recht ein Jäger- und
Beuteblick, bereit, mit einem Ruck adlerhaft auf ein Opfer zu stürzen“ [34]; „der
Bramarbas wirft immer wieder einen raschen Raubvogelblick nach rechts und
links, um die eigene Wirkung zu erspähen“ [35] vs. „Einzig die pechschwarzen
Augen haben die alte Unruhe noch, böse und spitz fahren sie unter den
halbgeschlossenen Lidern vor“ [86], „die Augen glänzen dem gichtischen
Greis“ [92]. Der antithetische Effekt wird mit Hilfe der thematischen
Wortverbindung geschafft „Augen bzw. Blick“ Brauen, Pupillen, Unruheblick,
Beuteblick, Raubvogelblick vs. Augen, Lidern, die mit den vorangestellten
Attributen rund geschwungen, buschig, schwarz, ungeduldig, rasch vs.
pechschwarz, böse, halbgeschlossen, gichtisch begleitet werden. Dabei ist zu
bemerken, dass bei der Beschreibung vom jungen Casanova wird eine größere
wörtliche Vielfalt mit der semantischen Bedeutung Jäger bzw. Räuber benutzt, und
bei der Beschreibung des alten Casanova fällt diese semantische Bedeutung aus.
Die Antithese entsteht noch durch die emotional gefärbten Verben flackern,
stürzen, erspähen und stilistisch neutralen Verben haben, vorfahren, glänzen.
Variierte Wiederholungen Unruheblick, ein Jäger- und Beuteblick, Raubvogelblick
und Personifizierungen Unruheblick flackert, Augen fahren böse und spitz fügen
eine expressive Komponente hinzu.
Bei der Beschreibung des Mundes: „Einzig die Lippe, sehr rot und sinnlich,
47
wölbt sich weich und feucht und zeigt wie Granatapfelfleisch die weißen Kerne
der Zähne, südländischen Mund läßt zum erstenmal das breite, schneeweiße
Tiergebiß blank vorleuchten“ [34] vs. „die Lippen zucken in Eifer und
Erregung“ [92], „man ist selbst ein alter, armer Hund mit ausgebissenen Zähnen“
[87] wurden Adverbien und Adjektive mit positiver rot, sinnlich, weich, feucht,
weiß, südländischen, breit, schneeweiß und mit negativer alt, arm, ausgebissen
Konnotation benutzt. Tiermetaphern Tiergebiß und Hund tragen eine ästhetische
Bewertung.
Die Länge des Satzes verleiht den Sätzen einen bestimmten Rhythmus.
Personifizierungen schaffen auch dynamische Darstellung seiner Gestalt, es ist
wichtig, denn er ist immer in kontinuierlicher Bewegung, um eine Frau zu erobern.
Eine positive Aufzählung der äußeren Merkmale wechselt sich mit einer negativen
Beschreibung des alten Casanova ab. Positive Bewertungen werden am Ende des
Testes desavouiert.
2.2.2 Funktionen der Bewertung bei der Beschreibung der Gestalt von
Casanova
Für die Bewertung von Casanova wurden 584 Beispiele benutzt, darunter
287 positive und 297 negative, viele Beispiele sind ironisch oder sarkastisch
gefärbt. Praktisch alle positiven Bewertungen werden durch den Kontext
desavouiert.
Wortbildende und morphologische Ebene:
1. Das Deminutivsuffixes „-chen“; die Funktion dieses Mittels besteht in der
Abwertung und Erniedrigung der Gestalt des beschreibenden Helden;
2. Das Suffixes „-erei“; seine Funktion besteht in der Vernachlässigung und
Geringschätzung des Helden;
3. Zusammensetzungen mit den Komponenten „spiel“ und „liebe“; diese
Zusammensetzungen fungieren als entlarvende Mittel, d.h. diese in der Sprache
positiv oder neutral bewertenden Komponenten verlieren im Kontext an Wert;
48
4. Substantivierungen; mithilfe von diesem Mittel werden koreferente
Namen des Protagonisten eingeführt;
5. Unbestimmter Artikel; die Funktion dieses Mittels besteht in der
Illustration der Popularität des Helden und seiner „Unsterblichkeit“ (Name
Casanova wird zur Antonomasie).
Funktional-lexikalische Ebene:
1. Wörtliche und variierte Wiederholungen des Grundwortschatzes (wie
Erotik, Abenteuer) weisen auf die Schwächen des Helden hin;
2. Nominierungen unterstreichen einen Charakterzug des Helden
3. Metaphorische Substantive und Verben zeigen den Bezug der Gesellschaft
zum Protagonisten, spiegeln den inneren Zustand des Helden wider, dienen zur
Darstellung seiner Tätigkeit oder zur Beschreibung des Äußeren; einen besonderen
Wert bei der Bewertung haben Tiermetaphern, die die Geringschätzung, den Hohn
oder die Ironie ausdrücken;
4. Stilistische und kontextuelle Synonyme zeigen eine vielseitige und
erfinderische Natur des Helden und dienen für die Verwirklichung der
Verführungspläne oder für den Betrug;
5. Adjektive im Superlativ hyperbolisieren die beschriebenen Eigenschaften
des Helden;
6. Adjektive im Komparativ, die mit Konjunktiv II begleitet sind, zeigen,
dass jede Tätigkeit, die der Held beginnt, nicht vollendet wird; dass alle
Begabungen, die er hat, nicht entwickelt werden; dass Nichts in seinem Leben
erreicht wird.
7. Abwertende bildhafte Vergleiche präsentieren und entlarven eine negative
Seite des Helden;
8. Bewertende Attribute und emotionale Verben dienen für ästhetische und
intellektuelle Bewertung;
9. Negationen dienen dazu, die widersprüchliche Natur des Helden zu
beschreiben;
10. Die Wortverbindungen, am häufigsten das Epitheton + das Substantiv
49
mit metaphorischer Bedeutung, haben eine beschreibende Funktion und dienen zur
Interesse- und Spannungsbewahrung;
11. Präzendenznamen helfen das Äußere des jungen Helden zu beschreiben,
dabei bekommt die Beschreibung zusätzliche emotionale Färbung, da der Leser
sich Charakterzüge der gut bekannten Gestalten aus der Geschichte bildhaft
vorstellen kann.
Funktional-syntaktische Ebene:
1. Rhetorische Fragen haben eine textverflechtende Funktion und führen das
nächste Merkmal ein, das bewertet wird;
2. Gleichartige Satzglieder und parallele Konstruktionen weisen auf
Dynamik der Handlung, die öffentliche Stimmung und den Eigenzustand von
Casanova hin;
3. Die Antiklimax dient für die Intensivierung der Bewertung.
Semantische Gegenüberstellungen gehören zu beiden Gruppen der
Bewertungen (positiven und negativen). Hauptziel der Gegenüberstellungen ist,
den Unterschied zwischen dem jungen und alten Casanova zu zeigen und die
„Degradierungsstufen“ bildhafter darzustellen.
Im Text werden auch Zitate aus der Biographie benutzt. Die Bewertung, die
diese Zitate enthält, hängt davon ab, welche Bedeutung der Satz hat, eine positive
oder eine negative. Zitate werden als eine Unterstützung der Meinung des Autors
benutzt.
Die absolute Bewertung wird in den Wörtern/ Wortverbindungen/ Sätzen
verwendet, wo Casanova eindeutig positiv/negativ bewertet ist. Die absolute
Bewertung tritt in Erscheinung in der Form von Adjektiven im Superlativ, im ersten
Fall ist die Bewertung meist positiv gefärbt, im zweiten Fall trifft man mehr
negative Beispiele. Für die vergleichende Bewertung ist der Gebrauch von
Adjektiven im Komparativ typisch.
Die meisten Bewertungen gehören nach der Klassifikation von N.D.
Arutjunova zu dem individualisierten und sublimierten Bewertungstyp, darunter
50
sind intellektuelle, emotionale, ästhetische und ethische Bewertungen besonders
gebräuchlich. Viele Beispiele haben dabei eine ironische oder sarkastische
Komponente.
Die verbreitetste Ausdrucksform der Beispiele sind einzelne Wörter (285),
die ein metaphorisches, beschreibendes oder vergleichendes Element haben, dazu
gehören meist die Nominalisierungswörter. Der Satz ist die zweitverbreitete Form
der Bewertung (160 Beispiele), da einige Beispiele nur im Kontext eine
bewertende Komponente aufweisen. Wortverbindungen (139 Beispiele) spielen
auch eine wichtige Rolle bei der Bewertung, einige sind nach bestimmten
Modellen zu gruppieren.
Alle Bewertungsbeispiele beweisen, dass der Held dieser Biographie einer
der wiederspruchvollsten Charaktere seiner Zeit ist. Er wird als eine
oberflächliche, listige, freche, schamlose Person bewertet, aber gleichzeitig eine
erfinderische, kluge, begabte und charmante.
51
3. Sprachliche Mittel der Bewertung von Stendhal und ihre Funktionen
im Text des biographischen Porträts
3.1 Die Bewertung der Gestalt von Stendhal und die Rolle des Kontextes
Die Charakterisierung der Gestalt von Stendhal und die Bewertung ihrer
Eigenschaften finden ihre sprachliche Realisierung auf denselben strukturellen
Ebenen: Ebene des Wortes, der Wortverbindung, des Satzes und des Textes. Alle
bewertenden sprachlichen Mittel sind in thematische Gruppen zu unterteilen, dabei
kann man ähnliche Themen wie bei der Beschreibung von Casanova
unterscheiden: 1. das Werk, 2. äußere Erscheinung, 3. Lebenswandel, 4.
Einstellung zur Frauen 5. Bildung und Begabung. Solche semantische Gruppierung
der Lexik ermöglicht es, die Gestalt von Casanova und Stendhal zu vergleichen, da
im Text praktisch identische Themen beschrieben werden, die durch ähnliche
sprachliche Strukturen realisiert werden.
Um die Rolle des Kontextes zu zeigen, wurde bei der Beschreibung von
Casanova das Thema das Werk von Casanova gewählt. Nehmen wir bei der
Charakterisierung von Stendhal das gleiche Thema und zeigen, wie der Kontext
die Bewertungsfunktion konkretisiert.
Nur durch den Kontext wird es klar, dass das Schreiben für Stendhal eine
bewegende Kraft für Selbstforschung ist. Die Beschreibung des inneren Zustandes
und der Prozess des Schreibens selbst gelten für Stendhal als ein Heilmittel für
seine Seele. Sein Werk ist für ihn kein Weg zum Rahm, sondern die Realisierung
seines psychologischen Zustandes. Die Entfaltung dieses Themas wird im Rahmen
des Satzes realisiert. Für Stendhal ist das Schreiben seiner Werke kein Weg, in der
Geschichte zu bleiben (wie es bei Casanova der Fall ist), sondern der Weg, sich zu
verstehen, deshalb wird das Schreiben das Ziel seines Lebens.
Der Autor geht von der intellektuellen Bewertung aus. „Wie die Perücke das
einstmals dichte und wirrige Haar, so ersetzt jetzt für Stendhal der Roman das
Leben, er kompensiert die Verminderung der realen Abenteuer durch allerhand
gestaltete Träumereien; schließlich findet er das Schreiben sogar amüsant und
sich selbst einen angenehmeren und geistvolleren Gesprächspartner als alle
52
Plattredner in den Salons“ [158]. Sprachlich wird die Bewertung durch die
Gegenüberstellung und den Vergleich realisiert: der Roman bzw. das Schreiben vs.
das Leben; reale Abenteuer vs. gestaltete Träumereien, Gesprächspartner [=
Stendhal selbst] vs. alle Plattredner in den Salons; die Perücke vs. Haar. Dabei
werden Verben mit der semantischen Bedeutung „Ersetzung“ wie ersetzen und
kompensieren verwendet.
In den Romanen will Stendhal seine Jugend festhalten: „Drei Romane
erschöpfen seine literarische Leistung, drei Romane, die, vom motorischen
Zentrum her gesehen, nur einer sind, drei Variationen eines und desselben Urund Elementarerlebnisses: der Seelengeschichte von Henry Beyles Jugend, die
der Alternde nicht in sich absterben lassen, sondern immer wieder erneuern
will“ [160], „um sich, den Zwanzigjährigen, noch einmal leidenschaftlich zu
erleben, hat der fünfzigjährige Henri Beyle diese Romane geschrieben“ [161];
„Diese drei Jünglinge, obzwar verschiedenen Schicksals, anderer Rasse und
anderen Charakters, sind Brüder im Gefühl: ihr Schöpfer hat ihnen das
Romantische seines Naturells vererbt und zu entfalten gegeben“ [162]; „Diese drei
Gegenspieler zeigen symbolisch, was das Leben aus dem Jüngling schließlich
macht“ [162]. Die Wichtigkeit der Romane wird durch die wörtliche
Wiederholung der Wortverbindung drei Romane übergegeben, als kontextuelle
Synonyme zu dieser Wortverbindung gelten solche Wortverbindung wie drei
Variationen eines und desselben Ur- und Elementarerlebnisses, drei Jünglinge,
drei Gegenspieler, als Synonym zu Stendhal werden die Wörter Schöpfer und
Henri Beyle verwendet. Es ist auch bemerkenswert, dass seine Romane in den
Wörtern Jünglinge und Brüder personifiziert werden und mit dem
Zwanzigjährigen gleichgesetzt sind. Gegenüberstellung der Wortverbindungen
Zwanzigjährige vs. fünfzigjährige Henri Beyle / Alternde, erneuern vs. absterben
zeigt zwei Zustände von Stendhal (im Jugend und im Alter). In diesen Beispielen
wird der Bezug von Stendhal zu seinem Werk bewertet. Er hat sich so tief in der
Kunst versenkt, dass das Schreiben zum Teil seiner Seele wird.
Die Biographie von Casanova ist eine Hoffnung, dass seine „Heldentaten“
53
nicht vergessen werden, er schreibt nur aus Langeweile und aus Einsamkeit. Die
Einsamkeit hilft ihm nicht, sondern ärgert ihn und frisst langsam auf. Den Bezug
des Autors aufs Werk von Casanova kann man als negativ bewerten (im Vergleich
zu Stendhal), denn ihn interessiert weder sein Werk noch Kunst, einzig und allein
die Wirkung auf das Publikum. Seine Biographie gehört zu den Meisterwerken,
sein Name wird nicht vergessen, seine Biographie ist wirklich toll aus der
sprachlichen Sicht geschrieben, aber das Ziel des Autors war, nur sein Leben zu
beschreiben und sich über die anderen zu erheben; wobei das Ziel von Stendhal
war, eigene Doppelweltigkeit [144] zu erforschen. Deshalb lässt sich der Bezug
von Stendhal zu seinem Werk positiver bewerten.
3.1.1 Die sprachliche Darstellung der Bewertungsmittel im biographischen
Porträt von Stendhal
3.1.1.1 Bewertung auf der Ebene der Lexik (Nominierung und
Präzedenznamen)
Als lexikalische Mittel der Bewertung dienen bei der Beschreibung von
Stendhal Nominierungen bzw. koreferente Namen und bewertende Adjektive, mit
denen Stendhal bezeichnet wird.
In den meisten Fällen wird er einfach „Stendhal“ oder „Herr Beyle“ genannt,
außerdem trifft man noch 29 verschiedene Benennungen, darunter sind Künstler
(19 Mal zu treffen), Dichter (17 Mal), Schriftsteller (5 Mal), Meister (4 Mal) am
häufigsten zu treffen. Bei der Beschreibung von Stendhal findet man weniger
Vielfalt der Benennungsvariationen als bei Casanova. Dabei wirken diese
Nominalisierungen neutral. Das beweist, dass die Einstellung des Autors zur
Gestalt von Stendhal viel respektvoller ist als zur Gestalt von Casanova.
Zur lexikalischen Ebene gehören okkasionell gebaute Wörter, mit denen
man das Äußere von Stendhal beschreibt. Das Aussehen von Stendhal ist eher
negativ bewertet, was durch Metaphern und Tiermetaphern wie
54
„Bulldoggengesicht“ [109], „Drogistengesicht“ [110] und saloppe stilistische
Färbung „Provinzvisage“ [109] gezeigt wird. Diese negative ästhetische
Bewertung wird nicht direkt vom Autor gegeben, sondern aus der Perspektive der
Zeitgenossinnen von ihrem Helden; Zweig übermittelt nur ihre Meinung, dabei
lässt er den Leser entscheiden, ob der Mangel an der „Schönheit“ positiv oder
negativ für Stendhal ist. Einerseits unterdrückt ihn die Tatsache, dass die Frauen
ihm keine Aufmerksamkeit schenken und dieser Gedanke bringt ihn aus dem
Gleichgewicht. Anderseits stößt ihn das Fehlen an der Aufmerksamkeit seitens der
Frauen dazu an, sich zu erforschen und zu entwickeln.
Zu dieser Gruppe der Lexik gehören noch bewertende Adjektive, die das
Aussehen beschreiben wie [Gesicht] rundlich, rot, feistbürgerlich [109]; [Augen]
übel, klein, schwarz, funkelnd [109], [Nase] dick, knollig, breitgenüstert [109].
Einige Adjektive werden im Superlativ gebraucht: „bitterböseste
Bourgeoisie“ [109], [er hat] „privateste und subtilste Aufrichtigkeit“ [108],
„privateste und verborgenste Selbstentzückung“ [159]. Obwohl mit diesen
Adjektiven Bourgeoisie, Aufrichtigkeit und Selbstentzückung beschrieben wird,
gehören diese Wörter zur Bewertungskomponenten von der charakterisierenden
Gestalt.
Als Nominalisierungsmittel werden im Text auch Präzedenznamen
verwendet: „der timide Don Juan“ [119], „der theoretische Casanova“ [120]. Sie
weisen auf das mögliche Potential des Liebhabers hin, aber die vorangestellten
Attribute beweisen die Unmöglichkeit der folgenden Handlung. Präzedenznamen
dienen hier nicht zum Lob des Helden, sondern sind Marker der Ironie.
Ironie gilt als eine Form der bewertenden Position des Autors. In der Ironie
wird das Gegenteil des Gemeinten ausgedrückt, deshalb ist die Bedeutung der
Ironie nur im Rahmen des Kontextes zu verstehen. Dabei ist zu betonen, dass die
Ironie meist eine negative Bewertung äußert und verstärkt. Diese negativ
bewertende Bedeutung der Ironie ist meist implizit und hat eine kritisierende
Funktion.
Die Ironie kann durch Assoziationen geschafft werden und wird nicht direkt,
55
sondern durch die Behauptung des Gegenteils genannt, deshalb betonen Faulseit/
Kühn die intellektuelle Bedeutung der Ironie: „Die Methode des Ironisierens hat
immer einen gewissen intellektuellen Anstrich. Denn der Autor kalkuliert die
geistige Fähigkeit und Bereitschaft des Lesers oder Hörers ein, den gegenteiligen
Aussagesinn zu erkennen. <…> Doch schließt die intellektuelle Färbung nicht aus,
dass durch die ironisierende Aussage auch das Gefühl des Lesers in starkem Maße
angerührt werden kann“ [Faulseit/Kühn 1972: 265].
3.1.1.2 Bewertung auf der Ebene der Wortverbindung (vorangestellte
Attribute, kontextuelle antithetische Paare, Vergleiche)
Bei der Beschreibung von Stendhal sind folgende Gruppen der
Wortverbindungen benutzt: 1. Wortverbindungen mit vorangestellten Attributen; 2.
Kontextuelle antithetische Paare; 3. Vergleiche.
Wortverbindungen mit vorangestellten Attributen lassen sich in drei
semantische Gruppen teilen. Erste Gruppe der Wörter umfasst Wortverbindungen,
die Stendhal von der Seite seiner Begabungen beschreiben: „dramatischer
Dichter“ [121], „zukünftiger Dramatiker“ [121], „intellektueller Dilettant“ [124].
Durch diese Benennungen wird er mit Denkern und Philosophen verglichen.
Manchmal aber wird seine „dunkle Seite“ geschildert, z.B. „ehrlicher
Egoist“ [135]. Dieses Beispiel beweist, dass er nicht bis zum Ende „dunkel“ sein
kann, das Adjektiv ehrlich zeigt, dass sein Egoismus nur eine „erworbene
Fertigkeit“ ist, damit er sich der Gesellschaft anpassen könnte. In dieser Gruppe
der Wortverbindungen überwiegen intellektuelle Bewertungen.
Die zweite „Benennungsgruppe“ beinhaltet Wortverbindungen, die seine
Tätigkeitsbereiche beschreiben, wie „unglücklicher Liebhaber“ [121] oder
„ehemaliger Staatsauditor“ [105]. Diese Bewertungen beziehen sich eher auf den
emotionalen Teil der Beschreibung.
Wortverbindungen der dritten zahlreichsten Gruppe enthalten Wörter, die
56
das Äußere des Helden beschreiben und die eher eine negative Bewertung haben,
wie z.B. „dummer bombastischer Wanst“ [110]; „fettleibiger massiver
Körper“ [110]; „derbe, bäurische Figur“ [110], „gerahmter Kopf“ [109];
„unschönen Beine“ [110]; „dumpfer, uninteressanter, klotziger Leib“ [111],
„unglückliche Physiognomie“, „ärgerliche Physiognomie“ [112], umfänglicher,
schwerleibiger Mann [137], der dicke Herr [138]. Neutrale Substantive bekommen
eine negative Färbung durch vorangestellte Attribute, die Bewertung hat dabei eine
ästhetische Bedeutung.
Hier ist auch ein Vergleich mit Casanova zu beobachten: ästhetische
Bewertungen haben bei der Beschreibung von Casanova sowohl eine positive als
auch eine negative Färbung, dabei wechselt sich die Bewertung von positiv zu
negativ; die ästhetische Bewertung von Stendhal hat lediglich eine negative
Färbung. Die psychogische und die ethische Bewertung haben dabei eine
umgekehrte Perspektive: Stendhal wird vorwiegend von der positiven Seite und
Casanova von der negativen Seite charakterisiert. Folglich wird die ethische
Bewertung der ästhetischen gegenübergestellt.
Um das Verhältnis von Stendhal zum Leben zu verstehen, soll man auf
kontextuelle antithetische Paare aufmerksam werden (einige antithetische Paare
werden noch im Rahmen des Textes auf der Seite 59 dargestellt). Antithesen haben
drei Hauptfunktionen im Text: Pointieren, Hervorheben, Gliedern. Fleischer/
Michel weisen darauf hin, dass sie als Wiederholungen fungieren, aber ihren
eigentlichen Figurationseffekt wird erst im Zusammenspiel mit der figurierten und
nichtfigurierten Wiederholung entfaltet [vgl. Fleischer, Michel 1975: 173]
Im Text werden 177 Wortpaare benutzt, die die „Zwiespältigkeit“ von
Stendhal beweisen: „Soldat und Held“ [117], „Klarheit und Wahrheit“ [166], „Leib
und Seele“ [172], „Geist und Gefühl“ [187], „Worte und Werke“ [186], „Mensch
und Individuum“ [184], „Sünden und Sonderlichkeiten“ [184]. Eine semantische
Verbindung einiger Wörter besteht in ihrem antithetischen Charakter, eine formelle
Verbindung wird durch die Alliteration und den Reim realisiert. Diese Paare
weisen auf die Innenwelt von Stendhal hin, sein Streben nach Freiheit und
57
Selbstständigkeit. Er übt sowohl psychische, als auch körperliche Kräfte, diese
Zwiespältigkeit bzw. Doppelweltigkeit umfasst intellektuelle und sensuelle
Beobachtungen.
Die meisten Vergleiche werden kaum für die Erhebung der Gestalt von
Stendhal verwendet, sondern haben eher eine kritisierende Funktion: „wie ein
Mädchen“ [120], „selig und froh wie ein Kind“ [129], „wie ein Silen sieht er aus“
[132]. Er versucht nicht, Masken zu tragen; er ist so, wie er ist: kindisch,
frauenhaft, unschön.
3.1.1.3 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Satzes
3.1.1.3.1 Aufzählung der gleichartigen Satzglieder
Syntaktische Mittel dienen zur Verstärkung der lexikalischen Mittel und
fügen ein Element der Emotionalität hinzu. Die Aufzählung der gleichartigen
Satzglieder dient zur emotionalen Steigerung: „Paris, das heißt Luxus, Eleganz,
Beschwingtheit, Antiprovinz, Freiheit, und vor allem Frauen, viele
Frauen“ [113].
Die Wörter werden am Ende doppelt wiederholt, so wird das Wichtigste
hervorgehoben und verstärkt. Die Beschreibung von Paris ist aus der Perspektive
des Helden gegeben, so wird seine emotionale Bewertung realisiert.
Die aufgezählten Wörter können auch zur Betonung der wichtigsten
Bestandteile seines Lebens dienen: „Herrliche Jahre, einzig der Musik
hingegeben, den Frauen, dem Gespräch, dem Schreiben, der Kunst“ [130], die
auch für die emotionale Bewertung dienen.
Aufzählung verleiht dem Satz ein bestimmtes Tempo: „So bleibt nur eines:
klug sein, geschmeidig, geistig-anziehend, interessant, die Aufmerksamkeit vom
Gesicht ablenken nach innen, blenden und verführen durch Überraschung und
Rede!“ [112]. In diesem Beispiel gibt die Aufzählung von Adjektiven der
Bewertung eine qualitative Färbung. Die semantische Bedeutung der Verben hat
58
eine entscheidende Rolle bei der ethischen Bewertung von den inneren Kräften
Stendhals, sodass er als Meister und Magier erscheint und geheimnisvoll wirkt.
Manchmal gilt die Aufzählung für die Verstärkung der ironischen, sogar
sarkastischen Färbung: „Ja, so muß er heute Abend bei Madame de T. auftreten,
ironisch, zynisch, frivol und steinkalt: es gilt zu frappieren, zu interessieren, zu
blenden; so lange brillant und frech erzählen, bis die lachende Neugier ihm
restlos gehört und die Frauen sich an sein Gesicht gewöhnen“ [112]. Hier werden
die Handlungen beschrieben, die dem Helden keinen Spaß machen, er muss sich
den Regeln der Gesellschaft unterstellen.
Gleichartige Satzglieder und die Wiederholung der parallelen
Konstruktionen im Rahmen der rhetorischen Frage helfen, Spannung zu schaffen:
Wozu soviel Fleisch, soviel Fett, soviel Wanst, soviel plumpes fuhrmännisches
Knochenwerk um ein so spinnfeines und verletzliches Gefühl, wozu ein dermaßen
dumpfer, uninteressanter, klotziger Leib um eine so komplizierte und reizbare
Seele? [111]. Parallele Konstruktionen werden durch die Wiederholung des
Fragewortes wozu eingeführt, die Konjunktion soviel hat dabei eine verstärkende
Funktion.
3.1.1.3.2 Gegenüberstellungen, kontextuelle Synonyme/ Antonyme, Chiasmus
Der Autor spielt mit Kontrasten, deren Funktion ist, die Doppelweltigkeit zu
zeigen. Sie werden durch kontextuelle Synonyme wie Mut und Frechheit; Hürden,
Grenzen und Wegschranken; und durch Gegenüberstellungen realisiert Wahrheit
vs. Lüge: „Denn Stendhal hat genauso viel Mut, ja Frechheit sogar, zur Wahrheit
wie zur Lüge, er springt da wie dort mit einer famosen Unbedenklichkeit über alle
Hürden der Gesellschaftsmoral, er pascht durch alle Grenzen und Wegschranken
der inneren Zensur“ [107]. Diese Synonyme bezeichnen ethische Begriffe, der
gleichzeitige Gebrauch von diesen Mitteln verstärkt das Gefühl der inneren
Wiedersprüchlichkeit von Stendhal.
59
Der antithetische Gebrauch der Wörter, wie im Beispiel „Geschicklichkeit
kann allenfalls die Schönheit ersetzen“ [112] oder „Hitze vortäuschen, wenn man
selbst kalt ist, und Kälte, wenn man glüht“ [112], weist darauf hin, dass der Held
der Biographie eine Fähigkeit hat, eigene Nachteile in Vorteile zu entwickeln oder
zumindest den Nachteilen keine Aufmerksamkeit zu schenken und dabei „ein
lebenswertes Leben“ zu führen.
Gegenüberstellungen dienen auch dazu, die Fortschritte in der Weltkenntnis
zu unterstreichen. Obwohl Stendhal keinen Erfolg bei den Frauen hat, kann er für
die Lehre dankbar sein, denn gerade diese Misserfolge bei den Frauen helfen ihm
seine eigene Seele zu erforschen: „an den Frauen hat Stendhal seine Seele
überprüfen gelernt, auch hier schult eine Zurückgedrängtheit den Beobachter zum
vollendeten Kenner“ [178]. Beobachter wird dem vollendeten Kenner
gegenübergestellt, so sieht man eine qualitative Entwicklung im „Erforschen“ der
Frauen. Hier ist eine psychologische Art der Bewertung zu bemerken. Im Vergleich
zu Casanova sind die Frauen eine bewegende Kraft für Stendhal. Er braucht
Frauen, um sich zu beobachten und seinen eigenen Geist zu verstärken; Casanova
braucht Frauen für die eigene Selbstbehauptung, er nutzt sie aus und deshalb wird
er verlassen.
Entwicklung der Idee im Rahmen des Satzes wird durch den Gebrauch des
Chiasmus realisiert. Der Autor spielt oft mit den „Begriffen“, die eine wichtige
Rolle für die Bewertung des Helden spielen, z.B. Einsamkeit. Sie erschreckt
Stendhal, aber mit der Zeit versteht er, dass nur die Einsamkeit hilft, sich selbst zu
verstehen: „Der Genuß in der Einsamkeit und die Einsamkeit im Genuß, dieses
sein erstes und ältestes Urideal, entdeckt sich der Fünfzigjährige endlich in der
Kunst“ [160]. Der Chiasmus entsteht in diesem Satz aus der Kreuzstellung der
Satzglieder, die das Gefühl der Unendlichkeit der Handlung schafft.
3.1.1.3.3 Rhetorische Fragen, Parenthesen, Entfaltung der Metapher im
60
Rahmen des Satzes
Rhetorische Fragen sind Verknüpfungsmittel zwischen den Gedanken des
Autors und akzentuieren das nachher gesagte: „Aber wer sieht, wer bemerkt an
einem Manne solche feminine Kleinigkeiten? Frauen fragen immer nur nach
Gesicht und Figur, und die sind, er weiß es fünfzig Jahre schon, unrettbar
plebejisch“ [110]. Es scheint, dass man fragt, ob Stendhal daran schuld ist, dass er
weibliche Gesichtszüge hat. Rhetorische Fragen helfen, das Handeln vom
Protagonisten zu verstehen: „<…> tut man nicht wirklich besser, mit klugen
Menschen in Rom die Galerien zu besehen, unter allerlei Vorwänden nach Paris zu
rasseln, als hier langsam und sicher zu verblöden?“ [135]. Mit dieser Frage
interessiert er sich, ob es einen besseren Weg für seinen Helden als diesen gäbe.
Ohne Antwort versteht der Leser, dass Stendhal alles richtig tut, was die
Gegenüberstellung der Verben beweist: besehen und rasseln vs. verblöden, dabei
langsam und sicher. So ist auch die Wahl der Lexik bei der Konstruktion der
rhetorischen Frage wichtig.
Der Einschub einer selbstständigen Wortverbindung hilft, zusätzliche
Informationen zu übermitteln und sie zu betonen. Eine besondere Betonung legt
das Ausrufezeichen bei: “Man hat Geld und kein Amt, man ist – weiß Gott, ohne
Verdienst! – dank zarter hat ein Verhältnis mit seiner Cousine und hält sich (Ideal
seiner Jugend!) außerdem eine Tänzerin aus, namens Bereyter“ [126]. Die
Betonung besteht auch darin, dass das Stolpern über die Parenthese zur
Unterbrechung der Satzordnung führt. Dadurch wird die eingeschobene Aussage
verstärkt oder sogar in den Mittelpunkt gerückt. In der Parenthese wird eine
emotionale Bewertung von der Perspektive des Autors gegeben.
„Geschmacksmetaphern“ werden auch bei der Beschreibung von Stendhal
benutzt. Im Vergleich zu Casanova, wo solche Methapern zur Darstellung des
schönen „Geschmacks“ der Frauen dienen, wird die Entfaltung der Metapher in
diesem Fall auf die „Übersättigung „ von Frauen hinweisen: „<…> das ist gewiß
wieder der abscheuliche Beyle, der den Damen Pfeffer serviert. Ein kluger,
feinfühliger Mensch doch sonst, extravagant und amüsant, aber der Umgang mit
61
Schauspielerinnen, mit dieser italienischen Madame Pasta vor allem, hat ihm die
Manieren verdorben“ [132]. Dieses Beispiel zeigt, wie sich Metaphern im Rahmen
des Satzes entfalten können.
3.1.1.4 Intensivierung der Bewertung auf der Ebene des Textes
3.1.1.4.1 Thematische Wörter und Wortgruppen
Auf der Ebene des Textes werden sich ständig wiederholende sprachliche
Mittel betrachtet. Im Laufe des ganzen Textes dient die Wiederholung dieser Mittel
zu ihrer Verstärkung. Diese sprachlichen Mittel werden auch zu den
textverflechtenden Mitteln, die auch als Rekurrenzmittel bekannt. Auf dieser Ebene
sind besonders emotionale und ethische Bewertungen bemerkenswert.
Die ältere Textlinguistik interpretiert Rekurrenz als Kohäsionsphänomen,
was die Wiederkehr verschiedener Ausdruckselemente bedeutet, dadurch werden
Ausdruckselemente aufeinander verwiesen. Im Rahmen der jüngeren
Textlinguistik wird die Rekurrenz als Kohärenzphänomen verstanden. Die
Ausdrucksseite spielt hier immer eine geringere Rolle im Vergleich zu der
Bedeutungs- und Funktionsseite, die zusätzliche inhaltliche Aspekte hinzufügt.
Deshalb gewinnt das Phänomen der Rekurrenz bestimmte rhetorische Effekte.
Unter Rekurrenz soll man nicht eine bloße Wiederholung von identischen Wörtern
verstehen, sondern bestimmte Ausdrücke, die „gesagt, benannt, eingeführt worden
sind, später – durch gleiche, ähnliche, andere Ausdrücke – wiederum gesagt,
benannt und damit wieder aufgenommen werden“ [Brinker 2000: 306].
Das Wort Herz ist 17 Mal im Text zu treffen ist. Dabei wird das Herz
personifizierend dargestellt „da das Herz sich durchforschte, um bereiter,
schlagkräftiger zu werden für Aufschwung und Abenteuer“ [181].
Noch ein oft zu treffendes Wort ist Neugier/neugierig, das Wort taucht im
Text etwa 15 Mal auf. Die Neugier ist für Stendhal dieselbe bewegende Kraft wie
Langeweile für Casanova. Das ist die Kraft, die ihn zum Denken zwingt: „sein
62
einziges Instrument ist und bleibt eine schneidend harte, sehr spitz geschliffene
Neugier“ [108]. Hier wird eindeutig eine positive Bewertung gegeben, in der sich
Stendhal trotzt all seiner Ängste weiterentwickeln will.
Die Wortpaare, die im Text oft vorkommen, sind „Leib und Seele“ und
„Intellekt und Romantik“. Das erste Wortpaar zeigt das Streben danach, das
Körperliche und das Geistige zu verbinden, aber er hat Angst, dass sie nicht zu
einander passen: „irgendein Nachtmahr muß in der Wiege Leib und Seele
vertauscht haben, denn wie friert und zittert bei jeder Erregung die krankhaft
überempfindliche Psyche unter ihrer grobschlächtigen Hülle“ [110]. Das zweite
Wortpaar wirkt schon als das Ganze „romantischer Intellektualist und
intellektueller Romantiker“ [144], „als kunstwissender, klarer Intellektualist
schildert er die ewige Romantik des Anbeginns“ [161]. So wird Stendhal als eine
Person charakterisiert, die innere Wiedersprüche hat, er kann sich als ein
Intellektualist und Romantiker empfinden, aber nicht als ein Mensch mit Seele und
ratio. Das ist verwirrend für die eindeutige Bewertung: Ist das schlecht oder gut,
wenn man sich nicht als ein Ganzes wahrnimmt? Einerseits beweist das, dass man
immer denkt und nach der Vollendung strebt, anderseits heißt das, dass er diese
Vollendung nie erreicht, denn man glaubt sich nicht.
3.1.1.4.2 Die Komponenten „seele“ und „gefühl“; „zwie“/ „zwei“ und „doppel“
Immer sich widerholende Komponenten der Zusammensetzungen dienen zur
Verknüpfung und Entwicklung der Leitthemen des Textes. Komposita mit der
Komponente „Seele“ ist 51 Mal im Text zu treffen, z.B. Seelenschlacht,
Seelengeschichte, Seelenbewegung, Seelenweite, Seelenerfassung. Wörter mit
dieser Komponente kann man in drei Gruppen zerlegen: zur 1. Gruppe gehören
Wörter, die seelische Beobachtung bedeuten; 2. Gruppe umfasst Wörter, die
seelische Weite bedeuten, 3. Gruppe der Wörter heißt seelischer Kampf. Das
63
bedeutet, dass Stendhal seine Seele von verschiedenen Seiten zu beobachten
versucht. Diese Wörter haben eine positive Bewertung.
Um die Seele zu „erforschen“, soll man Gefühle beobachten, deshalb sind
die Wörter mit der Komponente „Gefühl“ ebenso wichtig, wie mit der
Komponente „Seele“, es gibt 54 Beispiele, z.B. Feingefühl, Lebensgefühls,
Taktgefühl, Minderwertigkeitsgefühl, Selbstgefühl, Majoritätsgefühl,
Gefühlsgedächtnis.
Das ganze Leben von Stendhal besteht aus dem Kampf und den
Gegensätzen. Eine der Hauptideen des Essays von Stefan Zweig ist, die
Wiedersprüche im Charakter von Stendhal zu zeigen, den inneren Kampf zu
widerspiegeln und ihn der Gesellschaft entgegenzustellen. Diesem Ziel dienen im
Text Wörter mit den Komponenten „zwie“ und „doppel“: „seine Zwiespältigkeit
und Sonderheit“ [150], „wo er seine Menschen leiden läßt an der eigenen
Zwiefalt“ [165], „während er seinen Zwiespalt gefühlsmäßig erleidet“ [143], „Die
schöpferische Zwiespältigkeit ist in Henri Beyle bereits von den Eltern
hineingeboren; schon in ihnen passen zwei ungleichartige Hälften schlecht
zusammen“ [141], „<…> immer wird er darum zwiefältig sein und
doppelweltig“ [141], „Jede Formel Stendhals ergibt also immer eine zweistellige
Zahl, niemals runde Einheit: nur in dieser Doppelweltigkeit erfüllt er sich
ganz“ [144]. Obwohl die Komponenten, die auf die Doppelweltigkeit des Helden
hinweisen, nur 21 Mal im Text zu treffen sind, spielen sie eine entscheidende Rolle
bei der Bewertung von Stendhal, da sie sein Lebensziel unterstreichen. Außerdem
wird dieses Motiv auch durch andere sprachliche Mittel dargestellt und dadurch
verstärkt (z.B. durch die Benutzung von kontextuellen antithetischen Paaren (auf
der Seiten 54, 59) oder Gegenüberstellungen (auf der Seite 56)).
3.1.1.4.3 Man-Sätze
64
Wenn der Autor einige Handlungen seines Helden beschreibt, verwendet er
oft Man-Sätze. Solche Sätze werden in den Fällen gebraucht, wenn der innere
Zustand vom Helden beschrieben wird. Es scheint, dass der Autor Gedanken von
Stendhal beschreibt, sodass sich Stendhal von der Seite beobachtet und einen
inneren Dialog führt. So wird die Charakterisierung durch die Perspektive des
Protagonisten gegeben: „Kann man denn immer zu dem einen Antiquar, diesem
Herrn Bucci, gehen und immer mit denselben öden Halbadeligen schwätzen? Nein,
da spricht man lieber mit sich selbst. Man kauft sich aus alten Bibliotheken ein
paar Bände Chroniken und schreibt die schönsten als Novellen heraus, man
erzählt sich mit fünfzig Jahren, die man nun alt geworden ist, wie man in der Seele
jung geblieben. Ja, das ist das Rechte: um die Zeit zu vergessen, blickt man in sich
selbst zurück <…>“ [135]. Im Rahmen des Textes tauchen solche Sätze meistens
in den Fällen auf, wo die inneren Gemütsbewegungen vorliegen.
3.1.2 Funktionen der Bewertung bei der Beschreibung der Gestalt von
Stendhal
Für die Bewertung von Stendhal wurden 545 Beispiele benutzt, dabei hat die
vorwiegende Mehrheit eine positive oder neutrale Bedeutung. Eine ironische oder
sarkastische Färbung ist nur in den Fällen präsent, wo das Äußere von Stendhal
beschrieben wird. Der Kontext hat keine desavouierende Funktion, sondern eher
eine Erklärende.
Wortbildende Ebene:
1. Wiederholung der Komponenten „seele“ und „gefühl“ im Rahmen der
Zusammensetzungen wird dazu gebraucht, die Verknüpfung zwischen Leitthemen
zu realisieren;
2. Wiederholung der Komponenten „zwie“/ „zwei“ und „doppel“ dient dazu,
das Ziel des Lebens des Helden zu zeigen und seine Doppelweltigkeit bzw.
Zwiespältigkeit und innere Wiedersprüche zu betonen.
65
Funktional-lexikalische Ebene:
1. Nominationswörter und Wortverbindungen mit neutraler Färbung, die
Stendhal als Künstler darstellen, widerspiegeln den respektvollen Bezug des
Autors auf die Gestalt des Helden;
2. Tiermetaphern sind salopp gebraucht, sie geben dem Protagonisten eine
negative Charakteristik und dienen zur Beschreibung des Äußeren;
3. Präzedenznamen äußern ein herberen Spott über Stendhal als Liebhaber;
4. Bewertende Adjektive dienen für die Beschreibung des Äußeren, des
inneren Zustandes und der Charakterzüge. In den meisten Fällen haben diese
Adjektive eine negative Konnotation;
5. Kontextuelle antithetische Paare beschreiben Aspekte, die auf die
Doppelweltigkeit hinweisen, was für das Verstehen der Handlungen des Helden
wichtig ist;
6. Kontextuelle Synonyme bzw. Antonyme helfen das Objekt der
Beschreibung von verschiedenen Seiten zu betrachten.
7. Vergleiche präsentieren meistens eine zärtliche und schutzlose Seele von
Stendhal und haben eine kritisierende Funktion;
8. Wortwörtliche und variierte Wiederholung der thematischen Wörter/
Wortgruppen gelten als Rekurrenzmittel und unterstreichen die Leitthemen der
Bewertung;
9. Gegenüberstellungen dienen zur Äußerung der inneren Wiedersprüche;
sie weisen auch auf die Fortschritte, die Stendhal während des Lebens gemacht
hat: wie sein Äußeres sich verändert hat oder ob er seine Lebensorientierungen
verändert hat;
Funktional-syntaktische Ebene:
1. Aufzählung der gleicharten Satzglieder schafft eine bestimmte emotionale
Steigerung, ein Tempo und die Spannung, fügt eine qualitative Färbung hinzu und
wirkt manchmal ironisch oder sarkastisch;
2. Parenthesen unterbrechen Ordnung des Satzes, was die Wirkung der
eingeschobenen Aussage betont und verstärkt;
66
3. Entfaltung der Metapher im Rahnem des Satzes (vor allen
„Geschmacksmetaphern“) hilft, sich schrittweise in Gedanken des Helden zu
vertiefen, und den Ekel oder die Bewunderung zu verstehen;
4. Rhetorische Fragen dienen zur Verknüpfung der Ideen, für die Bewertung
sind diese Fragen dadurch wichtig, dass sie eine unterstützende Funktion haben.
Durch diese Fragen werden die Handlungen von Stendhal gerechtfertigt;
6. Man-Sätze helfen, die beschreibende Person von oben zu beobachten und
die Perspektive des Protagonisten zu verfolgen. Der Leser wird von der
Beschreibung abstrahiert und dadurch kann er seine eigene Meinung bilden.
Man bemerkt sofort, dass bei der Casanova-Beschreibung viel mehr
sprachliche Mittel und stilistische Figuren benutzt werden. Solche
Benennungsvielfalt ist darum möglich, weil Casanova sich in mehreren
Lebenssphären zeigte (die Staats- und Geldaffären, verschiedene Reformen, die
Frauen, das Gefängnis, den Ausbruch aus dem Gefängnis), deshalb weckt er
mehrere Emotionen.
Wenn wir das Thema Lebenswandel bei Casanova und Stendhal vergleichen,
bemerken wir einen großen Unterschied. Erstens wird Casanova von mehreren
Seiten betrachtet wie z.B. sein Benehmen, seine Gedanken und die Beziehung
seiner Umgebung zu ihm. Stendhal wird nur von innen beobachtet, nur seine
Gefühle, sein seelischer Zustand und die immer entstehenden inneren
Wiedersprüche. Zweitens werden bei der Beschreibung von Casanova viele
sprachliche Mittel benutzt, z.B. verschiedene Wortbildungsmittel, die emotionale
oder ironische Färbungen hinzufügen, Hyperbeln, abwertende Vergleiche und
Parallelismen. Die Bewertung von Stendhal beschränkt sich auf die
Zusammensetzungen und kontextuelle antithetische Paare. Der dritte Unterschied
besteht im Verständnis des Lebens. Für Casanova ist es das Spiel, der Spaß und die
„Genießerei“; für Stendhal ist das Leben, Arbeit, Beobachtung und Entwicklung.
67
Zusammenfassung
In dieser Arbeit konnte belegt werden, dass Bewertung, verstanden als
implizite/ explizite bzw. direkte/ indirekte sowie subjektive/ objektive
Charakterisierung einiger Seiten der Protagonisten aus der Perspektive des Autors
bzw. des Protagonisten selbst, eine entscheidende Rolle im Text des
biographischen Porträts spielt, da nur mithilfe von bewertenden sprachlichen
Mitteln den Protagonisten, eine intellektuelle, emotionale, ethische und ästhetische
Charakteristik gegeben werden kann.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden zunächst einige theoretische Grundlagen
zur Analyse der Bewertungstypen analysiert. Für die Gesamtanalyse der
bewertenden sprachlichen Mittel im Text des biographischen Porträts wurde
axiologische Typologie (positive vs. negative Bewertung) von E.M. Wolf und
Typologie von N.D. Arutjunowas (allgemein- und speziell-wertende Bewertung)
gewählt.
Insgesamt wurden 1129 Beispiele analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass
die Bewertung ihre sprachliche Realisierung meistens auf der Ebene der
Wortbildung und der Lexik findet. Weniger häufig sind Realisierungen auf der
Ebene der Syntax und des Textes. Die syntaktische Ebene gibt keine Bewertung,
dient aber für die Intensivierung der bewertenden sprachlichen Mittel, was den
Expressivitätsgrad erhöht. Bewertende sprachliche Mittel werden auch auf der
Ebene des Textes in der Form von wörtlichen und variierten Wiederholungen für
Textgliederung und -verknüpfungen realisiert.
Die Analyse hat ergeben, dass die Bewertung sowohl direkt als auch indirekt
im Text von Stefan Zweig „Drei Dichter ihres Lebens. Casanova. Stendhal.
Tolstoi“ realisiert. Als Mittel der direkten Bewertung konnten vor allem
koreferente Namen und Präzedenznamen, bewertende Attribute im Konjunktiv und
Superlativ, Verben mit emotionaler Färbung, Aufzählungen, wörtliche und variierte
Wiederholungen der thematischen Wörter und Wortgruppen, stilistische und
kontextuelle Synonyme/ Antonyme, abwertende Vergleiche und Negationen
identifiziert werden. Indirekte Bewertung verwirklicht sich durch Ironie, ironische
68
Intonation, expressive Metaphern und rhetorische Fragen. Bei der Verwirklichung
der indirekten Bewertung spielt der Kontext die Hauptrolle für die Interpretation
der gegebenen Charakteristiken.
Dem Text des Werkes „Drei Dichter ihres Lebens“ liegt das antithetische
Prinzip zu Grunde. Die Hauptidee besteht hier in dem Bedeutungsgegensatz, der
sich durch Antonyme und Antithese verwirklicht. Die Gegenüberstellung entsteht
bei der Beschreibung des Protagonisten in der Jugend und im Alter, dabei sieht der
Leser seelische, geistige oder auch äußere Degradation oder die Entwicklung des
Helden. Die charakterisierende Person wird auch mit den anderen Protagonisten
des biographischen Essays verglichen. Der Vergleich ist dadurch möglich, dass
sich die bewertenden sprachlichen Mittel, die bei der Beschreibung der beiden
Protagonisten verwendet werden, in ähnliche thematische Gruppen gliedern lassen
(wie das Werk, äußere Erscheinung, Lebenswandel, Einstellung zur Frauen,
Bildung und Begabung).
Durch die Analyse der Bewertungsmittel wurde festgestellt, dass sie eher zur
emotionalen als zur rationalen Darstellung einer Person dienen und dadurch ist die
Bewertung stark subjektiv. Diese Mittel erfüllen verschiedene Funktionen im Text
des biographischen Porträts. Zu diesen Funktionen gehören vor allem
vergleichende, entlarvende, ironische und assoziative Funktionen. Gleichzeitig
wurden Bewertungsmittel als Rekurrenzmittel vorgefunden, die zum Aufbau des
Textes dienen. Daraus ergibt sich die Bestätigung der Arbeitshypothese:
Bewertungsfunktion spielt eine textbildende Rolle in der Darstellung des
biographischen Porträts.
69
Literaturverzeichnis
1.Böckem B. Die Biographie – Mode oder Universale? Zu Geschichte und
Konzept einer Gattung in der Kunstgeschichte. – B. Böckem, O. Peters, B.
Schellewald. – Berlin: W. de Gruyter GmbH & Co KG, 2016. – S. 1-43.
2.Brinker, K. Text- und Gesprächslinguistik. Linguistics of Text and Conversation /
K. Brinker, G. Antos, W. Heinemann. – Berlin, New York: Walter de Gruyter:
2000. – 305-315 S.
3.Brinker, K. Zum Zusammenhang von Textfunktion und thematischer Einstellung
am Beispiel eines Zeitungskommentars / K. Brinker // Überredung in der Presse.
Texte, Strategien, Analysen.– Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1994. – S.
35-45.
4.Etzemüller, Th. Biographien. Lesen – erforschen – erzählen / Th. Etzemüller. –
Frankfurt, New York: Campus Verlag, 2012. – 177 S.
5.Faulseit D. Stilistische Mittel und Möglichkeiten der deutschen Sprache. // D.
Faulseit, G. Kühn. – Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1972. – S. 227-269.
6.Fleischer, W. Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. // W. Fleischer, G.
Michel, G. Starke. – Leipzig: VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1975. –
394 S.
7.Glushak, V. Kognitive Grundlagen der Adjektive im Russischen, Deutschen und
Lateinischen / V. Glushak. – München: Herbert Utz Verlag, 2002. – 165 S.
8.Hagenbüchle, R. Subjektivität: Eine historisch-systematische Hinführung / R.
Hagenbüchle // Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, 2.
Bde., hrsg. von R. L. Fetz, R. Hegenbüchle, P. Schutz. – Berlin, New York: W. de
Gruyter, 1998. – S. 1-88.
9.Hare, R.M. Imperative sentences / R.M. Hare // Mind, New Series, Vol. 58, No.
229. – N.Y., 1949. – pp. 7-39.
10.Holly, W. Sind Bewertungen ansteckend? / W. Holly // In: Zeitschrift für
germanistische Linguistik. № 10, 1982. – S. 58-62.
11.Hudson, W. D. A century of moral Philosophy / W. D. Hudson. – N.Y.:
Lutterworth Press, 1980. – 198 p.
70
12.Hunston, S. Evaluation in Text. Authorial Stance and the Construction of
Discourse / S. Hunston, G. Thompson. – Oxford: University Press, 1999. – S.
1-27.
13.Kessel, K. Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache / K. Kessel, S. Reimann.
– Tübingen, Basel: A. Francke Verlag, 2005. – 276 S.
14.Klein, Ch. Handbuch Biographie. Methoden. Traditionen. Theorien / Ch. Klein.
– Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 2009. – S. 194-200.
15.Merten, K. Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methoden und Praxis / K.
Merten – Bonn: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 1995. – S. 314-332.
16.Schippan, T. Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache / T. Schippan. –
Tübingen: Niemeyer, 2002. – 295 S.
17.Seibicke, W. Die Personennamen im Deutschen: Eine Einführung / W. Seibicke.
– Berlin: de Gruyter, 2008. – 235 S.
18.Silke, J. Emotionen und Emotionsstrukturen in Sachtexten: ein
interdisziplinärer Ansatz zur qualitativen und quantitativen Beschreibung der
Emotionalität von Texten / J. Silke. – Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2000.
– 267 S.
19.Stevenson, Ch. L. Ethics and language / Ch. L. Stevenson. – New Haven and
London: Yale University Press, 1858. – P. 1-111.
20.Stoeva-Holm, D. Verbmetonymie und ihre Leistung im Benennungsprozess / D.
Stoeva-Holm. – Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2010. – 232 S.
21.Thurmair, M. Eigennamen als kulturspezifische Symbole oder: Was Sie schon
immer über Eigennamen wissen wollen / M. Thurmair // Anglogermanica online.
2002. – S. 84-102. Режим доступа: [http://epub.uni-regensburg.de/25138/
(23.12.2016)].
22.Winko, S. Wertungen und Werte in Texten. Axiologische Grundlagen und
literaturwissenschaftliches Rekonstruktionsverfahren / S. Winko. –
Braunschweig: Vieweg, 1991. – 225 S.
23.Worthmann, F. Literarische Wertungen. Vorschläge für ein deskriptives Modell /
F. Worthmann. – Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag, 2004. – 287 S.
71
24.Zillig, W. Bewertungen: Sprechakttypen der bewertenden Rede / W. Zillig. –
Tübingen: Niemeyer, 1982. – 317 S.
25.Zweig, St. Drei Dichter ihres Lebens. Casanova. Stendhal. Tolstoi / St. Zweig. –
Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1982. – 318 S.
26.Арутюнова, Н.Д. Об объекте общей оценки (в лингвистических
исследованиях) / Н.Д. Арутюнова // Вопросы языкознания № 3. – М.: Наука,
1985. – С. 13-24.
27.Арутюнова, Н.Д. Типы языковых значений. Оценка. Событие. Факт / Н.Д.
Арутюнова. – М.: 1988 – 341 с.
28.Арутюнова, Н.Д. Язык и мир человека / Н.Д. Арутюнова. – М.: Языки
русской культуры, 1999. – С. 130-272.
29.Банару, В.И. Оценка, модальность, прагматика / В.И. Банару // Языковое
общение: Единицы и регулятивы: межвуз. сб. науч. тр. – Калинин:
Калининский гос. ун-т., 1987. – С.14-18.
30.Баранов, А.Н. Аксиологические стратегии в структуре языка
(паремиология и лексика) / А.Н. Баранов // Вопросы языкознания № 3. – М.:
Наука, 1989. – С. 74-90.
31.Вольф Е.М. Функциональная семантика оценки / Е.М. Вольф – М.: Наука,
1985. – 228 с.
32.Вольф Е.М. Функциональная семантика: оценка, экспрессивность,
модальность / Е. М. Вольф. – Москва: ИЯЗ, 1996. – С. 1-167.
33.Глазкова, М. Ю. Экспрессивный синтаксис в современной публицистике
(на материале русскоязычных и англоязычных общественно-политических
статей): Автореф. дис. канд. филол. наук: 10.02.19 / Марина Юрьевна
Глазкова. – Ростов-на-Дону, 2010. – 22 с.
34.Горделий, З. П. Модальная структура текста эссе (на материале английской
литературной критики XVII-XX в.в.): Автореф. дис. канд. филол. наук:
10.02.04 / Зоя Петровна Горделий. – Москва: МГЛУ, 1991. – 24 с.
35.Диброва, Е.И. Современный русский язык: Теория. Анализ языковых
единиц: учебник для студентов высш. уч. заведений: В 2-х ч. Ч. 1.: Фонетика
72
и орфоэпия. Графика и орфоэпия. Лексикология. Фразеология.
Лексикография. Морфемика. Словообразование // Е.И. Диброва, Л.Л.
Касаткин, Н.А. Николина. – М.: Академия, 2002. – С. 442-533.
36.Дормидонтова, О. А. Категория оценки и оценочная категоризация с
позиций современной лингвистики / О. А. Дормидонтова // Грамота. – 2009.
– № 2 (21): в 3-х ч. Ч. I. – С. 47-49.
37.Земская, Е. А. Современный русский язык. Словообразование: учеб.
пособие / Е. А. Земская. – М.: Флинта Наука, 2008. – 323 с.
38.Ивин, А. А. Основания логики оценок / А. А. Ивин. – Москва:
Издательство Московского университета, 1970. – 230 c.
39.Кострова, О. А. Экспрессивный синтаксис современного немецкого языка:
Учебное пособие / О. А. Кострова. – М.: Флинта: Московский
психосоциальный институт, 2004. – 240 с.
40.Кузнецов, Н. И. Биография как тип текста: Автореф. дис. канд. филол.
наук: 10.20.04 / Николай Иванович Кузнецов. – Одесса: Гос. инст. им.
Мечникова, 1990. – 14 с.
41.Кузнецова, Н. Е. К вопросу о некоторых способах выражения оценки / Н.
Е. Кузнецова, Е. В. Шевченко // Язык. Текст. Стиль: сб. науч. тр. – Курган:
Курганский гос. ун-т., 2004. – С.71-79.
42.Ларина, Т.В. Эмоциональность и эмотивность в коммуникации / Т.В.
Ларина // Межкультурная коммуникация и перевод. Материалы
межвузовской конференции. – М.: Наука, 2002. – С. 89-93.
43.Маклерова, Т.В. Семантика оценки и средства ее выражения в русском
языке / Т. В. Маклерова. – М.: МПУ, 1993. – 126 с.
44.Малинович, Ю.М. Экспрессия и смысл предложения: Проблемы
эмоционально-экспрессивного синтаксиса / Ю.М. Малинович. – Иркутск:
Изд-во Иркутский ун-т, 1989. – 216 с.
45.Матвеева, Т.В. Лексическая экспрессивность в языке: Учеб. пособие по
спецкурсу / Т. В. Матвеева. – Свердловск: УрГУ, 1986. – 92 с.
73
46.Меликян, В.Ю. Синтаксическая фразеология русского языка: учебное
пособие / В.Ю. Меликян. – М.: ФЛИНТА, 2013. – 351 с.
47.Минина, М. А. Психолингвистический Анализ семантики оценки (на
материале глаголов движения): Автореф. дис. канд. филол. наук: 10.02.19 /
Марина Александровна Минина. – Москва: Институт языкознания РАН,
1995. – 22 с.
48.Нестерская, Л. А. Языковые средства формирования оценочности в
современной публицистике / Л. А. Нестерская // Язык, сознание,
коммуникация: Сб. статей / Отв. ред. В. В. Красных, А. И. Изотов. – М.:
МАКС Пресс, 2002. – Вып. 21. – С. 171-177.
49.Писанова, Т. В. Национально-культурные аспекты оценочной семантики:
эстетические и этические оценки / Т. В. Писанова. – Москва: Высшая школа,
1997 – 320 с.
50.Потапова, С. Ю. Номинация лица в обиходном дискурсе / С. Ю. Потапова
– Ярославль: МУБиНТ, 2003. – 281 c.
51.Сергеева, Л. А. Оценочное значение и категоризация оценочной
семантики: опыт интерпретационного анализа: Автореф. дис. канд. филол.
наук: 10.02.01 / Лариса Александровна Сергеева. – Уфа: БашГУ, 2004. – 45 с.
52.Старикова, Е.Н. К вопросу о категории оценки в языке / Е.Н. Старикова, С.
Н. Колесник // Вестник Киевского университета. Романо-германская
филология. – 1988. – Вып.22. – С. 56-59.
53.Стаценко, А. С. Эмоционально-оценочная лексика как средство
Реализации речевой интенции: монография / Стаценко А. С. – Москва:
МПГУ, 2011. – 118 с.
54.Стернин, И.А Лексическое значение слова в речи. – Воронеж: Воронеж.
Гос. ун-т, 1985. – 170 с.
55.Телия, В. Н. Метафоризация и ее роль в разработке языковой картины
мира / В. Н. Телия // Роль людского фактора в языке. Язык и картина мира. –
М.: Наука, 1988. – С. 173-205.
74
56.Телия, В.Н. Коннотативный аспект семантики номинативных единиц / В.
Н. Телия. – М. 1986. – 141 с.
57.Фомина, Ю.А. Аспекты изучения языковой оценки / Ю.А. Фомина //
Вестник Челябинского государственного университета. – Челябинск, 2007. –
С. 154-161.
58.Ханпира, Э. И. Окказиональные элементы в современной речи / Э. И.
Ханпира // Стилистические исследования: на материале современного
русского языка. – М.: Наука, 1972. – С. 245-317.
59.Чернейко, Л.О. Порождение и восприятие межличностных оценок/ Л.О.
Чернейко // Филологические науки № 6. – М: Грамота, 1996. – С. 42-53.
60.Шеляховская, А. А. Словообразовательный аспект изучения некоторых
групп окказионализмов / А. А. Шеляховская, Н. А. Богданов // Новые слова
и словари новых слов. –Л.: Наука, 1983. – С. 82-84.
61.Шиловская, Л. В. Средства выражения ослабленной интенсивности
действия и состояния в современном французском языке: Автореф. дис.
канд. филол. наук: 10.02.05 / Любовь Васильевна Шиловская. – СПб:
СПбГУ, 2007. – 22 с.
62.Якушина, Р. М. Динамические параметры оценки (на материале
современного английского языка): дис. канд. филол. наук: 10.02.04 / Роза
Михайловна Якушина. – Уфа: БашГУ, 2003. – 179 с.
Online-Ressourcen:
1. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de)
2. Duden Online (duden.de)
3. BookReader (bookre.org)
75
Отзывы:
Авторизуйтесь, чтобы оставить отзыв